Projekt: Erzählen als politisches Sprechen
Geschichten von der Armut
- 17.12.2024
Über Armut wird öffentlich diskutiert, die betroffenen Menschen selbst finden jedoch selten Gehör. Dass ihre Stimmen wahrgenommen werden – dazu möchte das Team um Dr. Holger Schoneville, Professor für Soziale Arbeit an der Universität Duisburg-Essen, mit einem besonderen Vorhaben beitragen. In einem Wochenend-Workshop werden Menschen mit Armutserfahrungen angeleitet, ihre Geschichten aufzuschreiben. Das Projekt Alltägliche Armutserfahrungen. Erzählen als politisches Sprechen wird von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert.
Menschen mit wenig Geld sind in vielen Lebensbereichen benachteiligt. Dass sie nicht an dem teilhaben können, was in einer Gesellschaft als normal gilt, stigmatisiert sie. „Armutsbetroffene sind oft beschämenden Situationen ausgesetzt“, sagt Prof. Schoneville. Er forscht gemeinsam mit Helen Dambach (UDE) und Lena-Maria Nägle (Universität Hamburg) zu Armut und sozialer Ausgrenzung. So ging es in einem vorherigen Projekt u.a. um eine Debatte in den sozialen Medien, wo unter dem Hashtag #IchBinArmutsbetroffen Menschen anonym auf X über ihre Erlebnisse berichten. Das Team fand, dass diese Geschichten mehr Raum brauchen.
Die Idee: Armutsbetroffene in angeleiteten Übungen und Gesprächen darin zu unterstützen, ihre persönlichen, teils demütigenden Erfahrungen zu Papier zu bringen. Dafür organisierte das Team Mitte Dezember einen zweitägigen Schreibworkshop. Wichtig war es, eine vertrauensvolle, geschützte Atmosphäre zu schaffen. „Die mit Armut verbundene Stigmatisierung bedeutet für viele der betroffenen Menschen Stress und auch Schmerz. Ein Zustand der im Alltag oft versteckt wird. Es war für einige deshalb schon eine Hürde, sich überhaupt zum Workshop anzumelden“ sagt Schoneville und nennt eine weitere Herausforderung: „Welche der unzähligen alltäglichen Armutserfahrungen sollen Gegenstand der erzählten Geschichte werden?“
Sparen auf Weihnachten – schon ab Ostern
Ein aktuelles und sehr dominantes Thema bei vielen: Weihnachten. „Mein Weihnachten fängt im Frühjahr an, haben uns viele erzählt. Sie sind schon ab da mit der Sorge beschäftigt, wie sie Heiligabend finanzieren können. Erwartungen oft nicht gerecht werden zu können, weil der finanzielle Rahmen es nicht erlaubt, empfinden die Betroffenen als sehr schmerzhaft“, so Schoneville.
Auch die vorurteilsbehafteten Zuschreibungen von Armut sind verletzend: „Die Teilnehmenden berichteten, dass sie trotz ständiger Anstrengungen gezeigt bekommen, dass sie nicht dazugehören. Das betrifft Erfahrungen bei der Tafel genauso wie den Umgang mit Ämtern oder bei den Schulempfehlungen der Kinder“, sagt Schoneville.
Trotz der individuellen Armutserfahrungen gibt es wiederkehrende Muster von Stigmatisierung und Ausgrenzung. „So wird – das zeigt auch der gerade einsetzende Bundestagswahlkampf – über die Betroffenen gesprochen, aber selten mit ihnen. Politische Teilhabe ist aus einer prekären Position heraus kaum möglich“, hält Schoneville fest.
Zum Projekt Alltägliche Armutserfahrungen. Erzählen als politisches Sprechen gehört ein zweiter Schreib-Workshop mit weiteren Armutsbetroffenen im März 2025. Geplant ist, die Geschichten aus der Armut anschließend zu veröffentlichen.
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Holger Schoneville, Theorie und Methoden der Sozialen Arbeit, Tel. 0201/18 3-2758, holger.schoneville@uni-due.de