Tagung zieht Bilanz
Mindestlohn und Tarifpolitik
- von Ulrike Bohnsack
- 19.02.2018
Der Mindestlohn gilt als eine der größten Arbeits- und Sozialreformen in Deutschland: Seit Anfang 2015 konnten Millionen Niedrigverdienende von substanziellen Lohnerhöhungen profitieren, ohne dass der Arbeitsmarkt nennenswert beeinträchtigt wurde. Nach wie vor gibt es aber grundlegende Probleme.
Mit dem Thema „Mindestlohn und Tarifpolitik“ befasst sich eine Tagung am 22./23. Februar in Berlin. Veranstalter sind das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung (WSI), das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen (UDE) und das Institut Arbeit und Wirtschaft (IAW) der Universität Bremen.
Im Mittelpunkt der Tagung steht zum einen das Wechselverhältnis von Mindestlohn und Tarifpolitik. Eigentlich soll sich die Entwicklung des Mindestlohns an der tariflichen Entwicklung orientieren. Doch wie Prof. Dr. Thorsten Schulten vom WSI analysiert hat, bestehen in einigen Niedriglohnbranchen erhebliche Schwierigkeiten, einen angemessenen Abstand zwischen Mindestlohn und untersten Tarifentgelten zu garantieren.
Wie machen es andere Länder?
Dabei gibt es Alternativen, wie der Blick auf andere Länder beweist: So werden bei der Tagung alternative Regelungen und Praktiken diskutiert, um unterste Löhne zu setzen. Dr. Irene Dingeldey von der Uni Bremen zeigt beispielsweise, dass in den Niederlanden oft ein Abstand zum Mindestlohn als tarifpolitisches Ziel formuliert wird.
In Deutschland ist es nach wie vor herausfordernd, den Mindestlohn umzusetzen und zu kontrollieren: Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung erhielten 2016 1,8 Millionen Anspruchsberechtigte weniger als 8,50 Euro. Eine Studie des WSI kommt sogar auf bis zu 2,7 Millionen Beschäftigte, die im Jahr 2016 noch unter dem gesetzlichen Mindestlohn verdienten.
Arbeitszeit häufig nicht korrekt erfasst
Die UDE-Forscher Dr. Claudia Weinkopf und Frederic Hüttenhoff haben im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung das Bauhauptgewerbe, die Fleischwirtschaft und das Gastgewerbe untersucht. Ihr zentrales Ergebnis: Auf dem Papier wird der Mindestlohn in der Regel eingehalten. Einfallstor für Unterschreitungen ist aber in allen Branchen, dass die Arbeitszeit häufig nicht korrekt erfasst wird. Mehrarbeit und Überstunden bleiben unberücksichtigt, oder es werden Pausenzeiten abgezogen, die gar nicht gewährt wurden.
„Das Risiko von Unternehmen, dabei erwischt zu werden, ist sehr gering. Kontrollen des Zolls finden nur selten statt – nicht zuletzt wegen personeller Unterbesetzung“, so Dr. Claudia Weinkopf. „Zudem müssen Beschäftigte, die weniger als den Mindestlohn erhalten, selbst vor Gericht ziehen, um eine korrekte Bezahlung einzufordern“, führt sie weiter aus. „Das trauen sich aber nur wenige. Daher fordern die Gewerkschaften zurecht ein Verbandsklagerecht.“
Weitere Informationen:
https://www.boeckler.de/pdf/v_2018_02_22_23_wsi_programm.pdf
http://www.iaq.uni-due.de/aktuell/presse/2018/180219.php
Dr. Claudia Weinkopf, Stellvertretende Geschäftsführende Direktorin des IAQ, Tel. 0203/379-1353, claudia.weinkopf@uni-due.de;
Frederic Hüttenhoff, Tel. 0203/379-2394, frederic.huettenhoff@uni-due.de
Prof. Dr. Thorsten Schulten, Leiter des WSI-Tarifarchiv, Tel. 0211 7778239, thorsten-schulten@boeckler.de
Redaktion: Claudia Braczko, Tel. 0157/71283308, presse-iaq@uni-due.de