Zweites Kolloquium
Mittwoch den 01.07.2009, 18 bis 20 Uhr
Ort: Campus Duisburg, Mercator Haus
Politikwissenschaftliches Kolloquium
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Gunther Teubner
(Universität Frankfurt)
Thema: Kannibalisierung des Wissens: Schutz kultureller Diversität durch transnationales Recht?
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Gunther Teubner
Professor für Privatrecht und Rechtssoziologie an der Goethe-Universität Frankfurt und
Centennial Professor an der London School of Economics
Curriculum Vitae (kurz):
- 1963-1967 Studium der Rechtswissenschaften Göttingen und Tübingen
- 1970 Promotion Tübingen
- 1971 Rechtsassessor
- 1972-1974 Forschungsaufenthalt USA
- 1974 M.A. (law and society) Berkeley
- 1977 Habilitation Tübingen
- 1977-1981 Professur an der Universität Bremen
- 1981-1993 Europäisches Hochschulinstitut Florenz
- 1993-1998 Otto-Kahn-Freund Professor of Comparative Law and Legal Theory, London School of Economics
- seit 1998 Professur an der Universität Frankfurt
- Ehrendoktor der Universitäten Luzern, Neapel, Tiflis, Macerata 2006 - 2008
- Preis "Premio Capo Circeo", Rom."Max Weber Lecture 2007", Europäisches Hochschulinstitut Florenz 2007
- Preis „Premio Capri San Michele", Anacapri, Italien 2006
- "Storrs Lectures 2003/2004: Civil Constitutions in Global Society
- Coincidentia oppositorum, Dealing with Paradoxes of Law", Yale Law School. "John F. Diefenbaker Award" (Government of Canada, Canada Council for the Arts) 2002
- Preis "Gay Lussac/Humboldt", Paris 2000
- Preis "Recht und Gesellschaft" 1998
- Mitglied der "Academia Europaea" London 1988
- "Leon Petrazycki International Scientific Prize" (International Sociological Association) 1981
Ausgewählte Publikationen:
Bücher:
- (2006) Regime-Kollisionen: Zur Fragmentierung des globalen Rechts. Suhrkamp, Frankfurt 2006, zusammen mit Andreas Fischer-Lescano
- (2004) Netzwerk als Vertragsverbund: Virtuelle Unternehmen, Franchising, just- in- time in sozialwissenschaftlicher und juristischer Sicht. Nomos, Baden-Baden 2004.
Herausgeber und Ko-Autor:
- (2008) Nach Jacques Derrida und Niklas Luhmann: Zur (Un-)Möglichkeit einer Gesellschaftstheorie der Gerechtigkeit, Lucius & Lucius, Stuttgart 2008 zugleich in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 29, 2008, Heft 1, 9- 36.
- (2006) Vertragsnetze: Rechtsprobleme vertraglicher Multilateralität. Schwerpunktheft der Kritischen Vierteljahresschrift 89, Doppelheft 2-3, 2006, 103-290, zusammen mit Marc Amstutz.
Aufsätze:
- (2009) "So ich aber die Teufel durch Beelzebub austreibe, ...". Zur Diabolik des Netzwerkversagens. In: Ingo Augsberg (Hrsg.) Ungewissheit als Chance. Perspektiven eines produktiven Umgangs mit Unsicherheit im Rechtssystem. Mohr Siebeck, Tübingen
- (2009) Zwei Arten des Rechtspluralismus: Normkollisionen in der doppelten Fragmentierung der Weltgesellschaft. In: Matthias Kötter und Gunnar Folke Schuppert (Hrsg.), Normative Pluralität ordnen. Nomos, Baden-Baden 2009, zusammen mit Peter Korth.
Zitate aus Vortragstext
Teubner, Gunther: „Kannibalisierung des Wissens: Schutz kultureller Diversität durch transnationales Recht?"; in Hrsg.: Aurelia Colombi Ciacchi, Christine Godt, Peter Rott, Lesley Jane Smith: „Haftungsrecht im dritten Millenium: Liber amicorum Gert Brüggemeier", Baden-Baden, 2009
„Völkerrechtler stehen, wenn sie traditionelles Wissen als politisches Problem und als Rechtsfrage qualifizieren sollen, vor dem akuten Problem der Fragmentierung des internationalen Rechts. Mehrere internationale Organisationen haben unter Einfluss von öffentlichen Protesten die Problematik registriert und Regelungsvorstöße unternommen - aber sie jeweils nur mit dem eigenen Tunnelblick wahrgenommen. Genau diese Fragmentierung der Problematik ist die Ausgangsfrage." (S.3)
„‘Wissenschaftskannibalisierung‘ in seiner Doppelbedeutung dürfte als Metapher aber noch angemessener sein - Kannibalisierung des Wissens, Kannibalisierung durch Wissen. Immer geht es darum, dass die Eigenrationalitätsmaximierung von Hyperstrukturen der Weltgesellschaft - von Funktionssystemen, formalen Organisationen, Netzwerken und von epistemic communities - in ihren gesteigerten Informationsbedürfnissen Wissensbestände oder Regionalkulturen aus ihren Lebenszusammenhängen reißen und unaufhaltsam in ihren Sog ziehen." (S.8)
Den kompletten Text finden Sie >>hier<<
Thema des Kolloquiums: Kannibalisierung des Wissens: Schutz kultureller Diversität durch transnationales Recht?
Abstract: Der Beitrag diskutiert anhand zweier Skandale der bio-piracy die problematischen Versuche, die Kannibalisierung des traditionellen Wissens in peripheren Gesellschaften durch Explorationsmethoden der modernen Wirtschaft, Wissenschaft, Technologie, Medizin und des Kulturbetriebs dadurch zu bekämpfen, dass man sie vor die Rechtsforen der Zentren bringt.
Man muß hier einen beträchtlichen Schritt über den bisherigen Diskussionsstand in Sachen Rechtsfragmentierung hinausgehen. Rationalitätenkollision beschreibt die Problematik noch nicht zureichend, denn sie wird nur der einfachen, nicht aber der doppelten Fragmentierung der Weltgesellschaft gerecht. Sie macht zwar deutlich, wie die Bestände traditionellen Wissens divergierenden Anforderungen innerhalb der weltweiten funktionalen Differenzierung ausgesetzt sind, aber sie verfehlt die zweite Fragmentierung - den kulturellen Polyzentrismus der globalen Kommunikation, das Gegeneinander unterschiedlicher Weltkulturen. Der Konflikt ist aus dieser doppelten Fragmentierung der Weltgesellschaft entstanden - der Fragmentierung der Funktionssysteme und der Regionalkulturen. Erst mit dieser Verortung des Konflikts lassen sich für die Suche nach konfliktadäquaten Rechtsnormen soziologische Richtungsangaben machen. Politisches issue framing und rechtliche Qualifizierung dürfen nicht der doppelten Polyzentrizität ausweichen, sondern müssen sie als gegeben hinnehmen, sie in ihren Konsequenzen reflektieren und ihre Regulierungsprojekte darauf aufbauen.
Politisch-rechtliche Gegenreaktionen auf die Wissenskannibalisierung müssen gegenüber den je einzelnen Subsystemen der modernen Gesellschaft externen Druck aufbauen, damit diese sich Selbstbeschränkungen auferlegen. Die Formel heißt: extern erzwungene Selbstbeschränkungen gegenüber destruktiven Expansionen unifunktionaler Interventionen in gesellschaftlich eingebettete Wissensbestände.
Plakat zu "wandel des wandels | kolloquium"