Projektbeschreibung

Den Ausgangspunkt des auf Bayern in der Zeit zwischen ca. 1570 und 1770 bezogenen Teilprojektes bildet die These, dass vormoderne Verwaltungen organisationelle Kulturen mit überpersonalen Strukturen aufweisen, die sich einem steuernden Zugriff auch von herrschaftlicher Seite entziehen, und die Basis administrativen Handelns bilden. Im Unterschied zu älteren, oftmals stark normorientierten Forschungsansätzen, werden in dieser Arbeit die innere Praxis von Verwaltungen und systeminhärente Funktionsweisen wie Sinnzuschreibungen und die administrative Interpretationspraxis analysiert.

Durchgeführt wird die Untersuchung anhand der für das Territorium seriell überlieferten Quellen zur landesherrlichen Visitation, einem Verwaltungsverfahren, das trotz seiner epochenspezifischen Bedeutung auch in anderen Territorien bisher kaum untersucht worden ist. Die Akten aus den Mittelbehörden Burghausen, Landshut und Straubing wurden für die Zeit zwischen 1570 und 1770 komplett gesichtet und repräsentative Unterbezirke seriell ausgewertet. Zudem wurde die Überlieferung der Oberbehörden zur landesherrlichen Visitation gesichtet.

Die Durchführung der Arbeit baut auf der Annahme auf, dass die an der landesherrlichen Visitation beteiligten Verwaltungen mit dem Schriftgut zum Verfahren explizite und implizite, intendierte und unintendierte Informationen transportierten. Die Analyse des Materials gibt so Einblick in den Ablauf des Verfahrens selber, aber auch in administrative Funktionsweisen, die sich am Verfahren exemplarisch zeigen. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen nicht einzelne oder summierte Handlungen und Aussagen, sondern das Feld an Handlungs- und Aussagemöglichkeiten. Diese Betrachtung lässt tiefere Erkenntnisse über die vom kulturellen Kern von Verwaltungen bestimmten Funktionsweisen zu, als der Versuch, Agenden von Akteuren zu analysieren.

Die Relevanz des Projekts ergibt sich aus zwei Beschäftigungsfeldern: Erstens der Untersuchung der bisher kaum von der Forschung berücksichtigten Mittelbehörden, sowie der wissenschaftlichen Einordnung der spärlich bis gar nicht genutzten, überaus reichhaltigen Quellenbestände zur landesherrlichen Visitation. Zweitens soll die Arbeit das wissenschaftliche Verständnis des vormodernen Verwaltungshandelns jenseits des Absolutismusparadigmas erweitern helfen: Die komplexe, kaum beleuchtete Praxis der formal-hierarchisch organisierten Verwaltungsinstitutionen.