FAZ-Interview (2008-08-23)
Im Gespräch: Klaus Krumme, Geschäftsführer des Zentrums für Logistik und Verkehr an der Uni Duisburg-Essen „Unvergleichlich gute Voraussetzungen"
Herr Krumme, der Logistiksektor ist im Aufwind …
Absolut! Die Branche wächst in Deutschland momentan pro Jahr um rund sechs bis sieben Prozent. Damit hat die Logistik derzeit hinter den Branchen Handel und Automobil den dritten Platz in Deutschland inne – und es ist noch keine Stagnation abzusehen.
Was bedeutet das für den Arbeitsmarkt?
Die Nachfrage nach Fachkräften wird weiterhin steigen. Wenn man bedenkt, dass schon der jetzige Bedarf kaum gedeckt werden kann, bedeutet dies eine große Herausforderung. Nach einer aktuellen Studie der TU Berlin fehlen der Branche derzeit jedes Jahr rund 5000 Akademiker. Diese Lücke muss in Zukunft geschlossen werden, vor allem angesichts des starken Wandels, den die Branche aktuell erfährt.
Können Sie das genauer beschreiben?
Die Logistik wird in Zukunft eine völlig neue Rolle einnehmen. Sie ist schon jetzt nicht mehr nur Transportorganisator, sondern bündelt verschiedenste Prozesse, von den Waren- und Informationsströmen über Energie- und Finanzflüsse bis hin zur Personenmobilität. In Zukunft werden komplexe Entscheidungen über logistische Prozesse in selbststeuernden Systemen viel flexibler getroffen werden, als es momentan der Fall ist. Hochqualifiziertes Personal ist dafür unverzichtbar: Nur so kann die Branche immer wieder Innovationen hervorbringen.
Um diesem Anspruch gerecht zu werden, müssen die Bewerber entsprechend ausgebildet sein. Wie sieht es damit entlang der Ruhr aus?
Wir haben hier unvergleichbar gute Voraussetzungen. Das gilt schon für die einzelnen Studien- und Ausbildungsstandorte, aber erst recht mit Blick auf die regionale Bündelung dieser Einrichtungen, die ja durch den partnerschaftlichen Zusammenschluss im Logistikcluster Metropole Ruhr weiter voranschreitet. Die Uni Duisburg-Essen hat sich übrigens erst kürzlich zum zweiten Mal im größten Logistikkompetenzwettbewerb der Studierenden, dem Logistik-Masters Wettbewerb, gegen 189 andere Hochschulen Europas durchgesetzt.
Warum ist die Kombination von Logistik und IT für die Zukunft so bedeutend?
Dass sich Logistik mit IT beschäftigt, und umgekehrt, ist an sich nichts Neues, weder in der Ausbildung, noch in Forschung oder Praxis. Neu ist aber, der Grad der Verschmelzung zu integrierten Logistik- und IT-Designs, zum Beispiel in so genannten serviceorientierten Architekturen. Höhere Stabilität erreichen wir nur durch größere Flexibilität: Wir müssen hochdynamische, sich selbst organisierende Informationssysteme anbieten, die den globalisierten und ebenso dynamischen Güter- und Informationsströmen gerecht werden können. Die Welt stellt uns schlicht vor die Herausforderung ihre tatsächliche Vielfalt abzubilden um wirtschaftlich nachhaltig handeln zu können. Die Synergie aus Logistik und IT baut die Systeme, die dezentralisiert komplexe Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt und zur passenden Anforderung erlauben.
Können sie uns ein Beispiel für diese Innovationen geben?
Eines der Leitprojekte des Clusters wird beispielsweise die so genannte Logistics-Mall sein, eine virtuelle Welt nach dem Prinzip vernetzter Dienstleistungen, in der erstmals verschiedene Logistik-Services für die Branche zusammengeführt werden: Der Kunde kann sich hier die gewünschten Dienstleistungen aussuchen und sie miteinander kombinieren, ganz nach seinem Bedarf. Andere widmen sich innovativen Algorithmen zur Verkehrssteuerung, der Entscheidungsunterstützung in der Automobilproduktion oder grenzübergreifenden Finanztransaktions- und Governancekonzepten für logistische Netze. Insgesamt gibt es zwölf sogenannte Leitprojekte innerhalb des Logistik-Clusters. Sie alle sind von hoher Innovationskraft und werden in Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft entwickelt.
Und das Ruhrgebiet eignet sich als Innovationsstandort?
Ja. Das Ruhrgebiet ist eine Region des dynamischen Wandels. Ein gutes Beispiel für diese Veränderungen ist der äußerst erfolgreiche Duisburger Logport, der sich auf dem Gelände des alten Stahlwerkes Duisburg-Rheinhausen angesiedelt hat. Von besonderer Bedeutung sind aber auch die Menschen und Kompetenzträger in der Region: Sie sind es gewohnt, den Wandel mitzuvollziehen und ihn selbst voranzutreiben. Und wenn irgendetwas charakteristisch für die Logistik der Zukunft ist, dann sind es hohe Dynamik und Komplexität. Zudem gilt: Ohne Spitzenforschung ist Innovation undenkbar. In seiner breiten Interdisziplinarität ist das Zentrum für Logistik und Verkehr weltweit einmalig. Unser Partner vom Fraunhofer Institut sind dazu bekannte Größen in der Industrieforschung.
Inwiefern sind die so genannten Megatrends, wie zum Beispiel demografischer Wandel oder Klimawandel, für Sie von Bedeutung?
Solche Zukunftsthemen, die so gut wie alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche betreffen, stehen auf unserer Agenda natürlich ganz oben. Allerdings geht es uns dabei nicht nur um die Folgen, die diese Entwicklungen für die Branche haben. Vielmehr fragen wir uns, welche Rolle die Logistik für die Lösung derartiger Probleme spielen kann. In der Ressourcen- und Energieeffizienz zum Beispiel kann die Logistik wichtige Strategien anbieten. Auch hier zeigt sich der Wandel der Logistik: weg von der eigentlich Transport- oder Speditionslogistik, hin zu einem umfassenden Organisator von komplexen Prozessen in Wirtschafts- und Lebenssystemen.