Infrastruktur ums Stadion
Superspiel - Superstau
- von Cathrin Becker
- 21.06.2018
Nerviges Warten, Menschenmassen, Gedrängel: Ein Fußballspiel zu besuchen, verlangt auch abseits des Rasens starke Nerven. Ein Fall für Stauforscher Professor Michael Schreckenberg.
Entscheidend ist auf’m Platz – vor allem auf dem Parkplatz. Wenn es sich staut, dann hier, anderthalb Stunden vor dem Anpfiff. Spieltag für Spieltag kommen alleine 25.000 Besucher in 10.000 privaten Autos, weitere 23.000 mit Bus und Bahn sowie 6.000 mit dem Fahrrad, zu Fuß oder mit dem Taxi zum Nordpark. Niederrheinische Fans mischen sich mit Fußballanhängern aus ganz Deutschland, aber auch aus Belgien und den Niederlanden.
90 Minuten Stop-and-go
Voll wird’s fast immer: 54.000 Zuschauer passen ins Stadion. Rollt der Ball international, sitzen knapp 46.000 auf den Rängen. Gedrängel gibt es dann nicht nur im, sondern auch ums Stadion; es ist das neuntgrößte Deutschlands.
Und nach dem Schlusspfiff? Geht das Chaos in umgekehrter Richtung los: Alle wollen nach Hause. Wieder heißt es: 90 Minuten Stop-and-go.
Wer wann und von wo zum Stadion strömt, beobachtete Michael Schreckenberg während zwei Saisons aus der Luft. Der Professor für Physik von Transport und Verkehr flog mit dem Hubschrauber über die 10.000 Parkplätze, aber auch über das umliegende Autobahnnetz, die Zufahrtsstraßen und die rund sechs Kilometer entfernte Innenstadt. Sein Auftrag: ein Verkehrsgutachten erstellen.
Ticketloses Parksystem
„Gutachten enden immer in Baumaßnahmen“, erklärt Schreckenberg. „Die Infrastruktur rund um ein Stadion zu managen, ist ein Megaprojekt. Umso mehr, wenn sie im Nachhinein verbessert werden muss.“ In Mönchengladbach war der erste Schritt schnell und effektiv: „Auf meinen Rat wurde der größte Parkplatz P4 – er liegt am nächsten zum Stadion – innerhalb von zwei Wochen umgebaut.“ Statt wie bisher eine Zufahrt gibt es nun zwei mit unterschiedlichen Abbiegerichtungen. 30.000 Euro kostete der Umbau, für den der Grüngürtel weichen musste. Aber: „Wir konnten so den Stau auf P4 um zwei Drittel reduzieren.“
In der nächsten Saison stürmt die Borussia sogar ligaweit voran. „Es soll ein ticketloses Parksystem mit elektronischer Erfassung eingeführt werden“, so Schreckenberg. Dass es das bisher bei keinem anderen Bundesligaverein gibt, wundert den Physiker. „Es ist banal, was überall passiert: Die motorisierten Fans biegen auf den Parkplatz ein und kaufen sich ein Parkticket bei einem Mitarbeiter – da bilden sich schon die ersten Schlangen. Danach fahren sie in die nächste Lücke, wo sie umständlich aussteigen. Weil die Tür offen ist, kann sich das nächste Auto nicht daneben stellen, und schon staut es sich wieder. Mit dem neuen System wollen wir das umgehen.“ Geplant ist das für alle Parkplätze bis auf die für die VIPs.
Der Verkehr fällt allen immer als Allerletztes ein
Doch das Grundproblem wird bleiben: Es fehlt ein Bahnhof am Stadion. „Man hat es seinerzeit versäumt, einen Anschluss zu bauen“, analysiert Schreckenberg. „Das später zu korrigieren, ist viel, viel aufwendiger und teurer. Oft ist es so, dass gebaut und gebaut wird, aber an den Verkehr denkt keiner, der fällt allen immer als Allerletztes ein.“
Die Fans haben sich inzwischen arrangiert und nehmen eine umständliche Anfahrt in Kauf. „Gegnerische Fans werden am rund acht Kilometer entfernten Bahnhof Mönchengladbach-Rheydt abgeholt und mit Polizeieskorte zum Stadion gebracht.“ Rollen sie mit Reisebussen an, gibt es meist Chaos, denn die heimischen Anhänger sind samt Bus, Auto oder Rad auch schon da. „Alle steigen aus und rennen durcheinander; dabei ist es wichtig, dass man aufeinander Rücksicht nimmt und die Rettungsspur, die Behindertenparkplätze und die Fahrradwege freilässt.“
Ein Projekt, viele Zuständigkeiten
Aktuell lässt Schreckenberg berechnen, wie teuer es käme, die Bahnstrecke um ein paar Kilometer zu verlängern. „Das wird einen Millionenbetrag kosten. Wer soll das bezahlen?“ Hinzu kommt, dass der Weg durch vier Zuständigkeiten führt: „Für die Autobahn ist bis 2021 der Landesbetrieb zuständig, danach der Bund. Die Straßen verantwortet die Stadt, auf den Parkplätzen ist die PPG Nordpark GmbH, eine Tochtergesellschaft der Stadt und von Borussia, zuständig und im Stadion der Verein. Um die Überwachung kümmert sich die Polizei. Da Maßnahmen zu planen und durchzuführen, bei denen alle mitziehen, ist schwierig.“
Womöglich hat der Stau Mönchengladbach auch um die Austragung von Spielen der Europameisterschaft 2024 gebracht. Schreckenbergs Verkehrskonzept, das für 2024 ausgearbeitet ist, konnte daran nichts mehr ändern. „Beim DFB wird das Stadion trotz der Maßnahmen sein Stau-Image nicht los“, meint der Professor. Stattdessen bekamen mit Dortmund, Gelsenkirchen, Düsseldorf und Köln vier andere NRW-Stadien den Zuschlag für die Bewerbung. Bei ihnen fährt die Bahn bis vor die Tür.