Verwaltungsreform in Deutschland und China [2] (2006–2009)
Verwaltungsreformen in Deutschland und China [2]: Dezentralisierte Politik am Beispiel der Umweltpolitik (2006–2009)
Kooperationsprojekt zwischen Prof. Dr. Thomas Heberer, Prof. Dr. Dieter Grunow (Universität Duisburg-Essen) und Prof. Dr. Yu Keping (China Center of Comparative Economics and Politics, Beijing), gefördert durch die Haniel Stiftung.
Das Vorhaben soll am Beispiel eines zentralen und zukunftsorientierten Politikfeldes Verwaltungshandeln (oder Nicht-Handeln) auf lokaler Ebene im Hinblick auf Umweltfragen untersuchen. Ein Vergleich mit Umweltpolitik in Deutschland – als Beispiel sei hier der Agenda21-Prozess genannt – bietet für China die Möglichkeit, von einem fortgeschrittenen Modellfall und den dahinter stehenden Denk- und Verhaltensstrukturen zu lernen.
Ausgewählt werden in China drei Fallbeispiele: die Stadt Liaoyang (Prov. Liaoning, Nordostchina), in der seit Jahren ein Konflikt zwischen dem nahen Anshaner Stahlkombinat, das in der Stadt ein Zweigwerk errichten will, was zu erheblicher Umweltbelastung führen würde, und der Küstenstadt Liaoyang, in des es erheblichen Widerstand dagegen gibt; die Stadt Qingdao, die von der Ansiedlung schwerindustrieller zur Ansiedlung leichtindustrieller Industrien übergegangen ist und sich um die Transformation zu einer „grünen“ Stadt bemüht; sowie eine noch zu sondierende Stadt in Zentralchina. Liaoyang, als Heimatstadt von Frau Ran, bietet die Möglichkeit, dass Frau Ran dort im Rahmen eines mehrwöchigen Praktikums in der Stadtverwaltung in Form teilnehmender Beobachtung detaillierte Untersuchungen durchführen kann. Qingdao als eine Stadt mit relativ erfolgreicher Umweltpolitik sowie ein urbanes Zentrum in einer weniger entwickelten Region in Südchina sind als Vergleichsfälle gedacht.
Dieser Vergleich bietet sich an, gerade weil die Kompetenzverlagerungen auf die lokale Ebene zum Teil sehr unterschiedlich und in den Städten in verschiedenen Teilen Chinas vergleichsweise stark ausgeprägt sind. Dieser Kontext dürfte erheblichen Einfluss auf die zu untersuchenden Aktivitäten im Bereich der Umweltpolitik haben.
Inhaltlich soll die Umweltpolitik unter vier thematischen Schwerpunkten untersucht werden:
- Umweltpolitik verschiedener Regierungsebenen (lokal, Provinz, Zentrale) und ihre Umsetzung – z.T. eingebettet in globale Politiken
- Akteure (verschiedene Regierungs- und Parteiebenen, Industrie, Umweltorganisationen, Medien, Bevölkerung, internationaler Druck)
- Konflikte und Konfliktmanagement
- Erarbeitung umweltbezogener Entwicklungsstrategien.
Zu fragen ist auch
- nach Möglichkeit und Grad der Mitgestaltung durch NGOs und aus der Bevölkerung heraus;
- nach dem Verhältnis von Verwaltungsentwicklung und Unternehmensnähe im Hinblick auf Umweltfragen – einschließlich der Bewältigung von Korruptionsproblemen;
- nach dem Verhältnis von Verwaltungsentwicklung und Bürgernähe im Hinblick auf Umweltfragen;
- sind vergleichende Aspekte einzubeziehen, vor allem auch aufgrund des Interesses chinesischer Politiker, Verwaltungsfachleute und Unternehmer an den Erfahrungen der Umweltpolitik(-verwaltung) in den neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung;
- zum anderen lassen sich spezifische Erfahrungsmomente u.U. auch für China nutzbar machen;
- sollte der Analyse ein Vorschlagskonzept folgen und
- geht es um die Frage der Umsetzung und Diffusion eines solchen Konzeptes im Sinne von policy learning.nach Möglichkeit und Grad der Mitgestaltung durch NGOs und aus der Bevölkerung heraus.
Die komparative Perspektive sollte von Anfang an berücksichtigt werden: dies gilt zum einen mit Blick auf die generellen Funktionsprinzipien eines dezentral organisierten (deutschen) Verwaltungssystems bei der Durchführung von Aufgaben im Umweltbereich und zum anderen mit Blick auf die besonderen Erfahrungen in Regionen mit traditionell starken Umweltbelastungen (wie dem Ruhrgebiet) und in Regionen mit nachholender Umweltweltpolitik (wie in einzelnen Regionen in den neuen Bundesländern, z.B. Bitterfeld). Mit Blick auf das deutsche Vergleichsbeispiel muss die Bedeutung der europäischen Umweltgesetzgebung für die lokalen umweltbezogenen Aktivitäten berücksichtigt werden (in dieser „Glokalisierung“ des Politikfeldes könnte für China ein relevanter Gestaltungsimpuls liegen).
Die Kernpunkte der Untersuchung müssen durch die flankierende Untersuchung von Rahmenbedingungen der Verwaltungsstruktur und -kultur ergänzt werden. Sieht man den ersten Schritt in der Erfassung der aktuellen Situation in den chinesischen Fallbeispielen, dann sollte dies einerseits die neueren Entwicklungen (Pfadbezogenheit der Änderungen in den vergangenen 5–10 Jahren) und die zukunftsbezogenen Perspektiven beinhalten – andererseits auch durch den Vergleich inspirierte Gesichtspunkte berücksichtigen. Diese verschiedenen Beobachtungs-Gesichtspunkte dienen einerseits der Erklärung aktueller Schwierigkeiten (in den Fallbeispielen) als auch der Fundierung zukünftig wünschenswerter Initiativen im Umweltbereich („Vorschlagskonzept“).
Die Ergebnisse der Bestandsaufnahme strukturieren dann auch den engeren Vergleich mit den umweltbezogenen Reformprogrammen im Ruhrgebiet und der diesbezüglichen Verwaltungstransformation in Ostdeutschland. Es ist zu klären, bei welchen Punkten hier Ähnlichkeiten bestehen. Besondere Anknüpfungspunkte gibt es für einen konkreten beispielhaften Vergleich mit der Entwicklung in Ostdeutschland. Ähnlichkeiten finden sich sowohl in den Rahmenbedingungen (z.B. die Entflechtung von staatlichen und privatwirtschaftlichen Aufgaben, Entscheidungskompetenzen und Verantwortlichkeiten; oder die Entwicklung von kommunaler Selbstverwaltung; Möglichkeiten und Schwierigkeiten von Modernisierung-„Sprüngen“; Fehlen einer konkreten Umweltpolitik) als auch in konkreten Praktiken (wie z.B. Mitwirkungsangebote an die Bürger, Zuverlässigkeit des Verwaltungshandelns und Abbau von Willkür, Transparenz der Mittelverwendung, Weitergabe von Informationen).
Mit Blick auf die Fallauswahl in Ostdeutschland kann man u.E. flexibel verfahren, da man sich an den Fragen orientieren sollte, die sich aus dem chinesischen Fall ergeben. Insofern könnte man für je spezifische Themenkomplexe jeweils andere Beispiele heranziehen. Gleichwohl könnte es sinnvoll sein, 1–2 generelle Beispiele zu wählen, wobei nicht gerade die besonders „positiven“ in Frage kommen, sondern die eher „schwierigen“.
Der Transfer der Ergebnisse in die politische Praxis
Die diesbezüglichen Erfahrungen und Ergebnisse können für einen Vorschlag im Hinblick auf eine schrittweise Dezentralisierung und Bürgernähe im Hinblick auf Umweltpolitik in China sinnvoll genutzt werden – sowohl was die Beschreibung der Ziele als auch was die geeigneten Schritte der Umsetzung betrifft. So soll u.a. geprüft werden, welche konkreten Schritte einer Verwaltungsreform notwendig sind, um die genannten Zielprioritäten erreichen zu können bzw. ihnen näher zu kommen. Im Rahmen eines gemeinsamen deutsch-chinesischen Workshops sollen die Ergebnisse am Projektende erörtert und ein einheitliches Beratungspapier (für die chinesische Führung) erstellt werden. Professur Yu wird dieses Papier in die Diskussion der Regierung über die künftige Umweltpolitik einbringen. Als Berater der chinesischen Führung für Fragen der Verwaltungsreform sind hier unmittelbare Effekte zu erwarten. Auf Grund des komplizierten innerchinesischen Diskussionsprozess lassen sich allerdings keine konkreten Zeitfenster benennen. Da lokale Umweltpolitik ganz oben auf der Agenda steht (so auch die jüngsten Beschlüsse zum 11. Fünfjahresplan), ist der Wirkungsgrad eines solchen Papiers als relativ hoch zu veranschlagen.
Mittelfristig könnten sich hieraus auch Synergieffekte für die wissenschaftliche Aus- bzw. Weiterbildung von Umweltfachleuten (in Duisburg oder in China) ergeben.
Eine solche systematische Aktivität würde aus unserer Sicht dann vor allem auch der Diffusion von „good practice“ dienen können – einer Praxis, die – im Unterschied zu anderen diesbezüglichen internationalen Angeboten – in China selbst entwickelt wurde.