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Zum Diversity-Tag

Viele Wege führen an die Uni

  • von Janina Balzer
  • 28.05.2024

Vielfalt und Inklusion bewusst zu fördern, ist wichtig, um Barrieren abzubauen und ein gleichberechtigtes Umfeld zu schaffen – auch im Bildungssystem. Samet Besyaprak ist Student der Erziehungswissenschaft an der UDE und setzt sich für Bildungsgerechtigkeit ein. Im Interview beantwortet der 23-Jährige Fragen zu Diversität und Bildung und erklärt, warum er für diese Themen brennt.

Herr Besyaprak, Sie studieren im vierten Semester Erziehungswissenschaft. Wie sah ihr Weg bis zum Studium aus?

Es war ein langer Weg: Ich bin in Gelsenkirchen in einer Familie mit Migrationsbiografie geboren. Meine Eltern kommen aus der Türkei. Akademische Vorbilder gab es zuhause keine. Mein Vater hat im Bergbau gearbeitet, meine Mutter in der Gastronomie, meine Brüder haben eine Ausbildung gemacht. Ich bin also erstmal in die Grundschule gegangen, dann zur Hauptschule und zur Gesamtschule, wo ich meine Fachoberschulreife gemacht habe. Während des Abiturs habe ich mich dann für ein Stipendiumprogramm beworben. Ich wusste schon immer, dass ich unbedingt studieren möchte. Ich habe zudem schnell gemerkt, dass ich das System Schule interessant finde und, dass ich gerne aus einer Metaperspektive auf unser Bildungssystem und die -gerechtigkeit schaue. Deswegen entschied ich mich für das Studium der Erziehungswissenschaft an der UDE.

Inwiefern hat Ihre Migrationsbiografie Ihren Bildungsaufstieg geprägt?

Ich habe schon häufig Sätze gehört wie „Du musst doppelt so hart arbeiten wie die Deutschen“ oder „Du musst immer 200 Prozent geben“. Ich glaube, dass auf meinen Schultern, und generell auch auf den Schultern von Personen mit Migrationsbiografie, die Träume der vorherigen Generation lasten. Damit ist auch sehr viel Druck verbunden, aber mich hat es auch motiviert, weil ich glaube, dass mit mir für meine Eltern eine Art “German Dream” verbunden war.

Was waren die bislang größten Herausforderungen auf Ihrem Weg?

Ganz klar: Mein Bildungsaufstieg war und ist immer noch die größte Herausforderung.

Ich bin in der ersten Klasse sitzen geblieben und auch die Hauptschule war sehr schwierig für mich. Alles war von Demotivation geprägt, da mir von Lehrer:innen und Schüler:innen vermittelt wurde, dass ein Studium etwas Besonderes ist und dieser Wunsch Hauptschüler:innen verwehrt bleibt – das habe ich auch angefangen zu glauben. Irgendwann gab es allerdings eine Lehrerin, die mich in meinem Wunsch zu studieren bestärkt hat.

Auch das erste Jahr in der Einführungsphase war für mich mit vielen Hürden verbunden. Ich hatte so viele Wissenslücken und musste alles eigenständig aufarbeiten. Irgendwann bin ich dann auf einen Talentscout gestoßen und hatte dort endlich den Raum, über meine Wünsche zu sprechen. Mein Hauptschulhintergrund wurde zu meiner Stärke gemacht. Ich wurde auch darin bekräftigt, mich für ein Schülerstipendium zu bewerben. Bis heute wurde ich durch einige Stipendien unterstützt.

Sehen Sie im Studium auch Unterstützung durch die UDE?

Auf jeden Fall. Meine Fakultät legt sehr viel Wert auf Diversität und unterstützt mein Engagement. Außerdem hat man definitiv auch Möglichkeiten zur Teilhabe durch universitäres Engagement. Ich bin beispielsweise im Studierendenparlament und in der Kommission für Diversity-Management tätig. Auf der anderen Seite gibt es aber auch noch viel Bedarf, die gelebte Diversität zu fördern. Es geht dabei vor allem um die Schaffung eines Umfelds, das die individuellen Bedürfnisse und Potenziale aller Studierenden berücksichtigt. Mir ist dabei ein intersektionaler Blick auf Bildungsungerechtigkeit sehr wichtig, sodass man die Diversität, die man im System hat, auch widerspiegelt – und zwar innen und außen.

Inwiefern verbinden Sie selbst Bildungsgerechtigkeit mit Diversität?

Bildungsgerechtigkeit bedeutet gleiche Bildungschancen für alle – und zwar unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht, sozialer Klasse, sexueller Orientierung, Religion und vielem mehr. Marginalisierte Personengruppen stehen jedoch in Institutionen deutlich größeren Herausforderungen gegenüber. Sie sind auch stärker von Bildungsungerechtigkeiten betroffen.

An meiner Biografie kann man gut sehen, dass es keine Bildungsgerechtigkeit gab. Mittlerweile gibt’s auch ein Bewusstsein dafür, dass Menschen ungleich Bildung erfahren. Einige Gruppen profitieren stärker innerhalb des Systems, andere wiederum werden stärker benachteiligt. Und genau da sehe ich eine starke Verzweigung von Bildungsgerechtigkeit und Diversität. Es gibt individuelle Bedürfnisse, individuelle Wissensstände, individuelle Positionierungen im Hinblick auf Diskriminierungserfahrungen und das betrifft auch den Bildungserfolg oder -misserfolg von Menschen.

Ich habe miterlebt, wie Rassismuserfahrung mit dem Bildungssystem verknüpft ist. Deswegen engagiere ich mich für Bildungsgerechtigkeit. Ich gebe freiberuflich Workshops zu Antirassismus, arbeite im NRW Zentrum für Talentförderung und mache eine Weiterbildung zum NRW-Talentscout, ganz back to the roots, denn die NRW-Talentscouts haben mir geholfen. Sie sind für mich so besonders mit Blick auf meinen Bildungsaufstieg, dass ich selbst in der Beratung helfen möchte. Ich finde es wichtig, das Wissen und die Netzwerke anderen Menschen mitzugeben und somit die Person für Andere mit ähnlicher Erfahrung zu sein, die ich selbst nicht hatte.

Die Fragen stellte Janina Balzer.

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