Mariya Shymchyshyn
© UDE/Jennifer Meina

Ukrainerin forscht dank Stipendium an UDE

Zwischen den Zeilen

Über Sprache und Literatur schreiben, wenn einem die Worte fehlen. So erging es der ukrainischen Anglistin Prof. Dr. Mariya Shymchyshyn durch den Krieg in ihrem Heimatland. Mittlerweile ist sie durch ein Stipendium der VolkswagenStiftung an der UDE, wird hier für mindestens ein Jahr bleiben – und hat ihre Sprache wiedergefunden.

Geboren in Ternopil im Westen der Ukraine, erfuhr Shymchyshyn schon als Kind durch die Fluchterfahrungen der Großeltern aus Polen, was Entwurzelung bedeutet. In der Öffentlichkeit und in der Schule durfte zudem nicht alles ausgesprochen werden, in der Familie schon. Heute ist sie Lehrstuhlinhaberin für Theorie und Geschichte der Weltliteratur Nationalen Linguistischen Universität Kiew. „Literatur ist immer auch etwas Ideologisches. Es steht zwischen den Zeilen viel mehr als es scheint.“ Ihre Forschung ist dabei breit gefächert: Von Feminismus und der Harlem Renaissance bis zur Geokritik und Migration. Sie beschäftigte sich gerade mit dem Thema Flucht in der zeitgenössischen Belletristik – als der Krieg ausbrach.

„Es hat alles verändert, es ist eine Tragödie – nicht nur für uns Ukrainer:innen, sondern für die ganze Welt“, sagt Shymchyshyn. Sie erinnert sich daran, als sie die erste Bombe sah, als sie den Knall hörte, da konnte sie nicht glauben, was passiert. Gleichzeitig fehlt den Menschen das Vokabular, um ihre Emotionen und Gefühle auszudrücken. „Am ersten Tag hofften wir alle, dass es ein Irrtum sein könnte, dass es bald vorbei ist. Niemand verstand, was geschah, obwohl wir alle die Trümmer und den Tod sahen. Wir konnten nicht glauben, dass ein solch barbarischer Krieg im 21. Jahrhundert möglich ist.“ Es dauerte etwa einen Monat, bis die Universitätsprofessoren den Online-Unterricht wieder aufnehmen konnten. „Die Studierenden wollten erzählen, was sie durchgemacht hatten. Viele begannen selbst zu schreiben." Und auch sie selbst wollte wieder lehren und forschen. „Als Akademikerin muss man klar denken, man muss arbeiten. Aber das konnte ich nicht. Ich zweifelte an meiner Arbeit: Welche Bedeutung hat meine Forschung, wenn in der Nähe Menschen sterben?"

Erst durch ihre Flucht, die sie und ihren 13-jährigen Sohn über die Niederlande nach Essen führte, konnte sie wieder schreiben. Gemeinsam mit Prof. Dr. Jens Martin Gurr vom Institut für Anglistik der UDE bewarb sie sich bei der VolkswagenStiftung: Shymchyshyns Forschung wird für mindestens ein Jahr gefördert. Sie ist dankbar, weil sie nicht nur als Flüchtling gesehen wird, sondern als Wissenschaftlerin, die weiterarbeiten will. Doch so produktiv und glücklich, wie sie derzeit in Essen ist, Shymchyshyn will nach dem Krieg in ihre Heimat zurückkehren. „Das intellektuelle Kapital des Landes darf nicht verschwinden. Wir werden unser Land wiederaufbauen und stärker werden als zuvor."

Für die Redaktion:
Ein Foto von Prof. Dr. Mariya Shymchyshyn (Fotonachweis: Jennifer Meina/UDE) für die Berichterstattung stellen wir Ihnen unter folgendem Link zur Verfügung: http://www.uni-due.de/de/presse/pi_fotos.php

Redaktion: Jennifer Meina, Tel. 0203/37 9-1205, jennifer.meina@uni-due.de

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