Drei Fragen an KI-Expertin Elsa Kirchner
Roboter zum Anziehen
- von Ulrike Bohnsack
- 21.03.2022
Wer einen Schlaganfall hatte, muss oft erst wieder lernen, sich zu bewegen. KI-gesteuerte Exoskelette und Orthesen können dabei helfen. Zu solch speziellen Systemen forscht Elsa Kirchner.
Frau Kirchner, Sie befassen sich mit Exoskeletten. Was ist das genau?
Das sind Außenskelette, die eng am Körper getragen werden und sich relativ leicht anlegen lassen. Es gibt passive Systeme, die ohne Energiezufuhr auskommen und die Menschen etwa bei Überkopfarbeit oder beim Heben entlasten. Außerdem gibt es aktive, von Motoren angetriebene Systeme. Die finde ich besonders spannend, weil es letztlich Roboter sind, die man anhat. Solche aktiven Exoskelette haben eine Steuerungstechnik, sie können ihr Verhalten anpassen oder auch lernen. Dank ihrer Motoren sind sie in der Lage, die Arme oder Beine eines Menschen gezielt zu bewegen.
Damit lässt sich zum Beispiel verloren gegangene Motorik kompensieren, etwa nach einem Schlaganfall. Mit Exoskeletten lässt sich auch trainieren, Beweglichkeit und Empfindungen wiederzugewinnen. Unser Gehirn besitzt eine große plastische Anpassungsfähigkeit und kann sich neu vernetzen und Funktionen umprogrammieren. So ist es möglich, dass Hirnregionen die Aufgaben von gestörten Arealen übernehmen. Diese Reorganisation lässt sich durch Übungen verstärken.
Wo steckt da genau die Künstliche Intelligenz?
So ein Exoskelett muss grundsätzlich eine gewisse Intelligenz haben, weil es je nach individuellem Bedarf und Ziel helfen soll. Außerdem müssen Beine, die sich ja rhythmisch bewegen, anders unterstützt werden als ein Arm, der zielgerichtet agiert – beispielsweise beim Greifen einer Tasse. Das Exoskelett muss also Fähigkeiten autonomer Systeme besitzen, aber gleichzeitig auch wissen, wann und wie der Mensch genau Unterstützung braucht, und es muss dessen Bewegungen vorausahnen. Hierfür sind sehr fortschrittliche Mensch-Roboter-Schnittstellen vonnöten, an denen ich forsche.
Eine Methode ist, dass das Exoskelett von Algorithmen gesteuert wird. Diese lernen anhand von Daten und Simulationen, einen Bewegungswillen zu erkennen und ihn auszuführen: Zum Beispiel werden durch ein Elektroenzephalogramm (EEG) bzw. durch ein Elektromyogramm (EMG) Signale von Gehirn und Muskelaktivität des betroffenen Menschen ausgelesen; außerdem werden die Augenbewegungen aufgezeichnet. Wenn das Exoskelett gelernt hat, eine Person zu interpretieren, muss es in der Anwendung kontinuierlich weiterlernen. Denn der Mensch ändert ständig sein Verhalten, und diesem muss es sich immer wieder anpassen.
Übernehmen die Geräte das Kommando?
Nein. Sie unterstützen letztlich nur, wo es nötig ist. Exoskelette unterliegen sehr strengen Sicherheitsvorkehrungen. Selbst wenn die Software gehackt und komplett verrücktspielen würde, könnten die Systeme, wie ich sie entwickelt habe, rein mechanisch niemals einen Menschen schädigen. Die letzte Sicherung liegt hier nicht in der Software, sondern in der Hardware. Wir verbauen beispielsweise mechanische Endanschläge in den Robotergelenken, die es nicht zulassen, dass ein Motor den Arm einmal um 360 Grad dreht. Es geht nur so weit, wie es der betroffenen Person selbst möglich ist.
Elsa Kirchner (Bild):
Die 45-Jährige hat Biologie studiert, in Informatik promoviert und am Bostoner MIT (USA) neurowissenschaftlich zur Messung von Gehirnaktivität geforscht. Mehrfach wurde sie für ihre Arbeit ausgezeichnet. Seit Herbst 2021 verstärkt sie als Professorin für Systeme der Medizintechnik die Ingenieurwissenschaften der UDE. Außerdem leitet sie seit 2011 verschiedene Teams am Robotics Innovation Center des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz, Bremen.