Dissertationsprojekt Henning Krake
Kurzfassung Dissertationsvorhaben Evaluation einer Lehrkräftefortbildung zu Qualitätsmerkmalen des Chemieunterrichts
Theoretischer Hintergrund:
Die bildungswissenschaftliche Forschung zur Unterrichtsqualität weist im Wesentlichen allgemeine bzw. fachunspezifische Unterrichtsmerkmale aus, die positiv mit den gemessenen Leistungs-, Interessens-, und Einstellungsvariablen der Schülerinnen und Schüler korrelieren (Clausen, 2002; Helmke, 2006). Einen aktuellen Überblick über die Qualitätskriterien für den naturwissenschaftlichen Unterricht liefern Heinitz und Nehring (2020). Im Rahmen fachdidaktischer Forschung konnten durch eine Videostudie, die im regulären Unterricht an deutschen Schulen angefertigt wurde, die bis dato fachunspezifischen Qualitätsmerkmale für den experimentgestützten Chemieunterricht spezifiziert werden (Schulz, 2011). Aus dieser Videostudie lässt sich ableiten, dass die auf ein Lernziel bezogene Strukturierung nach sachlogisch-inhaltlichen und funktional-lernprozessorientierten Gesichtspunkten eine zentrale Rolle spielt. Diese Erkenntnis wird auch durch Studien zum Physikunterricht gestützt (Seidel et al., 2006; Zander, 2016). Die Ausprägungen der entsprechenden Merkmale waren auch im Vergleich mit anderen europäischen Ländern eher gering Börlin & Labudde, 2014), sodass für den Chemieunterricht in Deutschland diesbezüglich ein Handlungsbedarf besteht.
Zudem konnte Schulz (2011) unter quasi-experimentellen Bedingungen in einem stundenspezifischen Einzelcoaching, in dem Videos aus dem Unterricht der videographierten Lehrkräfte Anwendung fanden, zeigen, dass dieses bei erneuter Durchführung zu einer verstärkten Merkmalausprägung und in Folge auch zu einem höheren Lernzuwachs bei den Schülerinnen und Schülern führt. Videobasiertes Coaching wird auch in anderen Lehr-Lern-Settings erfolgreich eingesetzt (vgl. Kleinknecht, Schneider & Syring, 2014). Der Reflexion über Unterricht kommt dabei eine Schlüsselrolle in der Optimierung von Unterricht zu (Helmke, 2015) und sie stellt ein zentrales Element des enacted PCK (ePCK) im Rahmen des Refined Consensus Model of PCK (RCM of PCK) (Carlson & Daehler, 2019) dar.
Ungeklärt ist bisher, ob im Rahmen einer ökonomisierten Bildungsmaßnahme in Form einer nicht unterrichtsthemenspezifischen Gruppenfortbildung Verbesserungen in der Reflexion von Oberflächen- und Tiefenstrukturmerkmalen von experimentgestütztem Chemieunterricht erreicht werden können.
Ziel:
Ziel ist es, ein Modul für die Lehrkräftebildung zu evaluieren, das auf den Transfer von Forschungsergebnissen zu Qualitätsmerkmalen des Chemieunterrichts fokussiert.
Forschungsfrage:
Führt ein Modul für die Lehrkräftefortbildung, das die Optimierung der Strukturierung des Experimentierprozesses fokussiert, bei den teilnehmenden Lehrkräften zu Veränderungen auf kognitiver Ebene?
Design und Methode:
Für die Interventionsstudie wird eine Gesamtstichprobe von 50 Lehrkräften angestrebt. Die Lehrkräftefortbildung hat einen Gesamtumfang von sechs Zeitstunden und wird als synchrone, distante Fortbildung mit vier Terminen à 90 min in wöchentlichem Abstand angeboten. Sie ist nach einem eher instruktionalen Setting mit Example-Rule-Design (Seidel, Blomberg & Renkl, 2013) aufgebaut und sieht zunächst eine Theorieeinheit zu lernwirksamen Qualitätsmerkmalen und Strukturierungskonzepten im Chemieunterricht vor (90 min). Im anschließenden Praxisteil (270 min) erfolgt eine zunächst angeleitete, später selbstständige (Fremd-)Reflexion von Videovignetten in Kleingruppen zur Entwicklung einer kritisch-distanzierten Analysehaltung (Seidel et al., 2011). Zum Abschluss soll theoriegeleitet eine exemplarische Optimierung der Qualitätsmerkmale des reflektierten Unterrichts erfolgen.
Der Erfolg der Intervention wird auf den ersten beiden Wirksamkeitsebenen nach Lipowsky (2010) anhand der folgend beschriebenen Variablen und Instrumente operationalisiert.
- Die Überzeugungen als Teil professioneller Kompetenz (Baumert & Kunter, 2011) und die Einstellungen der Lehrkräfte zum Modulinhalt (modifiziert nach Schmidt, 2016) und die Überzeugungen der Lehrkräfte zum Unterrichtsfach (modifiziert nach Lamprecht, 2011) werden durch einen Fragebogen erhoben.
- Die Erweiterung der Lehrerkognition wird als fachdidaktisches Wissen zu Experimenten und deren methodischer Umsetzung in Form eines Tests zur Reflexionsperformanz mit Videovignetten (in Anlehnung an Kulgemeyer et al., 2019; Kempin, Kulgemeyer & Schecker, 2020) erfasst.
Dabei werden die Daten zu allen drei Messzeitpunkten (direkt vor (prä) und nach (post) der Bildungsmaßnahme und drei Monate danach (follow-up)) erhoben, um neben kurzfristigen auch mittelfristige Effekte der Intervention beurteilen zu können.
Der online-basierte Reflexionsperformanztest ist eine Neuentwicklung. Er besteht aus sechs Videovignetten von ca. zwei bis fünf Minuten Länge. Die Videovignetten, für deren Erstellung jeweils Unterrichtsskripte für die Lehrkraft vorlagen, enthalten sowohl positive wie auch negative Ausprägungen der adressierten Qualitätsmerkmale (z. B. Zielklarheit u. Strukturiertheit, Kognitive Aktivierung, Disziplin und Regelklarheit) und bieten so Reflexionsanlässe. Die Probanden sollen den videografierten Lehrkräften in einer kollegialen Supervision verbales Feedback geben. Dieses Feedback wird für jeden Reflexionsanlass, je nach erreichter Reflexionsstufe, bepunktet. Zusätzlich soll im Anschluss an jede Videovignette die Ausprägung der verschiedenen Qualitätsdimensionen auf einer vierstufigen Likert-Skala bewertet werden.
Literatur:
Baumert, J. & Kunter, M. (2011). Das Kompetenzmodell von COAKTIV. In M. Kunter, J. Baumert, W. Blum, U. Klusmann, S. Krauss & M. Neubrand (Hrsg.), Professionelle Kompetenz von Lehrkräften: Ergebnisse des Forschungsprogramms COACTIV (S. 29-54). Münster: Waxmann.
Börlin, J., & Labudde, P. (2014). Practical Work in Physics Instruction: An Opportunity to learn? In H. E. Fischer, P. Labudde, K. Neumann, & J. Viiri (Hrsg.), Quality of Instruction in Physics. Comparing Finland, Switzerland and Germany (S. 111–128). Münster: Waxmann.
Carlson, J., & Daehler, K. R. (2019). The refined consensus model of pedagogical content knowledge in science education. In A. Hume, R. Cooper, & A. Borowski (Hrsg.), Repositioning pedagogical content knowledge in teachers’ knowledge for teaching science (S. 77–92). Singapore: Springer.
Clausen, M. (2002). Unterrichtsqualität: Eine Frage der Perspektive (Pädagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie: Bd. 29). Münster: Waxmann.
Heinitz, B. & Nehring, A. (2020). Kriterien naturwissenschaftsdidaktischer Unterrichtsqualität – ein systematisches Review videobasierter Unterrichtsforschung. Unterrichtswissenschaft, 48, 319-360.
Helmke, A. (2006). Was wissen wir über guten Unterricht? Über die Notwendigkeit einer Rückbesinnung auf den Unterricht als dem "Kerngeschäft" der Schule (II. Folge). Pädagogik, 58 (2), 42-45.
Kempin, M., Kulgemeyer, C., & Schecker, H. (2020). Wirkung von Professionswissen und Praxisphasen auf die Reflexionsfähigkeit von Physiklehramtsstudierenden. In S. Habig (Hrsg.), Naturwissenschaftliche Kompetenzen in der Gesellschaft von morgen. Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik, Jahrestagung in Wien 2019. (S. 439). Universität Duisburg-Essen
Kleinknecht, M., Schneider, J., & Syring, M. (2014). Varianten videobasierten Lehrens und Lernens in der Lehrpersonenaus- und -fortbildung – Empirische Befunde und didaktische Empfehlungen zum Einsatz unterschiedlicher Lehr-Lern-Konzepte und Videotypen. Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung 32 (2), (S. 210-220).
Kulgemeyer, C., Vogelsang, C., Borowski, A., Buschhüter, D., Enkrott, P., Kempin, M., Reinhold, P., Riese, J., Schecker, H., & Schröder, J. (2019). Entwicklung von Professionswissen und Unterrichtsperformanz im Lehramtsstudium Physik. Zeitschrift für Pädagogik, 71 (4), 473-492.
Lamprecht, J. (2011). Ausbildungswege und Komponenten professioneller Handlungskompetenz: Vergleich von Quereinsteigern mit Lehramtsabsolventen für Gymnasien im Fach Physik (Studien zum Physik- und Chemielernen). Berlin: Logos.
Lipowsky, F. (2010). Lernen im Beruf – Empirische Befunde zur Wirksamkeit von Lehrerfortbildung. In F. Müller, A. Eichenberger, M. Lüders & J. Mayr (Hrsg.), Lehrerinnen und Lehrer lernen – Konzepte und Befunde zur Lehrerfortbildung (S. 51-72). Münster: Waxmann.
Schulz, A. (2011). Experimentierspezifische Qualitätsmerkmale im Chemieunterricht: Eine Videostudie (Studien zum Physik- und Chemielernen). Berlin: Logos.
Schmitt, A. K. (2016). Entwicklung und Evaluation einer Chemielehrerfortbildung zum Kompetenzbereich Erkenntnisgewinnung (Studien zum Physik- und Chemielernen). Berlin: Logos.
Seidel, T., Blomberg, G., & Renkl, A. (2013). Instructional strategies for using video in teacher education. Teaching and Teacher Education, 34, (S. 56–65).
Seidel, T., Prenzel, M., Rimmele, R., Schwindt, K., Kobarg, M., Herweg, C. & Dalehefte, I.M. (2006). Unterrichtsmuster und ihre Wirkungen. Eine Videostudie im Physikunterricht. In Prenzel, M. & Alloloio-Näcke, L. (Eds.), Untersuchungen zur Bildungsqualität von Schule. Abschlussbericht des DFG-Schwerpunktprogramms BiQua. Münster: Waxmann.
Seidel, T., Stürmer, K., Blomberg, G., Kobarg, M., & Schwindt, K. (2011). Teacher learning from analysis of videotaped classroom situations. Does it make a difference whether teachers observe their own teaching or that of others? Teaching and Teacher Education, 27 (2), (S. 259–267)
Zander, S. (2016). Lehrerfortbildung zu Basismodellen und Zusammenhänge zum Fachwissen. (Studien zum Physik- und Chemielernen). Berlin: Logos.