Post-COVID-Studie
Nervensystem nimmt selten Schaden
- 02.09.2022
Bis zu zehn Prozent der COVID-Patient:innen entwickeln nach überstandener Akutinfektion ein Post-COVID-Syndrom, also über Wochen und Monate anhaltende Beschwerden. Ein Forschungsteam der Universitätsmedizin Essen und der UDE (Klinik für Neurologie sowie LVR-Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie) hat sich nun 171 Patient:innen mit Post-COVID genauer angesehen und festgestellt, dass das Nervensystem in den meisten Fällen nicht dauerhaft geschädigt ist. Bei 86 Prozent der Personen war die neurologische Untersuchung komplett unauffällig. Ein Zusammenhang zwischen der akuten COVID-Infektion und dem Auftreten von Langzeitfolgen ließ sich sogar nur in rund zwei Prozent herstellen. Die Ergebnisse wurden soeben in Neurology and Therapy* veröffentlicht.
Von den über 200 Post-COVID-Symptomen liegen viele im Bereich des Nervensystems, darunter sind Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, „Gehirnnebel“ oder Kopfschmerzen. „Unsere Daten zeigen, dass obwohl viele Betroffene über neurologische Beschwerden klagen, sich diese in der neurologischen Untersuchung so gut wie nie objektivieren lassen. Selbst im MRT des Gehirns oder in der Nervenwasseruntersuchung finden sich zumeist keine bleibenden Folgen der COVID-Infektion“, erklärt Prof. Dr. Dr. Mark Stettner, Leiter der Post-COVID Ambulanz an der Klinik für Neurologie.
Eine gute Nachricht. Aber woher kommen die Symptome dann? Um das zu klären, hat das Forschungsteam die Betroffenen auch intensiv psychologisch untersucht. Dabei zeigte sich, dass psychiatrische Vorerkrankungen wie eine Depression oder eine Angststörung das Risiko für Post-COVID signifikant erhöhen. Außerdem waren Tests, die auf eine psychosomatische Symptomursache hinweisen, bei vielen auffällig, insbesondere bei Frauen.
„Wir glauben daher, dass psychologische Mechanismen für die Entstehung des Post-COVID Syndroms wichtig sind. Man weiß seit Jahrhunderten, dass Körper und Geist eine Einheit bilden und sich übermäßiger Stress, ein seelischer Konflikt oder eine Depression in körperlichen Beschwerden ausdrücken kann. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass sich die Patient:innen die Symptome nur einbilden“, betont Prof. Dr. Christoph Kleinschnitz, Direktor der Klinik für Neurologie. Ganz im Gegenteil: Eine gründliche neurologische Untersuchung lohnt sich in jedem Fall. „Wir haben einige Überraschungen erlebt. So fanden wir bei Menschen, die dachten an Post-COVID zu leiden, am Ende eine Multiple Sklerose, eine Gehirnhautentzündung oder eine Migräne.“
Gemeinsam mit den Psychosomatik-Fachleuten wollen die Neurolog:innen nun weiter an psychologischen Ursachen von Post-COVID forschen und zielgerichtete Therapien entwickeln.
* Originalveröffentlichung: https://doi.org/10.1007/s40120-022-00395-z
Im Bild: Die Professoren Christoph Kleinschnitz (l.) und Mark Stettner.
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Christoph Kleinschnitz, Direktor der Klinik für Neurologie, christoph.kleinschnitz@uk-essen.de