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Soziale Lage südosteuropäischer Zuwanderer in Duisburg

Keine Besserung in Sicht

  • von Katja Goepel
  • 15.10.2024

Vor 10 Jahren erweiterte sich der Raum der europäischen Arbeitnehmerfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien. Heute leben etwa 1,3 Mio. Menschen aus diesen Ländern in der Bundesrepublik, das sind etwa 10 Prozent  der ausländischen Bevölkerung. Doch oft wird  die Migration aus diesen beiden Ländern noch immer als Armutszuwanderung stigmatisiert.  Polina Manolova, Thorsten Schlee und Lena Wiese vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen beleuchten in einer neuen Studie die vielfältigen, sich gegenseitig bedingenden Diskriminierungserfahrungen südosteuropäischer Migrant:innen in Duisburg.

Gemessen an der Bevölkerungszahl ist Duisburg die Stadt mit den meisten Zugewanderten aus Bulgarien und Rumänien in Nordrhein-Westfalen. Aktuell leben hier rund 26.000 Menschen aus den beiden Ländern. Trotz des sich zuspitzenden Fachkräftemangels wird die seit 10 Jahren bestehende volle Arbeitnehmerfreizügigkeit für EU-Bürger:innen aus Rumänien und Bulgarien selten als Potenzial für den deutschen Arbeitsmarkt gesehen. Im Gegenteil: Es dominieren noch immer Zuschreibungen wie Armutszuwanderung oder „Sozialtourismus“, was sich in politischen Programmen genauso niederschlägt, wie im Alltag der Zugewanderten. In einer neuen Studie beleuchten Polina Manolova, Thorsten Schlee und Lena Wiese vom IAQ die vielfältigen Diskriminierungserfahrungen südosteuropäischer Migrant:innen in zwei Duisburger Stadtteilen beim Zugang zu Arbeit, Wohnraum und sozialer Sicherung sowie deren Wechselwirkungen.

Obwohl Bulgar:innen und Rumän:innen insgesamt sehr gute Integrationschancen zugeschrieben werden und auch die Beschäftigtenquote von Personen aus Rumänien (67,2 %) und Bulgarien (53,6 %) insgesamt relativ hoch ist, hält sich das Narrativ, Migrant:innen aus diesen Ländern würden die europäische Arbeitnehmerfreizügigkeit ausnutzen, um Zugang zu den deutschen Sozialsystemen zu erhalten. Dem widersprechen die Ergebnisse der IAQ-Wissenschaftler:innen, die für das von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes finanzierte Projekt „Diskriminierung jenseits der Kategorien“ zwischen November 2023 und Juni 2024 etwa 720 Personen im Rahmen einer Sozialberatung in den Duisburger Stadtteilen Hochfeld und Marxloh begleitet haben. Zusätzlich wurden mit ausgewählten Personen ausführliche Interviews geführt.

„Entgegen den weit verbreiteten Vorstellungen vom ‚Sozialleistungsmissbrauch‘ nehmen die Migrant:innen, die wir begleitet haben, wohlfahrtsstaatliche Leistungen nur zögerlich in Anspruch. In manchen Fällen haben sie unsere Hinweise auf Möglichkeiten, staatliche Hilfen zu beantragen, auch aktiv ausgeschlagen“, berichtet Polina Manolova. Was in der öffentlichen Berichterstattung oft unerwähnt bleibt: EU-Bürger:innen haben in Deutschland erst nach fünf Beschäftigungsjahren überhaupt vollen Zugang zu den sozialen Leistungen. Dieser wird den Zugewanderten durch schwer zu erbringende Nachweise, lange Wartezeiten auf einen Termin und lange Bearbeitungszeiten erschwert. So fallen Personen mit besonders hohem Bedarf aus den Systemen sozialer Sicherung heraus. Dabei sind es gerade sie, die in häufig prekären Beschäftigungsverhältnissen die migrantisch geprägten Wirtschaftssektoren (Fleischindustrie, Bauindustrie, Industriereinigung, Logistik, 24-Stunden-Pflege) am Laufen halten.

Für die vielen Teilzeitbeschäftigten werden häufig keine Sozialversicherungsbeiträge eingezahlt. Zudem wechseln migrantische Beschäftigte immer wieder zwischen befristeten Arbeitsverhältnissen und Zeiten der Arbeitslosigkeit. Sie erwerben so keinerlei Anspruch auf einen regulären Zugang zur Arbeitslosenversicherung, zur Krankenversicherung und zur Sozialhilfe. Lohnstruktur und Art der Beschäftigungsverhältnisse führen dazu, dass die Bezahlung nicht ausreicht, um ein existenzsicherndes Einkommen zu erwirtschaften: 44 Prozent der aus Rumänien stammenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten sowie mehr als die Hälfte der Bulgar:innen erhalten Entgelte unterhalb der Niedriglohnschwelle.

Auch beim Thema Wohnen sind zugewanderte Südosteuropäer:innen weiterhin ethnien- bzw. herkunftsbezogener Diskriminierung ausgesetzt. Zahlreiche Aussagen in den Sozialberatungen weisen darauf hin, dass der reguläre Wohnungsmarkt für Menschen mit rumänisch oder bulgarisch klingenden Namen unzugänglich ist. Sie finden Wohnungen häufig nur über informelle Wege. Zudem nutzen Vermieter*innen die prekäre Lage der Migrant:innen aus, um Wohnräume mit geringem Standard zu vermieten und Wohnungen teilweise überzubelegen.

Die Wissenschaftler:innen betonen: Es ist das Zusammenwirken von diskriminierenden Erfahrungen in der Arbeitswelt, auf dem Wohnungsmarkt und im Zugang zu sozialen Rechten, das zur (Re-)Produktion der prekären Lage südosteuropäischer Migrant:innen in Duisburg führt. Die lokale Sozialpolitik muss sich fragen, wo sie die Verantwortung für die anhaltend schlechten Lebensbedingungen sieht: in den Integrationshemmnissen und kulturellen Abweichungen der Zuwandernden oder in deregulierten Arbeits- und Wohnungsmärkten und ihren eigenen programmatischen Ausrichtungen und administrativen Verfahren. Denn diese verschlimmern zum Teil die ohnehin prekäre Lage der Zugewanderten, anstatt sie in schwierigen Lebenslagen zu stärken und zu unterstützen.

Weitere Informationen:

Link zum Report: https://www.uni-due.de/iaq/iaq-report-info.php?nr=2024-10

Polina Manolova, Thorsten Schlee, Lena Wiese, 2024: Multiple Prekarisierung – Zur Lebenslage osteuropäischer Migrant*innen in urbanen Sozialräumen am Beispiel der beiden Duisburger Stadtteile Hochfeld und Marxloh. Duisburg: Inst. Arbeit und Qualifikation. IAQ-Report 2024-10.


Dr. Thorsten Schlee, IAQ, Tel. 0203/37 9-2850, thorsten.schlee@uni-due.de

Redaktion: Katja Goepel, Pressereferentin IAQ, Tel. 0203-37 9-1836, katja.goepel@uni-due.de

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