Esskultur in der Frühen Neuzeit – ein Reisebericht

Wir sahen niemals so zarte Fleischspeisen

  • 15.08.2019

Andere Länder, andere Tischsitten. Das erkannten schon die Reisenden in der Frühen Neuzeit. Wie man über die deutsche bzw. türkische Esskultur staunte, lässt Historiker Dr. Wolfgang Treue den Sekretär eines gelehrten Adligen aus Frankreich erzählen.

„Mein Herr, Michel Eyquem de Montaigne, war im Herbst 1580 in denkbar schlechter Stimmung aus Frankreich aufgebrochen. Zwei kurze Kur­aufenthalte in Plombières und Baden hatten zwar seinen Gesundheitszustand, aber nicht seine Laune verbessert. Nun wollte er nach Italien, in das gelobte Land von Antike und Renaissance. Doch zunächst mussten wir durch Deutschland, eine nach Ansicht meines Herren wenig zivilisierte Region. Und wirklich machten wir schon beim ersten Halt in Konstanz bei unserem Wirt Bekanntschaft mit dem barbarischen Stolz der Deutschen. Wir wechselten darauf den Gasthof und waren gleich besser bedient.

Im Verlauf der Reise änderte sich die Meinung meines Herren grundlegend. Er lobte ebenso die Art der Bewirtung wie die Annehmlichkeit der Speise­säle, die er später in Italien vermisste, mit großzügiger Tischwäsche und Tafelgeschirr, und auch den Komfort der Schlafzimmer mit verglasten Fenstern und Bettvorhängen. Vor allem überraschte uns bei Tisch die Vielzahl
der Gänge. Sogar nachdem das Tischtuch schon aufgehoben war, wurden noch verschiedene Weine und Gebäcke gereicht.

Bemerkenswert ist der Reichtum an guten Fischen, die meist zusammen mit Fleisch, Wild, Schnepfen und jungen Hasen serviert werden. Wir sahen niemals zuvor so zarte Fleischspeisen, wie sie dort aufgetragen werden, oft zusammen mit gekochten Pflaumen, Birnen und Äpfeln. In guten Gast­höfen werden Suppen, Saucen und Salate mit einem Wohlgeschmack zubereitet, wie man ihn kaum in den Küchen des französi­schen Adels findet. Der Braten, das Hauptstück jeder Mahlzeit, wird zwar in Deutschland nicht wie in Frankreich mit Speck gespickt, aber so gut gewürzt, dass man diesen Mangel kaum bemerkt.

Auch Krebsgerichte sind ein fester Bestandteil der Speisefolge, die je nach Region stark variiert. Mein Herr bedauerte sehr, keinen Koch mitgenommen zu haben, um ihn die Feinheiten der hiesigen Küche erlernen zu lassen, und ging sogar so weit, den Wein nach Landessitte ohne Wasser zu sich zu nehmen. Dieser Wein ist meist weiß und selbst in einer Stadt wie Augsburg, in deren Umgebung kein Weinbau vorkommt, in der Regel gut. Und das Brot ist das beste, das man sich vorstellen kann.       

Wenn wir aber gerade in Augsburg und beim Thema Essen sind: Mein Herr pflegte sonst, in den Städten auf unserem Weg namhafte Gelehrte aufzusuchen, um mit ihnen zu konversieren. In Augsburg versäumte er das leider, wohl weil zu viele andere Dinge sein Interesse fesselten. Als Sekretär musste ich mich natürlich nach meinem Herren richten. Sonst hätte ich dort gern den berühmten Dr. Leonhart Rauwolff aufgesucht, einen Arzt und Naturforscher, der vor einigen Jahren1 eine Orientreise unternommen hatte. Ich habe seinen Reisebericht gelesen, der natürlich weit Abenteuerlicheres zum Thema Nahrung enthält, als wir es erlebten.

Allein schon die morgenländische Art zu essen, auf dem Boden sitzend mit gekreuzten Beinen, die dem Ungeübten während der Mahlzeit einschlafen, so dass er kaum aufstehen kann. Und dann die vielen Garküchen in den Städten, aus denen die Türken ihr Essen kommen lassen, denn die meisten führen keine eigene Küche. Fast immer essen sie Reis, der auf verschiedene Weise zubereitet und so fest gekocht wird, dass man ihn mit den Fingern essen kann. Oft serviert man dazu Schaffleisch, das sehr gut sein soll, was Herr Rauwolff auf die aromatischen Weiden zurückführt.

Es gibt dort Schafe mit so fetten Schwänzen, dass einer genügt, um zwei erwachsene Männer zu sättigen. Das Brot ist gut und kräftig und dabei so weiß, wie es bei uns geschätzt wird. Zum Essen trinken die Armen Wasser und die Reichen Scherbet, der aus Früchten sehr süß hergestellt wird.

Wein dürfen die Türken nicht trinken, weil ihr Gesetz es ihnen verbietet. Die Trauben lassen sie entweder zu Cibeben2 trocknen oder sie kochen daraus Most, so dick wie Honig, ein, den sie Pachmatz3 nennen. Öffentliche Gasthäuser wie bei uns gibt es bei ihnen nicht. Dafür haben sie Häuser, in denen nur ein Getränk ausgeschenkt wird, das sie Chaube oder Kahve nennen. Es ist so schwarz wie Tinte, wird heiß getrunken und hat einen bitteren Geschmack. Nach Meinung von Dr. Rauwolff ist es der Gesundheit förderlich. Vor allem aber fördert es die Gemeinschaft, denn Türken und Araber sitzen dabei morgens wie abends zusammen, reden, trinken Toback und spielen Brettspiele.

Dieses Getränk erscheint ihnen so unverzichtbar, dass sie die Zutaten sogar auf Reisen mit sich führen. Seit wann es sich in der Türkei
verbreitet hat, weiß ich nicht, doch scheint mir, dass Dr. Rauwolff der erste Europäer ist, der eine Beschreibung davon gibt. Die Gründlichkeit seiner Beobachtung ist überhaupt beachtlich, da er sich nicht auf die in unserer Wahrnehmung wichtigsten Nahrungsmittel – Fleisch, Brot und Wein – beschränkt, sondern auch über andere wie Salat, Früchte, Käse und sogar ein so fremdes wie Bnuhourt4  berichtet.

Ich wünschte mir, mit einem solchen Gelehrten auf eine abenteuerliche Reise zu gehen. Da mich M. de Montaigne in Italien aus seinen Diensten entlassen hat, um sein Reisetagebuch selbst – und bald auf Italienisch – fortzusetzen, bin ich zurzeit ohne Stellung, aber bislang habe ich leider noch kein derartiges Angebot erhalten.“

11573-1576
2 Rosinen
3 Pekmez
4 Bulgur

 

Gut zu wissen:
Den Sekretär gab es tatsächlich, wenngleich sein Name leider nicht überliefert ist. Er arbeitete für Michel Eyquem de Montaigne. Dieser französische Jurist, Philosoph und Politiker lebte von 1533 bis 1592. De Montaigne war lange Rat am Gerichtshof von Bordeaux (1557-1570) und zog sich anschließend ins Privatleben zurück. In dieser Zeit unternahm er viele Reisen und betätigte sich literarisch. Von 1582 bis1586 war er Bürgermeister von Bordeaux.

Leonhart Rauwolff (1535-1596/1606) war Arzt und Botaniker in Augsburg. Er erlangte großes Ansehen in der Gelehrtenwelt durch seinen 1582 erstmals gedruckten Bericht „Aigentliche beschreibung der Raiß inn die Morgenländer“ und vor allem durch die darin enthaltenen Abbildungen der orienta­lischen Flora. Leonhart Rauwolff verstarb als Militärarzt im Türken­krieg in Ungarn, wann ist unklar.

 

zur Person:
Dr. Wolfgang Treue (geb. 1963) ist Historiker und Privatdozent im Fach Geschichte an der UDE. 2014 erschien von ihm das Buch ‚Abenteuer und Anerkennung. Reisende und Gereiste in Spät­mittelalter und Früher Neuzeit (1400-1700)‘.

 

im Bild:
Ausschnitt einer Abbildung aus dem berühmten Reisetagebuch von Salomon Schweigger: „Ein newe Reyßbeschreibung auß Teutschland nach Constantinopel und Jerusalem“, Nürnberg 1608.

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