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Auf dem Teller:

Das große Krabbeln

  • von Ulrike Bohnsack
  • 15.08.2019

Woanders sind sie seit jeher in aller Munde. Bei uns angeblich auch bald: Speise-Insekten.

Mehlwurmburger, Heuschreckenspieß oder Madenschokolade: Insekten gelten als trendy. Noch vor wenigen Jahren war es undenkbar, dass man sie in Supermärkten kaufen kann oder auf Speisekarten in Restaurants findet.

Thomas Hörren hat dazu eine eindeutige Meinung. Er ist Masterstudent in der Aquatischen Ökologie, Referent für Ökologie und Mobilität beim AStA, ausgebildeter Biologisch-technischer Assistent und Käferexperte. Nebenher forscht er zum Insektensterben in Europa. Aber nicht deswegen lehnt der 29-Jährige das neue Superfood ab. Krabbeltiere zu essen, weil es angesagt und aufregend ist? Nicht seine Sache.
 
Aber er hat’s schon probiert: „Bei einer Verbraucherschutzveranstaltung ging eine Schachtel mit gefriergetrockneten Grillen rum. Die sahen nicht ästhetisch aus, aber geekelt hab ich mich nicht.“ Nussig soll ja das Aroma sein ... oder an Fisch oder Hühnchen erinnern. Nichts dergleichen, meint Hörren: „Ungewürzt war die Grille einfach langweilig.“

2.000 Arten sind essbar

Zirka 1.900 Insektenarten sind laut Weltgesundheitsorganisation WHO essbar; etwas mehr, nämlich 2.000, listet die holländische Universität Wageningen auf. Davon sind 600 Käfer. Was davon wirklich auf den Tisch darf, regelt in Europa die EU. Seit 2018 gibt es die Novel-Food-Verordnung, unter die auch Speise-Insekten fallen. Als kommerzielles Lebensmittel müssen sie schadstofffrei sein und gezüchtet werden.

In Deutschland sind die bürokratischen Hürden hoch, sagt Hörren. So muss das chemisch-technische Untersuchungsamt u.a. die mikrobielle Belastung, Toxik, Hygiene und das allergische Potenzial prüfen. „Die Zulassung ist langwierig, weshalb bei uns bisher nur eine Handvoll Insekten zum Verzehr auf dem Markt sind. Sie kommen als Importware, zum Beispiel aus Holland.“

Grundsätzlich sind viele heimische Arten essbar. Sich einfach einen Gliederfüßer aus der freien Natur in den Mund zu stecken, ist erlaubt. Doch Hörren rät davon ab. Denn manche Raupen oder Würmer fressen Giftpflanzen. Auch können sie Schadstoffe wie Schwermetalle anreichern.Einige Käferarten enthalten das stark reizende Cantharidin.   

Maikäferbouillon

Dass in unserem Kulturkreis heute die meisten Menschen Insektengerichte verabscheuen, war nicht immer so: Nicht nur für den Neandertaler war es normal, sich von derartigem Getier zu ernähren. Auch vor hundert Jahren konnte man auf dem Markt noch Maikäfer kaufen. „Man kandierte oder verkochte sie. Maikäferbouillon war in jedem Kochbuch zu finden. Durch verschiedene Entwicklungen, etwa die Lebensmittelhygiene und den steigenden Wohlstand, sind sie in Europa vom Speiseplan verschwunden“, sagt Thomas Hörren.

Weltweit sieht das anders aus. Für zwei Milliarden Menschen sind Spinne, Ameise und Co. Leckerbissen; in Asien, Afrika wie auch in Lateinamerika gehören sie zur traditionellen Küche und sind wichtige Nährstofflieferanten. Sie sind reich an Protein, ungesättigten Fettsäuren, Vitaminen und Spuren­elementen. Weil sie so fettarm und gesund sind, werden sie nun bei uns zum Superfood stilisiert. „Von einer Heuschrecke allein kann man seinen Tagesbedarf an Nährstoffen allerdings nicht decken.“
 
Nachhaltige Proteinquelle?

Verglichen mit der herkömmlichen Nutztierhaltung soll die Insektenzucht weniger Ressourcen verbrauchen und Treibhausgase produzieren. Nur, ob es tatsächlich nachhaltiger ist, Krabbeltiere statt Fleisch zu essen, ist gar nicht belegt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft sieht in einem aktuellen Positionspapier viele Wissenslücken. Um sie zu schließen, müsste man weit mehr Geld in die Hand nehmen als „die drei Millionen Euro, die es 2016 in der Europäischen Union waren“, findet Thomas Hörren.

Theoretisch seien Insektenfarmen simpel zu betreiben, sagt er, vor allem solche mit Mehlwürmern und anderen Käferlarven. Diese lassen sich in riesiger Menge auf engstem Raum und in kürzester Zeit mästen; werden sie dann verarbeitet, müssen sie nicht von Panzern und Beinen befreit werden. Eine Massenproduktion aber verlangt Standards bei der Hygiene, dem Schutz vor Krankheiten, der artgerechten Haltung und natürlich beim Töten. Sie fehlen.

Was ist mit dem Tierwohl?

Und auch das ist ein Punkt: Zwar erfasst das Tierschutzgesetz grundsätzlich alle Tiere, aber eben doch nicht alle gleich. Weniger Rechte haben Wirbellose, wozu Insekten zählen. Anders als Hummer oder Krabben werden sie im Gesetz zudem nicht ausdrücklich genannt. Ist das in Ordnung?

Was Thomas Hörren noch stört: „Die Larven werden zu Mehl zermahlen und landen dann im Burger, im Energieriegel oder in Nudeln. Die Produkte haben weder Augen noch Beine; sie sind entfremdet. So lassen sie sich natürlich besser verkaufen.“ Mag Insektenessen gerade in aller Munde sein, für ihn ist es eine Modeerscheinung. Und dass sich damit der Hunger in der Welt bekämpfen lässt, findet der Biologe illusorisch: „Da setze ich viel Hoffnung in pflanzliche Eiweiße und Laborfleisch.“´

 

Zur Person:
Thomas Hörren (29) ist leidenschaftlicher Käferexperte und forscht in seiner Freizeit zum Insektenschwund. Er ist Mitautor einer Studie, die den dramatischen Rückgang nachweist. Zurzeit schreibt er seine Masterarbeit über die funktionelle Ökologie von Wasserkäfern. Im Rahmen des Projektes freshwaterecology.info liefert er erstmals einen vollständigen Katalog der Wasserkäfer Europas.
Kontakt: thomas.hoerren@koleopterologie.de

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