Karen Duve
Charakteristika des Werks
Bruno Orso fliegt ins Weltall
Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu Bruno Orso fliegt ins Weltall [ ↑ ]
Im Jahr 1997 veröffentlicht Karen Duve in Zusammenarbeit mit der Illustratorin Judith Zaugg den Comic Bruno Orso fliegt ins Weltall. Der Comic wurde unter anderem von der Akademie Schloss Solitude unterstützt, an welcher sowohl Karen Duve als auch Judith Zaugg Stipendiatinnen waren. Bruno Orso fliegt ins Weltall erschien als achter Band der Tollen Bücher und wurde von Armin Abmeier herausgegeben. Karen Duve bedient sich bei ihrem Text an Zitaten von Thomas Mann, Der moderne Man, Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski, Frank Farian, Wernher von Braun und Martin Luther.
Auf den ersten Blick meint man es hier mit einem Kinderbuch zu tun zu haben. Doch trotz der vielen farbenfrohen Bilder, die meist kleine fiktive Figuren illustrieren, machen die makabren Abbildungen schnell deutlich, dass dieses Werk nicht für Kinder bestimmt ist.
Bruno Orso, eine bärenähnliche Figur, lässt sich bei einem Einkauf von dem Werbeversprechen einer Cornflakesfirma locken, obwohl er nach eigenen Angaben auf solche Art Nahrung sonst immer verzichtet. Dennoch kauft er wie viele andere im Supermarkt mehrere blaue Pakete, um seine Gewinnchance zu maximieren, da in einer dieser Packungen ein Gutschein für eine Reise ins Weltall zu finden sein soll. Zu Hause muss sich Bruno jedoch zunächst seiner Freundin Gina Gatta gegenüber rechtfertigen, dass er ebenfalls auf diesen Werbetrick reingefallen ist. Erstaunlicherweise gewinnt der Bär trotzdem das beliebte Ticket und fliegt zusammen mit Gina und Bony Dog ins Weltall. Nach einiger Zeit wird ihr Raumschiff allerdings von Außerirdischen angegriffen, die in Form von Augen der Vorsehung abgebildet sind und so die typische Darstellung eines von einem Strahlenkranz umgebenen und von einem Dreieck umschlossenen Auge aufweisen. Diese töten den blinden Passagier Dr. Hanuman und nehmen telepathisch Kontakt mit Bruno auf, wodurch dieser erfährt, dass die Außerirdischen den Namen Gott tragen und nur ihn lieben. Seine Freundin Gina findet dies lächerlich und sieht in Bony Dog die einzige Möglichkeit, gesund nach Hause zu kommen. Da Gina ihn drängt, lässt Bruno Orso trotz starker Zuneigung den Außerirdischen in Form eines Dreieckes zurück und fährt wieder nach Hause. „Das war eine schreckliche Situation für mich. Ich hatte noch nie jemanden so geliebt wie Algan Gott. Auch wenn Gott ein Dreieck war. Aber Gina hatte nun mal ältere Rechte. Ich habe es noch nie aushalten können, wenn Frauen weinen…“ (S. 41). Zu Hause angekommen, muss er jedoch feststellen, dass sich seine Freundin gegen ihn entscheidet und ihre Zukunft lieber mit Bony Dog verbringen möchte. Auf der letzten Seite heißt es: „Ich habe alles verloren: meine Freundin Gina und Gott. Oft sitze ich nachts auf einem Hügel und gebe Blinksignale mit der Taschenlampe und hoffe, daß Gott sie sieht und mich abholt“ (S. 45).
Lexikon berühmter Tiere
Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu Lexikon berühmter Tiere [ ↑ ]
Das Lexikon berühmter Tiere ist ein Gemeinschaftsprojekt von Karen Duve und Thies Völker. Darin werden verschiedenste Figuren aus Kinderfilmen und -büchern, alltäglichen Sprichworten, der Geschichte und Mythologie vorgestellt, wie z.B. die Maus aus der Sendung mit der Maus oder der Struwwelpeter aus dem gleichnamigen Kinderbuch. Die Einträge gliedern sich meistens wie folgt: In einen allgemeinen einführenden Teil, der die Hintergründe und Entstehung der jeweiligen Figur beleuchtet. Hierbei werden auch Bezüge zu Literatur und Fernsehen aufgezeigt und einen charakterisierenden Teil, der ihre spezifischen Merkmale benennt und beschreibt. Die Informationen sind zwar fundiert und werden auch anhand von Quellenbezügen belegt, allerdings findet sich in den Artikeln auch ein ironischer und unterhaltsamer Unterton, der die Strenge eines typischen Lexikons durchbricht.
Pressespiegel zu Lexikon berühmter Tiere [ ↑ ]
Das Lexikon berühmter Tiere hat in der Presse wenig Beachtung erhalten. Das in den neunziger Jahren erschienene Lexikon hält Informationen zu Tieren aus Film, Fernsehen, Literatur und Mythologie bereit. Hans Joachim Neubauer (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.10.1997) meint, es falle schwer, „das Personal dieses Lexikons zu sortieren“, da Tiere aus unterschiedlichsten Bereichen thematisiert würden, was sich auf Duves weiten Tierbegriff zurückführen lasse. Neubauer kritisiert, dass die modernen Tiere vielen älteren Menschen unbekannt seien und zeige den „unbekümmerte[n] Umgang der Autoren mit den Wurzeln des Historischen", wodurch die „klassischen und mythischen Urbilder" verblassen würden. Neubauer beschreibt das Lexikon berühmter Tiere als „freundlich und lakonisch". Florian Felix Weyh (Deutschlandfunk, 17.03.1998) hebt den „Umfang des Lexikons, die akribischen Quellennachweise" und die „ungebremste Sammelleidenschaft beider Autoren“ positiv hervor. Die umfangreiche Lektüre sei „durchaus erschöpfend“, trotzdem passe das Lexikon neben die 'Lustigen Taschenbücher'. So kommt Weyh zu dem kritischen Schluss, dass höchstens „zwanzig Prozent der Informationen“ wirklich gehaltvoll seien und der Rest „eher für Kindergeburtstage" tauge.
Keine Ahnung
Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu Keine Ahnung [ ↑ ]
Karen Duves erste Veröffentlichung Keine Ahnung, die ihre erste Erzählung Im tiefen Schnee ein stilles Heim enthält, ist eine Erzählsammlung mit neun unterschiedlichen Geschichten, welche auf den ersten Blick zusammenhanglos erscheinen. Gemeines Element ist jedoch das Sujet: Alle Erzählungen handeln von jungen Frauen, die ziellos und einsam ihr als Last empfundenes Dasein führen. Fehlende Initiative und Pläne lassen die Protagonistinnen antriebslos und lethargisch ihrem Leben zuschauen. Auf die Erwartungen ihrer Mitmenschen reagieren diese Frauen mit Zurückweisung und Feindseligkeit. „Mein Vater rief an und drohte wieder mit der Zukunft. […] Ich war jung. Ich hätte Wünsche und Ziele haben sollen. Die Leute erwarten das von einem, wenn man jung ist. Doch für mich war die Zukunft bloß ein Feind mehr, der es auf mich abgesehen hatte“ (S. 16). So handelt beispielsweise die erste Erzählung von einer Apothekerstochter, der das „Sein“ (S. 7) schon zu viel ist und die deshalb nicht auch noch etwas „werden“ (ebd.) will. Ihre Zeit nach dem Abitur, von dem sie nicht interessiert, wie sie es bestanden hat, verbringt sie hauptsächlich unter dem Einfluss von Tabletten und in der naheliegenden Diskothek Sitrone. Wie auch die Protagonisten der anderen Erzählungen hat sie keine Pläne für ihre Zukunft und lässt sich in einem kaum endenden Dämmerzustand von ihren Mitmenschen fremdbestimmen. In wenigen Situationen scheint sie aus ihrer Lethargie ausbrechen zu wollen und ihre Zukunft zu planen, doch trotz guter Ansätze beendet Alexandra meist ihr Vorhaben schon nach kurzer Zeit und fällt in alte Muster zurück.
Thematische Aspekte zu Keine Ahnung [ ↑ ]
Scheitern
Ein zentrales Thema stellt das Scheitern der Protagonistinnen dar. Auch wenn dies nicht immer expliziert wird, kann der/die Leser*in durch die geschilderten Gedankenströme der Frauen zu dem Eindruck gelangen, dass sie ihr eigenes Leben als erfolglos betrachten. Karen Duve evoziert durch ihren lakonischen und verworrenen Schreibstil die Antriebslosigkeit der Akteure, welche durch die offensichtliche Zukunftsangst hervorgerufen wird. Dieses Misslingen betrifft nicht nur das berufliche Leben, sondern ebenso die gescheiterten oder unzulänglich verlaufenden Beziehungen.
Dieses Verhalten lässt sich ebenfalls in den Erzählungen aus Keine Ahnung feststellen. Obwohl die Frauen größtenteils noch jung sind und viele Zukunftspläne haben sollten, führen sie ein unkoordiniertes Leben. Trotz der Hilfe von Familie und Freunden schaffen die jungen Frauen es nicht, irgendetwas im Leben mit Begeisterung und Erfolg zum Abschluss zu bringen und klare Vorhaben zu entwerfen. So ist es vollkommen normal und auch anscheinend nicht verwerflich, sich intensionslos zu prostituieren oder von Zuhause wegzulaufen. Auch wenn die Eltern der Protagonistinnen offensichtlich alle sehr bemüht um ihre Töchter sind und ein gutbürgerliches Leben führen, scheint dies die Frauen nicht zu beeinflussen. Immer wieder treffen diese auf Menschen, die ebenso planlos in den Tag hinein leben, ihnen Gewalt antun oder sie ausnutzen. Dass diese Kontakte sich schädlich auf ihr Leben auswirken, nehmen die Frauen der Geschichten zwar stets wahr, sehen darin jedoch keinen Grund, sich von diesen Menschen fernzuhalten. Das Scheitern besteht darin, dass trotz Drogensucht, Arbeitslosigkeit, dubiosen Freundschaften, Kritik und Hilfe der Eltern und Gewalt es die Protagonistinnen nicht bewerkstelligen, aus ihrem bisherigen Leben auszubrechen und glücklich zu sein.
Pressespiegel zu Keine Ahnung [ ↑ ]
Obwohl Keine Ahnung zu den ersten Veröffentlichungen Karen Duves zählt, findet die Erzählsammlung in den über 150 Rezensionen, die sich auf Duve beziehen, kaum Erwähnung. Meist wird das Werk im Zusammenhang mit den Romanen Im tiefen Schnee ein stilles Heim, Dies ist kein Liebeslied und Taxi erwähnt. So werden die Protagonistinnen der Erzählungen aus dem Band mit denen aus den genannten Romanen verglichen oder darauf aufmerksam gemacht, dass die Themen einzelner Geschichten mit denen ihrer Romane übereinstimmen. So stellt beispielsweise Marie Büsch (Focus on German Studies, 16/2009) in ihrer Rezension die Welt der Protagonistin des Romans Taxi mit der Welt der Protagonistin aus Keine Ahnung gegenüber. Lediglich in zwei Rezensionen wird konkret über die im Jahr 1999 veröffentlichte Erzählsammlung geschrieben. Beide Rezensenten loben Duves klare und beachtenswerte Erzählweise, wodurch der/die Leser/in das Geschehen intensiv miterleben könne. So betont Doris Dangschat (Der Tagesspiegel, 25.02.2000): „Karen Duve braucht nur wenige Sätze, um eine Atmosphäre von beklemmender Nähe zu erzeugen“, wodurch ein „Wechselbad aus Erleben und Beobachten“ entstehe. Auch in Der Falter (08.12.1999) hebt der Rezensent die „klare, geradlinige Sprache“ Duves hervor und fasst diese Darstellungsweise mit den Worten: „Die betrübliche Seinslage wird protestantisch-nüchtern hingenommen: Ist eben so und aus“ zusammen.
Forschungsspiegel zu Keine Ahnung [ ↑ ]
Zwischenmenschliche Beziehungen
Sowohl die Beziehungen zur Familie als auch erotische Beziehungen werden in allen Romanen problematisiert. Marie Büsch verweist auf eine offensichtliche Bringschuld der Töchter gegenüber ihren Vätern (vgl. Büsch 2008, S. 35). So erwerbe Alexandra unter anderem die Taxilizenz, um nicht weiter von ihren Eltern abhängig zu sein und werde dennoch immer wieder von diesen auf ihr Scheitern aufmerksam gemacht. Besonders die Mütter, welche in Duves Textwelten eine traditionelle Hausfrauenrolle übernehmen, zeigen den Frauen ihre angeblichen Unzulänglichkeiten auf. Laut Büsch werden diese von den Töchtern als Vorbilder abgewiesen (vgl. Ebd.). Zusätzlich zu den familiären Problemen führen die Protagonistinnen der Werke allesamt unglückliche Beziehungen, was jedoch nur in den seltensten Fällen dazu führt, sich aus diesen rechtzeitig zu befreien. Büsch fasst dies für den Erzählband Keine Ahnung folgendermaßen zusammen: „Die Ich-Erzählerin in ‚Keine Ahnung‘ zeichnet sich […] dadurch aus, dass sie keine tiefergehenden zwischenmenschlichen Beziehungen zu anderen Menschen oder Männern hat, oder in den Begegnungen nur eine potentielle Flucht aus ihrem Leben sieht“ (Büsch 2008, S. 61).
Körperlichkeit
Durch intensionslose Prostitution wie in Keine Ahnung würden sie versuchen, aus ihrem Koma aufzuwachen und ihren Körper wieder richtig wahrzunehmen. Auch wenn Alexandra im Taxiroman einen Sonderfall verkörpere, müsse sie dennoch mit den Vorurteilen ihrer Mitmenschen umgehen, welche durch ihr Aussehen geschürt werden und dazu führen, dass ihr der Beruf nicht zugetraut werde (vgl. Büsch 2008, S. 22 ff.).
Feminismus
Der sicherlich größte Forschungsschwerpunkt liegt auf der Untersuchung des Feminismus in Duves Werken. Marie Büsch behandelt dieses Thema in ihrer Masterarbeit Von den (Irr)Wegen der Frauen in Karen Duves Regenroman, Dies ist kein Liebeslied und Taxi sowie in der Kurzgeschichtensammlung Keine Ahnung ausführlich. (Büsch 2008) Da ausnahmslos alle Protagonistinnen von ihren Mitmenschen unterdrückt werden und keine Anstalten machen, diesen Zustand zu verändern, können sie laut Büsch als Negativbeispiele für den Feminismus angesehen werden. Da jedoch alle Frauen nichts von ihrer Benachteiligung mitbekommen, „scheint Duve den feministischen Beitrag auf anderer Ebene zu leisten. […] Duve als erklärte Feministin arbeitet mit kaputten weiblichen Figuren und erreicht dennoch eine positive Aussage für Frauen in ihren Werken durch die Parodie, Ironie und Persiflage sämtlicher gängigen Vorurteile und angeblich geschlechterspezifischen Verhaltens“ (Büsch 2008, S. 1). In diesem Zusammenhang weist Büsch etwa auf die im konventionellen Verständnis eher ausgefallenen Berufe der Frauen hin, zu denen diese meist nach einer abgebrochenen Ausbildung gelangen. Dadurch würden „Alex, Anne und die Ich-Erzählerin in [der Erzählung] ‚89/90‘ […] mit ihren Berufen gegen die rigiden Regeln der Gesellschaft für ihr Geschlecht“ (Büsch 2008, S. 72) rebellieren. Die Problematik weiblicher Unterdrückung wird auch in Heike Bartels Artikel Karen Duve, Taxi: Of Alpha Males, Apes, Altenberg, and Driving in the City hervorgehoben. Dort heißt es, Alexandra Herwig (die Hauptfigur) habe keine eigene Entscheidungsmacht und lebe nur nach den Wünschen ihrer Mitmenschen. Zudem wird betont, dass jeweils die Männer in Alex´ Leben versuchen würden, sie zu formen. „On one level, Taxi can be read as the tragic portrayal of an aimless woman who is shaped by male expectations on fantasies” (Bartel 2011, S. 188). Dennoch scheinen sich alle Protagonistinnen in einer gewissen Abhängigkeit vom männlichen Geschlecht zu befinden. Büsch begründet diese Beobachtung mit der ungefestigten Identität der jungen Frauen, welche dafür verantwortlich sei, dass die Männer in den Romanen versuchen würden, die Frauen nach ihren Wünschen zu formen (vgl. Büsch 2008, S. 47). Auch Lucy Macnab thematisiert in ihrem Aufsatz Becoming bodies. Corporeal potential in short stories by Julia Franck, Karen Duve and Malin Schwerdtfeger die Unterdrückung der Frau, welche nicht selten durch Stereotype hervorgerufen werde. Macnab betont, dass die Protagonistinnen aus der Erzählsammlung Keine Ahnung ihr Leben lang darauf trainiert werden, sich auf eine bestimmte – von den Mitmenschen verlangte – Weise zu verhalten. Besonders die Nichteinhaltung dieser Erwartungen stelle eine große Last für die jungen Frauen dar. Durch die Schilderungen des oft schmerzvollen und grotesken Lebens werde deutlich, in welchem losgelösten Verhältnis die Hauptfiguren zu ihren Körpern stehen. Zusammengefasst sieht Macnab Keine Ahnung folgendermaßen: „The texts offer the possibility that gender can be redone in a different way, reconstructed to subvert our expectations” (Macnab 2006, S. 111).
Lexikon berühmter Pflanzen
Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu Lexikon berühmter Pflanzen [ ↑ ]
Dieses Kompendium von pflanzlichen und pseudopflanzlichen Berühmtheiten veröffentlichte Karen Duve 1999 zusammen mit Thies Völker. Über 200 Artikel in alphabetischer Reihenfolge geben den Leser*innen die Möglichkeit, allerhand Wissenswertes über Pflanzen zu erfahren und den Fragen nachzugehen, die man sich schon immer gestellt hat. Der Titel steht hier allerdings nicht nur für die tatsächlich existierende Flora, sondern auch für jene pseudopflanzlichen Popularitäten, die wir aus Film, Theater, alltäglichen Sprichworten, der Geschichte und Mythologie kennen. Die unterschiedlichen Artikel weisen nur teilweise die typische Sprache eines Lexikons auf, so wechseln sich Fakten, Erzählberichte und Anekdoten ab. Von A – wie Adamsapfel bis Z – wie Zeder des Libanon gehen die Artikel auf die Bedeutung, den Ursprung und eine mögliche Verwendung der beschriebenen Flora ein und zeigen somit, welche vielfältigen Rollen und Einflüsse Pflanzen auf unsere Kultur und unser Leben haben. Für diejenigen Leser*innen, die noch mehr über ein Thema erfahren möchten, steht am Ende jedes Eintrages weiterführende Literatur zur Verfügung.
Weihnachten mit Thomas Müller
Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu Weihnachten mit Thomas Müller [ ↑ ]
Mit Weihnachten mit Thomas Müller hat Karen Duve ihr erstes Kinderbuch veröffentlicht, welches von den Erlebnissen eines Stoffbären am Weihnachtsabend erzählt und damit die alljährliche Weihnachtshektik und den Familienzusammenhalt behandelt. Duve bestückt ihren Protagonisten ganz selbstverständlich mit menschlichen Attributen und zeigt dadurch, dass auch Stofftiere Angst empfinden können und diese überwinden müssen, um neue Freunde kennenzulernen und Erfahrungen zu machen. Die Geschichte beginnt an einem Brunnen in der Hamburger Innenstadt, an dem der verloren gegangene Stoffbär Thomas Müller festgefroren ist. Sein Besitzer, der achtjährige Marc Wortmann, hat ihn am Weihnachtsabend aus Versehen im Kaufhaus liegen gelassen, während die Familie die letzte Gelegenheit nutzt, Weihnachtsbesorgungen zu tätigen. Zunächst versucht der Bär seine Familie wieder einzuholen und steigt dazu in ein Taxi, wird jedoch aufgrund fehlenden Geldes wieder auf die Straße gesetzt. Vollkommen verängstigt und durchgefroren lernt Thomas Müller die Katze Sandra Kaiser – ihr eigentlicher Name lautet Panther, Kaiser über alle Wanderkatzen – am Brunnen kennen und freundet sich nach anfänglichem Unbehagen mit ihr an. Als diese merkt, wie unerfahren der Bär ohne seine menschlichen Besitzer ist, erklärt sie sich bereit, ihn nach Hause zu bringen. Nach einigen Metern zu Fuß werden die beiden von einer Familie im Auto mitgenommen und zu den Wortmanns nach Hause gefahren. Besonders Max Wortmann kann sein Glück kaum fassen, als er seinen geliebten Stoffbären wieder in die Arme schließen kann. Damit auch die Wanderkatze, welche zumindest diesen Abend noch bei der Familie bleiben möchte, ein Geschenk auspacken kann, verzichtet Vater Wortmann auf eines seiner Geschenke. Die Geschichte endet damit, dass Thomas Müller und Sandra Kaiser aneinandergeschmiegt einschlafen.
Pressespiegel zu Weihnachten mit Thomas Müller/Thomas Müller und der Zirkusbär [ ↑ ]
Die meisten der acht Rezensionen, die sich mit den KInderbüchern beschäftigen, behandeln sowohl das erste Buch Weihnachten mit Thomas Müller als auch dessen Fortsetzung Thomas Müller und der Zirkusbär. Immer wieder positiv bewertet wird, dass es sich bei diesen Texten keinesfalls um reine Kinderbücher handele, „denn wie ein Märchen, dessen tiefere Bedeutung sich erst dem erwachsenen Leser oder Zuhörer erschließt, erzählt auch dieses Buch eine Geschichte, die von Eltern bestimmt noch einmal anders gelesen wird als von ihrem Nachwuchs“. Sylvia Schwab stuft die Geschichten als Werk ein, welches „nicht nur zum Lesen und Vorlesen ein[lädt], sondern auch zum Nachdenken und Darüberreden“ (Deutschlandradio, 13.12.2006). In ihrer Rezension wird die Komik der Geschichte zudem mit der aus Pu der Bär verglichen, beruhend auf einer „herrlich naiven Sprache und [dem] erstaunten Bären-Blick auf die Welt“. Zusammengefasst werden Karen Duves Kindertexte als „sensibel und resolut, ernsthaft und zugleich voller Spaß am Erzählen“ beschrieben. Auch Maik Söhler (Die Tageszeitung, 25.11.2006) macht darauf aufmerksam, dass Erwachsene ebenso Freude an diesen Kinderbüchern haben können, da es „zugleich hochkomisch, respektlos und hellsichtig [ist] und auf eine sehr intelligente Art mit allen nur denkbaren Klischees [spielt]“. In einer Rezension von Cornelia Geissler (Die Berliner Zeitung, 29.06.2010) wird die Geschichte des kleinen Stoffbären Thomas Müller mit der des gleichnamigen Fußballspielers verglichen und festgehalten, dass „so wie Fußball nicht einfach nur ein Spiel ist, sondern eine Begegnung der Charaktere und Philosophen, so wärmen diese Bücher auch Erwachsenen das Herz“. Durchweg positiv fällt die Bewertung beider Bücher von Roswitha Budeus-Budde (Die Süddeutsche Zeitung, 10.12.2004) aus. Sie beurteilt die Erzählungen als „besonders vergnügliche Variationen der Weihnachtsgeschichten, weil [sie] mit […] Ironie Weihnachten zwar jede Rührseligkeit aber nicht seine emotionale Bedeutung [nehmen]“.
Neben diesen zustimmenden Rezensionen findet sich aber auch Kritik, so fällt die Besprechung von Elena Geus (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.12.2003) ablehnend aus. Sie bemängelt, dass Duves Weihnachtsgeschichte „trotz aller klugen Gespräche […] seltsam inhaltsleer“ ausfalle und besonders das Vorgehen, „[a]llem einen Namen zu geben […] ermüdend aufdringlich [wirkt]“. Nur die den Illustrationen von Petra Kollitsch können die Kritikerin überzeugen, denn sie würden der Geschichte eine wirkliche Nähe verleihen.
Die entführte Prinzessin
Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu Die entführte Prinzessin [ ↑ ]
Karen Duves Roman Die entführte Prinzessin kann als Parodie auf das klassische Märchen angesehen werden. Prinzessin Lisvana mit ihrem goldenen Haar ist zwar eine besonders hübsche Prinzessin, jedoch verfügt sie über keine umfangreiche Mitgift. Das Königreich Snögglinduralthorma, dem sie entstammt, ist arm an Ressourcen und auch die Ländereien sind in schlechtem Zustand. Als unerwartet Prinz Diego von Baskarien, einem südlich gelegenen Königreich anreist, um sich mit ihr zu verloben, scheint dies die ideale Gelegenheit, aus der Einöde auszubrechen. Doch Prinzessin Lisvana entscheidet sich stattdessen für Ritter Bredur, sodass Prinz Diego keine andere Möglichkeit sieht als Lisvana zu entführen. Die romantische und klischeehafte Vorstellung von dem schönen Prinzen, der die Gunst der Prinzessin mit Leichtigkeit gewinnt, wird von Duve durchbrochen. So scheint die selbstbestimmte Entscheidung Lisvanas zunächst nicht nachvollziehbar und naiv. In Baskarien angekommen, weigert sich Prinzessin Lisvana standhaft Prinz Diego zu heiraten, schließlich findet sie sich jedoch in einem schwierigen Entscheidungsprozess wieder, ob sie dem Werben des Prinzen nachgibt oder sich für Ritter Bredur entscheidet, der sich auf den Weg gemacht hat, sie zu befreien. Als Lisvana in Baskarien erneut entführt wird, wird die Auflösung der verzwickten Lage verschoben. Als sie sich schließlich für einen Verehrer entscheidet, hat dieser plötzlich ebenfalls Bedenken.
Die Figuren, welche im Märchen eher eindimensional erscheinen, werden in Duves Werk mit menschlichen Schwächen versehen und wirken somit komplexer. Hierdurch wird die Handlung zum einen unvorhersehbarer und zum anderen wird die stärkere Identifikation mit den Handelnden ermöglicht. Bredur, Prinz Diego und Prinzessin Lisvana müssen sich während des Romans innerlich entwickeln, die drei vereint, dass sie sich den Wünschen ihrer Eltern nicht beugen wollen und ihnen trotzdem nicht entkommen können. So konzipiert Duve eher Antihelden, die mit bekannten Märchenhelden wenig gemeinsam haben. Das omnipräsente Thema der Selbstbestimmung und -findung wird in diesem Werk auf ironische Art mit dem klischeehaften Bild des Märchens verwoben.
Pressespiegel zu Die entführte Prinzessin [ ↑ ]
Die entführte Prinzessin hat ein starkes Presseecho erfahren. Die meisten Kritiker*innen zeigen sich begeistert von Duves erster märchenhafter Erzählung; negative Pressestimmen finden sich selten.
Kritik erfährt Die entführte Prinzessin von Petra Kohse (Frankfurter Rundschau, 16.03.2005), die sich über zu wirre Erzählstrukturen beklagt, „größere Erzählbögen" oder eine „komplexe Komposition" gebe es nicht. Figuren und entsprechende Motive fallen, „wenn sie gerade gebraucht werden, wie Sternschnuppen vom Himmel", deshalb lassen sich in Die entführte Prinzessin „ganze Bataillone nicht zuende erzählter Stränge" finden. Ebenso führt Martin Halter (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.03.2005) einige Kritikpunkte an, indem er den fehlenden Anspruch thematisiert, denn wer den „kritischen Verstand nicht schon beim 'Es war einmal'-Eingangstor" abgelegt habe, der wundere sich über Duves „märchen- und mädchenhafte[r] Harmlosigkeit". Es sei schade, wenn Duve „ihr großes Erzähltalent künftig mit Zwergenwitzen und Märchenprinzen" verschwenden wolle. Auch Nina May (24.03.2005) äußert sich ähnlich kritisch, wenn sie den „Verlust der narrative[n] Originalität" anspricht. Statt „eindrücklichen Psychogrammen" gebe es eine „platte Erzählung um eine Prinzessin", deshalb bestimmten „willkürliche Märchenmotive und penetrante Entzauberung" die Handlung.
Als positives Element wird die psychische Komplexität der Figuren benannt und der damit einhergehende Wegfall des gut-böse Klischees, welches Märchen sonst kennzeichne. So äußert sich Gisa Funk begeistert (Deutschlandfunk, 20.02.2005) über Duves „psychologischen Blick", welcher die „menschlich-allzumenschlichen Seiten" enttarne, dieser lasse die Helden des Romans zwar „weniger heldenhaft erscheinen als ihre traditionellen Vorbilder", allerdings biete sich hierdurch eine andere Perspektive und die Chance, „eine Persönlichkeitsentwicklung der Figuren nachzuzeichnen", welche sich in Märchen sonst nicht finden lasse. Auch Uta Beiküfner (Berliner Zeitung, 25.02.2005) bezeichnet Duve als Autorin, die „den alten Märchenfiguren eine neue Psyche einhaucht", sodass nicht immer gleich zu erkennen sei, „wer hier gut ist und wer böse". Thomas Kastura (Kastura, 17.03.2005) betont ebenfalls diesen Aspekt, die Figuren würden im Verlauf Einiges hinzulernen und „zu modernen Persönlichkeiten" reifen, da Duve sie ernst nehme und mit „realistischen Motiven und Verhaltensweisen" ausstatte. Marit Hofmann (Die Weltwoche, 19.05.2005) lobt, dass Duves Figuren „nicht eindimensional" seien, sondern eine Entwicklung durchliefen. Darüber hinaus sehen viele Rezensent*innen die Mixtur aus verschiedenen Sagen und Legenden, „eine[r] Unmenge von Motiven, Themen und Stoffen in verwandelter Form“, so Beiküfner, die Duve in ihrem Text zusammenschmilzt, als gelungen an. Die Leserin habe in die entführte Prinzessin die Möglichkeit, diese Motive, Themen und Stoffe kritisch zu beleuchten. Es treffe beispielsweise „tiefes Mittelalter" auf „frühe Moderne", wodurch sich für Funck „starke Kontraste" ergeben würden, aus denen sich die „anspielungsreiche Komik dieses modernen Märchens" speise. So lobt Funck die Intertextualität, die sich bei Duve finde, denn das Werk strotze vor „amüsanten wie intelligenten Verweisen" auf die „aktuelle Gegenwart", die „historische Vergangenheit" oder auch „Sprüche aus heutiger Werbung". Auch die auktoriale Erzählhaltung schildere „alle Ereignisse in einer betont lapidaren Alltagssprache." Die Handlung sei unvorhersehbar, da Duve in ihrem Werk „genussvoll die Leser-Erwartung" unterlaufe. Die entführte Prinzessin sei insgesamt ein „moderner, psychologischer Beziehungsroman", der „unter dem Gewand des Märchens" stecke. Die Botschaften seien zwar nicht neu, allerdings „selten so spannend und originell in einem Märchen" verpackt worden. Insbesondere die Probleme der Märchenhelden erinnern an Protagonist*innen aus Duves früheren Werken, allerdings gewinne Duve dieser „Psycho-Dynamik diesmal ungeahnt humorvolle Aspekte ab". Allerdings gehe es Duve nicht darum, die Form des Märchens „lächerlich zu machen", vielmehr ironisiere sie die „konservative Vorstellung von Anstand und Ehre", die in Märchen sonst ein zentrales Element sei. Auch Kastura findet, dass Duve mit „gängigen Genreelementen heiter-ironisch, doch niemals respektlos" jongliere.
Thomas Müller und der Zirkusbär
Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu Thomas Müller und der Zirkusbär [ ↑ ]
Mit diesem Kinderbuch knüpft Karen Duve an die Kurzgeschichte Weihnachten mit Thomas Müller an und schildert das Abenteuer eines kleinen Stoffbären, der anders als in Weihnachten mit Thomas Müller diesmal freiwillig das vertraute und warme Heim seiner Besitzer verlässt.
Karen Duve schildert sehr fantasievoll und lebendig das Leben des kleinen Bären, der voller menschlicher Eigenschaften steckt und nicht nur wie selbstverständlich sprechen kann, sondern auch Heimweh verspürt. Nicht nur für die kleinen Leser*innen ist diese Geschichte und die liebevolle Illustration eine schöne Weihnachtsgeschichte, sondern auch die erwachsenen Leser*innen werden durch den trockenen Witz der Geschichte immer wieder zum Schmunzeln gebracht. Die kurze Weihnachtsgeschichte handelt von Abenteuersehnsucht, Liebe, Verständnis und Vertrauen und kann als Ratschlag verstanden werden, wie man mit falschen Entscheidungen umgehen kann.
Am zweiten Weihnachtsfeiertag möchte Vater Wortmann seine Familie mit Zirkuskarten überraschen, was jedoch nicht sofort auf Begeisterung trifft. Nach einigem Abwägen machen sich Vater und Mutter Wortmann, Marc Wortmann, die Wanderkatze Sandra Kaiser und der Stoffbär Thomas Müller dann doch noch auf den Weg in den Zirkus. Bei dieser Vorstellung lernt Thomas Müller den fahrradfahrenden Zirkusbären Momps kennen, der ihn sofort in seinen Bann zieht, weil er nicht nur Fahrrad fahren kann, sondern auch viele andere Dinge, von denen Thomas Müller träumt. Nach der Vorstellung besucht Thomas Momps in seinem Käfig und erfährt von diesem, dass er nach Sibirien reisen möchte, um seine Verwandten zu besuchen. Wieder Zuhause denkt der Stoffbär nur noch an den scheinbar multitalentierten Zirkusbären und kann sich kaum noch über seine Geschenke freuen. Beleidigt, weil er nun lieber ein Fahrrad geschenkt bekommen hätte, schläft Thomas Müller nicht im Bett seines Besitzers und bekommt somit mit, wie Momps sich in der Nacht dem Haus der Wortmanns nähert. Trotz des Ratschlages der Wanderkatze Sandra Kaiser nicht auf Momps zu hören, verlässt Thomas das Haus, um mit nach Sibirien zu fahren, ohne sich zu verabschieden. Da es stark schneit und sich die beiden immer wieder verfahren, landen sie zunächst in einer verlassenen Holzhütte und anschließend bei einer Tante der Familie Wortmann. Dort freundet sich Momps mit Tante Gerda an und vergisst sein eigentliches Vorhaben, seine Verwandten zu besuchen. Die Geschichte endet damit, dass Thomas Müller zu seiner Erleichterung von seiner Familie abgeholt wird, seine naive Entscheidung bereut und einsieht, dass man nicht jedem Menschen/Bären vertrauen sollte.
Taxi
Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu Taxi [ ↑ ]
Karen Duves autobiografischer Roman Taxi ist geprägt von ungeschönter Wahrheit, Lakonie, Melancholie und Selbstreflexion, deren schnelles Aufeinanderfolgen die ungeordneten Gedanken der Protagonistin verdeutlichen. Duve zeigt einen kleinen Ausschnitt aus dem Leben der Hauptfigur und schafft es so, die Realität mit all ihren Tücken und Hürden abzubilden. Taxi handelt von Abhängigkeit, Einsamkeit, Trostlosigkeit, Sex, Frauenhass und gescheiterten Existenzen. Die Geschichte schildert das Leben von Alexandra Herwig, einer jungen Frau, die vollkommen planlos nach ihrem Abitur und einer abgebrochenen Ausbildung einen Taxischein erwirbt, da sie befürchtet, ihre Eltern würden sie sonst als untätig stigmatisieren.
„Ich meldete mich auf eine Anzeige, in der nicht nur Taxifahrer, sondern ausdrücklich auch Taxifahrerinnen gesucht wurden. 1984 war es in Stellenanzeigen noch nicht üblich, jedem Beruf auch noch eine weibliche Endung anzufügen. Man tat es nur, wenn man andeuten wollte, dass man praktisch jeden nahm" (S. 8). Bewusst entscheidet sie sich damit für eine Zwischenlösung, die es ihr ermöglicht, ein wenig Abenteuer in ihr Leben zu bringen, ohne endgültige Entscheidungen treffen zu müssen. In diesem Roman ähnelt die Protagonistin den Figuren aus dem Erzählband Keine Ahnung, wobei besonders einige Motive aus der Erzählung 89/90 mit denen in Taxi übereinstimmen. Alexandra chauffiert hauptsächlich nachts und unter der Funknummer Zwodoppelvier diverse Fahrgäste, die sie immer wieder zur Weißglut bringen. Dennoch schafft sie es aus lauter Antriebslosigkeit nicht, ihren Job zu kündigen und fährt über fünf Jahre lang unglücklich durch Hamburg. Diese fehlende Initiative ist auch der Grund dafür, warum sie die Beziehung zu ihrem Arbeitskollegen Dietrich nicht sofort beendet, obwohl sie ihn und sein Verhalten als lästig empfindet. Als sie es schließlich doch tut, heißt es: „Ich fing an zu weinen. Was ich Dietrich antat, war nicht wiedergutzumachen. Jemanden wie mich würde er nie wieder finden" (S. 246).
Thematische Aspekte zu Taxi [ ↑ ]
Scheitern
Ein zentrales Thema stellt das Scheitern der Protagonistinnen dar. Auch wenn dies nicht immer expliziert wird, kann der/die Leser*in durch die geschilderten Gedankenströme der Frauen zu dem Eindruck gelangen, dass sie ihr eigenes Leben als erfolglos betrachten. Karen Duve evoziert durch ihren lakonischen und verworrenen Schreibstil die Antriebslosigkeit der Akteure, welche durch die offensichtliche Zukunftsangst hervorgerufen wird. Dieses Misslingen betrifft nicht nur das berufliche Leben, sondern ebenso die gescheiterten oder unzulänglich verlaufenden Beziehungen.
In Duves Roman Taxi lässt sich beispielsweise das Scheitern der Hauptfigur besonders durch deren Antriebslosigkeit und Angst vor Veränderungen erklären. Alexandra Herwig begeht aus Angst vor Kritik und eigenen Entscheidungen den Fehler, sich von den (vermeintlichen) Wünschen ihrer Eltern fremdbestimmen zu lassen. Zudem trägt der Druck von ihrem sozialen Umfeld dazu bei, dass sie sich ohne wirkliches Interesse für eine Taxilizenz bewirbt, um zumindest vorläufig einen Plan für ihr Leben zu besitzen. Obwohl die Protagonistin immer wieder von ihren Arbeitskollegen und Fahrgästen tyrannisiert wird und auch das Einkommen nach einigen Jahren nicht mehr so hoch ist, äußert sie niemals konkrete Pläne für ihre Zukunft. Auch das Treffen alter Bekannter und das Wissen darüber, dass sie eigentlich mehr kann, bringt sie nicht dazu, ihre Interimslösung aufzugeben und ihr Leben zu verändern. Immer wieder gesteht Alexandra sich ein, dass sie kaum mehr für ihre Mitmenschen und Fahrgäste darstellt, als die Prostituierten für ihre Freier, die sie täglich durch Hamburg chauffiert. Ihre berufliche Karriere endet schließlich damit, dass ihr sogar ihr letzter Rückhalt – die Taxilizenz – wegen einer missglückten Affenentführung entzogen wird.
Auch die Beziehungen, zu denen sich Alexandra immer wieder überreden lässt, sind nicht von Erfolg gekrönt. Obwohl sie es offensichtlich nicht ausstehen kann, mehr Zeit mit ihren Liebhabern zu verbringen und sich zudem besonders für ihren Kleinwüchsigen Freund Marco schämt, fasst sie immer erst spät und fast gleichgültig den Entschluss, sich zu trennen. Ihre Fehlschläge beruhen hauptsächlich auf ihrem Wissen, auf Grund ihrer Fähigkeiten in der Lage zu sein, einem erfüllenderen Beruf nachzugehen, aber dennoch ihre zermürbende Anstellung als Taxifahrerin nicht aufzugeben. Dass ihr momentaner Job und ihre Beziehungen sich nicht günstig auf ihre Gemütsverfassung auswirken, wird ihr zusätzlich durch die Worte ihrer Eltern und Arbeitskollegen vor Augen geführt. Letztere verstärken ihr Bewusstsein um ein misslingendes Leben durch zahlreiche Beleidigungen und Unterschätzungen ihrer Kompetenzen.
Zwischenmenschliche Beziehungen, Liebe und Sexualität
Die Protagonistinnen in Duves Romane führen nicht nur unbefriedigende Berufe aus, sondern sind auch offensichtlich unfähig, funktionierende und beglückende Beziehungen einzugehen beziehungsweise aufrechtzuerhalten. Häufig können die Frauenfiguren mit Liebe, Nähe und Zärtlichkeit keine positiven Assoziationen hervorrufen, sie ziehen sich zurück und wähnen sich als andersartig. Häufig verspüren die Frauen eine so gewaltige Abneigung gegen sich selbst, dass sie es kaum registrieren, wenn man ihnen Unrecht tut, sie mit frauenfeindlichen Sprüchen angreift oder gar physische Gewalt gegen sie anwendet.
In Taxi geht Alexandra zwar mehrere Liebschaften ein, fühlt sich dadurch jedoch oft unter Druck gesetzt und sucht nur die Nähe, wenn sie sexuelle Befriedigung verspüren will. Dadurch fühlen sich ihre Partner stets ausgenutzt und wenden in einigen Fällen sogar Gewalt an, um ihrer Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen. Marco, ein Freund für den Alexandra sich so sehr schämt, dass sie mit ihm niemals in der Öffentlichkeit gesehen werden möchte, schreckt sogar nicht davor zurück, sie zu fesseln und zu ohrfeigen. Auch die Beziehung zu Dietrich – einem Arbeitskollegen – verläuft alles andere als normal. Obwohl sie ihre Zeit lieber alleine verbringt und Dietrich sie nicht gegenüber den frauenfeindlichen Sprüchen eines Kollegen verteidigt, beendet sie die Liebe erst nach einigen Jahren und fühlt sich anschließend schuldig, da Dietrich niemals wieder jemanden wie sie finden würde.
Formale Aspekte zu Taxi [ ↑ ]
Karen Duves Texten liegt ein markanter Stil zu Grunde. Dieser ist vor allem durch ironische und lakonische Elemente gekennzeichnet. Oftmals nähert sich Duve sensiblen und gesellschaftlich brisanten Themengebieten (wie z.B. Gewalt oder Misshandlung) auf sehr direkte Art. Mitunter finden sich auch autobiographische Elemente, insbesondere in den Werken Taxi und Anständig essen. Ihre Werke weisen oftmals die Ich-Perspektive sowie eine episodische Erzählstruktur auf, welche den inneren Entwicklungsprozess der Protagonisten*innen betonen.
Pressespiegel zu Taxi [ ↑ ]
Karen Duves Roman Taxi wird vielfach in der Presse erörtert, wobei der Großteil der 22 Rezensionen positiv gewichtet ist. Lediglich zwei Rezensenten sprechen neben Anerkennungen auch Beanstandungen aus. So geht Gisa Funck (Deutschlandradio, 25.05.2008) zunächst auf einen Kritikpunkt ein, welcher besonders von männlichen Literaturkritikern vertreten werde. So werfe man Duve häufig vor, „sie [habe] in ihren Romanen einen allzu männerfeindlichen Blick“. Funck weist diesen Punkt jedoch mit dem Argument zurück, die Männerfiguren würden niemals als „Grund für die Selbstentwertung, sondern nur als Unterstützung“ dargestellt werden. Nach dieser Entlastung kritisiert die Rezensentin jedoch die geringe Entwicklung in Duves Taxiroman, welche besonders durch den erst auf Seite 90 einsetzenden Aufwärtstrend deutlich werde. Zudem stelle der geringe Abstand zum Thema, welcher sich aus dem autobiografischen Charakter der Erzählung ergebe, ein Problem dar, da die Geschichten ermüdend wirkten. Lediglich durch die Tatsache, diese mit privaten Dramen zu verknüpfen, könne dieser Vorwurf entkräftet werden. In der Rezension von Dirk Knipphals (Die Tageszeitung, 13.05.2008) heißt es: „Mangelnde Welthaftigkeit kann man ihr nicht nachsagen. Aber mangelnden Durcharbeitungswillen.“ So wird zunächst Duves Können geschätzt, „in wenigen Absätzen menschliches Begegnen zu schildern.“ Des Weiteren sei eine konstante Spannung durch die schnellen Szenenwechsel und Einzelbeschreibungen gegeben. Negativ bewertet wird von Knipphals jedoch die „mangelnde Verwertung des Materials.“ So würde Duve ihren Erzählstoff nicht ausreichend verarbeiten und „so wie ihre Erzählerin, so könne sich auch die Autorin Karen Duve nicht recht entscheiden.“ In den letzten Zeilen der Rezension schließt Knipphals aus seinen kritischen Einschätzungen folgenden Schluss: „Und das macht im Ganzen diesmal doch nervige schlechte Laune. In gewisser Weise ist ‚Taxi‘ das literarische Dokument einer Arbeitsverweigerung“.
Neben diesen negativ gewichteten Pressestimmen, äußert sich der Großteil der Rezensenten zustimmend. So beschreibt Volker Hage (Der Spiegel, 18/2008) beispielsweise die Autorin als eine, die das Leben kennt und es „vermag meisterlich mit dem zu spielen, was sie erlebt hat“. So weist Hage auch den Kritikpunkt zurück, Duves Geschichten könnten die Leser*innen auf Dauer ermüden, da sie durch ihren knappen und zugespitzten Erzählstil die Taxierlebnisse in Form eines Running Gags in den Roman einbinde. Indem sie selber davon berichte, wie ihre Mitmenschen von den Erzählungen der Protagonistin gelangweilt werden, demonstriere sie „wie reizvoll sich diese Geschichten erzählen lassen“. Liliane Zuuring (Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 23.05.2008) spricht insbesondere der „drastischen, harten, kraftvollen und direkten Sprache“ ein Lob aus und fasst den Roman als „wunderbar“ zusammen, da Duve den Kampf der Gleichberechtigung „zynisch erfrischend“ schildere, ohne vom Leser als zu aufdringlich empfunden zu werden. Auch die Rezension von Rainer Moritz (Die Welt, 24.05.2008) fällt durchweg positiv aus. So zeige der Roman, „dass diese Autorin es meisterhaft versteht, komische und traurige Elemente miteinander zu verbinden, unterschiedliche Sprachregister präzise wiederzugeben und gleichzeitig Charaktere aus zwei voneinander entfernten sozialen Biotopen zu erfinden.“ Moritz bewertet Duves Werk als „souveränes Buch von leichter Hand“ und „elegante[n], kluge[n] und witzige[n] Roman“. Den Punkt, dass es sich bei Karen Duve um eine Autorin handele, die durchaus Menschenkenntnis besitze, wird auch von Juliane Rusche (Umagazine) anerkannt. Zudem seien die im Roman geschilderten Probleme auch in Zukunft noch nachvollziehbar und interessant. Dass Duve den Leser „mit ihrer Geschichte, deren Vieldeutigkeit und Identifikationsangebot allein [lasse]“, beurteilt Rusche als Gelegenheit, „sich selbst nach der Lektüre eines vielschichtigen Romans ein paar wichtige Fragen zu stellen“. Auch Marie Büsch hebt in ihrer Rezension (Focus on German Studies, 16/2009) hervor, dass Duves Roman zum „Nachdenken über festgefahrene Verhaltensmuster [anrege]“ und nicht „durch elaborierte Sprache oder Handlung, sondern durch die Ironie und den Humor in ihren Werken [fasziniere]“. Abschließend heißt es: „Taxi ist dabei hoffnungsvoller als seine Vorgänger. Fans von Regenroman werden Taxi dementsprechend genießen, aber die Komplexität des Erstlings wird in Taxi dennoch nicht erreicht.“ Dahingegen vertritt Regula Freuler (Neue Züricher Zeitung, 11.05.2008) die Ansicht, der Roman habe alle Voraussetzungen dafür, mindestens genauso ein Erfolg zu werden, wie die vorausgegangenen Veröffentlichungen: „Auch ‚Taxi‘ hat das Zeug dazu, alles ist da – vielleicht besser denn je: der Witz, die entwaffnende Ehrlichkeit, der sogartige Sound, die verzweifelten und doch kämpferischen Seelen“. Andrea Benda (Die Brigitte) hebt hervor: „Karen Duve schreibt gern über Dinge, von denen sie eine Ahnung hat“. Zudem wird anerkannt, dass sie nur wenige Worte benötige, um die verschiedensten Situationen zu schildern. „Ihre Erfahrungen im Chauffeursgeschäft, ihre wunderbare Beobachtungsgabe und den nüchtern-lakonischen Stil“ werden auch im Kölner Stadt-Anzeiger positiv bewertet. (14.05.2008) Roland Siegloff (Der Tagesspiegel, 05.05.2008) fasst den Taxiroman als Werk zusammen, welches alles biete, was man von einem Roman verlangen könne. „Was will der Leser mehr? Sex? Ist vorhanden. Humor? Bleibt trocken. ‚Geistige Erfrischung‘ verlangt der frauenfeindliche Hobby-Philosoph Rüdiger von einer Lektüre. Auch die hat Karen Duves ‚Taxi‘ im Kofferraum immer mit dabei.“
Forschungsspiegel zu Taxi [ ↑ ]
Zwischenmenschliche Beziehungen
Bartel begründet die Unfähigkeit für zufriedenstellende Beziehungen in Taxi unter anderem mit Alexandras Beruf. Dadurch, dass sie jeden Tag Fahrgäste durch Hamburg fahre, deren Nähe sie durch die Enge des Taxis nicht immer vermeiden könne, entwickele sie eine Art Trauma: „Alex´s inability to establish relationships […] is magnified and intensified by her job that enforces spatial closeness with others. However, this inability is also mirrored in her numerous affairs with men, in which sex plays an important role yet intimacy hardly ever occurs” (Bartel 2001, S. 186).
Körperlichkeit
Alle Frauen aus Duves Romanen führen ähnliche Leben und ihre unglücklichen Existenzen werden nicht selten durch ein geringes Selbstbewusstsein herbeigeführt. Daher stellt die Beziehung zu bzw. die Entfremdung von dem eigenen Körper einen eigenen Forschungsschwerpunkt dar. Mit Ausnahme von Taxi sehen alle Protagonistinnen ihren Körper als Feind an und leiden unter ihrem Aussehen (vgl. Büsch 2008, S. 30). So führe das Unwohlsein im eigenen Körper häufig zu Essstörungen oder Süchten
Anständig essen. Ein Selbstversuch.
Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu Anständig essen. Ein Selbstversuch. [ ↑ ]
In Karen Duves Werk Anständig essen stellt sich die Protagonistin einem kulinarischen Selbstversuch, bei welchem sie die Essgewohnheiten verschiedener Bewegungen (Bio-Ernährung, Vegetarismus, Veganismus, Frutarismus) für insgesamt elf Monate annimmt. Diese Vierteilung in Hinblick auf die Ernährungsformen bedingt die episodische Struktur des Romans.
Die 48-jährige Hauptfigur entwickelt während dieses Selbstversuchs eine immer konkretere Vorstellung von ‚anständigem‘ Essen. Dabei repräsentiert sie mit ihren vergangenen Essgewohnheiten den prototypischen gewissenlosen Konsumenten der Gegenwart. Unterstützung erhält sie vor allem durch ihre aktivistische Mitbewohnerin, welche sie Jiminy Grille nennt. Während der Ernährungsumstellung reflektiert sie ebenso kritisch über ihre eigenen Lebens- und Essgewohnheiten wie auch über die gesamtgesellschaftlichen Essgewohnheiten.
Das Motiv der Verantwortung gegenüber Tieren und Pflanzen ist prägend für die Gedanken der Hauptfigur. Dass ungesunde Ernährung auch eine Form des verantwortungslosen Umgangs mit dem eigenen Körper ist, muss die übergewichtige Hauptfigur schmerzlich erfahren, denn jahrelanger Konsum ungesunder Lebensmittel hat sie körperlich schwer belastet. Durch intensive Recherchearbeit erfährt sie grausame Dinge über industrielle Tierhaltung und -tötung, Tierversuchslabore und den Umgang von Politikern und Wirtschaftsgrößen mit diesen Themen. Vollkommen desillusioniert versucht sie also herauszufinden, wie man sich in einer Gesellschaft, in der Gewinnmaximierung durch Ausbeutung von Lebewesen als vollkommen in Ordnung angesehen wird, moralisch korrekt ernähren kann. Am Ende ihres Selbstversuchs zieht sie die Konsequenzen der vergangenen Monate und plant, ihre Ernährung dauerhaft umzustellen.
Pressespiegel zu Anständig essen. Ein Selbstversuch [ ↑ ]
Karen Duves Großessay Anständig essen. Ein Selbstversuch wird in der Presse sehr kontrovers diskutiert, so äußern sich viele Rezensent*innen positiv über den moralischen Selbstversuch der Autorin. Andere sehen Anständig essen jedoch deutlich hinter früheren Werken. Vor allem Duves humorvollen und ironischen Stil werten die Kritiker als angemessenes Stilelement, so schreibt Karen Krüger in ihrer Rezension (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.01.2011), dass Anständig essen eine mit „Selbstironie gespickte und deshalb auch amüsant zu lesende Langzeitreportage" sei. Auch Heidi Ossenberg lobt (Badische Zeitung, 21.01.2011) den Stil Karen Duves, dieser sei „persönlich und oft selbstironisch, dabei auch sehr informativ". Ossenberg betont zudem die gelungene Komposition aus Sachbuch und Belletristik. Weiterhin ermögliche die inhaltliche Gestaltung des Themas als Selbstversuch eine Identifizierung mit der Protagonistin und eine stärkere Reflexion mit dem moralisch brisanten Thema. Sebastian Fasthuber (Falter, 05.01.2011) sieht die Stärke des Textes darin, „dass Duve dem Leser auf Augenhöhe begegnet, anstatt diesem als besserer Mensch entgegenzutreten". Auch Iris Radisch (Die Zeit, 07.01.2011) findet, es sei besser, gesellschaftliche Missstände „nicht mehr vom Hochsitz der Theorie, sondern aus der Froschperspektive des eigenen, unbezweifelbaren Erlebens zu begutachten". Hierdurch erhielten Selbstversuche eine „unverbrauchte Lebendigkeit", was sie letztlich zu „anregenden Lektüren" mache. In ähnlicher Weise äußert sich Bettina Weber (Der Tagesanzeiger, 14.01.2011), indem sie den Text als „Kunststück" bezeichnet, da es schwierig sei, über ein moralisch aufgeladenes Thema zu schreiben, ohne dabei vorwurfsvoll zu klingen. Katrin Hartmann (Frankfurter Rundschau, 14.01.2011) sieht die inhaltlichen Stärken darin, dass Duve „all die blöden Ausreden, die Irrationalität, die Gewohnheit, das Dilemmata, den Egoismus, die ganze banale Grausamkeit, die das Verhältnis vom Mensch zum Tier kennzeichnet", entlarve. Dem gegenüber wird Anständig essen auch scharf kritisiert. So sehen viele in den Bemühungen Duves eine platte Philosophie, die den eigenen Ansprüchen nicht gerecht werde. Annette Brüggemann (Deutschlandfunk, 17.02.2011) sieht in Duves Versuch zu erklären, warum Menschen Tiere essen, nur eine „vereinfachte Küchenphilosophie". Brüggemann erscheint der Selbstversuch im Tagebuchstil ideenlos und abgenutzt. So urteilt sie, dass Duve auf die „Authentizität ihres Selbstversuchs" setze, indem sie stets mit Details über die Protagonistin aufwarte. Dies sei aber auf lange Sicht eher anstrengend, deshalb fordert Brüggemann letztlich „Schluss mit literarischen Selbstversuchen". Ebenso kritisch äußert sich Maike Hank (Der Freitag, 06.01.2011), wenn sie anmerkt, dass Duves eigene Moral unklar sei, denn sie wechsele „ohne Unterlass die Perspektive" und mache sich „mal lustig über die gerade gelebte Ernährungsform, mal über die Menschen, die gedankenlos alles essen". Ein weiterer Kritikpunkt wird von Hank angebracht, wenn sie Duves ironischen Stil zur Vermittlung von moralischen Botschaften als unpassend empfindet, es sei eben „heikel, gleichzeitig aufklären und witzig sein zu wollen". Duve hätte einen „klaren Standpunkt einnehmen sollen" und müsse „einen möglichen Weg zeigen." Duve sei es leider nicht gelungen „dafür ein inspirierendes Vorbild zu sein". Schließlich wirke die Protagonistin auch unglaubwürdig aufgrund des Umgangs mit sich selbst, denn sie „fordert ein anständiges Verhalten gegenüber Tieren und der Umwelt", lasse jedoch „den anständigen Umgang mit sich selbst außer Acht". Weiterhin bemängelt Hank die Strukturlosigkeit des Textes, dieser trage „eine Fülle von Informationen aus vielen Büchern zusammen", doch die Themeneinteilung nach Ernährungsphasen ermögliche keine Orientierung, sodass man letztlich auf eine „unüberschaubare Menge an Informationsfragmenten" blicke, ohne Etwas zu finden. Die fehlende Struktur kritisiert Marina Kormbaki (Hannoversche Allgemeine, 03.01.2011) nicht, im Gegenteil, sie bemängelt die Überstrukturiertheit. Durch die „Reihung von Haltungen" und „ihre terminierte Abfolge" erscheine Anständig essen unglaubwürdig. Schließlich könne es „beim Suchen der richtigen Lebenseinstellung [...] nicht zugehen wie beim Probeessen für ein Hochzeitsmenü".
Forschungsspiegel zu Anständig essen. Ein Selbstversuch. [ ↑ ]
Ethischer Diskurs
Nach Hans-Walter Schmidt-Hannisa lässt sich Karen Duves autobiographisches Werk Anständig essen als Element eines komplexen ethischen Diskurses über korrekte Ernährung begreifen. In der langen Historie dieses Diskurses kann das literarische Genre des Selbstversuchs als Prototyp eines neuen Diskursmodells verstanden werden. Kennzeichnend hierfür ist das direkte und unmittelbare Erleben des Handelnden, welches vor eine abstrakte und schwer zugängliche Theorie gestellt werde (vgl. Schmidt-Hannisa 2011, S. 93 ff.). Das Ziel dieser Selbstversuche sei meist die „kritische Mimikry an eine verpönte Lebensweise“ (Schmidt-Hannisa 2011, S. 94). Der Wunsch danach, ein besserer Mensch zu werden, gilt als Folge der Erkenntnis des eigenen Fehlverhaltens, welches durch mangelnde „Reflexion und [...] Entschlossenheit“ (Schmidt-Hannisa 2011, S. 93) gekennzeichnet sei. Es erfolgt kein Infragestellen der eigenen hedonistischen Ernährungsweise und somit der moralischen Normen, die diese begründen (vgl. Schmidt-Hannisa 2011, S. 93). Der Selbstversuch könne als Prozess der „Selbstaufklärung der manipulierten Konsumentin“ (Schmidt-Hannisa 2011, S. 93) verstanden werden, die sich aus ihrer „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (Schmidt-Hannisa 2011, S. 93) befreien möchte. In diesem Zusammenhang spiele auch die Erkenntnis, dass der Staat als „normgebende Instanz“ (Schmidt-Hannisa 2011, S. 94) scheitert, eine zentrale Rolle. Da hierdurch die Orientierung an dem Verhalten der Gesellschaft nicht möglich erscheint, muss die handelnde Person ihre eigene Moralvorstellung begründen. Im Verlauf des Selbstversuchs kann sowohl die emotionale als auch die rationale Reflexion der Autorin nachempfunden werden. Diese Reflexionen bilden im weiteren Verlauf die Basis für Duves eigene Verhaltensnorm (Vgl. Schmidt-Hannisa 2011, S. 94 f.). Auf rationaler Ebene verhandle sie „politische, ökonomische, ökologische und anthropologische“ (Schmidt-Hannisa 2011, S. 95) Zusammenhänge der Thematik in einer komplexen Argumentation. Die Grundlage ihrer Argumente bilden stets die wichtigsten Informationen zu den jeweiligen Bereichen. Auf emotionaler Ebene begründe Duve ihr Verhalten auch durch ihre Empfindungen (vgl. Schmidt-Hannisa 2011, S. 95). So könne abschließend konstatiert werden, dass sich hinter Duves Vorgehen sowohl eine globale Sicht auf die Ernährungsproblematik als auch die „Methodik einer Machbarkeitsstudie“ (Schmidt-Hannisa 2011, S. 95) auf individueller Ebene verbirgt. Duves Vorgehensweise enttarne den Widerspruch zwischen einem „normativ-moralischen“ und einem „pragmatischen“ Diskurs (Schmidt-Hannisa 2011, S. 95), der zu Ungunsten des normativen Diskurses gelöst werde. Denn letztlich entwickle Duve eine „lebbare Moral“ (Schmidt-Hannisa 2011, S. 97), die sich von abstrakten Moraltheorien abhebe.
Grrrimm
Inhaltsangaben und Interpretationsansätze zu Grrrimm [ ↑ ]
Karen Duve greift in ihrem Werk Grrrimm verschiedene Motive und Inhalte Grimmscher Märchen auf und verwebt diese mit modernen Elementen. In fünf Kapiteln werden die Märchen Schneewittchen und Die sieben Zwerge, der Froschkönig, Dornröschen, Bruder Lustig und Rotkäppchen in abgewandelter Form erzählt. Die Märchenfiguren nehmen hierbei beispielsweise Charakterzüge wie Habgier, Eitelkeit und Aggressivität an. Die ursprünglichen Inhalte dieser Märchen dienen zwar als Erzählrahmen, allerdings wird dieser durch Elemente der realen Welt durchbrochen. Wenn der Froschkönig ein Polizist ist, Schneewittchen von den sieben Zwergen sexuell belästigt wird und Rotkäppchen als Opfer von Gewalt durch die eigene Familie am Ende als Wiedergängerin endet, weil die Großmutter sie gebissen hat, bleibt von den klassischen Grimmschen Kindermärchen wenig übrig. Karen Duve erzählt diese Märchen auf eine sehr moderne und ironische Art. Ihr Stil entspricht hierbei nicht der typischen Märchensprache, sondern eher einer trockenen Satire.
Thematische Aspekte zu Grrrimm [ ↑ ]
Märchen, Tiere und das Motiv des Essens
Häufiger wird inhaltlich auf verschiedene mystische und märchenhafte Elemente zurückgegriffen. So wird in beiden Lexika ausführlich über Phantasie-Figuren unterschiedlichster Bereiche informiert. Die Bezüge werden außerdem in Duves Werk Grrrimm deutlich, denn in den fünf Erzählungen werden nicht nur die Namen der Figuren der Grimmschen Märchen übernommen, sondern auch inhaltliche Aspekte. Hierbei dominiert die ironische Verbindung von Märchen und realer erbarmungsloser Welt. In einzelnen Werken wird das Verhältnis von Menschen und Tieren thematisiert. Das Motiv der Tiermisshandlung und -tötung findet sich sowohl in Anständig essen als auch in Grrrimm wieder. Auch der damit verbundene Themenkomplex der Ernährung wird umfangreich diskutiert. Moralisch korrektes Verhalten gegenüber Schwächeren oder Wehrlosen ist ebenfalls ein häufig verwendetes Motiv.
Pressespiegel zu Grrrimm [ ↑ ]
Karen Duves bislang jüngste Veröffentlichung Grrrimm, eine Adaption von fünf verschiedenen Märchen der Gebrüder Grimm, wird von der deutschen Literaturkritik überaus positiv bewertet.
Peggy Neidel (Der Standard, 03.12.2012) übt jedoch Kritik an Grrrimm. Die Adaption des Märchens Rotkäppchen setze Maßstäbe. Die anderen vier Geschichten könnten nicht mithalten, die Figuren seien „blasser", das Geschehen orientiere sich eher an den Originalen und „platte Kalauer" ließen sich finden. Auch Thomas Schaefer (Badische Zeitung, 30.10.2012) findet kritische Worte, Duve aktualisiere und verfremde die Geschichten, allerdings tue sie dies manchmal durch zu „simple Späße". Allerdings wertet Neidel die Vielschichtigkeit der Figuren ebenfalls als positiv, die Märchen seien von ihrem „schwarz-weißen Schleier" befreit, denn Duve habe sie grau gefärbt.
Die meisten anderen Kritiker*innen zeigen sich positiv überrascht von Duves Einfallsreichtum bei der Umgestaltung der bekannten Kinder- und Hausmärchen. So findet beispielsweise Desirée Löffler (Popkulturschock, 01.10.2012), dass Duve den Märchen „die Moral" und „Schwarz-Weiß-Zeichnung" nehme und diese durch „Grautöne" ersetze, was die Leser*innen „zum Schlucken“ bringe. Weiter führt Löffler an, dass Duves Adaptionen unvorhersehbar seien, denn es sei bis zum Ende immer unklar, ob ein Märchen „der Vorlage folgt oder nur in Nuancen abweicht, ob es die Handlung unterminiert oder eine andere Geschichte mit den gleichen Motiven" erzähle. So kommt Löffler zu dem Schluss, dass Duves Geschichten „hinterhältig, ambivalent, clever und alles andere als märchenhaft" seien und die „Neurosen unserer Gesellschaft" gekonnt aufzeigen. Wolfgang Schneider (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.11.2012) schließt sich diesem Urteil an; er zeigt sich ebenfalls begeistert über die „Hingabe“, mit der Duve erzähle, und sei dankbar für die „Überraschungsmomente und Variationen im sattsam Bekannten". Als gelungen sieht er auch die Parodie auf das klassische Märchen, da dort nichts erklärt werden müsse und Duve an dieser Stelle ansetze, denn sie appliziere „Motive, oft nach Maßgabe einer heutigen Küchenpsychologie", was „komische Kontraste" hervorrufe. Elke Eckert (Die Tageszeitung, 23.11.2012) betont die Komplexität der Figuren, diese seien nicht eindimensional, sondern ermöglichen Blicke in „die Abgründe der menschlichen Psyche". Duves fantasievoller Erzählstil ziehe „den Leser in Bann." Auch sie wertet die Unvorhersehbarkeit der Handlung als spannendes Element, es gebe „kein Happy End" und dies passe besser zu der „fiesen Welt der Märchen."