Smarte Textilien
Das Hemd denkt mit
- von Tobias Appelt
- 21.06.2018
Überall werden Daten gesammelt. Auch die Kleidung wird zum Computer. Daran arbeitet Professor Stefan Schneegaß. Von seiner Forschung profitieren könnten Spitzensportler – aber nicht nur.
Als sich die deutsche Fußballnationalmannschaft 2014 auf die WM in Brasilien vorbereitete, war ein neuartiges Trainingssystem im Einsatz. Erfunden hatte es ein großer Sportartikelhersteller aus Franken. „Es ist das erste System seiner Art, das physiologische Daten liefert und diese in Echtzeit auf Tablets des Trainerstabs am Spielfeldrand überträgt“, teilten die Entwickler damals mit. Mit Sensoren am Körper der Spieler und angeschlossener Funktechnologie sollte das Team um Jogi Löw ständig deren Laufgeschwindigkeit, Herzfrequenz oder zurückgelegte Distanz im Blick haben.
Leistungs-Tracking
Inzwischen ist das Leistungs-Tracking auch in den Profi-Ligen und bei den Amateuren angekommen. „Der Ball ist rund, ein Spiel dauert 90 Minuten“ – so simpel wie zu Sepp Herbergers Zeiten ist es heutzutage nicht mehr. Es geht um Datenbanken, Statistiken, Diagramme, um Fitnesstabellen, digital erfasste Laufwege und computergezählte Ballkontakte. Um die nötigen Daten zu bekommen, schnallen sich selbst technikbegeisterte Amateurfußballer Pulsgurte um die Brust oder stecken sich GPS-Chips in den Schuh.
Fragt man Professor Stefan Schneegaß, was er von solchen Systemen hält, sagt er: „Es ist ein erster Schritt. Um solche Systeme aber interessanter zu machen, müssen sie noch mehr Funktionen bieten.“ Schneegaß ist Juniorprofessor für Informatik, sein Spezialgebiet die Interaktion von Mensch und Computer. Besonders interessiert sich der 33-Jährige für smarte Textilien – also Kleidung, die sowohl Modestück ist als auch technisches Gadget. Ein Computer zum Anziehen!
Sensoren im Hemdkragen
Wie das aussieht, präsentiert Schneegaß in seinem Büro. Auf seinem Schreibtisch liegt ein graues Stück Stoff. Es ist etwa so groß wie ein Spültuch aus der Küche. Mit den Händen streicht der Informatiker es glatt. Seine Finger gleiten dabei über winzige Leiterbahnen im Stoff. „Sie sind sehr empfindlich. Sie messen, wie fest jemand auf den Stoff drückt.“
Dann holt er ein blaues Hemd aus dem Schrank. Auch hier ist ein engmaschiges Netz kleiner Drucksensoren in den Stoff eingenäht. Dünne Kabel sind zu sehen. In einer Innentasche steckt ein leichter Mini-Computer mit SD-Karte. Das Gerät sammelt laufend Daten. Sensoren im Hemdkragen messen, ob der Mensch, der im Hemd steckt, genügend isst und trinkt. Sensoren im Brustbereich überwachen den Puls. „Das macht es komfortabel, denn ein Hemd habe ich eh immer an.“
Smart und hautfreundlich
Damit sich smarte Textilien durchsetzen, bräuchte es nämlich vor allem eines: Überzeugungsarbeit. „Wenn man möchte, dass jemand etwas 24/7 trägt, dann geht das nur über die Kleidung.“ Eine Fitness-Uhr anzulegen, eine Daten-Brille aufzusetzen oder einen Puls-Brustgurt umzuschnallen, das könne man schon mal vergessen – dass man aber ohne ein Hemd das Haus verlasse, sei „eher unwahrscheinlich“.
Zusätzlich sei bei intelligenten Textilien die Technik eine Herausforderung. Die Kleidung müsse schließlich in der Waschmaschine bestehen, mit Strom versorgt werden, unfassbar große Datenmengen verarbeiten und speichern – und, vielleicht ist das sogar der wichtigste Punkt: angenehm zu tragen sein. „Da ist noch viel Forschung nötig“, sagt Schneegaß.
Dass die umfassende Daten-Sammelei auch Fragen des Schutzes derselben aufwirft, ist dem Professor bewusst. „Für die Forschung sollte das aber erstmal keine Rolle spielen“, sagt er. „Unsere Aufgabe ist es zu zeigen, was technisch möglich ist.“ Obendrein habe er die Erfahrung gemacht, dass die Privatsphäre den Menschen zwar heilig ist, zugleich aber günstig zu kaufen. „Jeder hat Sorgen um seine Daten – gibt sie bereitwillig her, wenn er etwas dafür bekommt.“ So hält er es für denkbar, dass manche Leute ihre Fitnessdaten an Krankenkassen schicken würden, wenn dafür ihr Beitrag sinkt.
Intelligente Übungsmatten
Blickt Schneegaß auf die möglichen Anwendungsfelder der smarten Textilien, landet er immer wieder beim Sport. In Übungsmatten eingearbeitet, könnte der druckempfindliche Stoff messen, ob Trainingseinheiten korrekt ausgeführt werden. Würde er in Fußballschuhe genäht, ließe sich messen, wo genau der Ball den Schuh trifft, wie oft dies geschieht und wie fest das Spielgerät geschossen wird. „Vieles, was heute schon im Spitzensport mit großem Aufwand möglich ist, wird künftig so auch im Breitensport machbar – und bezahlbar! – sein“, sagt Schneegaß.
Wann es soweit sein wird, da möchte sich der Professor nicht festlegen. Schließlich könne niemand wissen, ob nicht schon morgen ein bis dato unbekanntes Start-Up mit einer phänomenalen Innovation an die Öffentlichkeit gehe. Der Computer-Gigant Google und die Jeans-Legende Levi’s hätten beispielsweise in diesem Jahr eine smarte Jacke präsentiert. Wer das 350 Dollar teure Stück trägt, kann per Wischbewegung am Ärmel Telefonanrufe annehmen oder die Musiklautstärke an seinem Handy regeln. „Auch das ist schon ganz interessant, aber es wird ein zu geringer Mehrwert generiert“, sagt Schneegaß.
App registriert Muskelbewegungen
Sein Ziel ist es, wirklich clevere Kleidung zu entwickeln, die beim Tragen in jeder Lebenssituation einen Nutzen bietet – ergänzt würde sie durch eine Online-Plattform, wie man sie beispielsweise von App Stores kennt.
Von dort aus ließe sich dann Mini-Software auf die Klamotten laden: Eine ‚Schlaf-App‘ könnte die Nachtruhe überwachen, die ‚Fußball-App‘ würde messen, ob der Spieler genügend Puste hat für die vollen 90 Minuten. Mit der ‚Fernbedienungs-App‘ könnte das Hemd Muskelbewegungen in Arm und Handgelenk überwachen; so ließe sich der Fernseher per Fingerzeig steuern. „Die Anwendungsmöglichkeiten“, versichert Schneegaß, „sind unendlich.“
Zur Person: Prof. Dr. Stefan Schneegaß
Der 33-Jährige ist seit Juni 2017 Juniorprofessor für Informatikan der UDE. Hier hat er auch studiert, danach zog es ihn an die Uni Stuttgart, wo er promovierte und mehrere Jahre arbeitete.