Leben im Viertel (LiV) - Ein Forschungsprojekt zu Nachbarschaftseffekten
Nachbarschaften sind wichtige Sozialräume. Hier leben Menschen zusammen und kommen miteinander in Kontakt. Das Zusammenleben in Nachbarschaften ist daher eine Ressource für den sozialen Zusammenhalt – jenseits von aktuellen Spannungsfeldern wie soziale Ungleichheit, kulturellen Unterschieden und politischen Polarisierungstendenzen. Die Nachbarschaft kann auch als Integrationsraum verstanden werden, in denen Zugewanderte und Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft miteinander in Kontakt treten und Alltagsbekanntschaften sowie Freundschaften entstehen. Gleichzeitig kann es hier auch zu Konflikten, Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen kommen, was wiederum Unterschiedlichkeiten und Ungleichheiten manifestiert.
Die Umfrage „Leben im Viertel“ (LiV) untersucht, wie sich strukturelle, soziale und normbezogene Merkmale von Nachbarschaften auf den sozialen Zusammenhalt und die Integration von Zugewanderten auswirken. Dabei nimmt das Projekt soziale Austauschprozesse in den Blick und fragt, wie sich beispielsweise wahrgenommene soziale Kontrolle und soziale Offenheit auf die Integration von Zugewanderten auswirken.
Konzeption der LiV-Umfrage
Die LiV-Umfrage ist als Längsschnittstudie mit zwei Befragungswellen konzipiert. Die erste Befragung wurde von Mitte Oktober 2022 bis Anfang Januar 2023 in insgesamt 40 Nachbarschaften von 10 deutschen Großstädten durchgeführt.
Die Personen, die für eine Teilnahme an der Umfrage kontaktiert wurden, wurden zufällig aus den Registern der Einwohnermeldeämter ausgewählt. Dabei wurde zwischen zwei Gruppen unterschieden. Bei der ersten Gruppe handelt es sich um Zugewanderte aus muslimisch geprägten Herkunftsländern. Hierzu zählen Personen mit afghanischer, irakischer, iranischer, pakistanischer oder syrischer Staatsangehörigkeit. Die zweite Gruppe bezieht sich auf die Allgemeine Bevölkerung. Sie umfasst alle Personen mit einer deutschen oder einer anderen Staatsangehörigkeit, ausgenommen der für die erste Gruppe definierten Staatsangehörigkeiten.
Insgesamt haben 2.283 Personen haben den Fragebogen vollständig ausgefüllt. Davon gehören 1.405 Personen zur Allgemeine Bevölkerung (ca. 62%) und 878 Personen sind Zugewanderte aus muslimisch geprägten Herkunftsländern (ca. 38%).
Erste Ergebnisse
Die erste Befragungswelle liefert wichtige Erkenntnisse bezüglich der Wahrnehmung von Nachbarschaften und der Integration von Zugewanderten aus muslimisch geprägten Herkunftsländern in städtischen Nachbarschaften.
Zufriedenheit mit der Nachbarschaft
Insgesamt fällt die Wahrnehmung der städtischen Nachbarschaften positiv aus. Drei Viertel der Befragten sind mit ihrer Nachbarschaft eher oder sehr zufrieden. Allerdings sind Befragte, die in ärmeren Nachbarschaften leben, und befragte Zugewanderte im Durchschnitt mit ihrer Nachbarschaft etwas unzufriedener.
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf nachbarschaftlichen Zusammenhalt
Die Corona-Pandemie hatte schwerwiegen Auswirkungen auf Gesellschaften weltweit. Die LiV-Umfrage zeigt jedoch, dass die Corona-Pandemie erfreulicherweise keinen großen Einfluss auf die Wahrnehmung des Zusammenhalts in der Nachbarschaft hatte. Für die Mehrheit der Befragten (61%) hat sich der Zusammenhalt in der Nachbarschaft durch die Corona-Pandemie nicht verändert. 11% der Befragten sehen sogar eine Verbesserung des sozialen Zusammenhalts, während 27% eine Verschlechterung des sozialen Zusammenhalts durch die Corona-Pandemie wahrnehmen.
Wahrgenommene Diskriminierung
Die befragten Zugewanderten nehmen Diskriminierung deutlich häufiger wahr als die Befragte aus der allgemeinen Bevölkerung. Während aus der allgemeinen Bevölkerung rund 55% der Befragten angeben, schon einmal Diskriminierung erlebt zu haben, sind es bei den Zugewanderten drei Viertel (75%). Dieser große Unterschied ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Zugewanderte häufiger von Diskriminierung aufgrund des ethnischen Hintergrundes und der Religionszugehörigkeit betroffen sind.
Projektteam
Conrad Ziller
PD Dr. Conrad Ziller leitet das LiV-Projekt. Er ist Akademischer Rat am Institut für Politikwissenschaft der Universität Duisburg-Essen und Teil der Arbeitsgruppe Empirische Politikwissenschaft.
Teresa Hummler
Teresa Hummler M.A. ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im LiV-Projekt. Sie promoviert an der Universität Duisburg-Essen in der Arbeitsgruppe Empirische Politikwissenschaft zum Einfluss lokaler Kontexte auf politische Einstellungen von Zugewanderten.
Publikationen
Ziller, Conrad & Hummler, Teresa (2024): Integration und Zusammenhalt in Nachbarschaften deutscher Großstädte -Ergebnisse der ersten Befragungswelle der Umfrage „Leben im Viertel“ (LiV).
Hummler, Teresa (2023): Nachbarschaften als Integrationsräume – Erste Ergebnisse der Umfrage „Leben im Viertel“ (LiV), Blog-Artikel, https://www.politik-wissenschaft.org/2023/10/30/nachbarschaften-als-integrationsraume/.