Montage aus zwei Fotos und einem Zitat: „In den 1950er Jahren hat sich das Bild der Attentäter in der BRD zu wandeln begonnen. Aus vermeintlichen „Verrätern“ wurden Menschen, die ihr Leben riskiert und geopfert hatten, um ein Zeichen gegen den Nat
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Das Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944

Ein Interview mit Prof. Dr. Frank Becker zum 80. Jahrestag

  • 19.07.2024

Am 20. Juli 1944 misslang das Attentat von Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seinen Mitstreitern auf Adolf Hitler. Er überlebte die Explosion der von Stauffenberg platzierten Bombe im "Führerhauptquartier" Wolfsschanze. Stauffenberg und drei weitere Offiziere wurden noch in der selben Nacht erschossen. Insgesamt wurden im Zusammenhang mit dem Anschlag rund 200 Personen hingerichtet. Ein Interview mit Historiker Dr. Frank Becker, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der UDE, zum 80. Jahrestag des Attentatsversuchs, das zum Symbol für den deutschen Widerstand gegen das NS-Regime wurde.

Wer waren die Attentäter? Hitler sprach ja später davon „eine ganz kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich unvernünftiger, verbrecherisch-dummer Offiziere“ habe sich gegen das Regime verschworen.

Prof. Dr. Frank Becker: Zieht man von Hitlers Äußerung die Verunglimpfung ab, bleibt die Aussage stehen, es habe sich um Offiziere gehandelt. Das ist nur für den engeren Kreis der Gruppe um v. Stauffenberg und v. Witzleben richtig. Im weiteren Umfeld waren aber auch Politiker wie der ehemalige (1930 bis 1937) Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler und Diplomaten wie Ulrich v. Hassell vertreten. Auffällig ist, dass die meisten Widerständler adeliger Herkunft waren. Das nutzte das NS-Regime für weitere Verleumdungen.

Welche waren das?

Die Verschwörer seien frustrierte Angehörige der ehemaligen Elite, die im NS-Staat mit seinem Konzept von „Volksgemeinschaft“ ihre Felle davon schwimmen sahen. So versuchten die Nationalsozialisten das Attentat für ihre eigene Propaganda zu instrumentalisieren: Weil sie selbst soziale Hierarchien in der „Volksgemeinschaft“ abschliffen, hätten sie sich den Hass des Adels zugezogen. Gerade Hitler, der aus kleinen Verhältnissen kommend an die Spitze des Staates gelangt sei, habe auf die „Vons“, die solche Positionen ihrer eigenen, privilegierten Schicht vorbehalten sehen wollten, wie ein rotes Tuch gewirkt.

Warum kam dieses Attentat erst so spät?

Das Attentat kam so spät, weil immer wieder Anschlagspläne gescheitert waren. Hitler änderte seine Reiserouten und Zeitpläne oftmals kurzfristig – er wusste um die Gefahr, in der er schwebte. Vorbereitungen, die von der Widerstandsgruppe bereits getroffen worden waren, griffen dadurch wiederholt ins Leere. Technisches Versagen kam hinzu. Erst im Juli 1944 bot sich für v. Stauffenberg der Zugang zum Führerhauptquartier.

Ging es den Attentätern eher darum, den drohenden Kriegsverlust zuvorzukommen oder waren die Gräueltaten des Regimes ausschlaggebend?

Da die Wehrmacht selbst, in erster Linie auf dem östlichen Kriegsschauplatz, in den Genozid an den Juden verstrickt war, ist davon auszugehen, dass auch die Offiziere in der Widerstandsgruppe über diese Gräueltaten im Bilde waren. Ob der Wunsch, sie zu stoppen, für die Attentatspläne eine größere Rolle spielte, ist in der Forschung allerdings umstritten. Wahrscheinlich überwog das Interesse, Deutschland vor der totalen militärischen Niederlage zu bewahren. Die Widerständler waren eingefleischte Nationalkonservative, sie stellten das Wohl und Wehe des Vaterlandes stets voran.

Wie wäre es weitergegangen, wenn das Attentat geglückt wäre? Oft ist von einer Militärdiktatur als Ziel die Rede. Aber es gab doch auch Pläne, den konservativen Politiker Carl Friedrich Goerdeler zum provisorischen Reichsoberhaupt zu machen…

Zunächst hätte die v. Stauffenberg-Gruppe gewiss einen Machtkampf mit der SS bestehen müssen. Heinrich Himmler als Reichsführer-SS war im Sommer 1944 nach Hitler der mächtigste Mann in Deutschland. Als die Nachricht vom Attentat des 20. Juli in Deutschland die Runde machte, glaubten viele Menschen, der Anschlag sei Teil eines von der SS verübten Staatsstreichs. Die v. Stauffenberg-Gruppe plante eine Regierung, in der Generaloberst Ludwig Beck als Staatsoberhaupt mit dem Titel eines „Reichsverwesers“ fungieren, Goerdeler hingegen zunächst Kanzler werden sollte. Von der Absicht zu sprechen, eine Militärdiktatur zu errichten, stellt sicherlich eine Zuspitzung dar. Aber der Widerstandsgruppe schwebte durchaus das politische Ideal eines konservativen Ständestaates vor.

Hätten die Attentäter wirklich den Krieg beenden können, ohne eine bedingungslose Kapitulation?

Die Alliierten hatten sich schon bei der Konferenz von Casablanca Anfang 1943 darauf verständigt, den Krieg bis zur bedingungslosen Kapitulation Deutschlands weiterzuführen. Ob sie angesichts eines Sturzes der NS-Regierung von diesem Ziel abgesehen hätten, ist äußerst fraglich. Am 20. Juli 1944 lag die Invasion der Westmächte in der Normandie am 6. Juni bereits rund sechs Wochen zurück. Wäre das Attentat auf Hitler vor dem 6. Juni erfolgt und wäre es geglückt, dann hätte eine Regierung Beck-Goerdeler zumindest eine Trumpfkarte in der Hand gehabt: Sie hätte den Westalliierten einen Friedensschluss anbieten können, der diesen die verlustreiche Invasion ersparte. Nachdem die Invasion aber ohnehin erfolgt war, konnte die deutsche Seite praktisch nichts mehr anbieten.

Zunächst galten die Attentäter als Vaterlandsverräter – auch noch in den Anfängen der BRD. Wann änderte sich das?

In den 1950er Jahren hat sich das Bild der Attentäter in der BRD zu wandeln begonnen. Aus vermeintlichen „Verrätern“ wurden Menschen, die ihr Leben riskiert und geopfert hatten, um ein Zeichen gegen den Nationalsozialismus zu setzen. Sie standen nun gleichsam für ein „besseres Deutschland“. An dieses Deutschland wollte die Bundesrepublik anknüpfen; gerade die neu gegründete Bundeswehr betrieb mit dem Rekurs auf den 20. Juli eine Traditionsbildung, die sie von der Hitler ergebenen Truppe des Zweiten Weltkrieges möglichst weit wegrückte.

Warum ist das Attentat vom 20. Juli mehr als alle anderen ins kollektive Gedächtnis der Bundesrepublik eingegangen? Es gab ja mehrere Versuche, Hitler zu töten – auch schon vor dem 2. Weltkrieg.

Etwas schwierig machte die v. Stauffenberg-Gruppe in erinnerungskultureller Hinsicht zwar ihre keineswegs demokratische politische Vorstellungswelt. Betrachtet man allerdings die sozialistische Rote Kapelle oder den Attentäter vom November 1939, Georg Elser, der dem KPD-nahen Rotfrontkämpferbund angehört hatte, so handelte es sich hierbei um Alternativen, die im Kalten Krieg denkbar ungeeignet waren – zumal die Rote Kapelle geschichtspolitisch von der DDR vereinnahmt wurde. Besonders die Zentralfigur des 20. Juli, v. Stauffenberg, ließ sich im Übrigen ein wenig aus dem nationalkriegerischen Kontext herauslösen, indem man daran erinnerte, dass dieser zu dem Kreis um den Dichter Stefan George gehört hatte; nicht nur ein Soldat also, sondern auch ein Schöngeist mit sensiblem Gewissen.

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