Interview-Teil 2: Forschungsthema Weltraumpolitik
Interview-Teil 2: Forschungsthema Weltraumpolitik
„Gesetze, Verträge, Governance und Regulation eilen dem technisch Machbaren hinter“
Arne Sönnichsen ist sich sicher: Sozialwissenschaftler:innen haben einen einzigartigen Blick auf die Raumfahrt. Warum es schon längst einen Krieg im All gibt und wo Deutschland und Europa in der Raumfahrt stehen, beschreibt er im zweiten Teil unseres Interviews.
Was für Erwartungen haben Leute, die von Ihrer Arbeit hören?
Hier kommen gerne schon mal Fragen. ob das was mit Star Trek zu tun hat (was ja ein bisschen stimmt). Häufig wird auch angenommen, ich wäre Naturwissenschaftler oder Ingenieur, viele Menschen denken zuerst an diese Disziplinen als an die Sozial- oder Politikwissenschaft.
Kolleg:innen anderer Disziplinen wie z.B. Physik, die in raumfahrtspezifischen Kontexten meist viel häufiger auftauchen, können zunächst oft wenig mit meinen Erkenntnissen anfangen. Da werde ich eher freundlich ignoriert. Die Idee, dass der Weltraum legitimationsbedürftig ist oder dass Staaten eben andere Handlungsrationalitäten verfolgen, geht an diesen Disziplinen gerne völlig vorbei.
Weil der spezifisch politikwissenschaftliche Blick in den Raumfahrtdebatten fast vollständig fehlt, ist meine Arbeit und die meines Netzwerks so wichtig.
Was ist Ihre wichtigste wissenschaftliche Erkenntnis bisher?
Eine zentrale Erkenntnis meiner Forschung ist, dass Gesetze, Verträge, Governance und Regulation stets dem technisch Machbaren hinterhereilen.
Das sehen wir im Bereich der Weltraumpolitik überdeutlich: Wir diskutieren bereits die Rückkehr zum Mond, die Plünderung von Himmelskörpern, den Aufbau von Weltraumsolarkraftwerken und womöglich sogar die Kolonisation des Sonnensystems, haben aber vielfach überhaupt keine rechtlichen Rahmenbedingungen. Diese Debatten dominieren häufig Naturwissenschaftler:innen, Ingenieur:innen und Rechtswissenschaftler:innen. Die ersten zwei Gruppen sind sehr gut darin, dass Naturwissenschaftlich-Technische zu erklären, während die Rechtswissenschaften auf die bestehenden internationalen Verträge und die Inkompatibilität verweisen. Hintenüberfällt, dass die Technologie gerade dem Recht enteilt, dass wir uns jetzt gerade in einem politisch auszuhandelnden Raum befinden, in dem sich Staaten nicht vorschnell durch jedwede regulative Maßnahme behindern lassen wollen. Zugleich wird die Zukunft der Menschheit jetzt gestaltet, aber sie muss eben auch legitimiert werden. Oft dominieren in der öffentlichen Debatte auch zusätzlich Politiker:innen und die Raumfahrtagenturen, die erklären, was wir im Weltraum tun. Das ist nicht falsch, doch die eigentlich politische Debatte, die Legitimierung für diese oder jene politische Entscheidung, wird dann nicht mehr in der Breite diskutiert. Diese Debatte müssen wir stärker in die Öffentlichkeit tragen.
Was passiert, wenn Satelliten angegriffen oder zerstört werden?
Es gibt viele Möglichkeiten, das zu tun. Die offenkundigste wäre z.B. der Angriff mittels Raketen. Die DA-ASAT, das steht für „direct ascent anti satellite“, also boden-, luft- oder schiffsgestützte ballistische Raketen, zerstören ein Objekt allein mit ihrer kinetischen Energie: Bei 30.000 km/h braucht es gar keinen Sprengkopf. Denkbar ist auch ein Angriff mithilfe eines anderen Satelliten, einem so genannten co-orbital ASAT. Hier fliegt ein Satellit zu einem anderen, stört diesen per Laser oder Funkwellen oder schießt Objekte auf ihn. Das erzeugt vor allem viele Weltraumtrümmer. Die sind eine gewaltige Herausforderung für das All, denn wie die ESA einmal errechnet hat, hat ein 1 cm großes Stück Weltraummüll die Sprengwirkung einer Handgranate. Je mehr von diesem Müll entsteht, desto größer wird das Risiko, dass andere Objekte getroffen werden, die wiederum zu Weltraumschrott werden. Dieser Kaskadeneffekt hat manch Experten zufolge schon eingesetzt. Und es wird nicht besser, wenn die Zahl von derzeitig rund 8.800 Satelliten (Stand: 12.09.2023) um viele tausend steigt. Allein seit Ende 2022 sind 2.100 Satelliten hinzugekommen.
Der Test und die Nutzung dieser ASAT Waffen sind zunehmend verpönt, aber leider nicht rechtlich eingeschränkt – Staaten lassen sich hier nicht einhegen. Allerdings ist der strategische Wert in meinen Augen ohnehin zweifelhaft, weil sie niemals alle Satelliten eines Netzwerks schnell und effizient ausschalten können, so weit reichen die Raketen in der Regel nicht, und lediglich die USA könnten mit luft- oder schiffsgestützten ASATs weltweit agieren. Die Gefahr, die Orbits mit space debris zu vermüllen, ist außerdem viel zu groß. Deshalb haben auch mehrere Staaten ein ASAT-Test-Moratorium aufgelegt, initiiert von den USA, und auch Deutschland hat unterzeichnet.
Schwerwiegender sind weniger direkt zerstörerische Angriffe, sondern solche mittels elektronischer Kriegsführung oder Cyberangriffe. Denn diese können heimlich stattfinden, und der negative Effekt für den Angreifer entfällt – es entsteht ja kein Weltraumschrott. Man kann Satelliten bspw. blenden oder ihre Funksignale stören. Oder man schleust schadhafte Codes ein oder greift Daten ab.
Am 24. Februar 2022, am frühen Morgen des russischen Angriffs auf die Ukraine, hat vermutlich Russland den Satellitenbetreiber Viasat mit einem Cyberangriff attackiert, um die Satellitenkommunikation der ukrainischen Regierung zu stören. Dabei wurde nicht der oder die Satelliten angegriffen, sondern die Bodenstation. Zerstört wurden die Modems, die das Signal empfangen und weiterleiten. Der direkte, monetäre Schaden war verhältnismäßig gering, aber der strategische Schaden immens. Das ist für sich schon ein Moment, der hellhörig werden lässt. Auch in Deutschland hatte das konkrete Folgen: Zeitweise konnte ein Betreiber von Windrädern diese nicht mehr steuern, weil sie ebenfalls durch Viasat verbunden sind.
Das Beispiel ist nur ein winziger Einblick, was es bedeutet, wenn die Raumfahrtsysteme nicht mehr so funktionieren, wie wir sie brauchen. Viele Menschen glauben: „Wenn die Navigation ausfällt, ist das nicht so schlimm, ich kenne ja meinen Weg!“ Doch bedeutend mehr Netze sind massiv abhängig von der Weltrauminfrastruktur: Die dezentrale Energieversorgung benötigt diese Netze, ohne würde die Stromversorgung punktuell ausfallen. Navigation würde nicht richtig funktionieren, auch Kommunikation würde zusammenbrechen, der öffentliche Verkehr, ebenso wie die Wettervorhersage, die Finanzmärkte. Kurzum: Das öffentliche Leben würde zum Stillstand kommen. Genau das passierte 2007 in Estland – zwar nicht mit einem Angriff auf die Weltrauminfrastruktur, wohl aber auf die terrestrische Infrastruktur.
Das Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt DLR hat ein eindrückliches Video veröffentlicht: DLR – Ein Tag ohne Raumfahrt Das soll keine Angst machen. Dass alle Systeme auf einen Schlag kollabieren, ist wohl eher unwahrscheinlich. Doch als Gesellschaft müssen wir uns bewusst machen, dass die Raumfahrttechnologie eine kritische Infrastruktur darstellt.
Läuft der Krieg im Weltall parallel zu dem auf der Erde?
Ja. Man sagt, dass der Erste Golfkrieg 1991 der erste „Space War“ gewesen ist, weil erstmals Raumfahrtinfrastrukturen aktiv für militärische Zwecke, also Aufklärung, Kommunikation, eingesetzt wurden. Der Ukrainekrieg seit 2022 ist eine neue Dimension: Erstmals sind Raumfahrtinfrastrukturen, die heutzutage essenziell für Bodenoperationen sind, gezielt angegriffen worden. Der Ukrainekrieg ist damit faktisch der erste Krieg, der auch im Weltraum geführt wird.
Wie wird es mit dem „Krieg im All“ weitergehen?
Einen heißen Krieg im Weltraum werden wir auf absehbare Zeit wohl eher nicht erleben. Dafür sind die Auswirkungen auf die Nutzbarkeiten der Orbits etwa durch Weltraummüll viel zu groß, als dass sich das irgendein Staat leisten kann. Was gerade stattfindet, ist eine passive Militarisierung, durch die Gründung von Weltraumstreitkräften, durch Überwachung usw. Wir erleben – auch wenn ich bei der Verwendung des Begriffs zurückhaltend bin – eine Art Space Race 2.0. Die USA und China verfolgen ihre Mondambitionen durch eigene Projekte und ihre Verbündete: die USA mit ihren Artemis Accords, China mit dem ILRS (International Lunar Research Station). Der geopolitische Konflikt um die Technologieführerschaft im Weltraum wird uns weiter begleiten. Hier gilt es zu hoffen und dafür zu sorgen, dass der Konflikt nicht eskaliert.
Was muss Deutschland tun, um mit den Weltraumnationen mithalten zu können bzw. um sich zu schützen?
Deutschland und auch Europa haben sehr lange die strategischen Implikationen der Raumfahrt ignoriert. Hier bewegt sich gerade eine Menge: Die EU hat soeben ihr Projekt IRIS² zur sicheren Konnektivität, Flexibilität in der Beschaffung, eine EU-Raumfahrt- und Verteidigungsstrategie und ein EU-Weltraumgesetz vorgestellt bzw. angekündigt
Deutschland hat erstmals wieder eine Raumfahrtstrategie und plant ein Raumfahrtgesetz und eine Weltraumsicherheitsstrategie. Deutschland hat im September 2023 auch die US-amerikanischen Artemis Accords – mit einer wichtigen Zusatzerklärung – unterzeichnet.
Es passiert also vieles, auch wenn einige der Ziele wenig konkret formuliert sind und das um 15% geschrumpfte nationale Raumfahrtbudget kritisch zu sehen ist.
Was raten Sie?
Aus meiner Sicht sollte Deutschland seinen Weg beibehalten und auf die Schaffung international bindenden Rechts hinwirken. Wünschenswert wäre darüber hinaus, die Ziele noch schärfer zu formulieren und wie sie erreicht werden können. Ohne eine Debatte um das zur Verfügung stehende Budget wird das kaum möglich sein.
International wäre aus meiner Sicht mehr Selbstbewusstsein in Sachen Raumfahrt angemessen. Deutschland und Europa sind wichtige Raumfahrtakteure, ohne die ESA würde die amerikanische Rückkehr zum Mond „Artemis“ gar nicht fliegen, denn Europa liefert das ESM, das European Service Modul. Europa könnte auch mit eigenen Ideen, etwa der eines „Moon Village“ punkten. Sie sollten ihren wissenschaftsdiplomatischen Ansatz weiterverfolgen und auch an die Länder des Globalen Südens denken. Und was wir für eine strategische Autonomie ebenfalls benötigen, ist ein eigenes Raumfahrzeug, um eigenständig Astronaut:innen befördern zu können. Wir setzen zwar stark auf eigene Launcher, aber eigene Raumschiffe, darüber denken wir offenkundig gar nicht nach. Wir fühlen uns als Juniorpartner ganz wohl.
Von Cathrin Becker.
Stand: 05/2024
Bildnachweise: privat