© Frank Preuß

Multitasking trainieren

Da kommt Bewegung ins Gehirn

  • von Cathrin Becker
  • 15.12.2017

Treppensteigen und sich dabei unterhalten – für Kinder und ältere Menschen ist das gar nicht so einfach. Wie man Multitasking trainiert, untersucht Professor Thomas Mühlbauer.

Sich täglich eine Stunde auspowern, bis man schnaubt und schwitzt. Klingt leicht, gerade wenn man Kind ist. Ist es aber nicht – gerade weil man Kind ist. Da sitzt man in der Schule…und sitzt und sitzt. Häufig bis nachmittags.

„Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt Sechs- bis 18-Jährigen, pro Tag 60 Minuten körperlich aktiv zu sein“, erklärt Dr. Thomas Mühlbauer. Das schafft ein Drittel der Kinder und Jugendlichen, meint der Professor für Bewegungs- und Trainingslehre/Biomechanik des Sports. „Der Sportunterricht deckt bloß zwei Tage ab, in der Freizeit muss also noch einiges passieren.“ Dabei ist die Schule der ideale Ort, um ihnen Spaß an Bewegung bei­zubringen. Körperlich aktiv zu sein ist gut für die Gesundheit, aber auch für die schulischen Leistungen. Denn: Bewegung wirkt wie ein Motor fürs Gehirn.

Aktivitätspausen
Strecken, balancieren, auf der Stelle joggen, im Kreis laufen: Alles, nur nicht sitzen – darauf kommt es bei Aktivitätspausen an. Sie werden immer noch zu selten im Unterricht eingelegt. Während sich die Kinder darauf freuen, fürchten Lehrer Unruhe und Eltern Leistungseinbußen, wenn die wichtige Englischstunde für Bewegungsaufgaben unterbrochen wird. „Dabei zeigen Studien, dass die Kinder keine schlechteren Leistungen bringen, nur weil sie sich ein paar Minuten in den so genannten Kopffächern bewegen“, so Mühlbauer. Seine Studierenden wollen es besser machen. Sie nehmen Ideen für Bewegungspausen mit in ihr Praxissemester und merken: Das Konzept geht auf.

Beim Gehen vorwärts rechnen
Spiele wie Reise nach Jerusalem mit Matheaufgaben oder Vokabelecken fordern körperlich und geistig heraus. Allerdings: Wer nicht schnell genug rechnet oder die Vokabel nicht weiß, fliegt aus dem Spiel. In Bewegung kommen also die leistungsstarken, oft ohnehin schon fitteren Kinder. „Besser klappt es mit Aufgaben für alle wie ‚dartfit‘. Statt auf eine Dartscheibe mit Zahlen werfen die Kinder auf Bewegungsaufgaben und führen sie danach aus. Beliebt ist auch ‚vorwärts rechnen und vorwärts gehen‘ oder das Ganze anders herum, also rückwärts“, so der dreifache Vater. „Gerade in Mathe hängen Bewegung und geistige Leistung zusammen. Die Mädchen und Jungen lernen quasi mit der Bewegungsausführung und behalten den Stoff besser.“

Bewegt sich das Kind, verändert sich sein Gehirn. Es wird besser durchblutet und dadurch mehr mit Sauerstoff versorgt. Häufig genutzte Nervenbahnen vernetzen sich stärker, und die Leistungsfähigkeit nimmt zu. Schon kurzes regelmäßiges Laufen etwa fördert die Aufmerksamkeit und das Gedächtnis. Koordinations- und Gleichgewichtsübungen wie Balancieren dagegen begünstigen die Wahrnehmung und die Informationsverarbeitung im Gehirn. Die graue Gehirnsubstanz, die die Hirnfunktionen steuert, wächst. Davon können schulische Leistungen profitieren.

Aus Kindern werden Erwachsene, aus Erwachsenen ältere Menschen. Wie verändert sich dabei die Mobilität? Wie bleiben wir im alternden Deutschland lange geistig und körperlich fit? „Mich reizt es besonders, Lösungen für gesellschaftliche Probleme zu finden“, erklärt Mühlbauer, der in seiner Freizeit gerne joggt und sich mit seinen Kollegen bei Volley- oder Basketball, Hockey oder Tischtennis misst. Sein neuestes Forschungsprojekt beschäftigt sich deshalb mit einer alltäglichen Bewegung, die trotzdem Probleme bereiten kann: dem Gehen.

Multitasking ist im Alltag selten
„Junge Erwachsene sind motorisch fit, sie laufen automatisch, ohne es wahrzunehmen. Kindern und älteren Erwachsenen gelingt dies nicht so gut, da ihre Muskulatur noch nicht stark genug oder bereits zu schwach ist. Werden sie dann noch durch eine weitere Tätigkeit abgelenkt, während sie gehen, kommt es häufig zu Stürzen und Verletzungen.“ Sie sind mit der doppelten Tätigkeit schlichtweg überfordert.  

„Da im Alltag Multitasking wie Treppensteigen und Telefonieren eher die Regel als die Ausnahme ist, sollte es auch geschult werden“, betont Mühlbauer. Aber wie? Seine Idee: eine Wippe. Betritt man sie, wackelt es ordentlich. Es braucht einige Zeit, bis man sich traut, die Hände zu lösen, und das Brett unter den Füßen stabil in die Waagerechte kommt. Es dort zu halten, ist anstrengend, kostet Kraft und Konzentration. Endlich, man steht – und dann noch das: von 587 rückwärts immer drei abziehen. ...584...581... Klingt einfach, ist in der Kombi aber kniffelig. 90 Sekunden können da ganz schön lang werden.

Mühlbauer schickt zwei Gruppen junger Erwachsener auf die Wippe: Die einen balancieren nur, die anderen balancieren und rechnen. Zwei Tage lang wird geübt, am dritten Tag getestet. „Ich möchte herausfinden, ob und wie sich die Aufmerksamkeit verändert, wenn wir sie auf mehrere Dinge gleichzeitig richten.“ Können die Probanden, die körperlich und geistig gefordert waren, am Ende länger ihr Gleichgewicht halten und mehr richtige Rechenschritte erreichen als die Kontrollgruppe? Dann hätten sie gelernt, eine Doppeltätigkeit zu beherrschen. Ge­meis­tert haben das schon 40 Testpersonen. Mühlbauer ist zufrieden. „Wir hatten noch niemanden dabei, der keinen Lernerfolg hatte.“

Multitasking-Parcours
Auch sein Nachwuchs durfte schon auf die Wippe. Aus gutem Grund: Als nächstes sollen sich nämlich Kinder und Ältere im Gleichgewichthalten und Rechnen versuchen. Klappt auch das gut, wollen Mühlbauer und sein Team spezielle Sportprogramme und Parcours entwickeln. In Schulen und Vereinen könnte dann demnächst ein Multitasking-Training auf dem Programm stehen. „Wir denken dabei an ‚Memory auf einem Bein‘ spielen oder Farben, Früchte und Tiere beim Vor- und Rückwärts­gehen aufzählen“, erklärt Mühlbauer. „Haupt­sache, es kommt Bewegung ins Gehirn.“

Zur Person
Für Prof. Thomas Mühlbauer (42) ist Bewegung ein Muss. Er fährt täglich mit dem Rad zur Arbeit. Der Sportwissenschaftler forscht zur Leistungsdiagnostik mit Athleten und zu der Frage, wie Heranwachsende und Erwachsene Bewegungen erlernen und trainieren.

Im Bild (oben):
Professor Mühlbauer und seine Kinder Clara (10), Leonard (9) und Marie (13), zeigen, wie eine Aktivitätspause aussehen kann.

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