Widerstand muss gelebt werden

Eine Analyse des Liedes Die Weiße Rose (EV: Filmmusiken. Polydor 1983; Wecker 2012, S. 137-138)

Das Lied Die Weiße Rose findet sich auf verschiedenen Alben Konstantin Weckers, unter anderem auf dem aktuellen Album Weltenbrand. Es entstand im Kontext der Komposition der Filmmusik für den im Jahr 1982 erschienen Film Die Weiße Rose. Es stellt eine Hommage an all jene dar, die gegen Unmenschlichkeit Widerstand leisten. Dem Lied geht eine Widmung voraus, welche sich zunächst an die Mitglieder der Widerstandbewegung Die Weiße Rose richtet, indem an deren Hinrichtung erinnert wird. Die Widmung schließt jene Personen ein, die sich auch heutzutage dem Faschismus entgegenstellen. Mit dieser Zueignung schafft Wecker schon vor Beginn des Liedes einen Aktualitätsbezug und weist seine Dichtung zudem als explizit politisch aus. Dabei macht er auch auf die weiterhin bestehende Gefahr innerhalb der Gesellschaft durch rechte und reaktionäre Kräfte aufmerksam, gegen die auch heute noch Widerstand zu leisten ist.

Die Notwendigkeit politischen Widerstandes, welcher sich gegen aktuelle politische Missstände richtet, durchzieht Weckers gesamtes Schaffen und wird ebenfalls in seinem Werk Meine rebellischen Freunde aus dem Jahre 2012 deutlich. In diesem beschreibt er sein Selbstverständnis als Schriftsteller und beruft sich dabei u.a. auf Ingeborg Bachmanns poetologische Standortbestimmung: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ (Wecker 2012, 33). So sieht er es wie Bachmann als seine persönliche Aufgabe als Schriftsteller an, „das Unausgesprochene und Verdrängte in Worte zu gießen“ (Wecker 2012, 31). Indem er diesem Anspruch gerecht wird, übt Konstantin Wecker selbst in und mit seiner Kunst Widerstand – die Dichtkunst ist also sein persönliches Sage Nein! –, womit Wecker sich der Gruppe der Widerständigen zurechnet.

Dieses Selbstverständnis erklärt seine Verbundenheit mit der Widerstandsbewegung Die Weiße Rose, der Konstantin Wecker ebenfalls ein Kapitel seines Buches Meine rebellischen Freunde widmet. Darin erklärt Wecker, dass die Mitglieder der Weißen Rose ihm schon seit jungen Jahren als „Vorbilder an Menschlichkeit und Zivilcourage“ (Wecker 2012, 100) dienen, da sie den Mut zum Widerstand fassten und für die Bewahrung der Menschlichkeit in einem unmenschlichen System einstanden. Auch findet sich in diesem Kapitel die Hauptaussage seine Liedes Die Weiße Rose: „Es geht ums Tun und nicht ums Siegen“ (Wecker 2012, 100); mit dieser Phrase ist die Intention seines Liedes auf den Punkt gebracht. Diese Phrase bildet dann auch den Schluss des Refrains im Lied Die Weiße Rose, hier mit einem Ausrufezeichen, wodurch die Aussage zu einem Imperativ wird. Es geht also darum, Haltung zu zeigen, sich zu engagieren, die Gesellschaft mit der Kritik und den eigenen Werten zu konfrontieren und dies auch zu tun, wenn es keine oder wenig Aussicht auf Erfolg gibt. Widerstand ist laut Wecker also unverzichtbar für unsere Gesellschaft, auch wenn sich damit gesellschaftliche und politische Verhältnisse scheinbar nicht ändern lassen. Es geht vielmehr darum, ein Zeichen zu setzen, indem man für die eigenen Werte einsteht. Dies allein macht den Wert des Widerstandes aus und ist auch der Verdienst der Bewegung der Weißen Rose. Die oben beschriebene Vorbildfunktion der Widerstandsbewegung um Sophie Scholl führt zu einer von Konstantin Wecker stark empfundenen emotionalen und geistigen Nähe, welche er in seinem Lied unter anderem durch die Verwendung des rhetorischen Du ausdrückt. Indem er die Mitglieder der Bewegung direkt adressiert, durchzieht das Lied die Intimität eines Zwiegesprächs, die auch auf die Leser*innen/Hörer*innen eine emotionale Wirkung hat.

Die erste Strophe des Liedes ist als Kritik an der Bewältigung der nationalsozialistischen Vergangenheit und der damit einhergehenden Legendenbildung sowie Mystifizierung zu verstehen. Dies wird vor allem im vierten Vers („Jetzt haben sie euch zur Legende gemacht und in Unwirklichkeiten versponnen“, Wecker 2018, 137) deutlich. Durch die Legendenbildung und der damit einhergehenden nachträglichen Identifikation mit den wenigen Widerständigen wurde dem Kollektiv „das schlechte Gewissen genommen“ (Wecker 2018, 137) und die Gesellschaft konnte sich von der Schuldfrage entlasten. Das Täternarrativ wurde durch das Helden-Opfernarrativ im konkreten Fall der Weißen Rose ersetzt. Wecker spielt so auf die Problematik bundesrepublikanischer Vergangenheitsbewältigung an, da durch die Legendenbildung eine geschichtliche und emotionale Abgrenzung und Distanzierung von der Täterrolle der deutschen Gesellschaft während des Nationalsozialismus erfolgt.

Der Aktualitätsbezug des Liedes wird vor allem in der zweiten Strophe deutlich. Hier kritisiert Wecker, dass Mut und Widerstand in allen Gesellschaftssystemen erst nachträglich eine Würdigung erfahren nicht aber zum Zeitpunkt des Widerstandes selbst: „denn die aufrecht gehn, / sind in jedem System nur historisch hochangesehn“ (Wecker 2018, 137). Er projiziert die Persönlichkeiten und Haltungen der Weißen Rose auf die heutige Gesellschaft, für welche sie auch heute noch „unbequem“ (ebd.) wären. Dieses Unbequeme stellt Wecker als dem Wesen des Widerstandes inhärent dar. Erst in der nachträglichen Betrachtung und durch zeitliche Distanz erfolgt eine Identifikation mit widerständigen Persönlichkeiten, wie es sich auch im Falle der bundesdeutschen Gesellschaft und der Weißen Rose zugetragen hat. Gerade in unserer heutigen Gesellschaft bedarf es aber Menschen, die Widerstand leisten und damit Missstände benennen und politische sowie gesellschaftliche Herausforderungen annehmen, also „unbequem“ sind. Mit diesen Menschen solidarisiert sich Wecker, auch über das Lied Die weiße Rose hinaus.

Diese Einstellung zeigt sich zum Beispiel in Weckers Facebook-Post vom 11.3.2019, in dem er sich mit der Jugendbewegung Fridays For Future solidarisiert und das in dem Ausruf „Zeig‘s Ihnen, Greta!“ kulminiert. Hier drückt er seine innere Verbundenheit zu Greta Thunberg aus und stellt sich gegen die Hass-Sprecher, die (nicht nur in den sozialen Netzwerken) einen regelrechten Krieg gegen die Klimaschutzaktivistin führen. Wecker hingegen zeigt sich erfreut über die Tatsache, dass viele junge Menschen aktiv Widerstand leisten und sich für Umwelt- und Klimaschutz einsetzen. Diese Proteste sind unmittelbar mit einer Kapitalismuskritik verbunden, welche von Wecker in diversen Werken betrieben wird (vgl. die Lieder Empört Euch; Der Virus). Gleichzeitig ermutigt er durch die direkte Ansprache und den Ausruf „Zeig‘s Ihnen, Greta“ Greta Thunberg selbst, aber auch alle, welche Widerstand leisten, diesen trotz gesellschaftlicher und politischer Kritik weiterhin auszuüben. Hier lässt sich eine inhaltliche Parallele zum Lied Die Weiße Rose feststellen. Greta Thunberg steht beispielhaft für eine wie im Lied beschriebene widerständige Person, welche sich gegen bestehende Strukturen und Machtverhältnisse stellt und dafür von konservativen, patriarchalen und neoliberalen Teilen der Gesellschaft aggressiv kritisiert wird. Solche Strukturen gilt es zu erkennen und zu kritisieren, dies ist die Botschaft Weckers. Das Lied Die Weiße Rose basiert historisch sowie aktuell-politisch auf dem Ideal Es geht ums Tun und nicht ums Siegen. Durch dieses wird das neoliberale Kosten-Nutzen-Kalkül abgelehnt und durch eine moralische Richtschnur, die sich an Empathie und Menschlichkeit orientiert, ersetzt. Der Appell richtet sich demnach an die eigene Haltung gegenüber Unmenschlichkeit und Gewaltstrukturen; es geht also um das widerständige Handeln als solches. So würdigt Konstantin Wecker in seinem Lied den Mut und den Willen der Widerständigen.

Literatur

Wecker, Konstantin: Die Weiße Rose. In: Ders.: Jeder Augenblick ist ewig. Die Gedichte. München 2018, S. 137-138.

Wecker, Konstantin: Meine rebellischen Freunde: Ein persönliches Lesebuch. München 2012.

 

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