mauerschau ::: 1/2008 - Grenzüberschreitungen
Editorial
Die Zeitschrift mauerschau zu erarbeiten war und ist ein Lernprozess, der bei weitem noch nicht abgeschlossen ist. Wir sind sicher, dass sich die Zeitschrift im Laufe der folgenden Ausgaben sowohl inhaltlich als auch optisch noch weiter verändern wird.
Die hier versammelten Aufsätze versuchen, die Germanistik im Themenfeld der „Grenzüberschreitung“ zu verorten. Dabei wurde den Verfasserinnen und Verfassern die Freiheit gelassen, die Germanistik oder einzelne Teildisziplinen aus ihrem persönlichen Blickwinkel auf das Thema zu beziehen. Und so beinhaltet diese Ausgabe sowohl theoretische Überlegungen, die die Germanistik in den Kontext kulturwissenschaftlicher Gedankengänge rücken, als auch exemplarische Arbeiten, die sich u.a. mit der Dekonstruktion von Wirklichkeit, Normfragen oder genderorientierten Zugängen befassen.
Natürlich kann das Thema „Grenzüberschreitungen“ hier nicht erschöpfend oder in aller Ausführlichkeit dargestellt werden, dennoch haben wir versucht, verschiedene Sichtweisen, die das Thema anbietet, in dieser Ausgabe zusammenzustellen. Dass die erste Ausgabe der mauerschau dabei diesen Umfang annahm, freut uns ebenso, wie es uns überrascht hat.
An dieser Stelle möchte ich mich bei den Mitgliedern des wissenschaftlichen Beirats bedanken, die gern bereit waren, uns bei Fragen und Problemen hilfreich zur Seite zu stehen. Ebenfalls gilt mein Dank Dr. Hermann Cölfen, der uns in organisatorischen Belangen eine große Hilfe war. Ganz besonders sei hier Dr. Andreas Erb gedankt, der diesem Projekt von Beginn an mit Rat und Tat zur Seite stand.
Ralf Wohlgemuth, im Januar 2008
Inhalt und Einzelaufsätze
Olga Iljassova : Grenzdurchdringung anstatt Grenzüberschreitung? ‚Trans’ statt ‚inter’ oder ‚inter’ und ‚trans’?
Das Thema des Aufsatzes sind verschiedene aktuelle heuristische Umgangsweisen mit den Grenzen in den Kulturwissenschaften. In diesem Zusammenhang werden zwei populäre Konzepte – ‚Interkulturalität’ und ‚Transkulturalität’ – ausgewählt, ihre Probleme und Stärken diskutiert, um am Ende die im Beitragstitel implizierten Fragen zu beantworten, ob diese zwei Begriffe einander notwendigerweise ausschließen und inwieweit der Transkulturalitätsbegriff tragfähig ist, eine der globalen gesellschaftlichen Lage angemessenere Alternative dem häufig mit der trennenden Semantik beladenen Interkulturalitätsbegriff anzubieten. Der praktische Zweck dieses sich auf der begrifflichen Abstraktionsebene bewegenden Beitrags ist es, zu verhelfen, die Orientierungsprobleme zu vermeiden, die sich bei einer unreflektierten oder nicht genug informierten Übernahme der Begriffe (sei es Interkulturalität oder Transkulturalität) ergeben können.
Anna Beughold: Grenzüberschreitungen zwischen Wirklichkeit und Wahn, Rettung und Zerstörung - Georg Heyms Novelle ‚Der Dieb'
Georg Heyms Novelle „Der Dieb“ stellt mit der Thematik des Wahnsinns auch die Frage nach Formen von subjektiver und gebrochener Wahrnehmung. Agierend innerhalb eines Systems von eingerissenen Grenzen, verkörpert der Dieb die Unsicherheit von Wahrnehmung und das expressionistische Motiv der Ich-Dissoziation. Der Aufsatz vollzieht den Übergang von der normierten zur nihilistischen Wahrnehmung nach und zeigt das Versagen sowohl institutioneller, als auch individueller Strategien im Angesicht grenzüberschreitender Wahrnehmungen.
Sylvia Nürnberg: Benjamin v. Stuckrad-Barre "Soloalbum" - Die Überschreitung der romantischen Liebessemantik?
Dass der Roman „Soloalbum“ von Benjamin v. Stuckrad-Barre ursprünglich vor allem eine Liebesgeschichte ist, wird in der Rezeption nur marginal wahrgenommen. Der vorliegende Aufsatz untersucht eben diese Liebesgeschichte hinsichtlich ihrer vorherrschenden Liebessemantik, wobei die zwei Semantikmodelle der romantischen und der sachlichen Liebe in Bezug zum Roman gesetzt werden. Kritisch erfragt wird die im Roman genutzte Liebessemantik unter dem Aspekt der Synthetisierung zweier traditioneller Semantikstrukturen zu einer (post)modernen Form der Liebessemantik.
Thorsten Czechanowsky: Die Irrfahrt als Grenzerfahrung. Überlegungen zur Metaphorik der Grenze in B. Travens Roman Das Totenschiff.
Der Aufsatz beschäftigt sich mit B. Travens Roman „Das Totenschiff“, der speziell vor dem Hintergrund der „Seefahrt als Daseinsmetapher“ nach Hans Blumenberg gelesen wird. Er stellt in diesem Sinne Überlegungen zur „Erfahrung“ der Grenze im metaphorischen Bild der Seefahrt an. Dabei sollen konkrete Ausgrenzungserfahrungen im Rahmen eines post-revolutionären Diskurses (im Anschluss an die Novemberrevolution von 1918) ebenso reflektiert werden, wie die Überschreitung literarischer Gattungsgrenzen in einem spannungsreichen Spiel intertextueller Bezüge.
Ralf Wohlgemuth: „Der Tod des Königs“ – weibliche Herrschaftsinszenierung durch kompetatives Sprechverhalten in Hartmanns „Iwein“
Vor dem Hintergrund der mittelalterlichen Herrschaftsinszenierung und dem Verhaltenscodex für Frauen, geht der Aufsatz der Frage nach, inwieweit Frauen erfolgreich die Rolle der Herrscherin an Stelle des Mannes für sich in Anspruch nehmen können. Am Beispiel von Hartmanns „Iwein“ wird die Figur der Königin Laudine in Bezug auf ihre Herrschaftsinszenierung und Herrschaftsfähigkeit gegenüber ihrem Ehemann Iwein untersucht. Dargestellt wird das Scheitern der Frau als Herrscherin eben nicht wegen ihrer politischen Unfähigkeit, sondern aufgrund ihres Geschlechts.
Eva Lindemer: Der Pfaffe im Märe. Literarische Standes- und Normüberschreitungen geistlicher Würdenträger
Der Pfaffe in der mittelhochdeutschen Märendichtung zeigt sich als Überschreiter christlicher und gesellschaftlicher Normen und bewegt sich außerhalb seiner Standesregeln. Der Aufsatz betrachtet den sozial-historischen Hintergrund des „Pfaffen“ und untersucht exemplarisch die literarische Pfaffendarstellung. Dabei wird die „Pfaffendarstellung“ auf die „Märenmoral“ bezogen und der Frage nachgegangen, inwieweit sich in der Pfaffendarstellung ein Mittel zur Religions- bzw. Kirchenkritik anbietet.
Die logisch-formale Theorie von Richard Montague unternimmt den Versuch, natürliche Sprache in algebraische Logarithmen zu transformieren. Der Aufsatz stellt die Methodik und die Vorgehensweise Montagues dar und hinterfragt die Vorzüge und Defizite der logisch-formalen Theorie. Nicht die Beschreibbarkeit einer Welt ist Zentrum der Montague-Grammatik, sondern der logische Wahrheitsgehalt ihrer Beschreibung. Der Aufsatz bietet eine Einführung in den Themenkomplex an und unternimmt den Versuch, Montargues Grammatik in den historischen Kontext von linguistisch-logischer Sprachphilosophie einzuordnen.