Pressemitteilung der Universität Duisburg-Essen
Verhandeln ist gut, Kontrolle besser
[15.07.2009] Dass Flächentarife in betrieblichen Bündnissen unterschritten und dabei von den Tarifvertragsparteien gebilligt werden, ist in vielen Branchen inzwischen gängige Praxis. Wird damit das Tarifvertragssystem in Deutschland weiter ausgehöhlt oder könnte die „legitimierte Tarifunterschreitung“ ein Instrument sein, zumindest einige dieser Probleme anzugehen und das System zu stabilisieren? Dieser Frage ist PD Dr. Thomas Haipeter vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen in einer Studie im Auftrag der Tarifabteilung der IG Metall nachgegangen.
Die Metall- und Elektroindustrie ist eine der Leitbranchen der Tarifabweichung: Seit der Pforzheimer Vereinbarung von 2004 ist der Abschluss abweichender Tarifverträge nicht mehr nur an wirtschaftliche Notlagen der Betriebe gebunden. Er kann auch mit einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit oder der Investitions- und Innovationsbedingungen sowie mit der Sicherung und dem Ausbau der Beschäftigung begründet werden. Abweichende Tarifvereinbarungen regeln die Unterschreitungen des Flächentarifvertrages für einzelne Unternehmen bzw. Betriebe und sind von den Tarifparteien, der IG Metall und dem jeweiligen Arbeitgeberverband bzw. Unternehmen unterzeichnet worden.
Haipeter hat die 850 vom Flächentarifvertrag abweichenden Vereinbarungen in der Metall- und Elektroindustrie ausgewertet, die von 2004 bis 2006 ausgehandelt worden waren. Schon zuvor gab es betriebliche Unterschreitungen von Tarifnormen, nur vollzogen sie sich informell. „Erst, wenn wilde Formen der Tarifunterschreitung in „offizielle“ Formen überführt werden und erst, wenn im Anschluss daran Verbreitung und Inhalte von Tarifabweichungen auf den Tisch kommen, können die Gewerkschaften das Problem erkennen und darauf reagieren!“, so der IAQ-Experte.
Was aber bedeuten die ausgehandelten, in der Regel schlechteren Abschlüsse für die Flächentarifverträge? – Das hängt nach seiner Einschätzung entscheidend von der Kontrolle der Tarifparteien – vor allem der Gewerkschaft – ab. Nur wenn die Zahl der abweichenden Vereinbarungen und ihre Laufzeiten festgelegt werden, wenn die Zugeständnisse der Beschäftigten, was Arbeitszeiten oder Entlohnung angeht, begrenzt sind und es andererseits gelingt, Gegenleistungen der Unternehmen wie Beschäftigungssicherung oder Stärkung der Zukunftsfähigkeit einzufordern, „kann die Unterschreitung der Tarifnormen mehr sein als eine neue Variante, wie man das Tarifvertragssystem erfolgreich unterhöhlt“.
Wichtige Grundlage dafür ist laut Haipeter, die gewerkschaftliche Organisationskraft im Betrieb zu stärken. Dazu könnten Ansätze wie die betriebsnahe Tarifpolitik beitragen, die bei der Aushandlung von Tarifabweichungen wachsende Verbreitung finden. In diesen Ansätzen wird versucht, die Gewerkschaftsmitglieder an der Verhandlung von Tarifabweichungen zu beteiligen und dadurch die Attraktivität der Gewerkschaft zu erhöhen.
Haipeter, Thomas, 2009: Tarifabweichungen und Flächentarifverträge: Eine Analyse der Regulierungspraxis in der Metall- und Elektroindustrie. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwiss. ISBN 978-3-531-16721-3. http://www.iaq.uni-due.de/aktuell/veroeff/2009/haipeter01.shtml
Weitere Informationen: PD Dr. Thomas Haipeter, Tel. 0203/379-1812, thomas.haipeter@uni-due.de
Redaktion: Claudia Braczko, Tel.: 0170-8761608, presse-iaq@uni-due.de
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