© Bettina Engel-Albustin

Zirkusfan Claudius Hoeschen hat seinen Traumjob gefunden

„Wir gehören auch ein bisschen zur Familie“

  • von Cathrin Becker
  • 15.12.2017

Herr Hoeschen, wie wird man eigentlich Lehrer für Zirkuskinder?
Auf dem Nachhauseweg sah ich einen Wagen der „Schule für Circuskinder NRW“. Ich kam mit der Kollegin und ihren Schülern ins Gespräch, und dabei kam heraus, dass man noch einen Lehrer für die Primarstufe suchte. Da habe mich sofort beworben.

Dabei hat Ihr Berufsleben zunächst ganz anders angefangen…
Stimmt! Zu studieren war für mich ein Privileg. Ich war Bühnendekorateur und konnte mit Ende 20 noch einmal etwas Neues ausprobieren, weil meine Familie mich unterstützt hat. Das Studium war nicht immer einfach, manchmal anstrengend – vor allem, wenn man bereits Kinder hat. Es hat sich aber schon deshalb gelohnt, weil ich der Gesellschaft etwas zurückgeben kann.  

Waren Sie eigentlich schon immer ein Zirkusfan?
Ich bin schon immer gerne in den Zirkus gegangen. Heute freue ich mich umso mehr, wenn ich meine Schüler in der Manege auftreten sehe. Mich fasziniert das unkonventionelle Leben der Zirkusleute. Sie haben einen Knochenjob, aber ein großes Urvertrauen und keine Angst. Darin erkenne ich mich ein wenig wieder, mein Lebenslauf ist ja mehr bunt als gradlinig. Den jungen Menschen, die gerade ihr Studium beginnen, kann ich nur empfehlen: Seid gelassen und startet nicht angstbesetzt ins Berufsleben. Man kann aus jedem Job etwas Gutes ziehen. Zu netzwerken ist auch sehr wichtig. Drei meiner Freunde kenne ich aus dem Studium, einer ist jetzt mein Kollege.

Wie sieht Ihr Alltag aus?
Ich fahre an vier Tagen mit meinem mobilen Klassenzimmer zu den Zirkussen, der fünfte Tag ist für die Organisation da. Wenn wir Lehrer nicht vor Ort sind, lernen die Kinder in virtuellen Klassenräumen. Während sie über Lernpaketen brüten, loggen wir uns ein und helfen.
Wir betreuen so aber nicht nur „unsere“ Kinder, sondern auch die Mädchen und Jungen aus NRW, die gerade durch Deutschland und Österreich touren. Außerdem hat jedes Kind ein Schultagebuch, in dem der Leistungsstand und Lernfortschritt dokumentiert wird. Wenn die Zirkusse im Winterquartier sind, begleiten wir die Kinder in die Regelschule vor Ort.

Welche Unterschiede gibt es noch?
Meine Kollegen und ich unterrichten fächerübergreifend und praxisnah. Wir erklären, was die Künstlersozialkasse ist, oder stellen Matheaufgaben am Beispiel Zirkus. Ein Kollege tourt außerdem mit einem Technikmobil und zeigt, wie man Holz bearbeitet, Requisiten baut und Kostüme näht. Wir machen im Winter auch Schulfahrten und bei unserem Sommerfest eine große Zeugnisverleihung in der Manege.

Sind Zirkuskinder anders?
Wenn es um die Schule geht, nicht. Sie sind aber sehr verantwortungsbewusst. Um wirtschaftlich zu überleben, muss die ganze Familie mitziehen. Die Kinder versorgen die Tiere oder studieren erste Nummern ein. Sie wachsen einerseits behütet und liebevoll im Verbund auf, andererseits haben sie immer den Zirkus im Blick. Ich glaube, dass das typisch ist, wenn es keine Trennung von Familie, Leben und Arbeit gibt.  

Würde Sie eine normale Schule noch reizen?
Machen Sie Witze? Ich habe viele pädagogische Freiheiten und arbeite intensiv mit vier bis sechs Kindern. Bei uns bleibt keiner sitzen, und bis zur achten Klasse schreiben wir nur Wortgutachten. Noten gibt es erst danach. Wir nehmen unsere Schüler ab dem fünften Lebensjahr auf und bereiten auf alle Abschlüsse vor, die es auch an Gesamtschulen gibt. Die meisten Kinder bleiben übrigens danach dem Zirkus treu. Sie sind stolz darauf, Reisende zu sein. Ich freue mich, dass ich sie ein paar Jahre auf ihrem Weg begleiten kann, manchmal sogar über zwei Generationen hinweg. Wir unterrichten die Kinder ja in ihrem Zuhause, deshalb gehören wir für sie auch immer ein bisschen zur Familie.

Zur Person
Claudius Hoeschen (51) ist ausgebildeter Raumausstatter. Er arbeitete als Bühnendekorateur am Grillo-Theater und holte sein Abitur an der Abendschule nach. Von 1994 bis 1998 studierte er in Essen Deutsch, Mathematik und Gesellschaftslehre auf Lehr­amt für die Primarstufe. Der dreifache Vater unterrichtet seit 2000 an der „Schule für Circuskinder NRW“, die von der evangelischen Kirche im Rheinland getragen wird. In seiner Freizeit fährt er gerne Vespa.

 

Zurück