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Investieren oder nicht investieren?

Wie chinesische Unternehmen das Investitionsumfeld in NRW sehen

  • von Astrid Bergmeister
  • 18.12.2023

Wie ist das Investitionsklima bei chinesischen Unternehmen in NRW? Politik- und Ostasienwisssenschaftler Prof. Dr. Thomas Heberer und Dr. Anna Shpakovskaya vom Institut für Ostasienwissenschaften haben etwa 40 chinesische Unternehmen in NRW interviewt und ihre Ergebnisse in einer Studie veröffentlicht. Wir konnten mit Prof. Thomas Heberer sprechen.

Herr Heberer, Sie und Ihre Kollegin Dr. Anna Shpakovskaya vom Institut für Ostasienwissenschaften an der Universität Duisburg-Essen haben mit 40 chinesischen Unternehmen, Verbänden und Investoren in NRW gesprochen. Was sind die zentralen Erkenntnisse ihrer Studie zu den Kontakten Chinas mit dem Land NRW, der Stadt Duisburg und des Ruhrgebiets?

Unser wichtigstes Ziel war es, zu verstehen, wie chinesische Unternehmen das aktuelle Investitionsumfeld in Duisburg, NRW und Deutschland einschätzen und welche Investitions- und Geschäftsstrategien sie für die Zukunft in Betracht ziehen. Unsere Interviewpart-ner:innen aus chinesischen Unternehmen, Verbänden sowie chinesische Investoren schätzen Deutschland insgesamt und hier mit dem Fokus NRW als politisch und wirtschaftlich stabil ein. Damit wird Deutschland als ein idealer Standort für Investitionen wahrgenommen.

Eine weitere wichtige Erkenntnis aus unseren Gesprächen ist allerdings, dass chinesische Unternehmen derzeit ihre Investitionen in NRW und Deutschland hinterfragen, aufschieben oder zurückfahren. Der Grund liegt in wachsenden geopolitischen Spannungen, zuneh-menden Standortproblemen, dem andauernden Krieg gegen die Ukraine sowie der negativen Berichterstattung über China in deutschen Medien.

Ein dritter Aspekt: Chinesische Investoren denken teilweise über Investitionsverlagerungen in andere Länder oder von NRW in andere Bundesländer nach. In Deutschland stehen Städte in NRW im Wettbewerb um chinesische Investitionen mit Hamburg, Frankfurt oder München. Außerhalb Deutschlands konkurriert NRW auch mit anderen Regionen in Osteuropa, Südostasien und Afrika. Chinesische Unternehmen halten den deutschen Markt zwar nach wie vor für wirtschaftlich stabil, profitabel und attraktiv, es wächst allerdings die Besorgnis über die Folgen des Rückstands Deutschlands in der Entwicklung neuer Technologien, des aus chinesischer Sicht langsamen Innovations- und Entwicklungstempo sowie einen besorgniserregenden Mangel an hochqualifizierten Arbeitskräften.

Welche Technologien konkret haben Ihre chinesischen Interviewpartner:innen dabei im Blick? Zu bedenken ist, dass bei Fragen der Technikfolgenabschätzung Demokratien in einem vitalen gesellschaftlichen Diskurs stehen. In westlichen Ländern gilt es als common sense, dass dies essentiell für eine Demokratie ist.

Es geht dabei primär um die Entwicklung des Internets und der Digitalisierung. Hier unterscheidet sich die Kritik nicht von der deutscher Unternehmen. Auch wird der geringe Stand der Digitalisierung in der Verwaltung bemängelt. Dazu kommt – im Vergleich zu China – der langsame Umstieg von Verbrennern zu Elektroautos, sowohl bei privaten Fahrzeugen als auch im öffentlichen Nahverkehr. In China verlaufe dieser Umstieg wesentlich rasanter. Zudem könne man in China Akkus von E-Autos partiell schon in wenigen Minuten laden. Auch beim Zahlungsverkehr sei die Entwicklung, etwa im Vergleich mit anderen europäischen Ländern, vergleichsweis langsam. In China wird Zahlungsverkehr inzwischen primär über Smartphone abgewickelt, nur noch marginal über Bargeld.

Wie planen chinesische Firmen ihre Investitionen in NRW? Sind für 2024 bereits Veränderungen absehbar?

Praktisch alle Befragten zeigten sich gegenwärtig zurückhaltend im Hinblick auf weitere Investitionen in Deutschland und wollten erst einmal den Markt beobachten sowie die weitere Wirtschaftspolitik gegenüber chinesischen Unternehmen. Vor allem die Anbieter von E-Fahrzeugen bzw. entsprechendem Zubehör (wie Batterien für E-Autos), möchten zur Zeit den deutschen Markt erschließen und denken über Produktionsstätten in Europa nach, um die EU-Zölle zu vermeiden.

Wie wird sich das absehbar für Deutschland auswirken?

Chinesische Investoren bilden nach denen aus der Türkei die zweitgrößte Investorengruppe in NRW. 1/3 aller chinesischen Investitionen in Deutschland wurden in NRW getätigt. Dabei gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern. Bayern, Baden-Württemberg und die ostdeutschen Bundesländer sind offener im Hinblick auf chinesische Investitionen, allerdings verhält sich vor allem das Bundesministerium für Wirtschaft eher restriktiver. Einige Unternehmen überlegen, ihre Sitze nach Osteuropa oder Südostasien zu verlagern.

Aus welchen Branchen kommen Ihre Interviewpartner:innen?

Wir haben unsere Interviewpartner:innen mit einem guten Branchenmix u.a. aus dem produzierenden Gewerbe, Handel, Consulting, Logistik, IT, Dienstleistungen und Marketing ausgewählt, und dabei mittlere und kleinere Unternehmen einbezogen. Die Auswahl erfolgte über chinesische Kontakte, Absolventen unseres Instituts InEast an der Universität Duisburg-Essen, aber auch durch Weiterempfehlung von bereits interviewten Unternehmen, deutsche Mitarbeiter von IHKs, China Desks oder kommunale Wirtschaftsförderungseinrichtungen.

Wie sind Sie in Ihren Gesprächen vorgegangen?

Wir haben unsere Interviews in chinesischer Sprache geführt. Das schuf Vertrauensnähe. Unser Ziel war es, Einblicke in die Sichtweisen, Erfahrungen und Einstellungen unserer Interviewpartner:innen zu erhalten. Wir machten deutlich, dass es primär darum geht, mehr über die Sichtweisen chinesischer Unternehmer in Erfahrung zu bringen, mit dem Ziel, diese in die kommunale und die Landespolitik hinein zu kommunizieren, so dass gegebenenfalls Verbesserungen eingeleitet werden können, die das Investitions- und Lebensumfeld der Unternehmer erleichtern können. wählten dabei einen „qualitativen“ Ansatz, das heißt durch Tiefeninterviews die Einstellungen der befragten Unternehmer detaillierter zu ergründen und zu verstehen. Da die geäußerten Meinungen kaum voneinander abwichen, hielten wir die Zahl der Befragten für hinreichend.

Die von der Deutsch-Chinesischen Wirtschaftsvereinigung veröffentlichte Studie ist aufrufbar unter:
https://www.dcw-ev.de/files/dcw-businesspraxis/DCW-Businesspraxis_02-HEB.pdf

Redaktion: Astrid Bergmeister, Pressesprecherin und Leiterin Ressort Presse,
Tel. 0203/37 9-2430, astrid.bergmeister@uni-due.de

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