Beendet: Projekt zu Hartz-IV-Karrieren
Einmal arm, immer arm?
- von Ulrike Bohnsack
- 05.11.2018
Eine junge Frau, aufgewachsen in desolaten Verhältnissen, schafft es zu studieren und arbeitet dann doch weit unter ihren Möglichkeiten. Ist Armut vererbtes Schicksal? Diese Frage stellte sich für zwei Soziologen der Universität Duisburg-Essen (UDE). In ihrem Projekt ‚Hartz IV-Generationen?‘ hatten sie Eltern sowie ihre erwachsenen Kinder gemeinsam befragt. Sie wollten herauszufinden, wie Armut erlebt wird und welche Werte und Verhaltensmuster in betroffenen Familien weitergegeben werden. Die Ergebnisse liegen jetzt vor.
In Multiproblemfamilien kommt vieles zusammen: Die Eltern sind gering gebildet, langzeitarbeitslos, verschuldet, süchtig oder anders krank, die Wohnung ist verwahrlost, es gibt Gewalt und eine chronische Überforderung bzw. Ohnmacht, sich zu kümmern: um die Kinder, um sich selbst. Mit 11 solcher hoch belasteten Familien haben Privatdozentin Dr. Daniela Schiek und Prof. Dr. Carsten Ullrich lange Gespräche geführt; meist waren es alleinerziehende Mütter und einige ihrer Söhne und Töchter, die bereit waren, von sich zu erzählen.
Von Generation zu Generation?
Keine Biografie gleicht der anderen, und doch gibt es Gemeinsamkeiten: „Die Eltern, zwischen 50 und 60 Jahre, sind schon ihr halbes Leben auf Sozialleistungen angewiesen und haben resigniert. Die Kinder, heute 20 bis 35 Jahre, sind oft in der Armutsspirale noch weiter abgerutscht“, sagt Carsten Ullrich. „Es kommt vor, dass Geschwister es in unproblematische Verhältnisse oder gar zu einem hohen Aufstieg geschafft haben, während Bruder oder Schwester das Leben ihrer Eltern weiterleben.“
Welche Einstellungen, welches Verhalten übernehmen Kinder dabei, wovon distanzieren sie sich? Und wie konfliktreich geschieht das? Schiek und Ullrich haben drei Beziehungsmuster ausgemacht:
Da ist einmal die Symbiose. Die Kinder eignen sich die Biografie ihrer Eltern an und teilen deren Sicht, dass ihr Leben ein kaum entrinnbares Schicksal ist. Sie stellen nichts infrage, zumal Kritik autoritär abgebügelt wird. „Diese Schicksalsgemeinschaft bleibt unter sich. Freunde oder Partner fehlen. So macht diese junge Generation keine eigenen Erfahrungen“, meint Ullrich.
Das zweite Muster nennen die UDE-Forscher ‚Bleibe(ver)handlungen‘. Auch hier ist die Beziehung eng, doch die Kinder hadern: Es wird gestritten und diskutiert, beispielweise wer Schuld hat an der verwahrlosten Wohnung oder dem verbauten Leben. „Man möchte sich lösen, bleibt letztlich aber seinem Umfeld verhaftet und ist in gewisser Weise stolz – darauf woher man kommt und wie die Eltern mit Hartz IV klarkommen.“ Wie besagte junge Frau, die in der akademischen Welt nicht Fuß fasste.
Wenn Kinder es nicht mehr aushalten
Aber es gibt auch den Generationenkonflikt, der eskaliert und im Muster drei endet, dem vollständigen Bruch mit der Familie. „Wir sprechen hier bei allen Familien über schlimmste Verhältnisse – unter anderem über körperliche und seelische Gewalt. Die Kinder im dritten Muster halten das aber nicht aus“, so Daniela Schiek. „Im Amerikanischen werden solche geflüchteten Kinder treffenderweise Survivors genannt, Überlebende.“
Das Projekt lief über zwei Jahre und wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Im kommenden Frühjahr erscheinen die Ergebnisse als Buch.
Weitere Informationen: Institut für Soziale Arbeit und Sozialpolitik,
Prof. Dr. Carsten Ullrich, Tel. 0201/18-34441, carsten.ullrich@uni-due.de
PD Dr. Daniela Schiek, Tel. 0201/18-32659, daniela.schiek@uni-due.de