Pressemitteilung der Universität Duisburg-Essen
Billigarbeit kommt teuer zu stehen
[23.10.2012] „Mit Billigarbeit wird die deutsche Wirtschaft im internationalen Innovationswettbewerb nicht bestehen können“, warnt Prof. Dr. Gerhard Bosch vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Uni. Fast jeder fünfte Beschäftigte (2010: 23,1 Prozent) wird schlecht bezahlt. „Den Fachkräftemangel der kommenden Jahre werden wir nur mit einer anderen Arbeitsmarktordnung bewältigen können“, plädiert der Arbeitsmarktexperte.
In einer aktuellen Expertise für die IG Metall belegt Bosch, dass die Spaltung des Arbeitsmarktes besorgniserregend zugenommen hat. 6,8 Millionen Menschen arbeiteten 2010 für weniger als 8,50 Euro pro Stunde, 4,1 Millionen verdienten sogar weniger als 7 Euro. Politische Hoffnungen, die mit der Verbreitung prekärer Arbeit verbunden waren, haben sich nicht erfüllt: Niedriglöhne, Minijobs und Leiharbeit bieten kein Sprungbrett in reguläre Arbeit, da die Aufstiegschancen fehlen. Auch die Beschäftigung gering Qualifizierter wurde nicht besser. Außerdem können heute mehr als 80 Prozent der Geringverdiener eine berufliche oder akademische Ausbildung vorweisen. „Es erwies sich als großer Irrtum in der Agenda 2010, ein Bildungsproblem in ein Lohnproblem umzudeuten“, kritisiert Bosch.
Billige Arbeit wird aber für den Steuerzahler sehr kostspielig. Allein 2010 mussten 11,5 Milliarden Euro aufgebracht werden, um nicht ausreichende Einkommen durch Arbeitslosengeld aufzustocken. Da viele Renten unterhalb der Grundsicherung im Alter bleiben, werden Gegenwartsprobleme auf Kosten der Jüngeren in die Zukunft verschoben.
Steigender globaler Wettbewerb und technischer Fortschritt können nach Ansicht Boschs die zunehmende Spaltung des Arbeitsmarktes nicht erklären. Andere Länder wie Dänemark oder Schweden sind davon ebenso betroffen, ohne dass dort die Ungleichheit zugenommen habe.
Ursachen für den starken Anstieg prekärer Arbeit in Deutschland sieht Bosch u.a. in dem freiwilligen Tarifsystem, das den deutschen Arbeitsmarkt für Lohndumping besonders anfällig macht, da es keinen gesetzlichen Mindestlohn oder allgemeinverbindliche Tarifverträge gibt. „Findige Unternehmer nutzen mit hoher Kreativität alle Schlupflöcher.“ Zusätzlichen Schub gab die Agenda 2010, insbesondere weil Leiharbeit und Minijobs dereguliert wurden und die Arbeitslosenhilfe wegfiel. Zudem wirke das traditionelle deutsche Familienmodell wie ein eingebauter Deregulator: Fehlanreize über das Ehegattensplitting, die abgeleitete Krankenversicherung und Minijobs leiteten Frauen massiv in kleine Beschäftigungsverhältnisse, so der Wissenschaftler.
„Wünschenswert wäre es, wenn die Sozialpartner in eigener Regie Niedriglohnbeschäftigung durch autonome Vereinbarungen begrenzen würden. Leider gibt es hierfür gegenwärtig keine Anzeichen“, bedauert Bosch. Eine Neuordnung auf dem Arbeitsmarkt erfordere angesichts der Dimensionen des Problems ein Bündel von Maßnahmen. Dazu gehöre ein zukunftsfähiges arbeitsmarktpolitisches Leitbild von guter Arbeit, eine Qualifizierungsoffensive und ein gesetzlicher Mindestlohn.
Zudem müsste die Gleichbezahlung von Leiharbeit wie in den meisten westlichen Nachbarländern durchgesetzt werden, Minijobs sollten in einer neuen Gleitzone bis 800 € pro Monat aufgehen. Allerdings: Erst wenn all dies zusammenwirke, könne wieder Ordnung auf dem Arbeitsmarkt geschaffen werden, sagt Bosch: „Einzelmaßnahmen wie die Einführung eines allgemeinen Mindestlohns – so notwendig er ist – reichen alleine nicht aus. Denn Mindestlöhne setzen nur Untergrenzen, während die einkommenspolitische Mitte nur über Tarifverträge stabilisiert werden kann.“
Weitere Informationen: http://www.iaq.uni-due.de/aktuell/veroeff/2012/bosch_IGMexpertise.pdf
Prof. Dr. Gerhard Bosch ist derzeit nur per E-Mail zu erreichen: gerhard.bosch@uni-due.de
Redaktion: Claudia Braczko, Tel. 0170/8761608, presse-iaq@uni-due.de
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