IN-EAST News
08.03.2022 - 10:45
China und der russische Einmarsch in die Ukraine
Dienstag, 1. März 2022, Zoom-Online-Podiumsgespräch vom IN-EAST – Nachbetrachtungen
Das Interesse an der Veranstaltung war riesig. 500 Teilnehmer schalteten sich über ZOOM zu dieser von Johannes Pflug moderierten Diskussion zu. In kurzen Eingangsstatements zeichneten die Diskutanten ein sehr differenziertes Bild der chinesischen Politik und der Gründe des russischen Überfalls auf die Ukraine.
Nele Noesselt führte aus, dass zahlreiche Forderungen derzeit seitens der internationalen Staatengemeinschaft an die VR China adressiert werden – mit dem Wunsch, dass Peking als „verwantwortungsbewusste“ Großmacht seine Sonderbeziehungen mit Moskau dazu einsetzen solle, auf ein Ende des Militäreinsatzes in der Ukraine hinzuwirken. Die chinesische Seite verwahrt sich entschieden dagegen, nach Regieanweisungen aus Washington zu handeln, und sieht die Hauptverantwortung für den Konflikt bei den USA und den Osterweiterungsrunden der NATO, durch die sich eine direkte Bedrohungssituation für russische Sicherheitsinteressen ergeben habe. So sollte auch die Enthaltung Pekings bei der Abstimmung über die UN-Resolution im UN-Sicherheitsrat nicht überbewertet werden. Denn dies signalisiert keinen Bruch mit Russland, sondern unterstreicht Chinas Positionierung als unabhängiger, neutraler Akteur. Und ist generell im Einklang mit den Grundlagen der postmaoistischen chinesischen Außenpolitik. Die oft in der transatlantischen Debatte vermutete strategische Kooperation zwischen Peking und Moskau steht weit weniger für den strategischen Schulterschluss zwischen zwei Autokratien, sondern für ein Zweckbündnis – befördert durch die Sanktionen und Abgrenzungspolitik gegen Russland und China, die in diesen Szenarien als Herausforderer der liberalen, regelbasierten Weltordnung klassifiziert werden. Derartige holzschnittartige Muster werden jedoch der vielschichtigen Realität der sino-russischen Beziehungen nicht gerecht. Die Weltordnungsvisionen und außenpolitischen Interessen Pekings sind mit Kriegen entlang der von China avisierten Neuen Seidenstraßenkorridore nicht kompatibel. Inwiefern sich Peking als Mediator und Schlichter in den Konflikt einbringen kann, bleibt abzuwarten.
Markus Taube fokussierte auf die ökonomische Verflechtung Chinas mit Russland und die Frage, inwiefern China Russland darin unterstützen kann, westliche Sanktionen zu unterlaufen. Er zeichnete das Bild einer asymmetrischen Beziehung, in der China in erster Linie als Käufer russischer Rohstoffe (Öl, Gas, Getreide) auftritt, während Russland auf China als Lieferant von Technologiegütern angewiesen ist. Auf dieser Basis kann China die russische Volkswirtschaft stützten, aber bei weitem nicht das volle Maß westlicher Sanktionen ausgleichen. Darüber hinaus wird Chinas Führung darauf bedacht sein, seine Unterstützung der russischen Volkswirtschaft in einem Rahmen zu halten, der keine zusätzlichen Sanktionen Chinas durch die westlichen Staaten (inkl. Japan und Korea) provoziert. Mit letzteren unterhält China bislang sehr viel intensivere und wichtigere Wirtschaftsbeziehungen als mit Russland. Er kommt zu dem Schluss, dass China vielleicht aber auch grundsätzlich gar kein Interesse daran hat, die russische Volkswirtschaft maximal zu unterstützen. Eine längerfristig auf der Importseite auf chinesische Technologien angewiesene russische Volkswirtschaft, die auch in Hinblick auf ihre Ausfuhren in hohem Maße von China abhängig ist, setzt China in eine privilegierte Position gegenüber einem in wachsende Abhängigkeit abrutschenden russischen Junior-Partner.
Klaus Waschik (Ruhr-Universität Bochum) wies in seinem Statement auf die engen Verschränkungen zwischen nationalistischen Ideologien und machtpolitischen Ambitionen in der gegenwärtigen Politik Russlands hin (vgl. Übersicht). In den letzten Jahrzehnten haben sich auf der Basis eines ethnographisch und pseudohistorisch argumentierenden Nationalismus Konzepte zur Vereinigung aller im Ausland verstreuten Russen etabliert, die seit mehr als 10 Jahren auch die russische Regierungspolitik maßgeblich beeinflussen. Hinzu kommt eine Abwendung von einer regelbasierten und Hinwendung zu einer interessenbasierten Außenpolitik, die auch die Anwendung militärischer Gewalt nicht ausschließt.
Daran schloss sich eine sehr lebhafte Diskussion mit dem Publikum an, in dem viele der Kontroversen und Position vertieft wurden. Aus den Augen verloren die Teilnehmer und Organisatoren auch nicht die Hauptleidtragenden der russischen Aggression. Wir alle sind zur Solidarität und Hilfe aufgerufen.
Weitere Informationen, Spendenaufruf und Stimmen von Teilnehmern auf unserer Webseite Ostasien-Gespräche:
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