Teil 2: Forschung – „Schmerzhafte Pandemie“
Teil 2: Forschung – „Schmerzhafte Pandemie“
Erläutern Sie in einem Satz, was Sie erforschen:
Ich bin daran interessiert, wie sich politische Ideen verbreiten und in verschieden Kontexten interpretiert werden.
Und jetzt etwas detaillierter: Was machen Sie im Einzelnen?
Ich verbringe viel Zeit mit Lesen. Aber am ehesten sammle ich Informationen aus erster Hand. Das bedeutet oft, dass ich viel mit Menschen in China spreche, die in der lokalen Verwaltung arbeiten. Ich stelle ihnen Fragen zur Politikgestaltung – z. B. woher sie ihre Ideen haben oder ob die politischen Ideen, die ich studiere und die aus dem Westen stammen, einen gewissen Einfluss auf den politischen Entscheidungsprozess hatten. Zudem frage ich danach, was es ihnen ermöglicht oder sie hindert, eine bestimmte Politik voranzutreiben, was sie bei der Umsetzung beobachten usw. Im Allgemeinen sind mehrere Gesprächsrunden erforderlich, bis ich relevante Informationen erhalte. Diese Fragen können manchmal heikel sein, daher müssen mich meine Gesprächspartner zunächst kennen und mir vertrauen.
Darüber hinaus konzentriere ich mich in meiner Studie auf den Transfer von Konzepten der „nachhaltigen“ Stadterneuerung nach China. Daher machte ich Fotos von Gebäuden und Straßen in der von mir untersuchten Altstadt, die teils erneuerungsbedürftig war und teils bereits erneuert wurde. Außerdem machte ich Fotos von Innenräumen also wie die Wohnräume der Menschen aussehen, um die Merkmale der Altstadt zu dokumentieren und den Erneuerungsbedarf oder die bestehenden Probleme aufzuzeigen. In Gesprächen mit den Bewohnern erfuhr ich dann, was die Menschen über ihre Gebäude dachten, was sie sich wünschten oder auch nicht, warum sie es nicht tun konnten oder worauf sie warteten. Die Beobachtungen und Gespräche vor Ort integriere ich dann ebenfalls in meine Arbeit.
Was ist Ihrer Meinung nach der interessanteste Teil Ihrer Forschung?
Ich liebe die Arbeit vor Ort. Das bedeutet für mich vor allem, mehrere Monate in China zu verbringen. Ich untersuche den Politiktransfer und das Politiklernen, also die Einfuhr ausländischer politischer Ideen und Praktiken nach China. Mich interessiert, ob sich diese Importe auf den lokalen politischen Entscheidungsprozess auswirken, ob sie kompatibel sind, ob sie sich in spezifische politische Maßnahmen in China umsetzen lassen und wie diese „Übersetzungen“ oder Anpassungen dann aussehen. Ich versuche, die Denkweise und Kultur der lokalen Verwaltung zu verstehen. Zudem versuche ich dahinter zu kommen, wie Funktionäre die Botschaften der Kommunistischen Partei interpretieren, wie sie das Thema sehen, mit dem sich die Partei beschäftigt. Sie können sich also vorstellen, dass die Pandemie für mich ziemlich „schmerzhaft” ist und war, denn sie hat mir das genommen, was ich an der Forschung am meisten liebe.
Was ist Ihr wissenschaftliches Ziel?
Heute haben sich die Dinge ein wenig geändert, aber bis in die späten 2000er Jahre war die Literatur hauptsächlich den westlichen Ländern gewidmet. Meine Forschung hat den Schwerpunkt China – zunächst mal als ein Land, das politische Ideen importiert, und dann als Exportland. Ich möchte verstehen, ob ein Land wie China – mit seinem spezifischen Regime, seiner Verwaltung, seiner Ideologie, Geschichte und Vielfalt – uns etwas Neues über die Phänomene des Politiktransfers sagen kann. Ich möchte zudem weg von der These, dass seine „tausendjährige Kultur”, die so einzigartig und anders als unsere ist, völlig verschiedene Ergebnisse hervorbringt. Damit meine ich die Idee der „konfuzianischen Verwaltungskultur“, die die Arbeitsweise der Verwaltung in China immer noch beeinflusst. Es mag einige Reste der traditionellen Verwaltungskultur geben, die wir berücksichtigen können, aber diese Art von Kultur ist nicht der einzige Teil der Erklärung. Ich forsche über die öffentliche Verwaltung und habe Texte von französischen und deutschen Wissenschaftlern verwendet. Was sie in Bezug auf das Organisationsverhalten in ihren Ländern beobachtet haben, ist in vielen Fällen auch in China zu finden.
Auf Ihrer Website heißt es, Sie „konzentrieren sich auf den Transfer von Konzepten der nachhaltigen Stadtentwicklung von Europa nach China”. Nun ist China nicht das erste Land, das einem einfällt, wenn man an den Begriff „Nachhaltigkeit” denkt. Haben Sie sich ein besonders schwieriges Ziel gesetzt?
Haha, vielleicht. Auf jeden Fall sind die Nachrichten, die wir aus China erhalten, sowohl aus journalistischen Artikeln als auch aus dem, was die Kollegen schreiben, nicht ermutigend. Man liest immer wieder, dass die Umweltschutzbemühungen in China nicht immer so effektiv waren. Das heißt aber nicht, dass keine Anstrengungen unternommen werden: Einige Kommunalverwaltungen experimentieren mit verschiedenen Ideen, einige versuchen, den vor Jahren begonnenen Weg zur Nachhaltigkeit fortzusetzen, und manchmal versucht die Öffentlichkeit, die Dinge voranzubringen. Der Weg ist noch lang, es gibt viele Hindernisse und es ist sicherlich notwendig, diese Versuche und diese verschiedenen Aspekte zu dokumentieren, um zu verstehen, was heute in China vor sich geht. Es ist auch notwendig zu verstehen, wie das Ausland versucht, etwas auf China zu übertragen, denn Nachhaltigkeit ist dort nicht immer das primäre Ziel. Westliche Unternehmen schlagen manchmal Modelle oder Ansätze vor, die nicht angemessen sind, aber das ist ihnen egal, sie wollen eher Produkte verkaufen, als den chinesischen Lokalregierungen zu helfen, Lösungen zu finden, da China in erster Linie ein zu interessanter wirtschaftlicher Markt für sie ist.
Die Fragen stellte Jennifer Meina.
Stand: 11/2021
Bildnachweis: © UDE / Frank Preuß