mauerschau ::: 1/2010 - Raum und Zeit
Editorial
Liebe Leser,
der Mensch suchte schon immer nach regelhaften Strukturen, durch die er sich die Welt erklären, seine eigene Position bestimmen und letztlich Identität entwickeln kann. Er hat über die Jahrtausende viele dieser Ziele erreicht und so sind wir heute in der Lage, zu theoretisieren, die Welt der Materie zu entstofflichen. Zwei koordinative Komponenten, zwei Orientierung stiftende Größen in einer vormals orientierungslosen Welt waren für diesen Prozess entscheidend: Die Erfindung des Raumes und die Erschaffung der Zeit. Denn fast alles und jedes lässt sich im Rahmen dieser beiden Koordinaten beschreiben und verorten. Wir schaffen uns Ordnungssysteme, bemühen uns um Kontinuität und standardisierte Abläufe, entwickeln Skripte und Strategien, verändern, gestalten und verfügen über diesen Planeten allein durch ihre Hilfe. Es hat uns interessiert, wie und in welchen Wirkungsgefügen solche Zeit-Räume und Raum-Zeiten existieren und in der Germanistik untersuchbar sind. Und so war das Thema dieser vorliegenden fünften Ausgabe der mauerschau geboren: Raum und Zeit.
Die auf unseren Call For Papers folgenden Arbeiten waren so interessant wie abwechslungsreich. So beschäftigen wir uns in dieser Ausgabe unter anderem mit den Fragen, ob man Zeit wie Blätterteig falten kann, wieso Guido Knopp mit Hitler in einer WG wohnt und woher überhaupt Konserven-Nazis kommen. Wie erforscht man bei David Lynch das Unbewusste und was zerstörte das Paradies? Wie entflieht man in einer Art Seelenballon der tristen Realität und wann eigentlich ereignet sich das Unmögliche? Möglich gemacht wurde diese Ausgabe, und dafür möchten wir uns an dieser Stelle ganz herzlich bedanken, durch die selbstlose und freiwillige Arbeit der Redaktion, die Unterstützung derselben durch unseren wissenschaftlichen Beirat und letztlich durch die schönen Ideen und die hervorragende Zusammenarbeit mit den Autoren. Ein besonderer Dank gilt Herrn Dr. Krauss für seine Hilfe und Herrn Dr. Cölfen vom Universitätsverlag Rhein- Ruhr für sein Engagement. Bei der Lektüre dieser fünften mauerschau wünschen wir Ihnen viel Spaß und Freude.
Sunke Janssen und Sylvia Nürnberg, Herausgeber der mauerschau, Essen im Juni 2010
Inhalt und Einzelaufsätze
Jessica Breidbach: "Und? Kommt die Konjunktur endlich in Fahrt?" - "Sie fährt einen Opel...". Über Kollektivsymbole, Bewegung, Raum und Zeit
Daniel `Danielle Verena´Kollig: Schlafwandeln im totalen Raum - Inszenierungen der Allmacht in Hans-Jürgen Syberbergs "Hitler, ein Film aus Deutschland"
Gerrit Lembke: Poetik der Einebnung: Zur Amalgamierung von Raum und Zeit in den Liedern Rainald Grebes. Zeitmaschine (2008) und Guido Knopp (2005)
Linda Leskau: Vielleicht ereignet sich das Unmögliche. Überlegungen zu Jacques Derridas "Die unbedingte Universität"
Eva Lindemer: Konserven-Nazis aus der deutschen Alptraum-Zeitkapsel
Tonia Marisescu: Raumfigurationen in Herta Müllers "Niederungen"
Thomas Neubner: Das Paradies ist längst zerstört! Der Zerfall des Raum-Zeit-Kontinuums als erzählerisches Stilmittel. Eine werkimmanente Interpretation unter sozialpsychologischen Gesichtspunkten am Beispiel der Biografie der Bertha in Ludwig Tiecks Werk "Der Blonde Eckbert"
Nina Peter: Expedition in eine "mehrdimensionale Zeit". Raumzeitliche Grenzüberschreitungen in Kathrin Schmidts Roman Die Gunnar-Lennefsen-Expedition
Jelena Rakin: Physische Wirklichkeit und malerische Leinwand. Zur Farbgestaltung in Michelangelo Antonionis Il deserto rosso
Wolfgang Reichmann: Bocksprünge der Geschichte. Zu Hans Magnus Enzensbergers "Blätterteig der Zeit" und Alexander Kluges "Chronik ohne Chronologie"
Juliane Schöneich: Relationale Poesie. Text.Raum. Sprache im Werk von Barbara Köhler
Philipp Stallkamp: "Look in the other room" - Unbewusste Innenräume in David Lynchs Inland Empire
Bastian Strinz: Raum- und Zeitkonstruktion bei Peter Handke: Die Wiederholung und Versuch über die Jukebox