Gegenstand und Untersuchungsdesign 

Das Projekt ‚Antisemitismus und Jugend‘ fragt, wie antisemitische Diskurse junge Menschen beeinflussen und wie Bildungsarbeit Jugendliche zur Kritik an diesen befähigen kann. Politische Sozialisation geschieht in der post-nationalsozialistischen Migrationsgesellschaft vor dem Hintergrund widersprüchlicher Verhältnisse. Gesellschaftliche Pluralisierung und Prozesse der Globalisierung treffen aktuell auf Entwicklungen der Re-Nationalisierung und einen Anstieg des Rechtspopulismus. Relativierungen der Verbrechen des Nationalsozialismus, islamfeindliche Diskurse und Auseinandersetzungen mit den Konflikten im Nahen Osten lassen es dringend notwendig erscheinen, die Repräsentation von Jüdinnen und Juden, des Judentums und des Staates Israel unter jungen Menschen unterschiedlicher sozialer Milieus differenziert zu untersuchen.

Dies geschieht im Projekt in zwei Schritten:

  1. Auf der Grundlage von narrativen Interviews mit Jugendlichen untersuchen wir ihre Haltungen, Emotionen und Positionierungen zum Judentum, den Staat Israel und Juden*Jüdinnen sowie zu den Verbrechen des Nationalsozialismus. Wir fragen, wie antisemitismusrelevante Wissensbestände, Ästhetiken und soziale Praktiken in die Weltsichten junger Menschen eingelassen und in welchen Erfahrungen und Lebenslagen diese verankert sind.
  2. In einer konzeptionellen Phase entwickeln wir Ansätze für die pädagogische Intervention gegen Antisemitismus und didaktisches Material für eine antisemitismuskritische Arbeit in Schule und Jugendarbeit.

Antisemitismus und Jugend Projektdesign M1-30

Antisemitismus und Jugend Projektdesign M19-42

Antisemitismus und Jugend Projektdesign M37- 48

 Antisemitismus

Unter dem Begriff ‚Antisemitismus‘ wird gegenwärtig eine Vielfalt von Formen der Judenfeindschaft, der Vereinheitlichung und Abwertung sowie der Gewalt gegen Jüdinnen*Juden verstanden. Dazu gehören etwa antisemitische Konstrukte im Rahmen von Verschwörungsmythen ebenso wie Angriffe gegen jüdische Menschen und Synagogen, Relativierungen oder Leugnungen des Holocaust bzw. israelfeindliche Diskurse. Diese verschiedenen Formen von Antisemitismus sind, vor allem auch durch soziale Medien, global verbreitet. Sie wurzeln ebenso in antijudaistischen Zuschreibungen und Stereotypen des mittelalterlichen Christentums, wie im sog. modernen Antisemitismus als rassistische Ideologie des Nationalsozialismus und dem damit verbundenen Völkermord an Jüdinnen*Juden. Definitionen von Antisemitismus sind wissenschaftlich wie auch politisch umstritten (Stein/Zimmermann 2020).

Für die Bundesrepublik spricht Astrid Messerschmidt (2013, S. 11) von einer „paradoxe[n] Konstellation von antisemitischen Artikulationen bei gleichzeitiger Abgrenzung“. Während Antisemitismus in der Selbstbeschreibung der deutschen Gesellschaft in Abgrenzung zu den Verbrechen an Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus zurückgewiesen wird, bestehen antisemitische Weltbilder fort. Das zeigen kontinuierlich Studien, die auf repräsentativen Bevölkerungsumfragen beruhen. So gibt es mit Holocaustleugnung und israelbezogenem Antisemitismus zwei Formen von Antisemitismus, die in Deutschland hohe Zustimmung finden (Zick/Küpper/Hövermann 2014, S. 68ff.). Dabei zeigen sich keine klaren sozialen Bedingungen. Antisemitismus in Deutschland also ein gesamtgesellschaftliches Problem (Küpper / Zick 2019). Für Jugendliche zeigt etwa Barbara Schäuble (2012), dass antisemitische Wissensbestände ihr Denken und Deuten fragmentarisch kennzeichnen, obwohl sich Jugendliche gleichzeitig gegen Antisemitismus aussprechen.

Literatur

Messerschmidt, A. (2013). In: Drücker, A. und Detzner, M. (Hg.): Antisemitismus – ein gefährliches Erbe mit vielen Gesichtern. Handreichungen zu Therorie und Praxis. Düsseldorf: Informations-und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit. S. 11-15.

Rosenfeld, A. H. (2013). Resurgent Antisemitism: Global Perspectives. Bloomington and Indianapolis: Indiana University Press.

Schäuble, Barbara (2012): „Anders als wir“. Differenzkonstruktion und Alltagsantisemitismus unter Jugendlichen, Berlin: Metropol Verlag.

Stein, Shimon; Zimmermann, Mosche (2020): Wegweiser für die Verwirrten. In: Benz, Wolfgang (Hg.): Streitfall Antisemitismus. Anspruch auf Deutungsmacht und politische Interessen. Berlin: Metropol Verlag. S. 19-32.

Zick, A., Küpper, B., & Hövermann, A. (2011). Die Abwertung der Anderen. Eine europäische Zustandsbeschreibung zu Intoleranz, Vorurteilen und Diskriminierung. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung.