Interview-Teil 1: Werdegang

Interview-Teil 1: Werdegang

„Ich bin kein Hardcore-Space-Nerd“

Was will ich mal werden? Aufgewachsen in Langenfeld, wusste Arne Sönnichsen nach seinem Abitur erst einmal nicht, wie es weitergehen soll. Einen konkreten Berufswunsch hatte er nicht, aber Interesse an Autos – und eine Vorliebe für Science-Fiction-Serien.

Herr Sönnichsen, Sie haben vor dem Studium noch eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker für Nutzfahrzeugtechnik gemacht. Warum?

Ich habe nach dem Abitur ein Freiwilliges Soziales Jahr im Behindertenfahrdienst abgeleistet und wusste danach immer noch nicht so recht, was ich machen sollte. Ich habe über einen Tipp einen Ausbildungsplatz bei Mercedes-Benz bekommen. Die Ausbildung war eine großartige Erfahrung in einem ganz anderen Umfeld. Sie hat mich viele praktische Dinge gelehrt – und auch, mich in einem nicht-akademischen Umfeld zu bewegen. Davon zehre ich noch heute. Außerdem hat es mir Zeit zur Orientierung gegeben. Ich würde jedem empfehlen, etwas Praktisches zu machen, bevor man sich ins Studium stürzt.

Warum haben Sie sich für Sozialwissenschaften entschieden?

Zunächst habe ich begonnen, an der FH Düsseldorf Elektrotechnik zu studieren. Schnell habe ich gemerkt, dass mich das Umfeld an der Uni total reizt, aber die Inhalte gar nicht. Ein Wendepunkt war eine Mathematik-Vorlesung, bei der der Professor sagte: „Sie studieren nicht für das Gehalt oder den Beruf, sondern Sie studieren für sich!“ Und mein erster Gedanke war: „Dieses Studium musst du abbrechen.“ Das nächste halbe Jahr habe ich mir selbst die Frage gestellt, was ich eigentlich will.

Zu diesem Zeitpunkt habe ich viele Science-Fiction-Serien geschaut – insbesondere Star Trek und Battelstar Galactica. Die mochte ich schon als Kind sehr gerne. Bei den neuesten Serien fand ich es total faszinierend, wie gesellschaftliche Themen dort verhandelt werden: etwa wie in Battlestar Galactica 9/11 aufgearbeitet wurde oder wie bei Star Trek im Grunde politische Fragen gestellt wurden. Darüber wollte ich mehr erfahren und stellte fest, dass sich Medienwissenschaften auch mit solchen Themen befassen. An der Universität Siegen gab es die Kombination Sozialwissenschaften mit Medienwissenschaft im Nebenfach – NC-frei. Dafür habe ich mich dann eingeschrieben.

Wenn Sie jemand fragt, was Sie beruflich machen, was antworten Sie dann?

Ich kann selbstbewusst sagen, dass ich Experte für Weltraumpolitik bin. Als solcher trete ich in fast allen Kontexten auf, und da ich damit ein Exot bin, bin ich oft einfach nur „der Weltraummann“. Diesen wunderbaren Titel nutze ich mittlerweile offensiv, weil das bei anderen total gut hängenbleibt.

Wie sind Sie auf Ihr Schwerpunktthema gekommen?

Ich bin gar kein Hardcore-Space-Nerd. Ich bin niemand, der alle Astronauten beim Namen kennt oder die Spezifika dieser oder jener Rakete. Überwiegend ist mein Interesse an der Raumfahrt durch mein Faible für Science-Fiction entstanden.

Nach Abschluss des Masters in Sozialwissenschaft – in der Abschlussarbeit habe ich mich mit politischen Utopien und deren Außenpolitik befasst – wurde kurze Zeit später die Stelle in Duisburg ausgeschrieben. Ich wollte immer in die internationalen Beziehungen oder die politische Theorie. Bei meiner Bewerbung sollte ich eine Skizze zum Dissertationsvorhaben einreichen. Der Lehrstuhl arbeitet aber überwiegend zu Themen wie „failed states“ – was mich nicht interessiert hat. Ein Eintrag in der Vita des Professors erregte meine Aufmerksamkeit: Er hatte einmal einen Science Slam gewonnen. Titel: Mondrebellen. Ich recherchierte daraufhin zu der Frage, ob sich in Sachen Weltraum politisch etwas tut. So konnte ich ein einseitiges Exposé schreiben. Die Stelle habe ich dann auch bekommen.

Ihr Thema ist ja schon recht ausgefallen.

Definitiv. Die Vorteile sind, dass ich eigentlich immer für Gesprächsstoff sorge. Menschen sind nach wie vor fasziniert vom Weltraum. Auch wenn man es nicht aktiv verfolgt, weiß praktisch jeder von Elon Musk oder spricht mich auf Star Wars oder Star Trek an, das ist ein idealer Ice-Breaker. Weltraumpolitik wird in der Öffentlichkeit praktisch nicht behandelt, weshalb auch bei Laien das Interesse groß ist. Bei der Raumfahrt ist ein gewaltiges emotionales Potenzial vorhanden.

Lehrveranstaltungen mit einem Raumfahrtbezug sind extrem selten und unser BA Politikwissenschaft ist stark auf eine breite Ausbildung ausgelegt. Es ist deshalb immer etwas herausfordernd, mein Thema in die Seminare zu „schmuggeln“. Wenn, dann sind die Studierenden aber stets mit Feuereifer dabei.

Ein Nachteil ist, dass ein Austausch am Lehrstuhl, am Institut, auch innerhalb der Disziplin nur eingeschränkt möglich ist. Einfach, weil es keinen gibt, der das Thema Raumfahrtpolitik behandelt. Gemeinsam mit PD Dr. Daniel Lambach habe ich deshalb 2019 das Forschungsnetzwerk SichTRaum gegründet, es steht für Sicherheit und Technologie im Weltraum und ist eine Plattform zum sozialwissenschaftlichen Austausch hierüber. Auch von außen – von hohen Mitarbeitenden bei der Europäischen Weltraumorganisation ESA, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR, in der Bundeswehr, in Ministerien – wird das Netzwerk geschätzt.

Wichtig zu erwähnen ist, dass ich am Lehrstuhl ein großartiges Arbeitsklima habe. Mit vielen Freiräumen. Diese wissenschaftliche Freiheit ist essenziell, um ein solch exotisches Thema verfolgen zu können.

Von Cathrin Becker.

Stand: 05/2024

Bildnachweise: privat