Forschungsspiegel

Auch wenn Terézia Moras Erzählband Seltsame Materie bereits 1999 viel Aufsehen erregte, so erhält sie jedoch erst 2004 mit ihrem Roman Alle Tagebesondere Aufmerksamkeit in der germanistischen Literaturwissenschaft. Beide Werke stehen sich sowohl formal als auch thematisch sehr nahe und so können einige Forschungsschwerpunkte festgehalten werden.
In einigen Aufsätzen, die sich insbesondere auf Alle Tage beziehen, steht die spezifische Großstadtkonstruktion und deren Einflüsse auf die handelnden Figuren im Zentrum. Im Zusammenhang mit der Installation von Orten spielen immer lokale Grenzen und Grenzerfahrungen eine besondere Funktion und nehmen großen Einfluss auf die Protagonisten. Die Mehrheit der Aufsätze beschäftigt sich jedoch mit den unterschiedlichen Formen inter- und intrakultureller Alteritätserfahrungen (vgl. Geier 2006 u. Burka 2010), die häufig mit einer Schwierigkeit der Identitätsbildung einhergehen. Das Moment der Identitätssuche/ -stiftung wird zwar bereits in Seltsame Materie mit der Funktion von Sprachen in Verbindung gebracht, aber erst explizit im Roman Alle Tage verhandelt. Diese Funktion der Sprache wird ebenfalls in vielen Arbeiten untersucht (vgl. Kegelmann 2009 u. Schlicht 2006). Darüber hinaus gibt es einige wenige Versuche, Moras Werke im Genderdiskurs zu verorten (vgl. Distefano 2010 u. Schlicht 2006). So viele Arbeiten es zu den ersten beiden Werken Terézia Moras gibt, so wenige gibt es zu ihren beiden neuesten Der einzige Mann auf dem Kontinent und Das Ungeheuer. Die wenigen, die bisher verfasst wurden, untersuchen in Der einzige Mann auf dem Kontinent entweder die Figurenkonstellation (vgl. Kegelmann 2009) oder die besondere Konstruktion der Dialoge und die wiederkehrenden Motive aus den beiden ersten Werken Moras (vgl. Ramshorn-Bircsák 2012).
Insgesamt lassen sich grob zwei unterschiedliche Gesamtinterpretationen des Romans Alle Tage unterscheiden. Einige Autoren der wissenschaftlichen Sekundärtexte deuten diesen Roman als eine Migrationsgeschichte: „Mora will eine Migrationsgeschichte erzählen“ (Sieg 2010, S. 204). Christian Sieg z. B. gelangt durch die Untersuchung der Stadtkonstellation und Abels Fluchtmotiven zu dieser Deutung. Dabei stellt er fest, ähnlich wie René Kegelmann (2011), dass die Installation der Großstadt B. (Sieg setzt diese gleich mit der Stadt Berlin) „seltsam konturlos“ (Sieg 2010, S. 201) bleibt, da keinerlei topographische Informationen genannt werden. Dies sei ein Indiz dafür, dass „Berlin aus der Sicht des Protagonisten, eines Migranten, geschildert wird.“ (ebd.) Dabei sind zuvor schon Aufsätze erschienen, die gerade die fragmentarische und multiperspektivische Erzählform des Romans herausarbeiten und dadurch widerlegen, dass es sich ausschließlich um die Sichtweise des Protagonisten handelt (vgl. Geier 2008, S. 130). Als weiteren Indikator nennt Christian Sieg, dass Abel Nemas Fluchtmotiv in der politischen Situation seines Heimatlandes läge (Sieg 2010, S. 201) – dabei ist dies nur ein Motiv von vielen und deutlich existenzieller ist seine bereits in der Heimat begonnene Krise, die durch eine abgewiesene Liebe ausgelöst wird (vgl. Schlicht 2006, S. 56). Darüber hinaus verlässt ihn sein Vater bereits in seiner Kindheit und so er wächst bei seiner Mutter und seiner Oma auf. „Abel fehlen somit drei für einen Menschen wichtige identitätsbildende Faktoren: die Heimat, die Familie, die Liebe.“ (Distefano 2010, S. 90) Somit ist die zerrüttete Situation in der Heimat nur ein Faktor von vielen. Über die Deutung der Migrationsgeschichte könnte viel eher, aufgrund der Ausgangssituation der fehlenden identitätsbildenden Faktoren, Moras Roman vordergründig als eine ‚Entwicklungsgeschichte‘ oder sogar als eine ‚Adoleszenzgeschichte‘ gedeutet werden (Schlicht 2006, S. 56). Der Weggang des Vaters und die amouröse Zurückweisung aufgrund seiner homoerotischen Zuneigung sind traumatisch prägende Faktoren eines Heranwachsenden (vgl. ebd.), jedoch möchte Mora durch die fragmentarische und nicht direkt durch den Protagonisten erfolgte Informationsvergabe gerade kein individuelles Schicksal, „sondern vielmehr […] Grundsätzliches“ (ebd.) erzählen. Aus unterschiedlichen und oft nicht zusammenhängenden Perspektiven und Situationen heraus wird Abel Nemas Suche nach einem Ort und Identität erzählt. Corinna Schlicht deutet diese Faktoren als die später viel zitierte Kreation einer modernen Odysseus-Figur, die eher eine „allgemein-menschliche Erfahrung“ (Schlicht 2006, S. 61) beschreibt, als eine individuelle Migrationsgeschichte. Mit dieser Deutung stimmt auch René Kegelmann überein, indem er abschließend zur Konstruktion Abel Nemas sagt: „Insofern kann man durchaus davon sprechen, dass der Roman von Terézia Mora das Schicksal eines schwer einordbaren oder fassbaren Fremden/Migranten […] gestaltet und gewissermaßen durch eine Überzeichnung und Einarbeitung von symbolistisch- metaphorischen Elementen auf eine allgemein-existenzielle Ebene hebt.“ (Kegelmann 2011, S. 424)
Einen ganz anderen Deutungsversuch unternimmt Erika Hammer, indem sie versucht Alle Tage als einen „autoreflexiven Architext“ zu verstehen, „der zwar auf den Bildungsroman rekurriert, jedoch viel eher in der Tradition der Hofmannsthalschen Skepsis zu situieren wäre“ (Hammer 2010, S. 514). Sie untersucht, ob und in wieweit die typischen Grundmuster des Bildungsromans vorhanden sind und ob die Unmöglichkeit einer sinnhaften und stringenten Entwicklung eines autonomen Ichs damit vereinbar sind. Dabei weist Moras Roman zahlreiche bildungsromantypische narrative Strukturen und Elemente auf, die jedoch bis ins Extreme verschoben und ad absurdum geführt werden. Abschließend hält sie fest, dass alle Versuche eine identitätsstiftenden Reise, im Sinne der ‚Lehrjahre‘, zu erzählen unmöglich sind und aufgrund moderner epistemologischer Überlegungen „dem Subjekt und der Sprache ständig der Boden weggezogen“ (Hammer 2007, S. 533) wird. Anstelle von Sinn entstehen sinnlose Störungen, die eine Identifikation unmöglich machen.

Gestaltung des urbanen Raums
Sekundärliteratur, die sich mit der Gestaltung des urbanen Raums in Moras Werken auseinandersetzt, bezieht sich ausschließlich auf Alle Tage, da zu den beiden neueren Romanen noch keine Aufsätze erschienen und zum anderen die Erzählungen in Seltsame Materie in ländlichen Grenzgebieten angesiedelt sind. Abel Nema, der Protagonist aus Alle Tage, flieht in die deutsche Großstadt B., – in einigen wenigen Aufsätzen wird diese Großstadt B. auch mit Berlin gleichgesetzt (vgl. Chiarloni 2008 u. Sieg 2010) – die eingangs folgendermaßen charakterisiert wird: „Eine Stadt, ein östlicher Bezirk davon. Braune Straßen, leere oder man weiß nicht genau womit gefüllte Lagerräume und vollgestopfte Menschenheime, im Zickzack an der Bahnlinie entlang laufend, in plötzlichen Sackgassen an eine Ziegelmauer stoßend.“ (S. 9)
„Nennen wir die Zeit jetzt, nennen wir den Ort hier“ (S. 9, kursiv im Text). Beide Zitate werden immer wieder aufgegriffen, um die bewusst unkonkrete Darstellung der Zeit und des Raumes zu demonstrieren. Terézia Mora verlagert die Handlung in einen westlichen, großstädtischen Raum, der jedoch konturlos, undurchschaubar und nicht fassbar bleibt. Christian Sieg weist darauf hin, dass es nicht um die Partikularität der Großstadt und ihren lokalen Charakter gehe, denn: „[b]eschrieben wird hier die globalisierte Stadt per se“ (Sieg 2010, S. 201). Trotz der vielen Wohnungsumzüge und Bekanntschaften Abel Nemas, erlangt die Stadt keine neuen Konturen, da dieser es nicht schafft handelndes Subjekt zu werden und sich die Stadt anzueignen. Sie bleibt damit ein „deterritorialisierte[r] Sozialraum“ (Sieg 2010, S. 202), in der viele Migranten separiert von der übrigen Gesellschaft leben. Insgesamt deutet Christian Sieg Alle Tage als Migrationsgeschichte ungeachtet der schon bekannten Distanzierung Moras, eine Autorin der Migrationsliteratur zu sein (vgl. Literaturen 4/2005, S. 28) und der bereits erschienenen Arbeiten, die über die Deutung, Alle Tage als Migrationsroman zu sehen, hinausgehen (vgl. Schlicht 2006, S. 56 u. S. 60): „Mora will eine Migrationsgeschichte erzählen, die in jeder westlichen Großstadt spielen könnte“ (Sieg 2010, S. 204). 
Weitere Charakteristika der Stadt B. werden im Laufe des Romans angedeutet. So pendelt Abel Nema ständig zwischen einem sehr prekären und zwielichtigen Milieu aus extrovertierten aber psychisch instabilen Frauenfiguren, wie Kinga, und Männerfiguren, wie den Musikern und den gewaltbereiten Gangmitgliedern um Danko einerseits und dem wohlhabenden und weltoffenen Emigrantenzirkel, zu dem unter anderen Prof. Tibor, seine Hilfskraft Mercedes und ihr Sohn Omar gehören, andererseits. Beide Extreme liegen lokal sehr weit auseinander und sind völlig entgegengesetzt strukturiert. Das prekäre Männerwohnheim ist verschachtelt und zum „direkten Nachbarn kommt man mitunter erst über komplizierte Umwege, wenn einem der Durchgang nicht vollends durch Feuerschutztüren o.ä. versperrt wird.“ (S. 94) Hinzu kommt der zwielichtige Nachtclub Klapsmühle, welcher direkt neben seinem späteren Wohnort über einer Fleischerei liegt und vor welchem er brutal zusammengeschlagen wird. Kegelmann arbeitet trotz der kaum vorhandenen und allgemeingehaltenen Beschreibungen ein grobes Stadtkonzept heraus, das nicht untypisch für die Wahrnehmung globalisierter Großstädte ist: „Die Stadt ist im Wesentlichen zerschnitten in zwei Hälften, in einen wohlhabenden, geordneten Westen (wo auch Tibor und Mercedes wohnen) und in den über den Ostausgang des Bahnhofs erreichbaren Osten der Stadt, ein ehemaliges Kleinindustriellengebiet, das viele Wandlungen durchlief und schließlich den Randexistenzen und Gescheiterten überlassen wurde.“ (Kegelmann 2011, S. 421)
Seine Bewertung der Stadtinstallation ist, dass diese eine laut umkämpfte Kulisse für Isolation aller und damit nicht zwangsweise ein Problem der Migranten, sondern gleichsam eine allgemein anthropologische existenzielle Herausforderung des modernen Menschen sei (vgl Kegelmann 2011, S. 424 u. Schlicht 2006, S. 61).
Besonders die Elemente der störenden Akustik und des ständigen Kampfes werden bereits 2007 in Jenny Willners Aufsatz thematisiert. Sie stellt fest, dass „Beschreibungen von Lärm und Störgeräuschen […] die Texte wie eine ohrenbetäubende Tonspur“ (Willner 2007, S. 154) durchziehen. Bei Mora tauchen immer wieder Formulierungen auf wie: „Rundherum hämmerte, klirrte, schepperte, heulte, jauchzte es umso lauter […]“ (S. 57) oder an anderer Stelle stolpert Abel Nema „ungeschickt durch Radioklänge, Bohrmaschinenlärm“ (S. 192) hindurch. Diese akustische Omnipräsenz von Lärm und Störgeräuschen deutet Willner als modernen Kampf gegen Angriffe auf Physiologie (in Form von Sinnesreizen) und Psyche des Menschen, der in Alle Tage häufig mit einem Versagen der Sprache einhergeht (vgl. Willner 2007, S. 155).

Grenzerfahrungen
Ebenso bedeutsam wie die Konzeption der Großstadt in Alle Tage ist das Motiv der Grenzerfahrung und des Grenzüberschreitens in Moras Erzählband Seltsame Materie. Zwar ist Abel Nema, da er aus seiner Heimat in die deutsche Großstadt B. flieht, ein Grenzgänger, jedoch steht dieses Motiv bei weitem nicht so im Vordergrund, wie es in den Kurzgeschichten behandelt wird. Brigitte Prutti untersucht jenes Grenzmotiv und konstatiert zu Beginn: „Grenzen ziehen heißt identitätsstiftende Differenzierungen vorzunehmen“ (Brutti 2006, S. 83). Erst über das Ziehen von Grenzen werden Fremdes und Eigenes erfahrbar: Moras Erzählband umfasst drei Geschichten, in denen die Grenze eine zentrale Funktion übernimmt und jeweils aus einem anderen Blickwinkel gedeutet wird. In der Erzählung Der See steht eine Familie im Mittelpunkt, die ein Außenseiterdasein direkt an einer Grenze führt und anderen als Fluchthelfer einen Weg über die Grenze ermöglicht. Das Schloß handelt als einzige Kurzgeschichte von einem konkreten Fall des Grenzübergangs: Die Protagonistin ist auf dem Weg über die Grenze in ein neues, besseres Leben und wird von einem Schlosshüter aufgehalten, der zu einer Generation gehört, „die weder drin noch draußen“ (S. 232) ist, also im Moment des Übergangs stagniert. Eben dieser jungen Frau gelingt als Einziger der Übergang aus der fremden Heimat, die für keinen der elf Protagonisten sinn- bzw. identitätsstiftend ist, und flieht, auch zum Preis eines Mordes, in ein anderes Leben, von dem der Leser nur hoffen kann, dass es ein besseres sein wird. Der erfolgreiche Grenzübergang ist zwar „der narrative Klimax“ (Prutti 2006, S. 98) des Erzählbandes, eröffnet jedoch gleichsam keine Hoffnung auf ein rettendes Jenseits (im Sinne eines Jenseits der Grenze), geschweige denn auf eine Besserung der gegenwärtigen Zustände diesseits der Grenze. Abschließend resümiert Brigitte Prutti, dass das Grenzmotiv „eine apokalyptische Chiffre für den Untergang eines totalitären Universums“ ist und dass alle Erzählungen gerade „diese Verfallsszenarien dieser heillosen Welt“ (Prutti 2006, S. 98) beschreiben. Als drittes steht in STILLE.mich.NACHT die Rolle des Grenzhüters im Zentrum der Erzählung. Dieser widmen sich insbesondere Birgit Lang und Johan Schimanski in einem gemeinsamen Aufsatz, der die Funktion und das Selbstverständnis jenes Grenzwärters im Kontext der Wiedervereinigung untersucht. Sie stellen fest, dass für den jungen Protagonisten gerade die Grenzen, trotz des Grenzfalls durch die Öffnung des Eisernen Vorhangs, „zur Sackgasse wird“ (Lang u. Schimaski 2010, S. 165). Der Grenzwärter verharrt und stagniert auf der Grenze, die für ihn zu einem leeren Zwischenraum geworden ist, den zu dieser Zeit Menschen unterschiedlichster Nationen und Kulturen passieren. Die Autoren deuten die Grenzsituation für den jungen Protagonisten als „Manifestation einer Männlichkeitskrise“ (Lang u. Schimaski 2010, S. 169), da ihm jede Kraft fehle Veränderungen zuzulassen.

Identität und Alterität
Der Hauptaspekt der meisten Sekundärliteratur ist der der Identitätsbildung, die sowohl in Seltsame Materie als auch in Alle Tage im Vordergrund stehen soll. Häufig wird der Frage nachgegangen, wie das Selbstverständnis der Protagonisten sei, welche Aspekte ihre Identität präge oder was sie in ihre Identitätslosigkeit führe. Dabei lassen sich zwei bedeutsame Indikatoren herausarbeiten, auf die Bezug genommen wird: Erstens eine Alteritätserfahrung, die die Protagonisten auf der Identitätssuche beeinflussen und zweitens Sprache als identitätsstiftendes Moment.

Das Gefühl des Anders-/ Fremdseins
„Fremd in der Welt. Über Heimat, Sprache und Identität […]“ (vgl. Schlicht 2006), „Zur Manifestation von ‚Anderem‘ und ‚Fremden‘“ (vgl. Burka 2010), „Poetiken der Identität und Alterität“ (vgl. Geier 2008), „Emigriert: zu Aspekten von Fremdheit, Sprache, Identität[…]“ (vgl. Kegelmann 20009), „Alle Orte sind gleich und fremd“ (vgl. Schlicht 2009). Dies sind nur einige Titel, die bereits auf den Aspekt von Fremdsein bezüglich der Identitätsproblematik referieren. „Fremdsein als eine existentielle Lebenserfahrung ist das zentrale Thema in den literarischen Texten [gemeint sind Seltsame Materie und Alle Tage, A.d.V.] Terézia Moras.“ (Geier 2006, S. 154) Dabei wird zwischen einer territorialen und objektiv beobachtbaren Fremde, d.h. nicht in der Heimat sein, und einer gefühlten Fremde, im Sinne einer interpersonalen Zuschreibung von Fremdheit und Anderssein, unterschieden. Beide Aspekte lassen sich in ihren ersten beiden veröffentlichten Werken herausarbeiten und durch den Einfluss auf die Fremd- und Selbstwahrnehmung als prägend für die Identifikation bezeichnen. Viele Erzählungen des Bandes Seltsame Materie behandeln insbesondere den zweiten Aspekt des Fremdseins, wie zum Beispiel Der See, denn dort heißt es: „Im Dorf sind wir bekannt als ‚das letzte Ende‘, die mit den goldenen Haare, den Ringen, den goldenen Nasen.“ (S. 58) An dieser und anderen Stellen wird die Außenseiterposition der Familie der jungen Protagonistin deutlich, die jene Fremdwahrnehmung unreflektiert zu ihrer Selbstwahrnehmung macht. Der Fall Ophelia ist sogar eine Erzählung, in der beide Aspekte des Fremdseins behandelt werden: Ophelia ist die Tochter einer zugezogenen Familie und somit zunächst eine Fremde im territorialen Sinne, da das Dorf nicht ihre Heimat ist. Eine wichtige Szene formuliert jedoch auch ihre soziale Ausgrenzung: „In der Geschichtsstunde drehen sich alle um und starren mich an. Die Lehrerin hat es gerade erklärt: Wer spricht, wie man in meiner Familie spricht ist ein Faschist. Wer bei meiner Mutter in die Privatstunde geht, lernt die Sprache des Feindes. Die muß man doch als erstes wissen, sagt meine Mutter. Und: Mach dir nichts draus.“ (S.  116f.)
An dieser Stelle sind die Fremd- und Selbstbilder der Protagonistin nicht mehr zu unterscheiden, denn während die Mutter zwar eine distanzierte Haltung einnimmt, wird für sie die Alteritätserfahrung zur eigenen Identifikation (vgl. Geier 2006, S. 160f.). Bianka Burka untersucht ebenfalls die Manifestation von ‚Anderem‘ und ‚Fremden‘ in dieser Erzählung auf der sprachlichen Ebene. So stellt sie fest, dass das ‚Fremde‘ durch den Kontakt des ‚Eigenen‘ und des ‚Anderen‘ zustande kommt (vgl. Burka 2010, S. 11). Indem zum Beispiel die Protagonistin den Pfarrer „in unserer Sprache“ (S. 117) begrüßt und ihm zu verstehen gibt, dass sie ihn nicht verstehe. In dem Augenblick, in dem das Possessivpronomen verwandt wird, entsteht eine Differenz zwischen den Personen und generiert das Fremde. Andreas Geier hebt abschließend zu Moras Erzählband eine übergeordnete Alteritätserfahrung aller Geschichten hervor, indem er den ländlichen Raum als soziales Gebilde beschreibt, „in dem eine Homogenität im Negativen stabilisiert werden soll.“ (Geier 2006, S. 162). Jegliche Abweichung von der dorfspezifischen Norm wird als das Fremde ausgegrenzt und paradoxerweise wird jede Anstrengung, dieser Norm zu entsprechen, als Täuschungsversuch abgelehnt. Auch die Erzählform spiegelt die Selbstentfremdung der Protagonisten wider, was an Katja Stopkas präziser Analyse deutlich wird: „Aus der Perspektive der dort beheimateten Ich-Erzähler(innen) werden die Landstriche wie die Menschen […] mit einer Schonungslosigkeit als Fremde betrachtet, die jeder Vorstellung von Geborgenheit und Vertrautheit den Garaus macht“ (Stopka 2001, S. 152). Aber zu den von Stopka erwähnten Menschen zählen auch die Protagonisten selbst, die häufig wie Fremde auf ihr eigenes Leben hinabblicken und kaum einen Zugang zu ihren Gefühlen und ihrer Wirklichkeitswahrnehmung haben (vgl. Geier 2006).
Auch Abel Nema vereint als Protagonist in Terézia Moras Roman Alle Tage beide Aspekte des Fremdseins. Andreas Geier spricht von ihm sogar als einer „Figur des Fremden par excellence“ (Geier 2006, S. 169), da er erstens als Exilant aus seiner Heimat in die deutsche Stadt B. kommt und darüber hinaus zweitens als fremd und andersartig wahrgenommen wird. So wird er als „Mensch ohne Menschheit“ (S. 119) oder als jemand, „der nirgends herkommt“ (S. 170) bezeichnet. Diese Charakterisierungen verdeutlichen das interpersonale Verhältnis, das durch Fremdzuschreibungen und Alteritätserfahrungen gekennzeichnet ist.
Hinsichtlich des Fremdseins und seiner Identitätslosigkeit wird Abel Nemas Name in vielen Aufsätzen etymologisch untersucht, wobei dieser auf einen slawischen Ursprung zurückgeführt wird und so viel bedeutet, wie ‚niemand‘, ‚stumm‘ oder ‚jemand, der nichts sagt‘ (vgl. Schlicht 2006, S. 55).
Als weitere Potenzierung der Fremdheitserfahrung wird in einigen Aufsätzen die besondere Erzählperspektive genannt. Speziell durch den bereits oben erwähnten multiperspektivischen Erzählstil, der erstens zwischen den homodiegetischen Instanzen verschiedener Sichtweisen auf Abel Nema wechselt und zweitens eine heterodiegetische Instanz einer Erzählstimme beinhaltet. Der Perspektivwechsel erfolgt ohne Markierungen auf der Textoberfläche, so dass häufig erst später deutlich wird, aus welcher Perspektive gerade erzählt wird. Dies macht jedoch das Erfahren von sozial konstruierten Differenzen und den damit verbundenen Einfluss von Fremdbildern auf das Selbstbild Abels möglich (vgl. Geier 2008, S. 130).

Sprache als identitätsstiftendes Moment
Genauso wie die Alteritätserfahrung und deren Einfluss auf die Selbstbildkonstruktion sind in der Sekundärliteratur insbesondere die Sprache und ihr Zusammenhang mit der Identitätssuche von großem Interesse. Auch hier wird der Schwerpunkt, gleichsam wie in der Stadtkonstruktion, auf den Roman Alle Tage gelegt, denn Abel Nema ist ein Sprachgenie. Eigentlich scheint dieser Umstand die beste Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration in die neue Gesellschaft zu sein und anfänglich sieht der Integrationsprozess auch vielversprechend aus, denn er erhält aufgrund seiner Fähigkeiten ein Stipendium, promiviert in komparatistischer Linguistik und arbeitet nebenher als Übersetzer und Sprachenlehrer. Doch Sprache beinhaltet mehr als das Lernen und Anwenden von Wissen: Kommunikation, interpersonale Handlungen und soziale Beziehungen werden mittels der Sprache aufgebaut und gepflegt. Dieser zweite, identitätsstiftende Aspekt, geht Abel völlig abhanden. René Kegelmann hält präzisiert fest, dass Abel Nema im gesamten Roman kaum ein einziges wirkliches Gespräch im Sinne eines Dialoges mit einer anderen Person führe (Kegelmann 2012, S. 206). Bemerkenswerterweise ist die einzige Person, mit der er sich unterhält, Mercedes´ kleiner Sohn Omar und „[n]ur mit diesem sprachbegabten Kind spricht er über sich selbst“ (Willner 2007, S. 158). An einer anderen Stelle heißt es, dass man glaube, „dass er den Großteil seiner Kenntnisse im Sprachlabor erworben hat, so wie ich es sage: von Tonbändern. Es würde mich nicht wundern, wenn er nie mit einem einzigen lebenden Portugiesen oder Finnen gesprochen hätte“ (S. 13). Das Zitat verdeutlicht die Reduktion der Sprachen auf das Aneignen von Wissen und sein Desinteresse an zwischenmenschlicher Kommunikation. In diesem Zusammenhang kann auch erneut die Untersuchung seines Namens herangezogen werden, da Nema ‚stumm‘ oder ‚jemand, der nichts besitzt‘ (vgl. Schlicht 2006), also auch keine Sprache oder genauer die Fähigkeit zu kommunizieren, bedeutet. Weiter heißt es in diesem Zitat: „Deswegen ist alles, was er sagt, so, wie soll ich sagen, ohne Ort, so klar, wie man es noch nie gehört hat, kein Akzent, kein Dialekt, nichts – er spricht wie einer, der nirgends herkommt.“ (S. 13, kursiv im Text) Dies verdeutlicht darüber hinaus, dass sein Verständnis von Sprache ihn erneut zu einem Fremden macht, der nicht nur heimatlos, sondern auch ‚ortlos‘ ist und damit ein weiteres identitätsprägendes Merkmal nicht vorhanden ist. Besonders den künstlichen Aneignungsprozess der Sprache und die damit paradoxerweise erzeugte Ortlosigkeit Abels stellt Jenny Willner in ihrem Aufsatz dar. Sie merkt an, dass das Fortschreiten des Lernens mit einer „Metaphorik des Landgewinns geschildert“ (Willner 2007, S. 158) wird. Abel Nema kartographiert geradezu das Innere seines Mundes: „Das einzige Land, dessen Landschaften er bis ins Letzte kannte. Die Lippen, die Zähne, die Alveolaren, das Palatum, das Velum, die Uvula, die Lingua, der Apex, das Dorsum, die Zungenwurzel, der Kehlkopf.“ (S. 100) Paradoxerweise macht ihn genau dieser, durch Sprachenerwerb gewonnene ‚Landgewinn‘ vollends ‚ortlos‘, da er nur in seinem Mund stattfindet. Kurz vor der Scheidung konstatiert Abels Schein-Ehefrau Mercedes über die Funktion Abels Sprachfähigkeiten: „Seine zehn Sprachen hat er auch nur gelernt, um einsamer sein zu können als mit drei, fünf oder sieben.“ (S. 329) Abschließend ist also festzuhalten, dass Sprache in Alle Tage im Falle Nemas kein Mittel zwischenmenschlicher Interaktionen ist, sondern geradezu die entgegengesetzte Funktion, d.h. die Isolation, erfüllt: „Es sind die Sprachen, die ihn [Abel Nema A.d.V.] abschotten“ und „die scheinbar neutrale Sprache Abel Nemas ist Teil eines kraftaufwendigen Distanzierungsmanövers“ (Willner 2007, S. 150f.). Damit wird Sprache zum Mittel der Alteritätserfahrungen. 
Da sich Moras Roman Der einzige Mann auf dem Kontinent durch eine hybride Dialogform und eine achronologische Konstruktion des Plots auszeichnet, nehmen dies einige Aufsätze zum Anlass, um die Verwobenheit des Gesagten und Gedachten genauer zu untersuchen (vgl. Ramshorn-Bircsák 2011). Bohn Case geht in diesem Zusammenhang noch einen Schritt weiter, indem sie behauptet, dass „Moras Figuren eine Sprache suchen, die ihre besonderen Erfahrungen und Emotionen ausdrücken kann, und dass diese Flexibilität der Sprache für eine erweiterte heutige deutsche Identität notwendig ist“ (Bohn Case 2015, S. 211). Dabei geht sie als einzige zusätzlich auf den Roman Das Ungeheuer ein, da zwischen den beiden Romanen auch zahlreiche Parallelen und Querverweise bestehen.
Kopp zeichnet sich im Roman Der einzige Mann auf dem Kontinent durch seine Unfähigkeit zu kommunizieren aus. So führen seine Internetsuchen zu keinen verwertbaren Informationen und seine Anrufe bleiben auch meistens erfolglos. Dies ist zwar zum einen dem Rhythmus der Arbeitswelt und der digitalen Kommunikation geschuldet, zum anderen liegt es auch daran, dass Kopp zu Anfang noch eine in der Entwicklung gehemmte Sprache benutzt. So legt Bohn Case dar, dass Aspekte seiner Vergangenheit oder emotionale Momente meistens mit Stille beantwortet werden. Erst durch seine Frau Flora lernt er eine neue, emotionalere Sprache kennen und kann gegen Ende des Romans auch endlich seine Gefühle ausdrücken: „Mora develops the relationship between the couple, especially their relationship around language, and the story culminates with Kopp’s defining himself through Flora’s name and his relationship to her. The novel ends with Kopp […] opening himself to other more complex possibilities of German linguistic identity” (Bohn Case 2015, S. 221).
Diese sprachliche Entwicklung in Der einzige Mann auf dem Kontinent, wird auch nach Floras Tod, in der Fortsetzung Das Ungeheuer, weitergeführt. Zwar ist er zunächst von Trauer überwältigt, doch als er sich dann auf die Reise nach Osteuropa macht, um Floras Familiengeschichte und Sprache näher zu kommen, wird Kopps subjektive Gedanken- und Gefühlswidergabe als Ausdruck eines tiefgründigen und komplexen Gebrauchs der deutschen Sprache, sichtbar. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass er Floras Notizen nicht in einem Stück liest, so dass ihre Worte seine Reise und seine Erfahrungen beeinflussen: „At various moments the two texts work in parallel, and they also come together to interact and to drive the plot” (Bohn Case 2015, S. 223).
Darüber hinaus wird er durch Flora auch an seine eigene Familiengeschichte erinnert, da er selbst osteuropäischer Abstammung ist. Er fühlt sich im Laufe seiner Odyssee immer mehr dem Osten und seinen Bewohnern zugehörig, was auch an seiner immer noch andauernden Verbundenheit und Liebe zu Flora liegt: “On this journey, Kopp discovers his longing to distance himself from his cultural surroundings and a connection to other parts of Europe, which brings him closer to Flora“ (Bohn Case 2015, S. 225). Denn vor allem in den Momenten, in denen er als ‚der Andere‘ bzw. ‚der Fremde‘ wahrgenommen wird, fühlt er sich mit Flora und ihren Erfahrungen als die ‚Fremde‘ in Deutschland verbunden. Zusätzlich gewinnt Kopp auch durch das Lesen der Tagebucheinträge immer mehr Verständnis für ihre Situation, was schließlich dazu führt, dass er allgemein an Empathie dazugewinnt. Denn als er auf seiner Reise beobachtet, wie ein Hund am Straßenrand geschlagen wird, steigt er aus, um die Gewalt zu stoppen. Auch eine Internetrecherche auf seiner Reise durch Osteuropa resultiert in einer nützlichen Information, so dass schließlich doch noch digitale Kommunikation erfolgreich geworden ist.
So gelangt Kopp durch Floras Notizen, die sie paradoxerweise auf ungarisch verfasst hat, zu einem produktiveren Zugang zur deutschen Sprache und gewinnt damit auch einen verlorenen Aspekt seiner Identität zurück: „Of all Mora’s novels, this one has the most obvious translingual influence. By allowing Flora’s Hungarian text to infuse his experience, albeit via translation, Kopp shows his willingness to connect himself with language” (Bohn Case 2015, S. 225). Somit nimmt Sprache hier auch einen identitätsstiftenden Charakter angenommen.
Dass Sprache sowohl identitätsstiftend als auch ausgrenzend wirken kann (vgl. Albrecht 2009, S. 263) zeigt sich außerdem auch an Floras Situation. Flora, die nach dem Selbstmord ihrer Mutter nach Deutschland emigriert ist, beherrscht die Deutsche Sprache sehr wohl, benutzt sogar viele poetischere und kunstvollere Formen der deutschen Sprache, als Kopp sie im Vergleich beispielsweise benutzt. Doch dies birgt auch Probleme, denn „her emotional life reaches beyond what Kopp understands, and she struggles to find her way past her depression to express herself in German. The novel shows her struggle to express herself and communicate in this language despite the prejudice she encounters towards her foreignness and difference“ (Bohn Case 2015, S. 220). Denn trotz allem kann Sprache sie nicht von der Gewalt, die ihr als Fremde in Deutschland begegnet, schützen. Flora wird, genau wie Abel Nema, marginalisiert, weil sie Ausländerin ist. Letztendlich führt sie dieses Scheitern von Sprache auf ihren Akzent zurück und wird damit immer unfähiger auf Deutsch zu kommunizieren bis sie schließlich zum Ungarischen, eigentlich eine Sprache, die sie schon aufgegeben hatte, zurückkehrt, um sich selbst zu schützen (vgl. ebd., S. 226). So sind ihre Notizen auch alle in ihrer Muttersprache verfasst und sie findet darüber hinaus in einem Traum einen Gedichtband auf ungarisch, der ihr Hoffnung gibt, dass sie dieses Mal (in dieser Sprache) sicher zu sein scheint. Doch auf Grund ihrer Depression bleibt für sie am Ende nur das Schweigen übrig. Sie hat keine Sprache finden können, die es ihr ermöglicht, ihre eigene einzigartige Geschichte und Gefühle auszudrücken: “Instead of finding protection or safety either in German or Hungarian, Flora ends up losing both her languages and finally her life. Although she clings to language to survive her depressions, it ultimately fails her” (Bohn Case 2015, S. 226). Als sie am Ende aufs Land flieht, lässt sie ihre Bücher und Dokumente in der Stadt zurück. Ihre letzten Notizen sind auf 6 Monate vor ihrem Selbstmord datiert, was zeigt, dass sie bereits vor ihrem Tod aufgehört hat zu existieren, da sie letzten Endes unfähig war zu kommunizieren: „Mora also employs depression as a metaphor to illustrate the problems of contemporary Germany, which she perceives as a society suffering from an inadequate relationship to language “ (Bohn Case 2015, S. 223).

Geschlechterspezifische Perspektive
Neben den erwähnten identitätsstiftenden Elementen der Sprache und der Alteritätserfahrung, gehen einige wenige Autoren auch der Frage nach der Rolle des Geschlechts nach (vgl. Schlicht 2006 u. Distefano 2010). Aurora Distefano charakterisiert Abel Nema anhand der Verbindungen zu den Nebenfiguren hinsichtlich der Rolle des Körpers und des Geschlechts (vgl. Distefano 2010, S. 89). Zunächst stellt sie bei der Untersuchung der weiblichen Figuren fest, dass es in Alle Tage keine Frauenfigur gibt, die der klassischen medialen Präsentation einer begehrenswerten, weiblichen Schönheit ähnelt. Meisten werden sie als „moderne Frauen, oftmals Mütter, die alleinerziehend oder auch Flüchtlinge wie Abel“ (Distefano 2010, S. 91) sind, dargestellt und selbst Kinga, die noch am offensichtlichsten Versucht eine körperliche Beziehung zu Abel aufzubauen, erhält häufig mütterliche Züge. Die meisten Frauenfiguren erhalten eine optische oder charakterliche Nähe zur ikonischen Mariendarstellung, wie zum Beispiel Elsa, die Abel kurzfristig aufnimmt, die als „schwarze Madonna mit einem riesigen Knaben auf dem Arm“ (S. 115) dargestellt wird und sich, um die Nähe zum Mutter-Gottes-Vorstellungsgehalt zu perfektionieren, als ihre ältere Schwester Maria ausgibt. Auch seine Frau Mercedes (spanisch für Gnade) ist sehr bemüht, ihn zu unterstützen, ohne jedoch eine Gegenleistung einzufordern (nur an einigen Stellen wird deutlich, dass sie sich von ihm intime Zuneigung wünscht). Jegliche körperliche Zuwendungen Seitens der Frauenfiguren (Kinga, Mercedes, Ann, die Dolmetscherin oder Bora, die erste Liebe seines Vaters) werden von Abel übergangen und abgeblockt. Aurora Distefano erklärt dies damit, dass Abel durch den frühen Verlust der identitätsstiftenden Faktoren (Heimat, Familie, Liebeserfahrung) ein gewisser seelischer und körperlicher Entwicklungsstand fehle, sodass er Frauen vor allem als Mutterfiguren wahrnehme (Distefano 2010, S. 95).
Sein Verhältnis zu den männlichen Figuren ist ähnlich konstituiert und wird häufig als eine Unterordnung seinerseits betrachtet. Entweder bleibt Abel immer in einer vorsichtigen Distanz oder es entsteht eine gewisse Vater-Sohn Rollenverteilung. Insgesamt zeigt sich jedoch, „dass Abel keinen freundschaftlichen Zugang zu den Männern findet.“ (Distefano 2010, S. 98)
Wie bereits Corinna Schlicht (2006) in ihrem Aufsatz Abel als „eine androgyne Figur“ (Schlicht 2006, S. 59) beschreibt, die die Geschlechterdifferenz überwindet, so charakterisiert auch Aurora Distefano Abel als eine solche. Abel Nema faszinieren die knabenhaft androgynen Figuren (Omar, der Sohn Mercedes und der Lustknabe in seiner Wohnung), jedoch keines Falls hinsichtlich einer sexuellen Begierde, sondern „weil sie ihm ähnlich sind. Sie verkörpern die Vergangenheit, […] den Punkt in Abels Leben, als er noch ein Junge war und ihm der Krieg seine Heimat und Familie noch nicht genommen hatte“ (Distefano 2010, S. 100). Sowohl Abel als auch die anderen androgynen Figuren seien hinsichtlich ihrer persönlichen und körperlichen Entwicklung Grenzfiguren, da sie männliche sowie weibliche Züge aufwiesen (vgl. Distefano 2010, S. 101).
In vielen Aufsätzen wird auch auf die geschlechtsspezifische Darstellung von Kopp und Flora eingegangen. So werden die beiden als sehr gegensätzliche Menschen dargestellt. Zum einen beruht dies auf Äußerlichkeiten, da Kopp übergewichtig und unansehnlich ist, während Flora eine zierliche und hübsche Frau ist. Darüber hinaus ist sie ein Mensch, der fürsorglich, tiefsinnig und fleißig ist. Er ist hingegen faul und nicht in der Lage, differenziert nachzudenken und Dinge einzuordnen. So nimmt er auch ihre Hypersensibilität gepaart mit unerfülltem Berufs- und Kinderwunsch sowie Überlastung –, zwischen Ratlosigkeit und Gleichgültigkeit schwankend, hin. Weitere Gegensetzte finden sich auch in der Abhandlung von Stadt und Natur, denn während Flora die Wochenenden auf dem Landhaus kaum erwarten kann, wird Kopps Stimmung immer schlechter, je weiter sie die Stadt verlassen und je schlechter der Handyempfang wird. Nach Gellai werden damit „die klassischen Zuschreibungen Mann/Technik vs. Frau/Natur […] mehrfach persifliert“ (Gellai 2013, S. 242). Da Flora auch die meiste Zeit damit beschäftigt ist ihren Mann mit Essen und Sex zu versorgen, akzeptiert sie damit die traditionelle Frauenrolle, die auf die Versorgung und Befriedigung der Wünsche ihres Mannes ausgelegt ist (vgl. Shafi 2013, S. 323). Der Roman zeigt damit, “how gender, ethnicity, class, and socio-economic environment interact leaving someone like her, who is also frail and sensitive, with very few options. The power imbalance in her marriage could also point to the masculine bias inherent in the neoliberal economy and culture since its lead figure is ‘the entrepreneur’ (whom Kopp tries to embody)” (ebd.).

Der einzige Mann auf dem Kontinent
Der überwiegende Teil der Forschung liest den Roman Der einzige Mann auf dem Kontinent als Kritik an einer globalisierten Gesellschaft und den Bedingungen der heutigen Arbeitswelt, die vor allem durch Instabilität, Unbeständigkeit und Ausbeutung gekennzeichnet ist. Indem Moras Roman den Absturz einer Branche beziehungsweise eines Unternehmens und eines loyalen Mitarbeiters beschreibt, wird die Literatur zum Medium, um über Globalisierung und Arbeit kritisch nachzudenken (vgl. Kraft 2012). Literatur ist  damit der Ort für eine kritische Zeitdiagnostik (vgl. Shafi 2013 und Gellai 2013).
Da etliche Szenen im Roman Kopp entweder essend oder ans Essen denkend zeigen, kommen einige Aufsätze zu dem Ergebnis, dass Kopp Essen als Ablenkung von Arbeit nutzt und dass diese Darstellung andererseits eine Kritik an der heutigen Konsumgesellschaft darstellt (vgl. Shafi 2013 und Bohn Case 2013). Der Aufsatz von Gellai wählt einen ganz anderen Ansatz, indem er Darius Kopps Verhältnis zu Räumen unterschiedlicher Art unter die Lupe nimmt und hierbei von Augés Begriffen des anthropologischen Ortes bzw. des Nicht-Ortes Gebrauch macht, um ihre Funktion im Zusammenhang mit dem Selbst-Bewusstsein des Romanhelden zu ergründen (vgl. Gellai 2013). Des Weiteren beschäftigen sich ein Teil der wissenschaftlichen Literatur mit der identitätsstiftenden Funktion von Sprache in Der einzige Mann auf dem Kontinent (vgl. Ramshorn-Bircsák 2011 und Albrecht 2009) und in Das Ungeheuer (vgl. Bohn Case 2015) und der Darstellung von Geschlechtern in den Romanen (vgl. Gellai 2013 und Shafi 2013).

Die Globalisierung der Arbeitswelt
Der Roman Der einzige Mann auf dem Kontinent gibt einen tiefen Einblick in Geschäftspraktiken der heutigen Welt und zeigt damit, wie Arbeit unsere Lebensweise beeinflusst. Schließlich sind diese beiden Faktoren eng miteinander verknüpft und waren in den letzten Jahren einem stetigen Wandel unterzogen. Nach Shafi folgt Mora damit der Tradition des Zeitromans, da der Roman der Frage nachgehe, was als die soziale Frage von heute angesehen werden kann. Dabei geht Shafi davon aus, dass massive Veränderungen im Job in weitreichende soziale und kulturelle Veränderungen münden und diese darüber hinaus wieder von neuen Unsicherheiten begleitet werden. Mora folgt damit einer Reihe von zeitgenössischen Autor*Inn*en, die in ihren Romanen die wichtige Rolle von Arbeit in kapitalistischen Gesellschaften untersuchen: „Der einzige Mann auf dem Kontinent can be understood as a perceptive and shrewd depiction of the new economy in the first decade of the millennium focusing on the work conditions in the neoliberal marketplace, in particular precarious labor and internet-based work with its fluid transitions between virtual and the real” (Shafi 2013, S. 308).
So untersucht der Roman auch die sich verändernden Arbeitsbedingungen und deren Einfluss auf das Privatleben, denn in Kopps Leben erfolgt keine Trennlinie zwischen den Lebenssphären ‚Arbeit‘ und ‚Freizeit‘. Dies zeigt sich einerseits darin, dass er nackt mit seinem Laptop zuhause auf der Terrasse sitzt, um besser arbeiten zu können und andererseits auch dann nicht arbeitet, wenn er sich an seinem Arbeitsplatz befindet. Er ersetzt hingegen die tatsächliche Arbeit mit Objekten oder Ritualen, die Arbeit vortäuschen oder mit ihr in Zusammenhang stehen, um damit eine Illusion von ‚Arbeit‘ aufrechtzuerhalten (Vgl. Gellai 2013, S. 237). So ist er die meiste Zeit damit beschäftigt, Cappuccino zu trinken oder stundenlang ohne Ziel im Internet zu surfen, um die Zeit bis zur nächsten Mittagspause zu vertrödeln. Darüber hinaus versteht er, obwohl er ein begeisterter IT-Fachmann ist, die Zusammenhänge seiner Firma nicht und bemüht sich auch erst gar nicht darum: „Work generates income but it is not invested with meaning; the ideal of meaningful work as foundation of and conduit to a purposeful life holds no attraction for Kopp” (Shafi 2013, S. 313).
So könnte man Kopps Verhalten in Verbindung mit den Stereotypen eines faulen Drückebergers, den er verkörpert, auch als eine Form von Widerstand interpretieren. Folglich wäre er damit jemand, der sich dagegen weigert, sich die Anforderungen von Arbeit vordiktieren zu lassen (ebd.). Trotzdem ist er neben seiner Faulheit so sehr auf seine Arbeit fixiert, dass er auch am Wochenende auf dem Land, ohne Internetzugang, nicht abschalten kann und es so kaum abwarten kann wieder nach Hause zu kommen, da er noch arbeiten und ins Internet muss: “Work thus blankets all areas of his life, draping itself over marriage, family, and friends” (ebd., S. 314).
Darüber hinaus findet sich im Roman eine Reihe von fremdsprachigen Elementen, die zur Veranschaulichung der globalisierten Welt im Roman beitragen. Diese untersucht Burka in ihrem Aufsatz Erscheinungsformen der Mehrsprachigkeit in Terezia Moras Werken genauer und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass vor allem Englische Begriffe im Bereich des Beruflichen, des Internets und der Computertechnik zu finden sind (vgl. Burka 2014, S. 202ff.). Da Kopp die englische Sprache nicht so gut beherrscht, führt dies immer wieder zu Unsicherheiten. Dennoch muss er mit seinen Vorgesetzten auf Englisch kommunizieren und auch die Kommentare des autonomen Erzählers sind voll mit Englischem Vokabular und Kode-Umschaltungen: „Er muss downsizen“ (Der einzige Mann auf dem Kontinent, S. 16) oder „A crisp, thorough understanding. Was du nicht sagst!“ (ebd., S. 137). Zudem ist Kopp ständig vernetzt. Er bekommt täglich E-Mails und surft auf Internetseiten. Dennoch ist er isoliert. Kontakt hat er eigentlich nur abends zu seiner Frau Flora, ansonsten geistert er allein durch die Geschäftswelt Berlins. Die erfolglosen Anrufe zermürben ihn mehr und mehr. Er arbeitet für ein Kommunikationsunternehmen, innerhalb dessen keine Kommunikation möglich ist (vgl. Shafi 2013, S.313). So geht es in dem Roman „[z]wischen den Zeilen […] um Einsamkeit, Isolation und Zivilisationskritik, um die Folgen einer Wirtschaftskrise, um das Spiel mit den Welten, um die Notwendigkeit einer sinnvollen Rolle, um Flucht vor der Leere“ (Gallai 2013, S.242f.)

Die Darstellung von Essen als Kritik an der Konsumgesellschaft
Eng mit der Globalisierung ist das Thema Konsum verknüpft, das im Roman anhand von Essen dargestellt wird. Laut Kopps eigenen Aussagen, begann sein unstillbarer Hunger mit der Wiedervereinigung: „Mit der Wende kam der Appetit“ (Der einzige Mann auf dem Kontinent, S. 9). So denkt Kopp, wenn er nicht mit Arbeit beschäftigt ist, eigentlich nur an Sex, Essen und Trinken. Damit bildet Konsum die Basis seiner Identität (vgl. Bohn Case 2013, S.219) und da der Büroalltag für Kopp keine Leidenschaft oder Freude bereithält, bietet ihm Essen eine neue Form von Abwechslung und Lustbefriedigung. „Insgesamt macht der Protagonist den Eindruck eines Menschen, dessen Wohlbefinden sich nach Konsum statt nach Gesellschaft bemisst: Er verschlingt Daten, Speisen, Waren, Sex und die Energie seiner Frau. Sobald nichts durch ihn hindurch fließt, sobald er vom kontinuierlichen Strom der Dinge abgeschnitten ist, ist er überfordert“ (Gellai 2013, S. 254).
Darüber hinaus wird Berlin im Roman als Ort mit einer regen Gastronomie-Szene beschrieben. Essen aus den unterschiedlichsten ethnischen Küchen ist hier an jeder Ecke präsent und Kopp, schwach und undiszipliniert, wird beständig von den kulinarischen Verlockungen dazu verführt, auswärts zu essen. Trotzdem kann ihn dies nur kurzzeitig zufrieden stellen und die Fülle an Möglichkeiten überfordern ihn: „Food, perhaps more than any other product, participates in a global circuit of abundance and choice that is to provide even greater satisfaction and joy but in effect yields the opposite result“ (Shafi 2013, S. 320). Kopps Essgewohnheiten spiegeln auch im weitesten Sinne seine Arbeitsgewohnheiten wider: Beide sind durch globale Kontexte beeinflusst und durch Isolation, Ablenkung und Strukturlosigkeit gekennzeichnet. Sie bieten ihm weder Halt noch wirkliche Befriedigung. Darüber hinaus werden durch diese Darstellung des Essverhaltens auch gegenwärtige soziale und wirtschaftliche Tendenzen kritisiert: „One of the many functions of the literary representation of food and eating is to assess how these are used as social signifiers and to gauge changes in the relationship between food, identity, and community” (Shafi 2013, S. 318).

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