Pressemitteilung der Universität Duisburg-Essen
Religion und Gewalt
[24.10.2003] „Religion und Gewalt“ – unter diesem Titel ist an der Universität Duisburg-Essen die 21. Ausgabe des Wissenschaftsmagazins ESSENER UNIKATE unter Federführung des Theologen und Kirchenhistorikers Professor Hubertus Lutterbach erschienen.
„New York als Ort des religiös bedingten Friedens einerseits und New York als Ort der religiös motivierten Gewalt andererseits – eine brennpunktartige Umschreibung dafür, dass Religion offenbar zum Frieden wie zum Unfrieden zu motivieren vermag. Viele konkrete Hintergründe, die in einer gerechten Sozialpolitik, in sozialem Einsatz zugunsten der Schwächsten, in fundamentalistisch aufgeladenen Sozialverhältnissen oder in aggressiv-exklusiv daherkommenden Weltanschauungen wurzeln können, entscheiden darüber mit, ob Religion die Gewalt verhindert oder sie überhaupt erst zum Ausbruch bringt.“ So führt Hubertus Lutterbach in das ESSENER UNIKATE-Themenheft „Religion und Gewalt“ ein. Das Magazin nimmt die Ambivalenz des Verhältnisses von Religion und Gewalt nicht abstrakt in den Blick, sondern nähert sich ihr vielmehr aus unterschiedlichen, je konkreten gesellschaftlichen Kontexten und aus dem Leben erwachsenen Weltanschauungen, wie sie in philosophischen Traktaten und heiligen Schriften, in Literatur und politischen Vereinbarungen zur Sprache kommen: Die Frage nach Gottes- oder Menschenbildern – vornehmlich auf die jüdisch-christliche Tradition bezogen – spielt in diesem Zusammenhang beispielsweise ebenso eine Rolle wie die Ausrichtung der Ethik, das Mühen um Toleranz oder die Berücksichtigung nationaler Traditionen.
Interdisziplinärer Ansatz
Als Autoren konnte Professor Lutterbach nicht nur Kollegen der Katholischen und Evangelischen Theologie gewinnen, sondern auch einen Politikwissenschaftler und eine Germanistin.
Zu Beginn beschäftigt sich die Theologin Ilse Müllner mit der sexuellen Gewalt im Alten Testament, mit der Wirkweise der biblischen Schriften, die sich in den letzten hundert Jahren geändert habe. Annegret Reese, ebenfalls Theologin, setzt sich mit dem Thema „Gewalt gegen Frauen“ auseinander. So haben viele Theologinnen bereits die Herausforderung angenommen, Gewalterfahrungen von Frauen als kritische Anfragen an christliche Theologie, Tradition und Kirche ernst zu nehmen. Jedoch müssten die Solidarität mit den Frauen und das Misstrauen gegenüber gewaltstabilisierenden Strukturen innerhalb christlicher Theologie, Tradition und Kirche weiter wachsen, schreibt Reese. Mit einer weiteren Form der sexuellen Gewalt, nämlich dem Missbrauch von Kindern als Verstoß gegen die christliche Tradition des Kinderschutzes, befasst sich der federführende Autor, Hubertus Lutterbach. Wie nie zuvor sei die römisch-katholische Kirche während der vergangenen Monate in die Schlagzeilen geraten, weil in ihren Reihen Priester ihren seelsorgerischen Dienst versehen, die sich im Rahmen der pastoralen Tätigkeit an Kindern sexuell vergehen beziehungsweise vergangen haben. Dabei sei der Schutz der Kinder vor sexuellen Übergriffen rückblickend als eine der großen humanisierenden Leistungen des Christentums zu bewerten. Insofern wirke sich der Glaubwürdigkeitsverlust für das Christentum umso gravierender aus, wenn Christen oder sogar engste Mitarbeiter der Kirche diese Tradition missachteten.
Mit Religion, Nation und Politik im ehemaligen Jugoslawien setzt sich der Politikwissenschaftler Othmar Nikola Haberl auseinander. Bedingt durch den staatlich verordneten Atheismus sei in Jugoslawien in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg kein interreligiöser Dialog geführt worden. Durch die Blutspur des Bürger- und Religionskrieges der neunziger Jahre sei bis auf weiteres die Chance auf die Initiierung eines solchen Dialogs gründlich verdorben. Nun sei es an mutigen Vertretern der Religionsgemeinschaften, über den eigenen Schatten zu springen und dem jeweils anderen die Hand zum Dialog zu reichen.
Mit der Entstehung eines Sündenbocks am Beispiel von Grillparzers „Jüdin von Toledo“ als Opfergeschichte beschäftigt sich die Germanistin Ursula Renner. Sie geht dem Ansinnen nach, in den Erzählungen der Vergangenheit nach Mustern für die Entstehung von Gewalt zu suchen. Was ein literarischer Text dazu beitragen könne, Antworten zu finden, unter welchen Bedingungen Menschen sich legitimiert fühlten, anderen Gewalt anzutun, zeigt die Autorin anhand Grillparzers Text.
„Zwischen Gotteskrieg und Feindesliebe“ betitelt der Theologe Aaron Schart seinen Beitrag – und setzt sich darin mit Krieg und Frieden in der Bibel auseinander. Heiko Schulz, sein Fachkollege, beschäftigt sich mit Kierkegaards „Furcht und Zittern“ und dem Dilemma der Divine-Command-Ethics. Schulz geht dabei der Frage nach, ob das „Fromme“ deshalb fromm sei, weil und insofern es die Götter guthießen, oder ob es deren Beifall fände, weil und insofern es an sich fromm sei. Zum Abschluss der neuen UNIKATE-Ausgabe geht der Theologe Ralf Miggelbrink der Frage nach Gewalt und ihrer Überwindung im systematisch-theologischen Denken nach: „… unsere Schritte zu lenken auf den Weg des Friedens“ (LK 1,79).
Die aktuelle Ausgabe der ESSENER UNIKATE (ISSN 0944-6060) ist ab sofort im Buchhandel zum Preis von 7,50 Euro erhältlich.
Redaktion: Daniela Endrulat, Tel.: (0201) 183?4518
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