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Das geschriebene Worte hat Konkurrenz bekommen

Liebesgeflüster im digitalen Wandel

  • von Isabelle Sprang
  • 13.12.2018

Amors Pfeile werden heute nicht mehr mit der Post, sondern online versendet. Doch wie sehr haben sich die Botschaften verändert? Eine Spurensuche mit Dr. Thomas Ernst

„O mein Gott, welch ein Brief, mein Engel, mein Leben, mein einziges, einziges Leben! Warum kann ich nicht zu Dir, mit diesem Herzen voll innigen, schmerzlich innigen Dankes, nur auf eine armselige halbe Stunde zu Dir, warum darf ich mich nicht vor Dir hinwerfen, Deine Füße küssen, Dich anbeten...“

Diese schmachtenden Zeilen schrieb Graf von Finckenstein im Jahr 1759 seiner Auserwählten. Solch schwärmerische, ungestüme Liebesschwüre finden heute kaum mehr ihren Weg in den Briefkasten. Längst ist der Bildschirm das beliebteste Medium, er hat Briefpapier und auch das Telefon verdrängt. Während man einst seine Sehnsucht mit der Feder eloquent in zahlreiche Worte fasste oder stundenlang hingebungsvoll telefonierte, offenbaren heutzutage viele Menschen ihre Liebe digital. Ein Klick, schon erscheinen smarte Herz- oder andere Gefühls-Emojis, schwupps ist die Botschaft im digitalen Postfach der/des Angebeteten gelandet. Und wehe, sie oder er antwortet nicht rasch.

Zeitlose Koseworte
Wie sich die Gesellschaft durch die vernetzte digitale Kommunikation wandelt, interessiert Dr. Thomas Ernst. Beim Liebesgeflüster stellt er zunächst Überraschendes fest: „Über die Jahrhunderte hat sich ein klarer Kanon an bestimmten Liebesformulierungen herausgebildet, die sich halten. So wird der Partner als ,Schatz‘ adressiert, und wir alle kennen etablierte Sprachbilder wie ,mein Herz schlägt nur für dich‘. Das Floskelhafte gab es schon immer.“

Die digitale Paarkommunikation ist schnell und knapp. In den Anfängen, als jede SMS noch Geld kostete und die Zeichenzahl beschränkter war, schrumpften Gefühlsausdrücke wie „Ich hab dich lieb“ oder „I love you so much“ zu den Akronymen „hdl“ und „lysm“. Das ist geblieben. Doch nicht nur Abkürzungen boomen, es fehlen Pronomen, Grammatik spielt eine geringere Rolle. Das ist die eine Seite. Auf der anderen florieren Bild-Symbole. Der Medien- und Kulturwissenschaftler erklärt: „Wir haben eine erweiterte Palette, unsere Emotionen in Zeichen zu übersetzen. Das ist spannend. Bei der digitalen Kommunikation handelt es sich um eine Multiplikation der Zeichensysteme. Neben Wörtern gibt es nun Emojis, Akronyme, Fotos oder Audio- und Videodateien.“

Verkümmerung der Sprache?
Auch hier sieht er eine Verbindung zu alten Zeiten: „Bei der Liebeskommunikation werden Gefühle in Zeichen umgesetzt. Im Liebesbrief des 18. Jahrhunderts wurden sie in Schrift übersetzt, während man jetzt ,Ich schicke dir 1.000 Küsse‘ z.B. in viele Kuss-Emojis transformiert.“

Kulturkritische Stimmen beklagen ob dieser Entwicklung eine Verkümmerung unseres Sprachrepertoires. Thomas Ernst hält dagegen: „Wer behauptet, digitale Medien führen zu kommunikativer Verarmung, verkennt, dass Sprache nur ein Element der Kommunikation ist. Durch die Multimedialität ist sie komplexer als der analoge Austausch… Digitale Medien sind an sich nicht gut oder schlecht, entscheidend ist ihr Nutzungskontext. Wie sich die neuen Formate auf lange Sicht auf unsere Vorstellungen von Beziehung auswirken, kann man noch nicht sagen.“

Und der wunderbare alte Liebesbrief? Wird er bald völlig vergessen sein? Der Wissenschaftler ist sich sicher, dass dies nicht passieren wird, vielmehr ergänzt die digitale Kommunikation die analoge. „Der auf hochwertigem Papier geschriebene Liebesbriefbekommt eine andere Bedeutung, da er seltener wird. Insbesondere für junge Leute. Verfasst ein 19-Jähriger in einer Beziehungskrise zum ersten Mal einen echten Brief, um für die Partnerschaft zu kämpfen, kann das einen enormen Effekt haben.“

Polyamor statt monogam
Die digitale Revolution mischt nicht nur die Sprache auf, sie wirbelt auch die Betten von Paaren durcheinander. „Offene Beziehungsmodelle gab es schon immer, sie sind heute ohnehin leichter lebbar. Dating-Apps schaffen zusätzliche Möglichkeiten, polyamore Beziehungen lassen sich einfacher organisieren als in analogen Zeiten.“ Diese bunten Techtelmechtel können sich auch jenseits räumlicher Nähe entwickeln. „Für solche Verbindungen ist zum Beispiel der Begriff des Fremdgehens nicht mehr passend. Denn wie lässt sich eine rein digitale, aber sexuell aufgeladene Kommunikation zu jemandem bewerten, der auf einem anderen Kontinent wohnt? Auch hier öffnet die digitale Liebeskommunikation im wahrsten Sinne des Wortes ganz neue Welten.“

Segen oder Fluch?
Doch Facebook und Co. ermöglichen trotz räumlicher Distanz auch Paaren große innere Nähe. „Ein Nachteil: Digitale Nachrichten erhöhen das Risiko für Missverständnisse, das bringen die kurzen Botschaften mit sich“, so Ernst. Anlass können zweideutige Emojis oder nicht postwendend beantwortete Liebesnachrichten sein. „Ein weiterer Grund: Früher fanden Paare meist aus demselben Ort oder an der Arbeitsstätte zueinander. Inzwischen verkuppeln Algorithmen von Online-Partnerbörsen auch Menschen, die sich in der analogen Welt nie kennen gelernt hätten.“

Forschung hin, Forschung her. Wie hält es der 44-Jährige persönlich mit Liebesbotschaften? Wann hat er dafür zuletzt nach Papier und Stift gegriffen? „Da ich so intensiv mit digitalen Medien arbeite, würde meine Partnerin es wohl eher als ironische Geste begreifen, wenn ich ihr einen Liebesbrief auf Büttenpapier mit Rosenduft senden würde.“ Und wie steht er zur virtuellen Kommunikation? „Es kommt auf die Situation an. Würde mir meine Partnerin aus einem anderen Raum unserer Wohnung eine WhatsApp-Nachricht schicken, fände ich das komisch. Würde sie mir aber von ihrer Forschungsreise in Sydney ein Selfie vor der Oper mit Emoji-Küsschen senden, würde mich das freuen.“


Zur Person:
Dr. Thomas Ernst ist Medien- und Kulturwissenschaftler. Der 44-Jährige lehrt und forscht an der University of Amsterdam als Assistant Professor und habilitiert an der UDE zur vernetzten Kommunikation. Zur UDE hat er eine besondere Beziehung: Hier hat er nicht nur studiert, sondern war bis 2016 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Studiengang „Literatur und Medienpraxis“.

 

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