Konstantin Wecker
Zeit zum Handeln
Eine Analyse zu Und das soll dann alles gewesen sein (EV: Das macht mir Mut. Polydor 1982; Wecker 2018, S. 125f.)
In der Anthologie Jeder Augenblick ist ewig findet sich das Gedicht Und das soll dann alles gewesen sein. Veröffentlicht wurde es erstmals auf dem Album Das macht mit Mut aus dem Jahr 1982. Es thematisiert das „versäumte Leben unter dem Zwang eines unmenschlichen Systems“ (Hinter den Schlagzeiten 2019).
Die Erkenntnis über das verschwendete Leben wird durch die mehrfache Wiederholung des Titels „Und das soll dann alles gewesen sein –“ (Wecker 2018, 125) hervorgehoben. Zusammen mit den Versen „ein Leben ganz ohne den Wind? / Versorgt und verplant und ohne Idee, / was wir wollen und wer wir sind. // Und das soll dann alles gewesen sein – / probieren, studieren, stolzieren, / um unser Versagen dann irgendwann / etwas besser zu interpretieren?“ (ebd.) wird der Refrain gebildet. Dieser besteht aus zwei Strophen, welche jeweils mit einer rhetorischen Frage eingeleitet und abgeschlossen werden. Durch das Pronomen ‚wir‘ lesen sich die Fragen gleichermaßen als Selbstbefragungen des lyrischen Ichs, wie auch als Befragungen der Rezipient*innen.
Das Lied ist nach dem Schema des Kreuzreims aufgebaut, wobei der Refrain einen unregelmäßigen Kreuzreim aufweist. Durch diesen Aufbruch des Reimschemas wird die Aufmerksamkeit der Leserinnen und Leser gefordert. Des Weiteren führt die Häufung der rhetorischen Fragen dazu, dass die Leserinnen und Leser das persönliche und allgemeine Leben und Handeln, im Hinblick auf das versäumte Leben, kritisch hinterfragen, um ein bewussteres Leben zu führen.
In der ersten Strophe leitet Wecker seine Gedanken durch Naturbilder ein. Er zeigt auf, in welch geschädigtem Zustand sich die Umwelt momentan (also schon im Jahr 1982) befindet und wie sie durch den Einfluss der Menschen leidet. Bäume sind „gerodet“, „zerhackt“ und zu Möbeln verkommen, als die sie nur noch „mit Politur / vom Blühen und Werden […] träumen“ können (ebd.). Dieser Gedanke wird in der zweiten Strophe weiter geführt, indem er die Industrie als Aggressor ausmacht, die „unsere verplante Welt / mit eisernen Lungen versorg[t]“ (ebd.). Mehr noch: „Wir haben die Erde so schlecht bestellt / und betrügen noch heute das Morgen“ (ebd.). Wecker weist den Menschen die Schuld an der derzeitigen Situation zu, wobei die Menschen die Augen vor ihren (eigenverschuldeten) Problemen verschließen und diese an die kommenden Generationen weitergeben.
In der darauffolgenden Strophe kritisiert Wecker den Staat, der „stets [den] anonymeren Herrn, / aus den obersten Etagen [dient]“ (ebd.). Die Verben „strampeln“ und „plärrn“ (ebd.) lassen das Wir kindlich erscheinen, sodass der Staat als ein Machtappart erscheint, der nicht – im Sinne einer demokratischen Struktur – mündigen Bürger*innen dient, sondern der die und den Einzelne(n) machtlos und zur „Staffage“ (etc.) macht.
Daraufhin folgt der Refrain, welcher durch die rhetorische Frage nach dem „Leben ganz ohne den Wind“ (etc.) einen Denkanstoß und eine gleichzeitige Handlungsaufforderung vermittelt. Demnach steht der Wind für den Eigenantrieb des Menschen, welcher somit verloren gehen würde. Die Aufzählung „probieren, studieren, stolzieren“ (etc.) bewertet den gesellschaftlich angesehenen Entwicklungsweg, bei dem das Stolzieren als letzte Stufe das bisherige menschliche „Versagen“ (ebd.) erklärt. Hierbei ist die Eitelkeit und Selbstlüge zu nennen, da diese allein die Interpretation des Versagens rechtfertigt.
Im Mainstream-Diskurs werden dem Menschen Eigenschaften wie Fitness, Stärke, Erfolg, etc. zugeschrieben. Um dies zu erreichen, verschreibt man uns „zur Rettung […] Pharmaglück, / als könnt man ums Leid sich drücken“ (Wecker 2018, 126). Somit werden die Probleme durch Medikamente unterdrückt, aber die Ursache wird nicht behoben. Vielmehr fordert Wecker indirekt die Konfrontation mit den Problemen. Dies führt er durch das Einbringen einer Antithese weiter aus: „Heillos gerettet“ (ebd.) zeigt, dass die Medikamente der falsche Weg sind, denn ihre Wirkung betäubt vielleicht die Schmerzen oder putscht auf, aber eine Heilung im tiefgreifenden Sinne lassen sich auf diesem Wege nicht erreichen. Durch die heillose Rettung sind gleichermaßen „Glück und Tränen verflogen“ (ebd.); dabei betrügen sich die Menschen selbst „um Ewigkeiten“ (ebd.).
Obwohl das Gedicht fast 40 Jahre alt ist, lassen sich viele Parallelen zur heutigen Zeit finden. Wecker selbst „brach […] eine Lanze für Greta und Fridays for Future“ in seiner Liedansage auf seinem Konzert am 30. Dezember 2019: „Das ändert sich jetzt gerade und das finde ich großartig. Ich unterstütze diese Bewegung von Herzen, rufe auf meiner Website zum Klimastreik auf, poste Statements gegen rechte Leugner der Klimakatastrophe. Auf meinen Konzerten spiele ich wieder oft ein Lied, das ich schon vierzig Jahre vor Fridays for Future geschrieben habe, aber es ist aktuell wie nie zuvor.“
Die Überzeugung der Fridays for Future Aktivistinnen und Aktivisten ist Weckers lyrischem Kosmos sehr nahe. Indem die „Klimastreik-Bewegung […] überparteilich, autonom und dezentral organisiert“ ist und die „Klimakrise als eine reale Bedrohung für die menschliche Zivilisation“ tituliert wird, um ein sofortiges und konsequentes Umdenken aller zu bewirken.
Literatur
Dilk, Anja (2019): Da ist ein neues `68 entstanden. Online einsehbar unter der URL: https://enorm-magazin.de/gesellschaft/politik/aktivismus/da-ist-ein-neues-68-entstanden (Stand: 08.01. 2020) [zu Fridays for Future]
Wecker, Konstantin: Und das soll dann alles gewesen sein. In: Dies.: Jeder Augenblick ist ewig. Die Gedichte. München 72018. S. 125-126.
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