Pressespiegel

Sommerhaus, später
Mit ihrem Erstlingswerk Sommerhaus, später lieferte Judith Hermann ein „fulminantes Debüt, das Anlaß gibt zu großer Hoffnung“, urteilt Martin Lüdke in der Zeit (08.10.1998). „Der Autorin genügen wenige Sätze, und eine Figur wird lebendig, dabei oft rätselhaft und das heißt: interessant.“ Marcel Reich-Ranicki bezeichnet sie als „hervorragende junge Autorin“ (Literarisches Quartett, 30.10.1998). Er konstatiert, sie gehöre „zum Wichtigsten, was die deutsche Literatur unserer Jahre zu bieten hat“ und legt damit den Grundstein für weitere folgende positive Kritiken, die sich zu überschlagen scheinen im Lob für die junge Autorin. Die Erzählungen, die von Liebe, Einsamkeit und Tod handeln, seien laut Rolf Michaelis von „ungewöhnlicher Sprach- und Verschweigungs-Kraft“ (Die Zeit, 05.08.1999). Ihre klare, einfache und sehr konzentrierte Sprache wird vielfach gelobt und gefeiert. Sie spiegelt die sparsame und dennoch dichte Kommunikation zwischen den Figuren wider, die oft gerade durch das Ungesagte gekennzeichnet ist. So heißt es in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Es ist das Wissen um die Kraft der Auslassung, die Macht des Unbewußten, das Judith Hermann zu einer großen Erzählerin macht“ (ador, 17.03.2002).
Christine Claussen resümiert, dass es auch negative Kritiken gibt und dass einige kritische Leser Hermanns Erzählungen nur „traurig“ und „die Figuren unentschlossen und kommunikationsgestört“ finden (Stern, 15.04.1999). Auch Susann Rehlein kritisiert Hermanns Schreibstil: „Es kommt vor, daß die Autorin selbst der Kraft ihrer Sprache unterliegt, daß die Metaphern nicht stimmig oder zu grell geraten. Diesem Buch wäre ein sorgfältigeres Lektorat zu wünschen gewesen“ (die tageszeitung, 12.11.1998). Dahingegen bezeichnen andere Kritiker gerade die sprachliche Einfachheit als die Stärke von Hermanns Erzählungen, die von gescheiterten Lebensentwürfen berichten, von dem Verharren im Gewohnten und von der Unfähigkeit und vielleicht auch dem Unwillen zur Veränderung. In der Laudatio zur Verleihung des Kleist-Preises an Judith Hermann resümiert Michael Naumann (Die Zeit, 19.11.2001), sie sende „Nachrichten aus der Welt des Nichtgelingens“ und lasse damit den Leser Hoffnung schöpfen, in seiner Empfindung nicht allein zu sein: „Judith Hermann ist ein Glücksfall“.

Nichts als Gespenster
Nachdem Judith Hermanns Debüt Sommerhaus, später vielfach und exzessiv gelobt worden war, waren die Erwartungen an ihr zweites Werk hoch. Als schließlich 2003 der Erzählband Nichts als Gespenster erschien, musste die junge Autorin allerdings weitgehend negative Kritiken über sich ergehen lassen. Rüdiger Görner (Die Presse, 08.03.2003) meint hierzu jedoch: „Nichts wäre wohl einfacher, nichts billiger, als diese Erzählungen von Judith Hermann zu verreißen, sie mit Hohn und Spott zu übergießen“. Er gibt zu bedenken, dass die Enttäuschung über ihr zweites Werk auch in der Hoffnung auf einen Roman begründet läge, die schlussendlich nicht erfüllt wurde. Auch Gudrun Norbisrath (WAZ, 21.02.2003) schreibt, dass „die Autorin […] am vorigen Erfolg gemessen [wird] und weil sie beim ersten Mal großartig war, fällt die Kritik nun oft halbherzig aus“. Viele Kritiker beanstanden Hermanns Sprach- und Grammatikgebrauch. Der parataktische und teilweise fälschliche Sprachgebrauch wird unter anderem von Gudrun Norbisrath kritisiert: „Ärgerlich ist die häufige Schludrigkeit der Sprache […], der Konjunktiv wird grundsätzlich falsch gebraucht. Der Ton ist verstörend und unterschiedlich, neben wunderbaren Formulierungen […] stehen […] Sätze von peinlicher Belanglosigkeit“. Hans-Christoph Zimmermann (General-Anzeiger, 17.02.2003) hingegen sieht in Hermanns Sprache ihre Stärke und bewertet stattdessen den Inhalt des Erzählbands negativ: „Die stoffliche Substanz ist schmal, die Figurenzeichnung dürftig, doch der Reiz der Erzählungen liegt in ihrem sprachlichen Sog“. Auch Ingo Arend (Die Presse, 14.02.2003) spricht von einer „überragenden Erzähltechnik“, kritisiert aber die Unschärfe der Figuren: „Da klingt Hermanns kostbare Melancholie plötzlich wieder wie Schwermut für Anfänger“. Diverse Literaturkritiker sehen aber in dieser Abstraktheit Hermanns Potenzial: „Es sind Momentaufnahmen müder Helden, die weder witzig sind noch dynamisch, die müde, unschlüssig, ratlos wirken. Diesen Seelenzustand in karger, reduzierter Sprache widerzuspiegeln, ist Hermanns große stilistische Leistung“ (Börsenblatt NR.15, 10.04.2003). Lothar Schröder (Rheinische Post, 05.02.2003) fasst die Diskussion um Hermanns Werk wie folgt zusammen: „An Judith Hermanns neuem Buch scheiden sich also die Geister“.

Alice
Nachdem seit Judith Hermanns letzter Veröffentlichung sechs Jahre vergangen waren, waren die Erwartungen an ihr neues Werk Alice (2009) hoch. LiteraturkritikerInnen diskutierten bereits vor Veröffentlichung des Werks, ob und in wie weit sich Hermanns Schreiben verändert haben könnte. Kritisiert wird diese Vorfreude von der Redakteurin Wiebke Porombka. Bei einer Lesung im Literarischen Colloquium Berlin, berichtet Porombka, verstiegen sich die Kritiker hauptsächlich „in geschmäcklerische Detailkommentare“ (taz, 24.04.2009). Fragen nach Entwicklungen hinsichtlich Hermanns Stil oder gar Themen und Figurenkonstellationen im Werk selber rückten demnach weniger in den Fokus der Diskussion, sodass Porombka zu der kritischen Aussage kommt, man könne diese Debatte „eine Art puristische, pseudoredliche Ungeschicklichkeit der Literaturkritik nennen“. Auch Helmut Böttiger (dradio, 04.05.2009) merkt an, dass Alice „auch ein Medientest, ein Indikator für die irrationalen Schwankungen des Journalismus“ sei. Hiermit weist er auf den einerseits von der Presse enorm gelobten Erzählband Sommerhaus, später (1998) und auf das andererseits stark kritisierte Werk Nichts als Gespenster (2003) hin. Tatsächlich finden sich vor, aber auch nach der Veröffentlichung zahlreiche Rezensionen über Alice in den Feuilletonseiten der Zeitungen. Gerrit Bartels (der Tagesspiegel, 04.05.2009) sagt, dass es zunächst so scheint, „als habe sich Hermann bewusst losschreiben wollen von ihrem Image, die 'Stimme der Generation' zu sein, das sie seit ihren Erzählbänden 'Sommerhaus, später' und 'Nichts als Gespenster' hat“. Seiner Meinung nach sei es aber wie bereits bei Hermanns vorherigen Werken wieder „ein Dahintreiben“ und „eine gewisse Traumverlorenheit“, die nun auch Alice auszeichnen. Bartels merkt an, dass Hermann „im Beschreiben der Dinge […] so ausdauernd und präzise [ist] wie sie in den Wortwechseln ihrer Figuren und den Beschreibungen ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen betont unpräzise ist“. Er lobt jedoch den „herben Sound“, welcher „Hermanns Geschichten stilsicher […] beherrscht“. Auch Helmut Böttiger hält fest, dass Judith Hermann „sprachlich und formal […] zweifellos raffinierter und ästhetischer“ geworden sei. Hiermit bezieht er sich auf die für Hermanns Erzählen typischen kurzen, oftmals elliptischen Sätze. Bartels (der Tagesspiegel, 04.05.2009) vergleicht Hermann in dieser Hinsicht mit der Autorin Marlene Streeruwitz, die ebenfalls oder gar noch stärker elliptische Satzkonstruktionen in ihren Werken verwendet und für diesen Stil bekannt und weitgehend positiv wahrgenommen wird. Ferner sagt Böttiger, dass es „daneben aber auch Aufzählungen, die einen rhythmischen Sog entfalten, und abrupte Rhythmuswechsel [gibt]“. Auch Ina Hartwig (Frankfurter Rundschau, 02.05.2009) ist der Meinung, dass eine Entwicklung hinsichtlich Hermanns Schreibstil festzustellen ist. So sagt sie: „Man trifft auf eine ernster gewordene Erzählstimme“. Wie bereits Gerrit Bartels vergleicht auch Ina Hartwig Judith Hermann und ihren Schreibstil mit dem einer anderen Gegenwartsautorin: „Darin unterscheidet Judith Hermann sich von ihrer vergleichbar erfolgreichen Generationsgenossin Juli Zeh“. Während Zeh in ihren literarischen Texten das gesellschaftliche Geschehen Deutschlands offen kommentiere, würde sich Hermann mit Urteilen und Meinungen über soziale und politische Gegenwartsentwicklungen stark zurückhalten beziehungsweise Äußerungen nur zwischen den Zeilen lesen lassen. Felicitas von Lovenberg (Frankfurter Allgemeine, 02.05.2009) meint, dass Alice „ein stilles Buch“ sei, „in dem sich die Worte, Sätze und Bedeutungen in sich selbst zurückzuziehen scheinen“. Von Lovenberg kritisiert jedoch gerade auch diesen Aspekt sehr deutlich: „[M]it Judith Hermanns Prosa ergeht es einem wie mit den Gerichten von Maja [einer Figur in den Erzählungen, Anm.v.Verf.]: 'Sie kochte absolut salzarm, ohne jeden Hokuspokus'“. Auch Ina Hartwig meint, dass sich „Gefühle kaum ein[stellen, denn] dazu fehlt es dann doch an Vorgeschichte, Psychologie, an seelischer Tiefe, Zuspitzung und Konflikt.“ Des Weiteren beurteilt von Lovenberg Judith Hermanns Stil, welcher durch eine trübe Atmosphäre und Lakonie charakterisiert ist, als anstrengend. Dieser Ansicht ist auch Gerrit Bartels, der genau wie von Lovenberg zwar anmerkt, dass es Hermann gelungen sei, ihren elliptischen und lakonischen Stil umzusetzen, genau dieser Stil beim Lesen aber auch anstrengend oder gar störend sei (vgl. dradio, 02.05.2009). Anders sieht dies Iris Radisch (Zeit online, 04.05.2009). Sie schreibt, dass sich das Todesthema und die „bewährte Technik Judith Hermanns, unsere spätkapitalistischen, großstädtischen Lebenswelten in wohlig kalte Idyllen des Banalen umzumalen“ problemlos miteinander kombinieren lassen und in Alice exzellent umgesetzt wird. Auch Bernadette Conrad (Zürcher Zeitung, 03.05.2009) schreibt, dass all die aufgelisteten und oft negativ kommentierten Aspekte, die Gründe dafür sind, dass „dieses Buch, schwer von Tod [aber] dennoch seltsam leicht [ist]“.

Aller Liebe Anfang
Am 13.08.2014 erscheint der erste Roman von Judith Hermann Aller Liebe Anfang. Auf NDR Kultur und NDR Info stellt die Autorin ihr Buch acht Tage lang vor. Nach Erscheinen des Romandebüts gehen die Meinungen in den Feuilletons über das Buch allerdings weit auseinander. „Ein meisterhaft komponierter psychologischer Roman“ lobt die Autorin Heide Soltau (NDR Kultur, 08.08.2014) und auch Thomas Böhm (rbbRadio Eins, 14.08.2014) würdigt das „Meisterwerk an psychologischer Feinheit.“ Lakonisch erzählt Judith Hermann, wie ein unvermittelt auftauchender Fremder, der Stalker Mister Pfister, das Leben eines Ehepaares und seiner Tochter aus dem Gleichgewicht bringt. Besonders dieser kühle und unaufgeregte Ton, der durch alle Werke Judith Hermanns klingt, wird in den Feuilletons heftig diskutiert. So beschreibt die Sonntagszeitung Schweiz (Sonntagszeitung Schweiz, 10.08.2014) die Autorin als eine „brillante Erzählerin, die ihre Sätze wie Perlen aneinanderreiht“. Edo Reents (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.08.2014) allerdings hält Judith Hermanns Roman für gescheitert: „Judith Hermann hat zwei Probleme: Sie kann nicht schreiben, und sie hat nichts zu sagen“. Auch der Hermann-Sog, dem viele Kritiker seit Jahren unterliegen, sei Reents ein Rätsel: „Manche Besprechung sei so lau wie ihre Prosa“ und auch das „Lob für Sommerhaus, später [sei] reichlich übertrieben ausgefallen“, da Judith Hermann in ihrem ersten Roman, wie auch bereits in ihren vorherigen Erzählungen, nur „Aufzählungen von Dingen und Verrichtungen“ aneinander reihe, die „unmotiviert“ wirken und „so gut wie nichts zum Verständnis von Handlung und Psychologie“ beitragen. Ihr reduktionistischer Stil erscheint dem Rezensenten viel eher eine „gedankliche Schlichtheit“ zu sein, der lediglich „Nichtigkeiten [aufbauscht] und Triviales [wichtig] macht“. „Aber nur so hat Judith Hermann ihr Buch vollgekriegt, für diese Null-acht-fünfzehn-Geschichte hätte eine Erzählung dicke gereicht.“ Im Gegensatz zu Edo Reents empfindet Ijoma Mangold (Die Zeit, 14.08.2014) den Kult der Lakonie und des Ungesagten als „eine Poetologie des Alles-Zeigens“, denn die „unausgesprochene Bedeutung wabert wie Nebel zwischen den Zeilen“. Auch Helmut Böttiger (Süddeutsche Zeitung, 15.08.2014) betrachtet das „[A]uslassen und karge […] Möblieren des Textes“ als Hinweise auf ein Mehr. Für Marc Reichwein (DieWelt, 09.08.2014) ist der Roman bloß eine lange Erzählung. Kein gesellschaftliches Panorama, überschaubare Figurenkonstellationen von „matten, gespenstergleichen“ Personen, welche allerdings im Vergleich zu Judith Hermanns früheren Erzählbänden deutlich gealtert sind und nun „ein echtes Leben mit Kindern führen“.
Ob sich der Roman letztendlich einreiht in ihre Sequenz der lakonischen Stilsicherheit und exorbitanten Aussagekraft oder ob Aller Liebe Anfang den hohen Erwartungen an ihren ersten Roman nicht gewachsen ist, darüber sind sich die Kritiker uneinig. 

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