Stand der Arbeiten des DFG-Projekts „Evaluation der regionalen Krankenhausversorgung anhand eines bundesweiten kleinräumigen Mikrosimulationsmodells“

Prof. Dr. Rainer Schnell, Dr. York Leschber & Severin Weiand
Stand: 6. Februar 2025

Ziel des Projekts ist die Evaluation und Optimierung der Versorgungsleistung des Rettungsdiensts bei Notfällen mithilfe einer Mikrosimulation. Als zentrales Szenario wird die Konzentration auf wenige Krankenhäuser mit hoher Versorgungsqualität und der verstärkte Einsatz von Rettungshubschraubern (RTH) betrachtet.

Vorgehen

Für das Projekt wurde zunächst eine synthetische Population erzeugt. Die Population basiert auf den Gitterzellenergebnissen des Zensus 2011 des Statistischen Bundesamtes. Jeder der 80,3 Millionen Einwohner Deutschlands (nach dem Zensus 2011) ist in der Population mit seinem Alter, seinem Geschlecht und der Geokoordinate (auf 100 * 100 Meter genau) durch einen Eintrag repräsentiert.

Der  zweite Schritt besteht in der Zuweisung der relativen Risiken für einen medizinischen Notfall zu jeder der simulierten Personen. Das Statistische Bundesamt verfügt über einen Datensatz der Abrechnungen stationärer Krankenhausleistungen (DRG, Diagnosis Related Groups). Für eine Reihe von relevanten Diagnosen für demografische Subgruppen haben wir die relativen Häufigkeiten einer entsprechenden Diagnose innerhalb eines Jahres berechnet. Für die synthetische Population des Schritts 1 wurden diese relativen Risiken den simulierten Personen zugewiesen.

Im dritten Schritt wurde versucht, die Einsatzprofile der in Deutschland vorhandenen Rettungshubschrauber als Mikrodatensatz (Ort, Zeit und Dauer jedes Einsatzes) zu erhalten. Aufgrund der föderalen Struktur Deutschlands und der überwiegend privatwirtschaftlichen Organisation der Luftrettung erwies sich der Zugang zu diesen Daten als außerordentlich schwierig. Nach zwei Jahren liegen weiterhin nicht alle Daten vor, dies ist Gegenstand laufender Bemühungen.

Im vierten Schritt wurde versucht, die flugmeteorologischen Bedingungen für jeden Standort eines Helikopters und für jeden Tag und für jede Uhrzeit zu bestimmen. Als Proxy wurden hierfür die „General Aviation Forecasts“ (GAFOR) des Deutschen Wetterdiensts verwendet.

Im fünften Schritt erfolgt die Optimierung der Standorte.

Optimierung der Standorte

Hierzu wurde zunächst die Bevölkerungsabdeckung durch die existierenden Standorte simuliert. Das vereinfachte Vorgehen des derzeitigen Demonstrators besteht aus folgenden Schritten:

  1. Bestimmung des nächsten Helikopterstandortes für jede der etwa 3,18 Millionen bewohnten Kacheln.
  2. Berechnung der Anzahl der Personen, die außerhalb eines 40-km-Radius wohnen.
  3. Minimierung der Anzahl der ausgeschlossenen Personen durch Verschiebung der Standorte.

Die  Minimierung wurde mit Python durchgeführt (Bibliothek nlopt, „Bound Optimization by Quadratic Approximation“ (BOBYQA)).

Beispielrechnung

 Die folgende Abbildung zeigt die Verteilung der RTH-Standorte zu Beginn der Optimierung  (Klicken Sie auf das Bild für eine größere Darstellung):


Startkonfiguration

Dann wird die Anzahl Personen, die außerhalb eines 40-km-Radius wohnen, minimiert. Die Iterationen sehen folgendermaßen aus (Klicken Sie auf das Bild für eine größere Darstellung):


Minimierungsvorgang

Das Ergebnis sind die folgenden Positionen (Klicken Sie auf das Bild für eine größere Darstellung):


Endzustand

Die  Verschiebung der Standorte beträgt im Mittel nur 16 km (mit einer Ausnahme von 245 km: Die in der Startkonfiguration eng beieinander liegenden Standorte Mannheim/Ludwigshafen werden zu einem Standort zusammengefasst und die Kapazitäten genutzt, um einen neuen Standort (im Sauerland) zu etablieren). Die Verteilung der Verschiebung zeigt die folgende Abbildung (Klicken Sie auf das Bild für eine größere Darstellung):


Ausmaß der Verschiebung der Standorte durch die Optimierung in Kilometern

 Der Effekt auf die durch die Verschiebung abgedeckte Population ist aber bedeutsam.

Die folgende Abbildung zeigt die geschätzten Häufigkeiten (genauer: die Kerndichteschätzungen) der Entfernungen zwischen der Bevölkerung (basierend auf der Mikropopulation des Zensus) und den Standorten von Rettungshubschraubern (RTH) sowie Dual-Use-Hubschraubern (DUH):


Verteilung der durch die verschiedenen Standortpositionen versorgten Bevölkerung: rot = Ist-Zustand, blau = Minimierung der Distanzen, grün = Minimierung der Bevölkerung, die außerhalb 40 km Entfernung eines Standortes liegt.

Berücksichtigt wurden 67 Hubschrauberstandorte (nicht berücksichtigt wurde der RTH Air Rescue 3, der von Luxemburg aus die Westpfalz bedient). Auf der x-Achse ist die Entfernung in Kilometern dargestellt, auf der y-Achse die Dichtefunktion für den jeweiligen Entfernungsbereich.

Rote Linie
Zeigt die Verteilung der Entfernungen basierend auf den aktuellen Standorten der RTH/DUH.
Grüne Linie
Zeigt das Ergebnis der Optimierung, die die Anzahl der Personen, die mehr als 40 km von einem Hubschrauber entfernt leben, minimiert.
Blaue Linie
Resultiert aus einer Optimierung, die darauf abzielt, die Summe der Entfernungen zwischen Hubschrauber- und Einwohnerstandorten zu minimieren.

Im derzeitigen Standortmuster (rote Linie) leben etwa 11,5 Millionen Menschen weiter als 40 km von einem Hubschrauberstandort entfernt.

Die Optimierung, die durch die blaue Linie dargestellt wird, reduziert diese Zahl auf ca. 8 Millionen Personen (etwa 30 % Reduktion zur Ausgangsmenge). Die Optimierung, die durch die grüne Linie dargestellt wird, erreicht eine noch stärkere Reduzierung auf etwa 6,5 Millionen Personen (etwa 43 % Reduktion zur Ausgangsmenge).

Zusammenfassung

Schon die hier berichteten ersten Simulationen lassen erkennen, dass die derzeitige Allokation der Hubschrauber suboptimal ist. Die historisch gewachsenen Standorte, die nicht zuletzt durch föderale Erwägungen gewählt wurden, führen nicht zu einer optimalen Versorgung der Bevölkerung. Ohne zusätzliche Hubschrauber oder eine Ausweitung nächtlicher Einsätze ließe sich durch eine an der tatsächlichen Bevölkerungsverteilung orientierte Bestimmung der Standorte der Anteil der Bevölkerung, die nicht innerhalb von 12 Minuten reiner Flugzeit erreichbar ist, auf ca. 8 % der Bevölkerung senken. Derzeit sind es etwa 14 %. 

Ausblick

Das Projekt wird sich nun der genaueren Modellierung der Bevölkerung, insbesondere der Altersstruktur,  widmen. Weiterhin werden Verkehrsunfälle in die Simulation einbezogen. Die zu erwartenden Konsequenzen der Optimierung werden nicht nur in Flugminuten und abgedeckter Bevölkerung umgerechnet, sondern auch in leichter verständliche medizinische Größen, wie z.B. vermeidbare Todesfälle. Die Simulation wird weiterhin einen Vergleich der Helikopter mit der Bodenrettung pro simulierten Einsatz enthalten. Schließlich werden die meteorologischen Bedingungen berücksichtigt. Die Abschlusspublikationen sind für den Sommer 2026 vorgesehen.

Forschungsfinanzierung

Das Projekt „Evaluation der regionalen Krankenhausversorgung anhand eines bundesweiten kleinräumigen Mikrosimulationsmodells“ ist ein von der DFG-gefördertes Teilprojekt (Projektnummer 316511172) der Forschungsgruppe Sektorenübergreifendes kleinräumiges Mikrosimulationsmodell (MikroSim) (FOR 2559). Antragssteller des Teilprojekts ist Prof. Dr. Rainer Schnell.