Afghanistan, Irak... Friedensforscher Hippler hält es nicht am Schreibtisch
Angst? Die habe ich öfter!
- von Ulrike Bohnsack
- 12.07.2017
Jochen Hippler lebt mit zwei Granatsplittern im Kopf. Trotzdem reist der Friedensforscher immer wieder in gefährliche Regionen.
„Pakistan ist eins meiner Lieblingsländer.“ Jochen Hippler sagt dies so selbstverständlich, wie andere über ihr Urlaubsziel sprechen. Fast 40 Mal war er schon dort. Afghanistan, Irak, Iran, Syrien und den Libanon kennt er ebenfalls gut – nicht nur als Krisenherde, die regelmäßig Schlagzeilen machen. Auch deswegen werden seine Analysen geschätzt.
"Ich befasse mich mit allem, was explodieren kann"
Gerade ist Hippler zurück aus Palästina, wo er für das Auswärtige Amt war. Friedensforscher ist er – ein Beruf, der positiv klingt und doch viel Grausames hat: „Krieg, Aufstände, Terrorismus – ich befasse mich mit allem, was explodieren kann. Frieden kommt dabei sehr kurz.“
Hippler, anthrazitfarbener Anzug, lässiges Hemd, lehnt in seinem Stuhl; abgeklärt wirkt der 62-Jährige, jung trotz graumeliertem Haar und Bart. Man kann ihn sich gut vorstellen unterwegs in Regionen, wo die Menschen arm, Strom und Wasser knapp sind, wo Fremde selten hin- und Konflikte häufig vorkommen.
Wie erleben die Menschen Krieg?
Freundlich blickt er durch seine Brille, und wenn er erzählt, wie er in Duisburg-Marxloh aufwuchs, studierte, sich später auf die US-Außenpolitik spezialisierte, dann spricht er mit warmer, fester Stimme. Als Jugendlicher wollte er dazu beitragen, dass sich Geschichte nicht wiederholt, als Politikwissenschaftler suchte er ein möglichst kompliziertes Forschungsfeld, „das auf Jahrzehnte heiß bleibt.“ Es sind der Nahe und Mittlere Osten sowie Südasien geworden.
Er will helfen zu verstehen, warum diese muslimisch geprägten Regionen jetzt in Gewalt versinken. „Dazu gehört für mich auch, sich der Realität direkt auszusetzen“, sagt der Experte. „Krieg prägt die Menschen. Wenn man ihr politisches Verhalten analysieren will, muss man selbst nachvollziehen können, wie sie sich fühlen.“ Also besucht er umkämpfte oder zerstörte Gebiete, interviewt Leidtragende, Verantwortliche und Mitläufer.
Mit der Kamera unterwegs
Ruhig, beinahe gelassen sitzt er da und erzählt – von dem Abend an der afghanischen Grenze, als er in einer Lehmhütte mit dessen Besitzer stundenlang philosophierte, warum er sich in arabischen Slums meist sicher fühlt, wie er auf Basaren immer wieder zum Tee eingeladen wird und ihn die Gespräche mit den Menschen bereichern. Vieles hält er mit der Kamera fest. Es sind berührende, schöne, befremdliche Bilder. 20.000 dürften es mittlerweile sein, schätzt der Friedensforscher.
Oft muss er professionell sein wie ein Politiker. Gaddafi hat er getroffen, einige Minister Saddam Husseins, enge Gefolgsleute oder den Lehrer von Taliban-Chef Mullah Omar „und andere mir zutiefst unsympathische Personen. Aber um zu verstehen, wie diese Leute ticken, müssen meine Gefühle zurückstehen.“
Das geht nicht immer. Jochen Hippler kennt den grauenvollen Anblick von Schlachtfeldern und hat erlebt, wie Menschen getötet werden. Wie man das verarbeitet? „Ich weiß es selbst nicht. Es wäre wohl komisch, wenn ich keine psychische Macke davon getragen hätte.“
Wichtig: Der Tipp des Taxifahrers
Seit 1988 stecken zwei Granatsplitter in seinem Kopf. Bei einem Raketenangriff in Afghanistan wurde er verletzt. Ein Abenteurer sei er keinesfalls, stellt Hippler klar. „Ich wäge vorher die Gefahr ab, lasse mich beraten – oft ist der Tipp des Taxifahrers genauso wichtig wie der von Sicherheitsleuten.“ Fast nie ist er mit Bodyguards unterwegs, dafür mit Einheimischen und in alten Autos; in manchen Gegenden wechselt er jeden Abend das Hotel. Ist er furchtlos? „Nein. Angst, die habe ich öfter, aber ich reagiere sehr rational.“ Gläubig? „Gott ist mir wurscht.“ Nur für seine Analysen spielen Religionen eine Rolle.
Kriege, meint er, haben einen anderen Charakter bekommen, sind brutaler als früher – denn sie kommen aus der Gesellschaft heraus; „Oft ist die Bevölkerung Opfer und Täter zugleich, das macht eine Versöhnung schwieriger.“
Wichtig findet Jochen Hippler seine Arbeit, nicht frustrierend. Das viele Reisen, manchmal wochenlang, möchte er nicht missen – wenngleich er eigentlich seßhaft ist. „Ich brauche den Kontrast verschiedener Welten, um mich wohlzufühlen. Hier in Duisburg“, sagt er mit einem Lächeln, „bin ich zuhause.“ (ubo)
Zur Person:
Privatdozent Dr. Jochen Hippler (62) ist seit 17 Jahren Wissenschaftler am Institut Entwicklung und Frieden (INEF). Er forscht zu politischen Konflikten und Gewalt im Nahen und Mittleren Osten sowie Afghanistan und Pakistan. Dabei interessieren ihn auch die religiösen wie ethnischen Hintergründe und die Rolle des Westens. Hippler berät Politik und Regierungen und gibt das jährliche Friedensgutachten mit heraus. Der Duisburger, der begeistert fotografiert, ist mit einer Iranerin verheiratet.
jochenhippler.de; hippler-fotos.de
Zum Weiterlesen:
Hippler, Jochen: Islamistischer Terrorismus in Europa, in: Friedensgutachten 2017, friedensgutachten.de
im Bild (oben):
Am Sufi-Schrein von Lal Shehbaz Qalandar in Sehwan/Pakistan: Jochen Hippler (r.) wird vom Pir, dem spirituellen Führer, begrüßt. Das Heiligtum wurde später zweimal durch eine Bombe schwer beschädigt, zuletzt im Februar dieses Jahres; dabei starben 88 Menschen.