Beim Jahrestreffen der Europäischen Rechten im Januar in Koblenz beschworen sie das Jahr der Patrioten: Frauke Petry (AfD), Marine le Pen (Front National), Matteo Salvini (Lega Nord) und Geert Wilders (Partij voor de Vrijheid).
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Warum Populisten europaweit erstarken

Gekommen, um zu bleiben

  • von Ulrike Bohnsack
  • 12.07.2017

Die EU schwächelt, Populisten haben Zulauf. Wie das zusammenhängt, erklärt Michael Kaeding. Er ist Professor für Europäische Integration und Europapolitik.

Anfangs hoffte man auf ein Gespenst, das wieder verschwindet. Doch es lässt sich nicht verscheuchen: Extreme und populistische Parteien – rechts wie links – haben sich in der EU breit gemacht; sie sitzen in fast allen nationalen Parlamenten – ebenso in Brüssel.

Egal, wo in den letzten Jahren gewählt wurde, stets feierten vor allem Rechtsextreme und Rechtspopulisten Erfolge. In Österreich und Frankreich waren FPÖ bzw. Front National kurz davor, den Präsidenten zu stellen. In den Niederlanden überraschte Geert Wilders damit, dass seine „Partij voor de Vrijheid“ doch nur auf 14 Prozent kam. Und niemand zweifelt daran, dass die AfD im Herbst in den Bundestag einziehen wird. Ungewiss ist lediglich, mit wie viel Prozent.

Europa schwächt sich

„Wir sind in einem Stadium, wo es Rechten selten gelungen ist, die absolute politische Macht zu erlangen. Aber das wird kommen. Neben Norwegen und Finnland in Zukunft auch in Bulgarien und Österreich“, steht für Michael Kaeding fest. Er sieht eine große politische Unruhe.

„In etlichen Ländern gab und gibt es Regierungskrisen und dadurch vorgezogene Neuwahlen, etwa in Tschechien, Finnland oder in Bulgarien. Extreme politische Kräfte sind die Nutznießer. Sie gehen dabei höchst opportunistisch vor.“

Das muss alarmieren. Hat die EU nicht eine Grundrechtecharta? Hat sie nicht gemeinsame Werte, die in Artikel zwei des Lissabon-Vertrags definiert sind, darunter Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit, Toleranz, Pluralismus? „Richtig, jedes Mitglied bekennt sich nicht nur dazu, es verpflichtet sich sogar, diese aktiv zu fördern“, erinnert der Experte. „Doch davon ist in einigen Ländern – wie in Polen, Rumänien und Ungarn – keine Rede mehr.“ Lebe die EU aber nicht das, was sie von anderen in der Welt einfordere, schwäche das ihre Rolle.

Ein Chor schriller Stimmen

Populistische, nationalistische und extreme Parteien gehören in allen Mitgliedsstaaten zum politischen Spektrum: Fidesz, Jobbik (beide Ungarn), Goldene Morgenröte (Griechenland), Wahre Finnen (Finnland), PiS (Polen), UKIP (Vereinigtes Königreich) oder die Fünf-Sterne-Bewegung (Italien), Podemos (Spanien), Linksblock (Portugal) – die Liste lässt sich fortschreiben.

Viele haben es zudem ins EU-Parlament geschafft; drei der insgesamt acht Fraktionen in Brüssel zählen gar zum rechten Rand. „Sie verfügen über eine Zahl an Sitzen, mit der sie die Entscheidungsfindung empfindlich stören könnten “, so Kaeding. „Das schaffen sie nicht, weil sie unkoordiniert sind und inhaltlich sehr wenig teilen. Sie sind ein Chor verschiedener Stimmen, eine schriller als die andere.“

Die einen sehen die nationale Souveränität gefährdet, die anderen eher die nationale Identität; ein Teil ist euroskeptisch und wünscht „nur“ Reformen – wie die Tories in England –, manche befürworten den EU-Austritt, etwa die FPÖ oder Marine Le Pen. Ihr Front National ist rassistisch, die Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo nicht gegen alle Ausländer; gewaltbereit sind wiederum Goldene Morgenröte oder Jobbik. Der Forscher betont: „Die eine rechtspopulistische Partei gibt es nicht. Es existieren viele Abstufungen, auch in der Rhetorik.“  

Vertrauensverlust

2014 bei der letzten Europawahl hat vor allem die Wirtschaftskrise beide Richtungen beflügelt: So gingen die Linkspopulisten gestärkt in jenen Staaten hervor, die unter den Rettungsschirm mussten bzw. knapp davor waren – Irland, Portugal, Griechenland oder Spanien. Dafür feierte Rechtsaußen in den Triple A–Ländern Erfolge, siehe Deutschland, Niederlande, Österreich und Dänemark. „Oft wählen Menschen das eine wie das andere aus Angst, ihren Status Quo einzubüßen bzw. sozial abzustürzen.“

Viele Wahlmotive sind mit den Aspekten Souveränität und Identität verknüpft, so Kaeding. Dazu gehören die großen Themen Wohlstandschauvinismus, Migration, Islam und Sicherheit. Manche Wähler/innen haben nicht nur das Vertrauen in die Politik verloren – sei es national oder durch Brüssel –, sondern fühlen sich ihr ausgeliefert. Diese Anti-Establishment-Stimmung hat neue Parteien entstehen lassen.

Wer wählt extrem?

„Die Muster sind in Europa ähnlich“, sagt Professor Kaeding. Nicht nur Ältere, viele junge Menschen stimmen für Rechts- bzw. Linksaußen. Auf dem Land tun sie das eher als in der Stadt. Außerdem spielen individuelle Faktoren eine Rolle: Hat man Arbeit, wie ist der Bildungsgrad? „Grundsätzlich sind es häufig die sogenannten Modernisierungsverlierer, die zur Wahl extremer Parteien tendieren."

Auch das zieht sich durch alle Mitgliedsstaaten: Extreme Parteien profitieren von Protestwählern und gewinnen sie über alle Lager hinweg. Ebenso unter Nichtwählern. „Die AfD behauptet deshalb, sie sei demokratiefördernd, weil sie mehr Menschen mobilisiere, an die Urne zu gehen.“ Dieser Zusammenhang lässt sich statistisch nicht halten, stellt der Politikwissenschaftler klar. „Vielmehr nutzt den Links- und Rechtspopulisten oft eine geringe Wahlbeteiligung. Wenn sie steigt, so wie jetzt, haben es diese Parteien wieder schwerer.“

Demokratie in Gefahr?

Anderer Meinung zu sein, gehört zu einer pluralistischen, freien Gesellschaft. Also muss man sich inhaltlich auseinandersetzen, findet Michael Kaeding – was nicht bedeutet, alles zu tolerieren: „Die Debatte muss auf Basis der Verfassung geführt werden, das heißt für die Bundesrepublik: des Grundgesetzes. Für die EU hingegen wird es da schon schwieriger, denn ihre Instrumente sind begrenzt. Man kann beispielsweise keine Parteien verbieten.“

Hinzu kommt: Die EU ist geschwächt – Wirtschaftskrise, Brexit, steigender Populismus... Man braucht die Unterstützung aller 28 Mitglieder, um nicht auseinanderzubrechen. Kann sie da wagen, wegen der europäischen Werte einzelne Länder zu verprellen? „Wenn Ungarn oder Polen austräte, wäre das eine absolute Katastrophe“, meint der EU-Kenner. So bleiben auch Machtspiele nicht aus. „Viktor Orbán ist zwar ein Problem; doch seine Partei, die mit der CDU in einer Fraktion sitzt, ist auch ein Mehrheitsbeschaffer. Gucken Sie doch mal auf unsere Seiten VoteWatch*. Wie haben die Abgeordneten aus NRW wohl bei der Resolution gestimmt, damit Ungarns Rechtsstaatlichkeit überprüft wird?“

Das neue Europa-Gefühl

Schwarzmalen will der überzeugte Europäer dennoch nicht. „In Frankreich hat Macron einen pro-europäischen Wahlkampf geführt und gewonnen. Auch in Deutschland findet eine klare Mehrheit den Staatenbund gut; europaweit gehen sogar viele Menschen dafür auf die Straße“, weist Kaeding auf die Bürgerinitiative Pulse of Europe hin.

Man sollte nicht müde werden, auf das zu blicken, was wir Europäer teilen, findet er. Allzu oft werde vergessen, dass viele Errungenschaften nicht selbstverständlich sind. Man rede lieber über die Probleme als über die Erfolge: Reisen ohne Grenzkontrollen im Schengen-Raum, keine Roaming-Gebühren mehr, einheitliche Handy-Ladegeräte – auch das sei die EU, neben 70 Jahre Frieden, freien Wahlen, einem geeinten Kontinent, sozialen Standards und dem weltweit größten Wirtschaftsraum. „Ich war jetzt länger als Dozent an einer türkischen Uni. Dort reden die Kollegen nicht mehr miteinander, weil die Menschen sich nicht vertrauen.“

*udue.de/votewatch

 

zur Person:
„Ich möchte den Prozess der europäischen Integration, die Gestaltung der Europapolitik und den Einfluss auf die Mitgliedsstaaten kritisch konstruktiv begleiten und erklären“, sagt Professor Dr. Michael Kaeding (40). Er ist Inhaber eines Jean Monnet-Lehrstuhls an der UDE und forscht bzw. unterrichtet regelmäßig an Instituten in Maastricht und Brügge. Gerade eingeworben hat er das Projekt SEnECA – Strengthening and energizing EU-Central Asia relations. twitter.com/MichaelKaeding

 

im Bild (oben):
Verneigen vor Europa? Im Gegenteil. Im Januar bei der Tagung der europäischen Rechtspopulisten beschimpften Frauke Petry (AfD), Marine le Pen (Front National), Matteo Salvini (Lega Nord) und Geert Wilders (Partij voor de Vrijheid) die EU als Tyrannei.

 

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