Juniorprofs und Dresscode
Socken mit Gesicht
- von Ulrike Bohnsack
- 16.12.2020
Kleidung wirkt – auf andere, auf uns selbst; und sie zeigt, zu welcher gesellschaftlichen Gruppe wir gehören. In vielen Jobs gibt es offizielle oder unausgesprochene Dresscodes, auch in akademischen Kreisen. Über den beruflichen Habitus von Juniorprofessor*innen promoviert die Soziologin Lara Altenstädter. Ein Aspekt ist dabei Kleidung. Ein ungewöhnliches Thema, das sie ebenso ungewöhnlich angeht.
Wenig weiß die Forschung über die „Profs auf Probe“, denn es gibt sie erst seit 2002. Eine solche Position zu ergattern, ist schwer genug, „vor allem für Erstakademiker*innen bleibt sie meist unerreichbar“, sagt die 35-Jährige. Diese Gruppe unter den Profs interessiert sie besonders. Man geht davon aus, dass diese – anders als jemand aus einem Akademikerhaushalt – Universität als verunsichernd und fremd erleben. „Ich wollte daher wissen, wie Juniorprofessor*innen, die diesen Bildungshintergrund haben, mit den dazugehörigen hochschulischen Normen umgehen. Inwiefern drückt sich in dem, was sie anhaben, ihr Habitus aus?“
Altenstädter hat 15 Juniorprofessor*innen (MINT, Wirtschafts- bzw. Sozialwissenschaften) aus NRW gebeten: „Fotografieren Sie alltägliche oder auch besondere Situationen, Dinge und Personen aus Ihrem Wissenschaftsleben.“ Später hat sie die 15 zu den Bildern interviewt.
Es sei auffällig, sagt sie, dass alle Befragten einen Kleidungskodex wahrnehmen und sie sich zu diesem verhalten. „Auch verbinden sie bestimmte Vorstellungen von einer wissenschaftlichen Person: Sie ist männlich, inspiriert Studierende und vertritt den professoralen Stand würdevoll nach außen.“
Wie gehen die Interviewten mit der Kleiderordnung ihrer Disziplin um? Altenstädter hat verschiedene Strategien rekonstruiert: Am häufigsten war die vollständige Konventionserfüllung. Man zieht sich den Normen und Gepflogenheiten entsprechend an – gedeckte Farben, Blazer bzw. Sakko –, „um zu zeigen, dass man in die Kreise und ins Hochschulsystem passt. Gegenüber den Studierenden unterstreicht man zudem seine Rolle als Vorbild und Autoritätsperson.“
Schuhe scheinen ein zentrales Kleidungsstück zu sein, das Zugehörigkeit erzeugt. Einige der Interviewpartnerinnen wählen Halbschuhe, „wie sie die Jungs hier auch alle anhaben“ (O-Ton) oder tragen Schuhe mit breitem, lautem Absatz. „Hierdurch hoffen sie, antistereotype Merkmale zu demonstrieren und als emanzipiert, selbstbewusst und führungskompetent wahrgenommen zu werden“, sagt die Doktorandin.
Überdies zeigte sich, dass Frauen versuchen, ihr Geschlecht in den Hintergrund zu rücken und bewusst männlich konnotierte Kleidungsstücke wie Hosen und Anzugschuhe anzuziehen. „Viel Dekolleté zu vermeiden, scheint ein kollektiv wahrgenommener Kleidercode zu sein und wird nicht infrage gestellt. Das deutet darauf hin, dass eine Ungleichbehandlung im Wissenschaftssystem erwartet wird.“
Nur wenige Erstakademiker*innen stoßen sich daran, dass das berufliche nicht mit ihrem herkömmlichen Outfit übereinstimmt, und tarieren Grenzen aus. Sich dann so zu kleiden, dass es bewusst nicht-passend oder sogar vorsichtig provokant ist, „dekonstruiert die tradierte Sozialordnung“, erklärt Altenstädter.
Aber es kommt vor: Eine Juniorprofessorin fotografierte ihren beschuhten Fuß. Auffällig war die Abbildung auf dem schwarzen Strumpf: große weiße Augen. Sie sagte dazu: „[…] Ich suche halt so einen guten Mittelweg mich anzupassen und ernst genommen zu werden, aber trotzdem meine Persönlichkeit nicht zu verlieren.“ Sie hat die Socken gerne in Besprechungen an: Wenn „die sich wieder streiten und aufführen wie die Jungs in der Sandkiste“, dann schlägt sie das Bein über und wippt mit dem Fuß. Alle sehen dorthin. Das mache sie „um nicht ganz in diesen […] Alphamännchen -Habitus zu verfallen oder [um] das auch ein bisschen mit Humor zu nehmen.“