Pressemitteilung der Universität Duisburg-Essen
Aufstocken hat viele Gründe
[15.12.2008] Immer mehr Menschen in Deutschland müssen ihr Arbeitseinkommen mit Sozialleistungen aufstocken, weil sie gering beschäftigt, schlecht bezahlt oder Alleinverdiener sind. Diesen Trend sieht der Arbeitsmarktforscher Prof. Dr. Matthias Knuth vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen nach der Auswertung aktueller Daten der Bundesagentur für Arbeit bestätigt.
Demnach ist seit Anfang 2007 die Zahl der Aufstocker von 1.093.000 auf 1.352.500 im Juli 2008 gestiegen. Der Anteil der Leistungsbezieher mit Erwerbseinkommen stieg in dem Zeitraum von 20,4 Prozent auf 26,9 Prozent. Ein großer Teil ist nur für wenige Monate auf zusätzliche Grundsicherung angewiesen, etwa zur Überbrückung bei Arbeitsaufnahme oder zwischen Gelegenheitsjobs. Es bleibt aber ein „harter Kern“ von aktuell ca. 100.000 Menschen, die auch nach 12 Monaten noch aufstockende Leistungen beziehen.
Wer Erwerbseinkommen durch Sozialleistungen aufstocken muss, arbeitet nur wenige Stunden pro Woche, der Stundenlohn ist niedrig oder es müssen so viele Menschen von einem Verdienst leben, der aber selbst bei einer Vollzeitbeschäftigung nicht ausreicht. „In der Praxis fallen oft zwei oder sogar alle drei Gründe zusammen“, so Knuth. Überwiegend (90%) ist in den „aufstockenden“ Bedarfsgemeinschaften nur eine Person erwerbstätig – selbst in der Einkommensklasse ab 1.200 Euro Brutto gilt das noch für drei Viertel.
Der Anteil von Leistungsbeziehern mit Arbeitseinkommen von 800 Euro und mehr betrug bei Singles 2,5%, bei Paaren mit Kindern dagegen 25%. „Offensichtlich könnte ein Teil der fast 700.000 Paare mit Kindern aus dem Leistungsbezug nach dem SGB II herauskommen, wenn sie für ihre Kinder eine höhere anderweitige Unterstützung erhalten würden“, stellt Knuth fest.
Schlechte Bezahlung ist für einen erheblichen Teil der Betroffenen der Grund für den Aufstockungsbedarf, rechnet Knuth. Mehr als die Hälfte der erwerbstätigen Leistungsbezieher verdienen weniger als 400 Euro im Monat. Auffällig ist allerdings, dass allein 20,5% der „Aufstocker“ in der Verdienstklasse von 100 bis unter 200 Euro liegen und offenbar wegen Anrechnungsregeln für den Hinzuverdienst kein höheres Einkommen erzielen.
Niedriglöhne und Instabilität der damit verbundenen Arbeitsplätze lassen die Zahl der „Aufstocker“ wachsen, sind aber nach Knuths Einschätzung nicht die einzige Ursache. Auch ungelöste Probleme der Familien- und Bildungspolitik spielen eine Rolle. Einfache Dienstleistungstätigkeiten oder Helfertätigkeiten in der Produktion ernährten heute selbst bei einer Vollzeitstelle bestenfalls einen Erwachsenen, aber keinen Partner oder Kinder, so der IAQ-Wissenschaftler. Anstelle des in Deutschland immer noch mächtigen „Alleinernährermodells“ müsse konsequent allen Erwachsenen eine Erwerbstätigkeit ermöglicht und dafür die (ggf. auch kostenlose) Kinderbetreuung ausgebaut werden.
Knuth, Matthias, 2008: Aufstocken von Arbeitseinkommen durch Arbeitslosengeld II – eine verzwickte Geschichte. Institut Arbeit und Qualifikation
http://www.iaq.uni-due.de/aktuell/veroeff/2008/knuth_20081204.pdf
Weitere Informationen: Prof. Dr. Matthias Knuth, Tel. 0209/1707-186, -178, matthias.knuth@uni-due.de, http://www.iaq.uni-due.de
Redaktion: Claudia Braczko, Tel. 0209/1707-176, 0170-8761608, presse-iaq@uni-due.de,
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