Zitat zum Europatag
© UDE/Jennifer Meina

Prof. Dr. Michael Kaeding zum Europatag

Auswirkungen auf 450 Millionen Menschen

  • von Jennifer Meina
  • 07.05.2024

Am 9. Mai ist der Europatag. Damit wird an die Rede erinnert, die der damaligen französischen Außenministers Robert Schumann an jenem Datum 1950 zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl hielt. Das war der Grundstein für die heutige Europäische Union. Warum dieses Mal vor allem die Jugend im Fokus ist und wie wieder mehr Vertrauen in die Demokratie hergestellt werden kann, erklärt Prof. Dr. Michael Kaeding, Professor für Europäische Integration und Europapolitik an der UDE.

Warum ist es angesichts der bevorstehenden Wahl im Juni so wichtig, dass gerade auch die Jugend gehört wird?

Prof. Dr. Michael Kaeding: Was heute in Europa entschieden wird, kann sich noch über Jahrzehnte auf die Lebenswelten der heutigen Jugend auswirken. Junge Menschen sind sehr daran interessiert, kontroverse Themen rund um die EU zu diskutieren und sich selbst Gehör zu verschaffen. Das zeigen Formate wie NRW debattiert Europa – das landesweit und universitätsübergreifend stattfindet.

Außerdem wurde das Wahlalter in Deutschland für diese Europawahlen auf 16 Jahre herabgesetzt. Damit ist es für die Parteien umso wichtiger, die Perspektiven, Anliegen und Ideen der jungen Generation zu berücksichtigen und für deren Stimmen zu werben.

Interessiert sich die Jugend generell mehr für Europa als ältere Generationen?

Kaeding: Umfragen zeigen immer wieder: junge Menschen in Deutschland haben ein positiveres Bild von der Europäischen Union als ältere Generationen. Und sie sind überzeugt, dass die Vorteile einer EU-Mitgliedschaft die Nachteile überwiegen. Ein Grund dafür könnte die Bildung sein, denn in den Schulen wird heute schon früh über die Europäische Union und ihre Funktion aufgeklärt. Zudem bestimmen die Grundfreiheiten der EU maßgeblich die Lebensrealitäten junger Menschen. Unter anderem können sie problemlos in anderen Ländern studieren und arbeiten. Die EU ist für die junge Generation selbstverständlich, da sie mit dieser aufgewachsen sind.

Im Gegensatz zu Bundestags- oder Landtagswahlen scheint die Europa-Wahl nie so im Fokus zu stehen. Woran liegt das, und warum kann das ein Fehler sein?

Kaeding: In der Forschung gibt es die sogenannte Nebenwahlthese: sowohl Wähler:innen als auch Parteien und Medien halten demnach die Europawahlen für weniger wichtig als Bundestags- oder in einigen Fällen auch Landtagswahlen, weil die Befugnisse des Parlaments vermeintlich begrenzt sind. In der Folge gehen weniger Wahlberechtigte wählen bzw. die Proteststimmen – besonders auch gegen Parteien in aktueller Regierungsverantwortung - nehmen zu, aber auch die Parteien engagieren sich im Wahlkampf weniger, geben weniger Geld aus, und die Medien berichten zurückhaltend.

Das ist keine gute Entwicklung, denn die Europawahlen sind sehr wohl relevant: Vom EU-Parlament werden eine ganze Reihe von wichtigen Entscheidungen getroffen, welche sich auf rund 450 Millionen EU-Bürger:innen auswirken; sei es zum Beispiel der Umwelt- oder Verbraucherschutz, der Waren-, Dienstleistungs- oder Zahlungsverkehr, Migrationspolitik oder Gesetzte rundum KI. Auch wenn das Parlament keine eigenen Gesetzesentwürfe einbringen kann, ist es ein entscheidendes Organ im Gesetzgebungsprozess und entfaltet somit auch weltweit einen Effekt, den sogenannten Brüssel Effekt, denn an EU-Gesetze müssen sich auch in Europe engagierte internationale Unternehmen ausrichten. Zudem steht es im ständigen Austausch mit der Kommission und dem Rat der Europäischen Union und steuert die Geschicke in Brüssel somit aktiv mit. Die Zusammensetzung des Parlaments, d.h. wie stark die einzelnen Parteien vertreten sind, ist dabei von entscheidender Bedeutung. Nicht wählen zu gehen, ist also tatsächlich eine vertane Chance die Zukunft Europas mit zu gestalten.

Die EU steht immer wieder in der Kritik – wie kann sie sich für die Zukunft wappnen und für mehr Stabilität und Wohlstand beitragen?

Zunächst einmal sollten wir nicht vergessen, dass die EU seit einem halben Jahrhundert auf dem Kontinent trotz aller Krisen, und von denen haben wir in den vergangenen Jahren sehr viel erlebt, für Frieden, Sicherheit, Stabilität und Wohlstand sorgt. Aber aktuelle Probleme überlagern im Bewusstsein der Menschen die Errungenschaften. Im vergangenen Jahrzehnt haben wir in fast allen Ländern einen Rückgang des Vertrauens in die demokratischen Institutionen beobachtet, in einigen Fällen sogar einen Rückgang der Demokratie selbst. Dieser Vertrauensverfall lässt sich nicht nur auf EU-Ebene beobachten, sondern auch auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene. Inwieweit diese Entwicklungen miteinander zusammenhängen, wie man die Institutionen der EU und ihrer Mitgliedstaaten widerstandsfähiger gestaltet und wie das Vertrauen zurückgewonnen werden kann, sind hochaktuelle Fragen. Sie beschäftigen auch uns Forschende.

Aktuell koordiniere ich das Horizon Europe Projekt ActEU. In diesem Projekt bringen wir Forscher:innen aus ganz Europa zusammen, um Antworten darauf zu finden. Wir sammeln derzeit eine Vielzahl empirischer Daten in der gesamten EU. Daraus wollen wir maßgeschneiderte Instrumente entwickeln, die für politische und zivilgesellschaftliche Akteure sowie für Lehrkräfte an Schulen und Hochschulen geeignet sind. Comics sollen z.B. Demokratie für junge Menschen greifbar machen. Unser Ziel ist es, dem schwindenden Vertrauen in die Demokratie entgegenzuwirken, indem wir Lösungen für alle politischen Ebenen und alle polarisierenden Politikbereiche wie Migration, Umwelt und Gender entwickeln.

Eine Abschlussfrage: Wie sehen Sie persönlich die EU?

Auch wenn ich nicht mit allem einverstanden bin, was in Brüssel und Straßburg entschieden wird, ist aus meiner Sicht die EU das Beste, was uns passieren konnte. Als Forscher begleite ich den europäischen Integrationsprozess seit vielen Jahren kritisch konstruktiv. Der 9. Mai ist für mich daher jedes Jahr ein wichtiger Tag.

Weitere Informationen:
https://michael-kaeding.eu/

Prof. Dr. Michael Kaeding, Institut für Politikwissenschaft, Tel. 0203/37 9-2022, michael.kaeding@uni-due.de

Redaktion: Jennifer Meina, Tel. 0203/37 9-1205, jennifer.meina@uni-due.de

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