Personalia
Nachruf auf Prof. Dr. Hermann Sturm
Ein paar Ältere erinnern sich vielleicht noch: wer in den achtziger und neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts in der 2. Etage von Gebäude R12 durch den A- oder B-Flur ging, kam vorbei an einem verglasten Innenraum voller Gebrauchsgegenstände: Radios, Schreibmaschinen, Haartrockner und vieles andere mehr, das noch ein bisschen älter war, als dieser Flur – die Designsammlung des damaligen Fachbereichs 4. Die Sammlung gibt es noch – mittlerweile im Quartier Nord der Folkwang Universität der Künste auf dem Gelände des Weltkulturerbes Zollverein. Ihr Begründer, der auch ein grundlegendes Buch dazu herausgegeben hat („gestalten gebrauchen erinnern“), ist im Februar wenige Wochen vor seinem 88. Geburtstag verstorben.
Professor Hermann Sturm war eine prägende Gestalt der ehemaligen Gesamthochschule und Universität Essen. Aufgewachsen im Nordosten Baden-Württembergs, studierte er Kunst, Philosophie und Germanistik in Stuttgart, Berlin und Tübingen. Danach war er Lehrer an verschiedenen württembergischen Schulen und ab 1966 Dozent an den pädagogischen Hochschulen in Wuppertal, Braunschweig und Essen. Dort wurde er 1972 zum Universitäts-Professor der neugegründeten Gesamthochschule ernannt und vertrat bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2001 das Fach Kunst- und Designpädagogik in Lehre und Forschung. Die Folgen seines Wirkens reichen weit über Essen hinaus. Viele seiner ehemaligen Mitarbeiter*innen und Doktorand*innen haben später andernorts Karrieren gemacht.
Nicht nur als akademischer Lehrer hinterließ Hermann Sturm nachhaltige Spuren. Als Autor und Herausgeber veröffentlichte er Dutzende von Büchern zur ästhetischen Theorie und Praxis. Sein Hauptinteresse galt der noch jungen Disziplin der Designwissenschaft. Sein Buch „Der ästhetische Augenblick“ gehört bis heute zum designwissenschaftlichen Kanon. Außerdem verfasste er zahllose Zeitschriftenartikel und konzipierte einschlägige Ausstellungen in Essen, Duisburg, Basel und anderswo. Er engagierte sich in der akademischen Selbstverwaltung und bei Reform-Versuchen in der Lehrerausbildung und gründet 1998 mit Kolleginnen und Kollegen das „Institut für Kunst und Design“ (IKUD) - als wissenschaftliche Einrichtung der damaligen Fakultät für Kunst und Design mit der Aufgabe, „die Theoriefächer Kunst- und Designwissenschaften zu betreiben, die Zusammenarbeit mit außeruniversitären Einrichtungen (Museen, Instituten, Sammlungen, Designzentren, Forschungsstellen) zu verstärken und weiterzuentwickeln“. Dieses Institut leitete er bis zu seiner Emeritierung. Zusammen mit vier Kollegen aus den Politik-, Sozial- und Literaturwissenschaften rief er 1986 „Revierkultur“ ins Leben – eine „Zeitschrift für Gesellschaft, Kunst und Politik im Ballungsraum“. Die hat zwar nach acht Ausgaben ihr Erscheinen wieder eingestellt, ihre Hefte aber sind heute noch hochaktuell. Vielleicht wurde sie einfach zu früh gegründet. Sturms Interesse an regionaler Kultur manifestierte sich auch in der Kampagne gegen den Abriss des historischen Turmhauses der Krupp‘schen Hauptverwaltung.
Engagement für das Ruhrgebiet und internationale Kooperation war für Hermann Sturm kein Widerspruch. Er importierte das Amt des „artist in residence“, lud ausländische Gastdozent*innen ein, hielt selbst Vorlesungen in den USA und war Gastprofessor in Tokio. Seine schwäbische Herkunft hat er dabei nie verleugnet.
Neben all diesen Aktivitäten fand er immer auch Zeit für die eigene künstlerische Arbeit. Mehrere Einzelausstellungen und Beteiligungen an zahlreichen Gruppenausstellungen bezeugen dies. Sein Nachlass enthält Hunderte von Linolschnitten, Aquarellen, Zeichnungen und Radierungen.
Hermann Sturm hat die Gründungsideen dieser Hochschule (Theorie-Praxis-Integration, Regionalbezug und Internationalisierung) ernst genommen und gelebt. In einer Zeit, da Kultur- und Geisteswissenschaften hochschulpolitisch in den Hintergrund geraten, ist es gut, an ihn und seine Arbeit zu erinnern.
Prof. Dr. Cordula Meier
(Institut für Kunst- und Designwissenschaft, Folkwang Universität der Künste)
Dr. Hannes Krauss
(c) Foto: Dekanat Geisteswissenschaften
Nachruf auf Prof. Dr. Michael Gassenmeier
Das Institut für Anglophone Studien und die Fakultät für Geisteswissenschaften nehmen Abschied von Prof. Dr. Michael Gassenmeier (7.2.1943 – 17.9.2023), der vom Wintersemester 1995/96 bis zu seiner Emeritierung 2008 zunächst an der Gerhard-Mercator-Universität Duisburg und seit 2003 an der Universität Duisburg-Essen Professor für Anglistik/Literaturwissenschaft war. Nach dem Studium der Anglistik, Germanistik und Philosophie an den Universitäten Heidelberg, Mannheim und Edinburgh (M.A. 1968), der Promotion in Mannheim (1970) mit einer Arbeit zum sentimentalen Roman des 18. Jahrhunderts und
der Habilitation 1985 in Mannheim über politische Londondichtung des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts war Michael Gassenmeier als akademischer Rat und apl.-Professor in Mannheim und als Lehrstuhlvertreter in Rostock tätig, bevor er 1995 nach Duisburg berufen wurde.
In Forschung und Lehre bearbeitete er ein ungewöhnlich breites Spektrum an Themen – von Shakespeare über die Dichtung und das Drama der Renaissance bis hin zu Beckett –, wobei die Lyrik des 17. und 18. Jahrhunderts, der Romantik und der klassischen Moderne besondere Schwerpunkte bildeten. In seinem wissenschaftlichen Werk arbeitete Michael Gassenmeier stark kulturhistorisch, sein Interesse war jedoch stets primär philologisch. Besonders eindrucksvoll war seine einzigartige Fähigkeit zum detaillierten close reading – dabei wirkten seine genauen Analysen nie pedantisch, sondern boten mit ihrem außerordentlichen Gespür für Mehrdeutigkeiten und Sinnebenen stets überraschende und faszinierende Lektüren. Dass viele seiner Arbeiten, wie in der deutschen Anglistik lange üblich, in deutscher Sprache erschienen, hat ihre internationale Rezeption zwar leider begrenzt, dennoch gehören etliche seiner Publikationen – ob zu John Donnes „Air and Angels“, zu Eliots Waste Land oder zu Becketts Krapps Last Tape – auch nach z.T. über 40 Jahren noch zur Standardlektüre in zahlreichen Readern für Seminare oder Vorlesungen. Jargonfrei, klar und präzise argumentiert und stets textnah, sind sie nämlich trotz ihrer Differenziertheit und literaturwissenschaftlichen Ergiebigkeit in besonderer Weise auch Studierenden zugänglich.
Michael Gassenmeier verstand sich denn wohl auch mindestens ebenso sehr als akademischer Lehrer wie als Forscher: Seine Vorlesungen und insbesondere die oft spät abends angesetzten Seminare und Oberseminare (die nicht selten in die Verlängerung gingen), erlaubten einen stets dialogorientierten akademischen Diskurs auf höchstem Niveau Die für ihn so charakteristischen, sorgfältig komponierten A3-Handouts zu den jeweils diskutierten Texten, die Erläuterungen, Hinweise auf Anspielungen und Parallelstellen etc. enthielten, trugen ebenfalls dazu bei, dass am Ende eines Semesters ein ebenso breites wie tiefes Verständnis der Texte und Kontexte erreicht war.
Besonders engagiert hat sich Michael Gassenmeier auch für die von Anfang an bemerkenswert international ausgerichtete Gesellschaft für englische Romantik, deren Präsident er mehr als zehn Jahre lang war, und für die er 1996 in Duisburg eine in der Gesellschaft immer noch gern erinnerte einzigartige Konferenz ausrichtete, die – als gemeinsame Tagung mit der International Byron Society angelegt – die führenden Vertreterinnen und Vertreter der internationalen Romantik-Forschung für mehrere Tage in der Sportschule Wedau in Duisburg und für zwei Tage auf einem Schiff auf dem Rhein zusammenbrachte.
Zentrales Projekt der ersten Jahre nach seiner Emeritierung war eine Monographie über einen Illustrationszyklus zu Robert Musils Mann ohne Eigenschaften, den sein bereits Anfang der 1950er Jahre verstorbener Vater Ernst Gassenmeier, gleichermaßen erfolgreicher Chemiker wie hochbegabter Künstler, hinterlassen hatte. Michael Gassenmeier hat dieses Projekt, mit dem er die jahrelange Beschäftigung mit Musils Jahrhundertroman, die Exegese eines höchst anspielungsreichen, vielschichtigen und hochkomplexen Illustrationszyklus, aber auch ein Stück Familiengeschichte verband, mit einer 2013 veröffentlichten und in der Musilforschung viel beachteten Monographie abgeschlossen. Es hat ihn in seinen letzten Jahren sehr gefreut, dass die Arbeiten seines Vaters in etlichen Ausstellungen zu sehen waren, die er mit Vorträgen eröffnet und begleitet hat, und die – was ihn als Musik-Liebhaber und -Kenner besonders gefreut hat – sogar Werke zeitgenössischer Komponisten angeregt haben.
Akademische Schülerinnen und Schüler, Studierende, Kolleginnen und Kollegen und Freundinnen und Freunde von Michael Gassenmeier erinnern sich dankbar an zahlreiche Gespräche, an seine engagierte Begleitung und Betreuung, an faszinierende Seminare und Vorlesungen, an seine ansteckende Begeisterung für Literatur und für Musik, an Hauskonzerte bei ihm und seiner Frau Gundula in der Mannheimer Wohnung. Michael Gassenmeier war ein begnadeter Literaturwissenschaftler, ein engagierter Lehrender, Kollege und Freund – und im besten Sinne ein Original, wie es sie im Wissenschaftsbetrieb immer weniger gibt.
Nachruf auf Prof. Dr. Helmut Fischer
Das Fach Germanistik nimmt Abschied von Professor Dr. Helmut Fischer (5. 9. 1934 - 23. 7. 2023).
Der Werdegang unseres langjährigen und geschätzten Kollegen spiegelt – über dessen persönliche Leistung hinaus – auch die Entwicklung der Hochschullandschaft in Nordrhein- Westfalen wider: Nach dem Abitur, 1957 am Gymnasium in Siegburg, absolvierte Helmut Fischer ein selbstgewähltes „duales Studium“:Germanistik undGeschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn bis zur Promotion und parallel dazu ein Lehramtsstudium für Volksschulen an der Pädagogischen Akademie Bonn. Dort – inzwischen zur „Abteilung Bonn“ der Pädagogischen Hochschule Rheinland geworden – wirkte er ab 1964 als Assistent, nachdem er zuvor einige Jahre als Lehrer in seinem Wohnort Stadt Blankenburg (Großgemeinde Hennef) Praxiserfahrung gesammelt hatte. Im Jahr 1969 konnte er auf eine Dozentur an der „Abteilung Essen“ der Pädagogischen Hochschule Ruhr wechseln, wo er nach der Habilitation 1972 zum Professor ernannt wurde und – nun an der Gesamthochschule bzw. Universität Essen – bis zu seinem Ruhestand 1996 tätig war. In einer Zeit „ewiger Umgestaltung“ und erheblicher Unruhe war Professor Fischer ein Pol der Ruhe, als Kollege wie auch – und vor allem – als akademischer Lehrer. Altmodische Tugenden wie Bescheidenheit, Kollegialität und Pflichterfüllung haben seine Arbeit insgesamt charakterisiert. Die enorme Belastung, die seine außerordentliche Beliebtheit als Lehrender, als Berater und Prüfer bedeutete, haben wir damals wohl nicht immer angemessen gewürdigt. Wohl auch, weil sie überwiegend – aber keineswegs ausschließlich – den Studierenden des Lehramts Primarstufe zugute kam, die im Rückblick als Stiefkinder des akademischen Umbaus gelten dürfen. Im alltäglichen Betrieb, zu dem in den Gründerjahren der Gesamthochschule auch das Dekansamt gehörte, hat sich Kollege Fischer – als Rheinländer in dieser Hinsicht fast preußisch – keiner Aufgabe entzogen. Dabei konnte man sein Profil und seine beträchtliche Leistung als Forscher leicht aus dem Blick verlieren. Dafür gibt es drei Gründe: Methoden, Publikation, regionale Bindung. An einer frühen und einer späteren Veröffentlichung lässt sich das ablesen: „Erzählüberlieferung an der Sieg“ (1975) und – heute noch leicht greifbar – „Sagen aus dem Land an Rhein und Sieg“ (1991). Der Forscher Fischer kombinierte im Umgang mit dem Material, das er aktuell wie historisch in seiner heimatlichen Region fand, Methoden der Archivwissenschaft, der empirischen Erzählforschung, der Volkskunde, der Dialektologie und der Regionalgeschichtsschreibung. Das sollte man nicht als altmodisch oder eklektisch verkennen, fügte es sich doch zu einer reflektierten „Ethnologie des Nahen“. Fischer (wie es die regionale Tagespresse tat) einen „Heimatforscher“ zu nennen, ist als Lob durchaus treffend. Es war nur konsequent, dass er seine Arbeiten nicht auf die üblichen germanistischen Publikationswege geschickt hat, sondern auch hier das regionale Prinzip bevorzugte. Wer sich für seine mehr als hundert Einzelpublikationen interessiert, kann sie am besten im Stadtarchiv Hennef einsehen, das – wenig überraschend – von Helmut Fischer selbst maßgeblich konzipiert wurde. Dass er dort auch seit 1983, vielfach wiedergewählt, als ehrenamtlicher Denkmalspfleger tätig war, begründet die hohe Wertschätzung in seiner Heimatstadt. Aber nicht nur dort: Schon 2002 hat Helmut Fischer für seine Forschungen den Europäischen Märchenpreis erhalten. Dass er sich imRuhrgebiet, abgesehen von seiner akademischen Tätigkeit, nicht weiter akkulturiert hat, mögen wir bedauern. Wir trösten uns aber mit seinen „Kinderreimen im Ruhrgebiet“ (1991) und werden den engagierten Lehrer an Schule und Hochschule, den geschätzten Kollegen und herausragenden Heimatforscher Helmut Fischer nicht vergessen.
Prof. em. Dr. Jochen Vogt
Das Institut für Germanistik
Der Geschäftsführende Direktor Prof. Dr. Tobias Kurwinkel
Nachruf Prof. Dr. Kurt Otto Seidel
Das Institut für Germanistik und die Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Duisburg-Essen nehmen Abschied von Kurt Otto Seidel (15. 12. 1941–3. 6. 2023) der von 1996 bis zum Eintritt in den Ruhestand 2007 hier Professor für Germanistik/Mediävistik gewesen ist. Kurt Otto Seidel hat 1973 in Münster mit einer Arbeit zum didaktischen Werk von Heinrich dem Teichner promoviert. Während langjähriger Tätigkeit an den Universitäten in Münster und Bielefeld war er schwerpunktmäßig mit der Deutschen Sprachgeschichte befasst. Seine 1979 gemeinsam mit Renate Schophaus verfasste „Einführung in das Mittelhochdeutsche“ wurde rasch zu einem wesentlichen Studienbuch. Immer stärker entwickelte er in dieser Zeit die beiden anderen Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen Arbeit: die Handschriftenforschung und die geistliche Literatur, vor allem die mittelalterliche Predigt. Neben den zahlreichen Fachaufsätzen, die er verfasst hat, sind besonders der Sammelband „Sô predigent etelîche“ mit Beiträgen zur deutschen und niederländischen Predigt im Mittelalter (1982), die Ausgabe der mittelniederdeutschen Margaretenlegende (1994, gemeinsam mit Guido Drexel) und Bände zur Handschriftenüberlieferung bei Teichner und den St. Georgener Predigten (1978 und 1982) zu nennen. Über die komplexe Überlieferungsgeschichte der St. Georgener Predigten, einer wichtigen zisterziensischen Predigtsammlung des 13. Jahrhunderts, hat Kurt Otto Seidel 1995 seine Habilitation verfasst; die Ergebnisse seiner Arbeit sind in einem 2003 in der Reihe „Münchner Texte und Untersuchungen“ erschienenen Band öffentlich gemacht. Die vollständige Erfassung und Beschreibung der Überlieferung war Inhalt eines Drittmittelprojektes, das er an der Universität Duisburg-Essen mit Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft von 2000 bis 2004 ausgeführt hat; die daraus hervorgegangene Neuedition der St. Georgener Predigten erschien 2010 in der Reihe „Deutsche Texte des Mittelalters“ (gemeinsam mit Regina D. Schiewer). Kurt Otto Seidel war Mitherausgeber der Reihe „Lateres. Texte und Studien zu Antike, Mittelalter und früher Neuzeit“ sowie des mediävistischen Internet-Periodicums der Universität Duisburg-Essen „Perspicuitas“. Die 2008 zu seinen Ehren erschienene Festschrift mit dem Titel „Exemplar“, mit Beiträgen zur Handschriftenkunde, zur geistlichen Literatur und mittelalterlichen Lyrik, demonstriert auf über 350 Seiten die große Zuneigung und Verehrung, die Kurt Otto Seidel unter Kolleginnen und Kollegen genoss. Offenheit, Einsatzbereitschaft, Loyalität, Freundlichkeit gegenüber allen – dies sind nur einige von vielen angenehmen Eigenschaften, für die Kurt Otto Seidel im gesamten Kollegium und von den Studierenden geschätzt wurde. Er war zudem streitbar im besten Sinne des Wortes und stand für seine Überzeugungen ein. Aufgaben in der akademischen Selbstverwaltung nahm er sehr ernst und investierte viel in den Zusammenhalt des kleinen Teilfachs Mediävistik. Studierende und alle, die mit ihm zusammenarbeiteten, erlebten ihn als stets verlässlich, zugewandt, offen für Gespräche, empathisch, humorvoll und engagiert. Er war ein Verfechter des Konzeptes der offenen, liberalen Hochschulen und passte damit hervorragend in die noch vergleichsweise junge Universität Essen. Insofern achtete er im Umgang mit Studierenden auf flache Hierarchien und einen auf Augenhöhe stattfindenden zwischenmenschlichen Austausch. Neben fachlichen Fragen wurde am runden, stets mit einer hübschen Tischdecke versehenen Tisch in seinem Büro auch Persönliches sowie generell eine Vielzahl interessanter Themen besprochen. Legendär waren die Handschriftenexkursionen, die Studierende gemeinsam mit Mitarbeiterinnen der Abteilung nach Wolfenbüttel, Bamberg, Trier, Mainz, Colmar/Straßburg, Fulda, Speyer und Berlin führten. Auf diesen Exkursionen bekamen interessierte Studierende die Gelegenheit, in die Welt der mittelalterlichen Handschriften einzutauchen und, nach einigen vorbereitenden Instruktionen, eigenständig an ausgewählten handschriftlichen Exemplaren zu arbeiten. Stadtführungen, Museumsbesuche oder, bei der ersten Exkursion, ein Abstecher ins Kloster Wienhausen rundeten das Programm ab. Darüber hinaus bestand stets reichlich Gelegenheit für geselliges Beisammensein. Auf diese Weise entstand um ihn herum ein Kreis mediävistisch interessierter Studierender, eine kleine vertraute Welt innerhalb der Massenuniversität. Er hatte die Fähigkeit, zunächst trocken und abstrakt anmutende altphilologische Themenfelder auf anschauliche und verständliche Weise zu vermitteln. Hierdurch wurde z. B. die Geschichte der deutschen Sprache für die Studierenden zu einem gedankenanregenden Gegenstand und Feld neuer Entdeckungen. Seine sich über mehrere Semester erstreckende Vorlesung zur deutschen Sprachgeschichte des Mittelalters ist vielen ehemaligen Studierenden in bester Erinnerung. Im Rückblick auf seine Bielefelder Zeit erinnerte er sich u. a. gerne an eine in mediävistisch-linguistischer Kooperation angebotene mehrsemestrige Übung zu mittelalterlichen lateinischen Grammatiken, mit der er ambitionierten Studierenden eine frühe Form des forschenden Lernens ermöglichte. Im Ruhestand bot er noch einige Jahre lang ein Blockseminar zur Einführung ins Gotische an. Im Rahmen seines Projektes zur Neuedition der ‚Sankt Georgener Predigten‘ gelang es ihm, die Duisburg- Essener Mediävistik mit verschiedenen Standorten der deutsch-niederländischen Predigtforschung zu verbinden. Hierfür lud er auch regelmäßig einschlägige Expertinnen und Experten in die Vortragsreihe ‚Mediävistisches Kolloquium‘ ein. Kurt Otto Seidel verfügte über ein enormes Fachwissen, das er bereitwillig mit anderen teilte. Darüber hinaus verfolgte er zahlreiche weitere Interessen, von denen z. B. seine Begeisterung für Schweden und für Katzen sowie sein ehrenamtliches Engagement im Tierheim zu nennen wären. Wir werden ihm ein ehrendes und besonders ein zugeneigtes Andenken bewahren.
Simone Loleit, Martin Schubert
Im Gedenken an unseren geschätzten Kollegen und Lehrer
Mira Arora
Rüdiger Brandt
Björn Bulizek
Yurdakul Cakir-Dikkaya
Heinz Eickmans
Andreas Erb
Maryvonne Hagby
Ulrike Haß
Claudia Held
Gaby Herchert
Werner Jung
Kornelia Karimian
Hannes Krauss
Eva Lipkowski
Eische Loose
Gereon Mayer
Kirsten Menke-Schnellbächer
Matthias Meyer
Nine Miedema
Ulrike Pospiech
Erhard Reckwitz
Elke Reinhardt-Becker
Hannes Rieser
Hiltburg Sanders
Claudia Schirrmeister
Ulrich Schmitz
Simone Schultz-Balluff
Jochen Vogt
Elke Zinsmeister
Trauer um Prof. Dr. Ludger Claßen
Die Essener Literaturwissenschaft trauert um Prof. Dr. Ludger Claßen (1. 2. 1953 – 30. 5. 2023)
Zurecht wurden in zahlreichen Nachrufen Ludger Claßens Verdienste um die Geschichtswissenschaft gewürdigt - sowohl als Verleger wie auch als Forscher und Autor. Mit einigem Fug und Recht kann man aber auch sagen, dass seine verlegerische Arbeit und sein spezifischer Stil geprägt wurden durch sein germanistisches Studium und seine Anfänge als Literaturwissenschaftler.
Claßens literaturwissenschaftliche Dissertation Satirisches Erzählen im 20. Jahrhundert. Heinrich Mann. Bertolt Brecht. Martin Walser. F. C. Delius, 1985 erschienen, zählt bis heute zu den einschlägigen Referenzwerken. Basierend auf der Kontroverse zwischen Theodor W. Adorno und Georg Lukács und auf der Arbeit der Lukács-Schülerin Georgina Baum, entwickelte er ein Instrumentarium, mit dem er in exemplarischen Schnitten von der Jahrhundertwende (Heinrich Mann) bis zur unmittelbaren Gegenwart der Dissertation (F. C. Delius) Möglichkeiten und Grenzen der Satire untersuchte. Von Anfang an war Claßens wissenschaftliches Interesse gleichermaßen historisch orientiert wie auch aktuell alltags- und gesellschaftspolitisch ausgerichtet. Fokussiert wurde dieses Interesse bald auf das Ruhrgebiet, besonders auf dessen vergessene und verschüttete literarischen Traditionen. Mit seinen publizistischen und verlegerischen Aktivitäten, in deren Zentrum der von ihm mitbegründete Klartext-Verlag stand, ist Ludger Claßen zum Pionier einer zunächst regional ausgerichteten, dann aber schnell überregional renommierten Publizistik geworden, die für gediegen Historiographisches und regional Engagiertes und Populäres stand und deren Beitrag zur Medienkultur des Ruhrgebiets nicht hoch genug veranschlagt werden kann. Begonnen hatte es mit der Wiederentdeckung literarisch-publizistischer Texte aus dem und über das Ruhrgebiet. Am Anfang stand - in Zusammenarbeit mit Klaus Holtkamp, Werner Schöneck und Erhard Schütz – die Erschließung der Zeitschrift Der Scheinwerfer im Jahr 1977. Als „Blätter der Städtischen Bühnen Essen“, herausgegeben von Hannes Küpper, von 1927 bis 1933 erschienen, gilt Der Scheinwerfer seither als eines der zentralen Verständigungsmedien der Neuen Sachlichkeit in allen Künsten - von der Literatur über das Theater, die Musik, die Malerei bi zur Architektur. Auf der Basis einer systematischen Analyse erschien 1986 im Klartext-Verlag ein umfangreicher Auswahlband - in der von Ludger Claßen verlegerisch betreuten Reihe Ruhrland-Dokumente, in der etwa 1986 auch die Reportagen-Sammlung Kohlenpott 1931 von Georg Schwarz erschien oder - ebenfalls 1986 und von Ludger Claßen mit einem Nachwort versehen - Schwarze Sphinx von Peter von Zahn. Claßen hat dabei den Verlag aus instabilen Anfängen zu einem namhaften Regionalverlag geführt und als feste Größe im bundesdeutschen Verlagswesen etabliert. Und er hat diesen Prozess nicht nur betrieben, sondern in zahlreichen, thematisch breit gestreuten Schriften auch reflektierend begleitet hat - stets hellwach und aufgeschlossen für neue Entwicklungen und getragen von einem kritischen Optimismus, so etwa unter der Frage
Analog oder digital? Die Zukunftsperspektiven wissenschaftlicher Zeitschriften (2013). So wurde er nicht nur selbst zu einem gefragten Regionalhistoriker, sondern auch zum verlegerischen Ansprechpartner renommierter Fachhistoriker. Verdiente Würdigungen solcher Expertise waren die Auszeichnung mit der Silbernen Ehrennadel des Landesverbandes NRW des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels (2008) und mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande (2010). Bei alledem kam seine genuine Herkunft aus der Literaturwissenschaft und sein grundständiges Interesse an Literatur, avantgardistischer wie populärer, nicht zu kurz. Nicht zuletzt speiste sich hieraus ein ebenso klarer wie lebendiger Stil, der die Lektüre seiner Texte über ihren sachlichen und fachlichen Gehalt hinaus oft zum ästhetischen Genuss machte. Beispielsweise in dem Buch, das er 1999 zusammen mit Achim Nöllenheidt augenzwinkernd als Die wahre Geschichte der Bundesrepublik vorlegte, und das bei aller Unterhaltsamkeit doch mit gediegenem Faktenwissen aufwartet. Die hauptberufliche Verlagsarbeit hat verhindert, dass nach der Dissertation noch weitere Monografien entstanden. Indes beweisen Claßens zahlreiche Aufsätze und Artikel, mal umfänglich, mal auch knapp, eine Kontinuität gediegener wissenschaftlicher Neugier. Stets spezifisch eigenständige und innovative Beiträge, die oft im Mikrologischen Grundlegendes transparent zu machen verstanden, vor allem zur Sozial-, Technik-, Mediengeschichte sowie zur Kultur- und Literaturgeschichte des Ruhrgebiets: beispielsweise in Aufsätzen über die Verlagsbuchhandlung Baedeker (2000), oder über die Anfänge des Telefons in Essen (1997) – beides über das Lokale hinaus genuine Beiträge zur allgemeinen Infrastrukturgeschichte. Ähnlich seine Arbeiten zum Fußball im Revier, in denen Claßen sich zugleich als Kenner und Liebhaber erweist: So in dem kompakten Beitrag Dem Mythos sein Zuhause (2010), so aber auch in einem Text zur Geschichte des Fußballs im Westen bis 1945 – Von der Fußlümmelei bis zu Massensport (2006). Mit dieser immer wieder innovativen Kombination aus Literaturwissenschaft, Regionalgeschichte, Verlagsgeschichte und -praxis war Ludger Claßen eine singuläre Erscheinung in der akademischen Welt. Dies spiegelt sich auch seiner lang – wohl auch aus einer gewissen Anhänglichkeit – fortgeführten Lehrtätigkeit wider: Tutorien und literaturwissenschaftliche Einführungskurse in den 1970er Jahren, thematische Seminar in den 1980ern, zuletzt mehr und mehr verlagskundliche Projekte und Praktika, die sowohl dem Geschichtsstudium wie auch dem germanistischen Masterprogramm „Literatur und Medienpraxis“ zugutekamen. Als er um 1972 als Student an die Abteilung Essen der „Pädagogischen Hochschule Ruhr“ kam und dort zunächst mit sicherem Zugriff die Fächer Technik und Deutsch für das Grund- und Hauptschulschullehramt wählte, begann sein Weg durch alle Wandlungen und Namensänderungen unserer Hochschule, der ihn schließlich zur Honorarprofessur in der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Duisburg-Essen führte. Im ehemaligen Funktionsbereich VII war er einst ein überaus geschätzter Mitarbeiter, der auch ungewöhnliche Aufgaben einfallsreich erledigte, im Fach ein freundlicher Kollege, für viele von uns ein Freund, um den wir trauern. Mit Ludger Claßen hat die Universität in Essen eine unkonventionelle und liebenswerte Gründerfigur verloren.
Im Namen zahlreicher weiterer Kolleginnen und Kollegen Dr. Hannes Krauss, Prof. Dr. Erhard Schütz (Humboldt-Universität Berlin), Prof. Dr. Jochen Vogt.
(Foto (c) privat))
Trauer um Prof. Dr. Arend Mihm
Die Fakultät für Geisteswissenschaften trauert um Prof. Dr. Arend Mihm, der am 24. Mai 2023 im Alter von 86 Jahren verstarb.
Arend Mihm war von 1969 bis 2002 als Professor für Linguistik am Institut für Germanistik tätig und erwarb sich in dieser Zeit große Verdienste um die deutsche Sprachgeschichte, Dialektologie und Graphematik. Wichtige Impulse für die sprachhistorische Forschung gaben seine innovativen und methodisch vorbildlichen Arbeiten zum Sprachwandel im späten Mittelalter und der Frühen Neuzeit. Seine Studien zur Umgangssprache des Ruhrgebiets waren für die Entwicklung der modernen Regionalsprachforschung wegweisend. Mihm war von 1982 bis 1987 Konrektor der Universität Duisburg. Seit 1998 war er Mitglied der Kommission für das Deutsche Rechtswörterbuch der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Bis ins hohe Alter nahm er regelmäßig und aktiv an den Fachtagungen des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung und des Arbeitskreises Historische Stadtsprachenforschung teil.
Mit Arend Mihm verlieren wir einen exzellenten Sprachwissenschaftler und überaus geschätzten Kollegen, den wir in dankbarer Erinnerung behalten werden.
Prof. Dr. Tobias Kurwinkel Geschäftsführender Direktor des Instituts für Germanistik
Trauer um Prof. Dr. Claudia Hiepel
Das Historische Institut trauert um Frau Prof. Dr. Claudia Hiepel. Sie war ein langjähriges Mitglied des Instituts, eine verlässliche Stütze in der Lehre, eine Forscherin mit internationalem Renommee und eine engagierte Mitarbeiterin in allen Belangen der Universität.
Nach ihrer Promotion im Jahr 1998 trat Claudia Hiepel eine Stelle als Hochschulassistentin an. 2006 wurde sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin mit eigenem Forschungs- und Lehrauftrag. Nach ihrer Habilitation im Fachgebiet Neuere und Neueste Geschichte 2011 nahm sie Lehr-stuhlvertretungen an den Universitäten Hamburg, Marburg, Münster und Kassel wahr. 2016 war sie zudem als Gastdozentin für Neuere Geschichte an der Universität Wien tätig.
Als Historikerin hat Claudia Hiepel ein breites Forschungsprofil entwickelt, das vom späten 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart reicht, von der Geschichte des Ruhrgebiets bis zur europäi-schen Einigung und von der Geschichte sozialer Bewegungen bis zur Geschichte der internati-onalen Beziehungen und der globalen (Un-)Ordnung. Ihre Arbeiten haben vielfach Beachtung und Anerkennung gefunden. So ist schon ihre Dissertation über „Arbeiterkatholizismus an der Ruhr. August Brust und der Gewerkverein christlicher Bergarbeiter“ (erschienen 1999) mit dem Wissenschaftspreis der Sparkasse Essen für Geisteswissenschaften ausgezeichnet wor-den. Ihre Habilitationsschrift über „Willy Brandt und Georges Pompidou. Deutsch-französische Europapolitik zwischen Aufbruch und Krise“ (erschienen 2012) erhielt gleich vier Auszeichnun-gen: den Förderpreis der Aline-und-Émile-Mayrisch-Stiftung (Luxemburg), den Willy-Brandt-Preis der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung, den Deutsch-französischen Parlamentspreis und einen Preis der Förderinitiative „Deutsch plus“ der VolkswagenStiftung. Mit dem letztge-nannten Preis konnte Frau Hiepel eine Übersetzung ihrer Habilitationsschrift ins Französische finanzieren, die 2016 erschienen ist.
Mit ihrer Lehr- und Forschungstätigkeit hat sich Claudia Hiepel national wie international ei-nen Namen gemacht. Sie wirkte in zahlreichen Forschungsverbünden mit, die für ihre The-mengebiete einschlägig sind, so im Brauweiler Kreis für Landes- und Zeitgeschichte Nordrhein-Westfalens und in der Verbindungsgruppe der Historiker bei der Europäischen Kommission. Als Studiengangsbeauftragte für den Bachelor-Studiengang Geschichte hat sie mehrere Gene-rationen von Studierenden in das Studium eingeführt, als Betreuerin des Erasmus-Austausch-programms zahlreiche Auslandsaufenthalte von Studierenden ermöglicht. Seit 2016 hat sie zudem als Gleichstellungsbeauftragte in allen Berufungsverfahren der Fakultät für Geisteswis-senschaften mitgewirkt. Ihr plötzlicher Tod hinterlässt nicht nur im Historischen Institut eine schmerzliche Lücke.
Trauer um Prof. Dr. Elmar Lehmann
Die Fakultät für Geisteswissenschaften trauert um Prof. Dr. Elmar Lehmann. Mit seinem Tod verliert die Anglistik der Universität Duisburg-Essen nicht nur einen herausragenden Literaturwissenschaftler und akademischen Lehrer, sondern auch eine Persönlichkeit, die von hochschulweiter Bedeutung war.
Elmar Lehmann wurde 1975 frisch habilitiert als Professor für Englische Philologie an die damals noch junge Universität Gesamthochschule Essen berufen. Der wissenschaftliche Weg dahin führte ihn von der Dissertation an der Ruhr-Universität Bochum über einen anglo-irischen Romancier des achtzehnten Jahrhunderts, Oliver Goldsmith, zurück in das siebzehnte Jahrhundert des englischen Restaurationsdramas: Seine hervorragende Habilitationsschrift (ebenfalls an der RUB) verfasste er über dieses ebenso heroische wie frivole Genre. Scherzhaft pflegte er über die intensive Beschäftigung mit dieser Materie zu sagen, sie habe dazu geführt, dass er möglicherweise zu viele Jahre seines Lebens in diesem politisch wie kulturell turbulenten Zeitalter verbracht habe. Wie dem auch sei, seine wissenschaftliche Herangehensweise an literarische Texte sollte dadurch geprägt werden, denn aufgrund der vielfältigen Verwicklungen von Literatur und Gesellschaft in dieser Epoche war sein Blick fortan geschärft für die Wechselwirkung von Literatur als Symbolsystem , d.h. als autonomes Spiel von Bedeutungen, und von Literatur als Sozialsystem, d.h. als Verarbeitung von und Eingriff in die Wirklichkeit.
Die Einsicht in dieses Interdependenzverhältnis hat ihn schließlich Anfang der neunzehnhundertachtziger Jahre zunehmend ungeduldig mit der kanonischen wie etablierten Anglistik und ihrem Insistieren auf der Immanenz des literarischen Texts werden und sich einer Literatur zuwenden lassen, wo dieses vielleicht so deutlich wie nirgendwo sonst zu beobachten ist: der anglophonen Literatur Südafrikas im Kontext einer konfliktreichen multiethnischen wie -kulturellen Gesellschaft. Dieses Interesse führte 1985 zur Bündelung aller wissenschaftlichen Aktivitäten an seinem Lehrstuhl in einem Forschungsinstitut, dem Southern African Studies Centre, das für viele Jahre zu einem Markenzeichen der Essener Anglistik werden sollte – mit zahlreichen internationalen Beziehungen zu Universitäten im europäischen Ausland und natürlich in Südafrika sowie der Ausrichtung vielbeachteter Konferenzen, u.a. unter Teilnahme so berühmter Autoren wie dem südafrikanischen Nobelpreisträger John M. Coetzee. Eine von Elmar Lehmann mitgegründete Schriftenreihe African Literatures in English umfasst derzeit vierzehn Bände und soll ab dem nächsten Jahr von dem internationalen Verlag Brill Publishers in Leiden fortgeführt werden.
Besondere Verdienste hat sich Elmar Lehmann im Bereich der akademischen Selbstverwaltung erworben: Er war von 1985 bis 1987 Dekan des damaligen Fachbereichs Literatur- und Sprachwissenschaften, war Vorsitzender der Bibliothekskommission, in der es immer um viel Geld geht, und schließlich von 1992 bis 1996 Rektor der Universität GH Essen. In den schwierigen Jahren der Fusion bekleidete er von 2003 bis 2004 das Amt des Vorsitzenden des Gründungssenats. In allen diesen Funktionen kamen seine charakterlichen Vorzüge besonders zur Geltung: Tief geprägt durch die Mentalität seiner ostwestfälischen Herkunft, zeichnete sich seine Haltung aus durch einen starken Sinn für das Machbare, gepaart mit einem guten Maß an angelsächsischem Pragmatismus. Diese Kombination von Denkweisen machte ihn wenig empfänglich für abstrakte Gedankenspielereien, ebenso wenig wie für das teutonische Suchen nach dem Eigentlichen. Sein ebenfalls angelsächsisch geprägter Humor ließ ihn schnell eine Fassade der Gravitas oder Wichtigtuerei mit ein paar ironischen Bemerkungen zum Einsturz bringen.
Als akademischer Lehrer war Elmar Lehmann beliebt, weil er seinen Studierenden das vermitteln konnte, was auch seinen Lebensinhalt ausmachte – die Freude an der Literatur. Er war ein genuiner Liebhaber der Literatur und Vielleser, und man kann kaum ermessen, was ihm sein Rektorat und die damit verbundenen zwölf- bis vierzehnstündigen Arbeitstage in dieser Hinsicht an Opfern abverlangt haben.
Zu guter Letzt sei dem Nachrufenden eine persönliche Bemerkung gestattet: Elmar Lehmann und ich kannten uns seit der gemeinsamen Zeit als Hilfskräfte und Assistenten am neugegründeten Bochumer Lehrstuhl von Ulrich Broich in den späten neunzehnhundertsechziger Jahren. Seitdem sind unsere beruflichen Wege stets miteinander verwoben gewesen. Zum Schluss jedoch hat er ein ursprünglich von uns beiden gemeinsam geplantes Werk allein zu Ende geführt: eine große Geschichte des südafrikanischen Romans. Seit seiner Emeritierung im Jahre 2005 habe ich immer mit Bewunderung festgestellt, dass er beharrlich an seinem Magnum Opus arbeitete. Er hat dieses Projekt kurz vor seinem Tode zu Ende bringen können, und es wird mir eine Ehre und Freude sein, dieses Werk als Herausgeber der neuaufgelegten Reihe African Literatures in English in seinem Sinne und zu seinem Gedenken editorisch zu betreuen.
Prof. Dr. Elmar Lehmann erlag am 3. November 2021 seinem langen Krebsleiden, einen Monat vor seinem einundachtzigsten Geburtstag. Er wird fehlen.
Erhard Reckwitz
Trauer um Prof. Dr. Achim Eschbach
Das Institut für Kommunikationswissenschaft trauert um seinen ehemaligen Kollegen und akademischen Lehrer Prof. Dr. Achim Eschbach, der am 20. Januar 2021 überraschend verstorben ist. Nach seinem Studium der Philosophie, Germanistik, Politikwissenschaft und Volkswirtschaft an der RWTH Aachen wurde er 1975 dort mit einer pragmasemiotischen Studie über das Theater promoviert, in der bereits seine die spätere akademische Laufbahn prägenden zeichentheoretischen Forschungsinteressen zum Ausdruck kamen. Im Anschluss an die 1985 in Essen erfolgte Habilitation und die Erlangung der Venia Legendi für Semiotik, Wissenschaftsgeschichte und Sprachphilosophie wurde Achim Eschbach 1985 im damaligen Fachbereich 4 „Gestaltung - Kunsterziehung“ auf eine Professur für Semiotik auf Zeit berufen. Nach Gastprofessuren und Forschungsaufenthalten insbesondere in Japan und Ungarn wurde er nach einem Jahr Vertretung auf die damals am Institut für Kommunikationswissenschaft neu eingerichtete Professur für Kommunikationswissenschaft mit semiotischem Schwerpunkt 1997 als Universitätsprofessor berufen. Seine diesbezüglichen und bis in die Anfänge seiner akademischen Vita zurückreichenden Forschungsinteressen – bereits 1979 gründete er zusammen mit Ernest Hess-Lüttich und Jürgen Trabant die internationale semiotische Fachzeitschrift „Kodikas/Code“, deren Mitherausgeber er bis zuletzt war – kamen nicht nur in zahlreichen Fachpublikationen und der Herausgabe wissenschaftlicher Reihen und Sammelbände zum Ausdruck, sondern auch in seinem Engagement in mehreren Fachgesellschaften, etwa als Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Semiotik.
Besonders zu erinnern ist an die langjährigen Kooperationen mit dem internationalen Verlag John Benjamins, in dem er die Reihe „Foundations of Semiotics“ verantwortete und in der er zusammen mit Jürgen Trabant einen bis heute bedeutsamen historisch-systematischen Sammelband zur Semiotik herausgab, sowie dem Suhrkamp-Verlag, in dem die von ihm übersetzte Zeichentheorie von Charles W. Morris erschien, die international beachteten zweibändigen Studien zum Werk Karl Bühlers und die ebenfalls von ihm edierten Schriften Jürgen von Kempskis. Neben zahlreichen weiteren Arbeiten zur Sprach- und Zeichentheorie Bühlers, zu Charles S. Peirce und der Kultursemiotik Kurt Singers fungierte Achim Eschbach als Mitherausgeber der kommunikationswissenschaftlichen Online-Rezensionszeitschrift r:k:m. Als überaus kenntnisreicher und weit über die Grenzen seines Fachs gebildeter Wissenschaftler vertrat er die ganze Breite einer Zeichen- und Symboltheorie, die die Kommunikationstheorie und die empirische Kommunikationsforschung an die für alle Prozesse der Handlungskoordination unhintergehbare spezifische Semantizität semiotischer Ressourcen erinnert. Das Institut für Kommunikationswissenschaft verliert mit Achim Eschbach einen geschätzten Kollegen, einen international angesehenen Wissenschaftler und einen bei seinen damaligen Studierenden beliebten akademischen Lehrer, dem wir ein ehrendes Andenken bewahren werden.
Im Namen der Kolleginnen und Kollegen und ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts für Kommunikationswissenschaft
Prof. Dr. Jens Loenhoff
(Geschäftsführender Direktor)
Trauer um Prof. em. Dr. Dr. h.c. Karl-Dieter Bünting
Die Wildkirsche, die Karl-Dieter Bünting in den 1980er Jahren vor der Mensa neben anderen Bäumen zusammen mit ehemaligen Rektoratskollegen gepflanzt hat, ist groß geworden. Bünting war 1972 nach akademischen Stationen in Marburg, Bonn und Berlin als Gründungssenator und Professor für Linguistik an die neugegründete Essener Hochschule gekommen – zu einer Zeit, da noch keines der jetzigen Gebäude stand, die geisteswissenschaftliche Lehre in der ehemaligen PH stattfand, der Senat, das Rektorat und die Verwaltung in angemieteten Büroräumen residierten. In der Nacht vom 13. auf den 14. Dezember 2020 ist er im Alter von 81 Jahren verstorben.
Karl-Dieter Bünting war nicht nur Mitglied des Gründungssenats, sondern auch Prorektor für Studium und Lehre und Dekan des Fachbereichs Literatur- und Sprachwissenschaften. Als Innovator und Organisator hat er das Profil der Essener Sprachwissenschaften geprägt wie kaum ein anderer. Die Einrichtung von Studiengängen wie Kommunikationswissenschaft, Deutsch als Fremdsprache / Deutsch als Zweitsprache oder Turkistik gehen auf seine Initiativen zurück – aber auch Aushängeschilder wie der Förderunterricht für Migrantenkinder (der 1974 aus einem Forschungsprojekt zum Bilingualismus entstand) oder die Schreibwerkstatt. Neben seiner Essener Lehr-Tätigkeit nahm er einen Lehrauftrag an der Bochumer Ruhruniversität wahr und war dort Prüfer in zahllosen Staatsexamina. Er unterrichtete regelmäßig an der Essener Journalistenschule der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, war jahrelang beim Deutschen Akademischen Austauschdienst Mitglied der Auswahl-Kommission für Deutsch-Lektoren im Ausland und organisierte bei Gastaufenthalten in aller Welt zusammen mit seiner Frau Inge gleichermaßen lehrreiche wie unterhaltsame Goethe-Abende.
Professor Bünting hat wissenschaftliche Arbeit immer in Studien- und Lebenspraxis umgesetzt. Seine 1971 zum ersten Mal erschienene „Einführung in die Linguistik“ ist längst ein Klassiker geworden. Er hat Lehrbücher und Arbeitshefte für alle Schulformen verfasst, an einem polnischen Deutsch-Lehrwerk mitgearbeitet, populäre Ratgeber zum Sprachgebrauch geschrieben und ein Kinderbuch über die Entstehung der Sprache, das in mehren Auflagen im „Deutschen Taschenbuchverlag“ erschien und ins brasilianische Portugiesisch übersetzt wurde. Den Herausforderungen der Massenuniversität hat er sich gerne gestellt – ob mit Vorlesungen im größten Saal des „Cinemaxx“, mit einem Linguistik-Grundkurs auf Video oder mit einer CD-Sammlung über Sprachvarietäten.
Die regelmäßige Beteiligung an der Kinderuni gehörte genauso zu seinen Aktivitäten wie die Mitarbeit an den internationalen Sommerkursen der Uni DUE, die er einst initiiert hatte und in denen er auch noch nach der Emeritierung unterrichtete. Sein Engagement für „Internationalisierung“ – lange bevor dieser Begriff benutzt wurde, um die Weltoffenheit unserer Universität zu signalisieren –führte zu einer Vielzahl internationaler Partnerschaften (mit ägyptischen, polnischen, russischen, belarussischen, afghanischen und chinesischen Universitäten) und wurde mit Ehrendoktoraten, Ehrenprofessuren und anderen internationalen Auszeichnungen gewürdigt. Aus manchen von Büntings internationalen Kontakten erwuchsen Freundschaften, die er bis zuletzt pflegte. Für ihn selbstverständlich war, dass viele Gastwissenschaftler*innen monatelang im Hause Bünting oder in einem von ihm privat finanzierten Apartment in der „Brücke“ wohnen konnten. Seine eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schickte er zu kürzeren und längeren Gastaufenthalten in die Welt, und manche der von ihm betreuten Promovierenden wurden später Professoren in Algerien, Ägypten, Afghanistan, China, Dänemark – aber auch in Dresden oder Siegen.
„Alle Sprachen sind gleich – nur ganz anders.“
Wenn einer aus innerster Überzeugung Botschafter der interkulturellen Verständigung war, dann Karl-Dieter Bünting. Nicht nur seine ehemaligen Mitarbeiter*innen und Kolleg*innen werden ihn vermissen …
Dr. Yurdakul Cakir-Dikkaya, Ramona Karatas M.A., Dr. Eva Lipkowski, Dr. Ulrike Pospiech, Dr. Hannes Krauss, Dr. Werner Schöneck
Trauer um Prof. Dr. Josef Raab
Josef Raab war akademischer Wegbereiter und Wegbegleiter; er war Türöffner, Förderer, Ermunterer - ein Netzwerker, Initiator, kritisch-konstruktiver Dialogpartner und schließlich mit Leib und Seele Amerikanist. Als solcher sah er immer über den Tellerrand, profilierte national wie international das von ihm mitbegründete Feld, war neugierig und aufgeschlossen, begeistert und begeisternd in Forschung und Lehre. Aber Josef Raab war nicht nur das, sondern auch ein liebenswerter Mensch, in dessen Nähe man gerne war - weil er mit Geduld zuhörte, gemeinsam nachdachte, Witze machte und Witzen zuhörte, über sich selber lachen konnte. Herzlich, ganz herzlich, und herzhaft war Josef Raab zu und mit seinen Mitmenschen, denen er Respekt, Geduld und eine vernünftige Portion Widerstand entgegensetzte. Im Institut und im wissenschaftlichen Feld fehlt nun mit ihm ein Ruhepol und eine Waage – eine Person, die die Dinge irgendwie gelassener sieht als die meisten um sie herum; eine Person, die Ausgleich zu schaffen vermag.
Wir verlieren unseren einmaligen Denker, der verständnisvoll, empathisch, aber zugleich mit Leidenschaft und charmantem Nachdruck für die Dinge eintritt, die ihm am Herzen liegen.
Nachruf des Instituts für Anglophone Studien
Essen, 10. November 2019
Trauer um Prof. Dr. Rolf Köhn
Die Fakultät für Geisteswissenschaften trauert um Prof. Dr. Rolf Köhn. Er verstarb am 24.06.2019 im Alter von 74 Jahren.
Rolf Köhn übernahm 1995 den Lehrstuhl für die Geschichte des Mittelalters an der damaligen UGH Essen (seit 2003 Universität Duisburg-Essen). Diesen hatte er bis zu seinem Ruhestand im Jahr 2010 inne.
Von Kollegen hoch geschätzt, war Köhns wissenschaftliche Arbeit geprägt von immensem Wissen und einer großen fachlichen Bandbreite: Zu seinen Forschungsinteressen zählten u.a. die Bildungsgeschichte des Mittelalters, Quellenkunde, Handschriften und Bibliotheken, Leben und Werk Peters von Blois, sozial-, regional- und wirtschaftshistorische Fragestellungen, die Geschichte der Kreuzzüge, aber auch mediävalistische Themen bzw. Fragen der Mittelalterrezeption.
Die ihn kannten, erinnern sich an eine außergewöhnliche, scharfsinnige, humorvolle und charismatische Persönlichkeit. Seinen Studierenden war er ein kritischer Lehrer, der sich die Mühe fachlicher Strenge und hoher Anforderungen machte. Dadurch sahen sie sich ernstgenommen, gefordert und mit großem Engagement gefördert.
/08.07.19; mca
Zum Tod von Prof. Dr. Ulrich Ammon
Die Fakultät für Geisteswissenschaften und das Institut für Germanistik trauern um Prof. Dr. Ulrich Ammon, der am 3. Mai 2019 im Alter von 75 Jahren nach schwerer Krankheit gestorben ist.
Nach dem Studium der Germanistik, Anglistik und Empirischen Kulturwissenschaft an den Universitäten Tübingen, Göttingen, Frankfurt a. M. und Wesleyan/USA führte ihn sein Weg über die Promotion an der Universität Tübingen an die Universität-Gesamthochschule Duisburg, wo er ab 1974 zunächst als Wissenschaftlicher Rat und Professor arbeitete und 1980 die Professur für Germanistische Linguistik mit dem Schwerpunkt Soziolinguistik erhielt. Ulrich Ammon hat die Germanistische Soziolinguistik maßgeblich mitbestimmt, er hat Themen gesetzt (auch oder gerade gegen zeitgeistige Trends) und – auch als Mitherausgeber des Jahrbuches Sociolinguistica – zur Internationalisierung der deutschen Soziolinguistik beigetragen.
In seiner Dissertation Dialekt und Einheitssprache in ihrer sozialen Verflechtung. Eine empirische Untersuchung zu einem vernachlässigten Aspekt von Sprache und sozialer Ungleichheit (Tübingen 1972) widmete sich Ulrich Ammon der Dialektsoziologie und entwickelte ein Messverfahren zur Bestimmung des Dialektniveaus unter Einbezug sozialer Variablen wie Alter, Geschlecht und Schicht. Wichtige Beiträge lieferte er auch für die Sprachbarrierendiskussion in den 1970er Jahren, indem er auf den Dialekt als potenzielles Hindernis für den Bildungserfolg hinwies. Ab den 1980er Jahren verlagerte sich sein Forschungsinteresse zunehmend auf die Bereiche Sprachenpolitik, die internationale Stellung der deutschen Sprache und die nationalen Varietäten des Deutschen, die er in zahlreichen Drittmittel geförderten Projekten bearbeitete. Zu seinen Bestsellern zählen die Monographien Die Stellung der deutschen Sprache in der Welt (2015), Variantenwörterbuch des Deutschen. Die Standardsprache in Österreich, der Schweiz und Deutschland sowie in Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol (2004), zusammen mit Hans Bickel u.a. verfasst und 2017 zusammen mit Hans Bickel und Alexandra Lenz völlig neu überarbeitet sowie Die deutsche Sprache in Deutschland, Österreich und der Schweiz (1995).
Ulrich Ammons Arbeiten, darunter 14 Monographien und rund 300 Aufsätze, werden national sowie international geschätzt. Seine fachwissenschaftliche Anerkennung zeigt sich auch in den zahlreichen Ämtern, die er innehatte: So war er Präsident der Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL), Mitglied des Internationalen Rats des Instituts für Deutsche Sprache (Mannheim) und Mitglied des Beirats des Goethe-Instituts (München).
Mit Ulrich Ammon verlieren wir einen engagierten, ebenso streitbaren wie humorvollen Kollegen, der über mehrere Jahrzehnte die Duisburg-Essener Germanistische Linguistik wesentlich mitprägte.
Prof. Dr. Evelyn Ziegler und Prof. Dr. Ulrich Schmitz
/09.05.19
Trauer um Prof. em. Dr. Jürgen Manthey
Die Fakultät für Geisteswissenschaften trauert um Prof. em. Dr. Jürgen Manthey. Der Literaturwissenschaftler, Autor, Literaturkritiker, Journalist und Lektor verstarb am 13.12.18 im Alter von 86 Jahren.
Manthey prägte den deutschen Literaturbetrieb in zahlreichen Positionen: Er arbeitete in der Redaktion der Zeitschrift Konkret, als Leiter der Literatur-Redaktion beim Hessischen Rundfunk, wurde 1970 Literarischer Cheflektor beim Rowohlt Verlag und gab dort ab 1973 das Rowohlt Literaturmagazin und die Reihe das neue buch heraus. Ab 1976 betreute er das damals einzigartige poet in residence-Programm an der Universität Essen und holte zahlreiche wichtige Schriftsteller ins Ruhrgebiet. Von 1986 bis zu seiner Emeritierung 1998 war er Professor für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft am damaligen Fachbereich 3: Literatur- und Sprachwissenschaften. Mit Prof. Horst Albert Glaser, Prof. Manfred Schneider und Prof. Jochen Vogt leitete Manthey den Aufbaustudiengang "Literatur und Medienpraxis", aus dem der heutige Bereich LuM an unserer Fakultät hervorgegangen ist.
Nach seiner Zeit an der Universität lebte Jürgen Manthey, der vor allem mit seinem Buch "Königsberg: Geschichte einer Weltbürgerrepublik" weit über den Literaturbetrieb und die Wissenschaft hinaus bekannt wurde, als freier Autor und Literaturkritiker in Lübeck, wo er bis zu seinem Tod an einer großen Monographie über die Ostsee arbeitete.
Unser Mitgefühl gilt denen, die ihm nahestanden.
14.12.18/mca
Nachruf
Trauer um Prof. em. Dr. Klaus Meyer-Abich
Die Fakultät für Geisteswissenschaften trauert um Prof. em. Dr. Klaus Michael Meyer-Abich (Institut für Philosophie). Meyer-Abich wurde 1972 auf den Lehrstuhl für Naturphilosophie an der im selben Jahr gegründeten Universität-Gesamthochschule Essen berufen, deren erstem Senat er angehörte. Von 1976 bis 1981 leitete der Philosoph und Physiker den VDW, von 1984 bis 1987 war er Wissenschaftssenator in Hamburg. Nach seiner Forschungsprofessur »Kulturgeschichte der Natur« 1989 bis 1996 am KWI kehrte er 1997 an die Universität Essen zurück, wo er bis zu seiner Emeritierung 2001 forschte und lehrte. Am 19.04.18 verstarb Klaus Michael Meyer-Abich nun im Alter von 82 Jahren. Seine Thesen einer holistischen Naturphilosophie, seine Gedanken zu Umwelt und Energienutzung, zum Frieden mit der Natur, zu Gesundheit als politischer Aufgabe, die er in zahlreichen Publikationen ausarbeitete, sind heute aktueller denn je.
/24.04.18
Nachruf auf Hermann Cölfen
Statussymbole oder Äußerlichkeiten interessierten ihn nicht, Expertentum und Autoritäten stellte er gerne in Frage. Sich selbst nahm er dabei nie zu wichtig oder gar ernst. Ernst nahm er aber das Fach Germanistik. Nun ist Hermann Cölfen nach schwerer Krankheit im Alter von 57 Jahren gestorben. Die Essener Germanistik trauert nicht nur um den Wissenschaftler, apl. Professor, Kustos der Germanistik, Prodekan für Finanzen der Fakultät für Geisteswissenschaften, sondern vor allem um einen Freund.
Nach dem Realschulabschluss absolvierte Hermann Cölfen eine kaufmännische Lehre, arbeitete als Substitut in einem Warenhauskonzern, legte über den Zweiten Bildungsweg auf einem Abendgymnasium das Abitur ab und studierte Theologie. Nach langer, reiflicher Überlegung entschied er sich einen Tag vor der Priesterweihe gegen diesen Beruf und nahm ein geisteswissenschaftliches Studium in Düsseldorf auf, das er in Duisburg beendete. Wenn ein Seminar zu langweilig wurde, schlief er schon mal demonstrativ ein und fiel unter Getöse absichtlich vom Stuhl. Wenn ein hochverdienter Professor immer wieder über die Dummheit der Studierenden klagte, die heutzutage nicht mal mehr ein Latinum vorzuweisen hätten, schlug er vor, dann doch bitte altgriechische Texte im Original zu lesen. Der Prof. zeigte sich derart verdutzt, dass Hermann Cölfen beim nächsten Mal in aller verschlagenen Bescheidenheit hebräische Quellen mitbrachte, die der Lehrer im Gegensatz zu ihm überhaupt nicht lesen konnte.
Seine Magisterarbeit wurde mit der bestmöglichen Note bewertet, weil er penibel nachwies, dass die gestellte Aufgabe mit wissenschaftlichen Mitteln nicht gelöst werden konnte. Und so ging es weiter: wissenschaftlicher Mitarbeiter, Promotion, Habilitation, zahlreiche engagierte Lehrveranstaltungen, Publikationen, Herausgaben, linguistische, sprachdidaktische, fachübergreifende und praxisnahe Projekte, gewissenhafte Redaktion zweier linguistischer Zeitschriften, Mitbegründer des Linguistik Server Essen (LINSE). Der von ihm gegen allerlei Widerstände mitgegründete und -verantwortete Universitätsverlag Rhein-Ruhr (UVRR) hat bis heute eine dreistellige Zahl erstklassig lektorierter und produzierter Monographien, Sammelbände und Zeitschriften herausgebracht. Als Kustos hat er in entscheidender Weise mitgeholfen, die Essener Germanistik zu professionalisieren und zu einer der bundesweit größten auszubauen, ein äußerst kollegiales Betriebsklima zu gestalten und zahllose Alltagsprobleme zu lösen. Als Prodekan hat er der Fakultät erhebliche Finanzmittel erwirtschaftet, die sonst unbemerkt in andere Töpfe geflossen wären.
Sein kompromisslos wenig modisches Erscheinen irritierte Kollegen, die ihn nicht kannten und folglich dramatisch unterschätzten, woraus er mit diebischer Freude seinen Vorteil und den von Fach und Fakultät zu ziehen wusste. Wenn es in einem wissenschaftlichen Institut dogmatisch oder autoritär zuging, verließ er es, ohne zu wissen, was folgen würde. Wenn er an verantwortlicher Stelle bei der Vorbereitung eines internationalen Kongresses ungerecht übergangen wurde, trat er aus der Vereinigung aus und nie wieder ein.
Den Enttäuschungen im akademischen Betrieb begegnete er regelmäßig mit seiner Lieblings-Sitcom „Yes Minister“, deren sämtliche 38 Episoden er wohl auswendig kannte: Sir Humphrey habe all das doch auch schon erlebt. Sein Humor half ihm und uns immer wieder: Vor allem die relativierende Aussage „Das ist keine OP am offenen Herzen!“ konnte den Druck aus kontroversen Diskussionen nehmen.
Mit Detailversessenheit konnte er den Brühvorgang einer frisch erworbenen Kaffeemaschine ebenso schildern wie die Ungereimtheiten von Ziel- und Leistungsvereinbarungen aufdecken. Er begeisterte sich für Technik wie für Papierqualität und Typographie; er kannte Witwen und Schusterjungen, schwärmte von (historischen) Kochbüchern wie von Irland, Fotografie, gutem Whiskey, politischem Kabarett, Krimis – seine zahlreichen Interessen können nicht in Gänze aufgezählt werden.
Er hatte noch viel vor. Wir schulden ihm noch viel mehr.
Prof. i.R. Dr. Ulrich Schmitz
Dr. Patrick Voßkamp
06.03.2017
Die Fakultät für Geisteswissenschaften trauert um Dr. Claudia Benholz
Tief betroffen gibt die Fakultät für Geisteswissenschaften bekannt, dass Dr. Claudia Benholz (Institut für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache) am 13.11.2016 im Alter von 59 Jahren verstorben ist.
Claudia Benholz war schon während ihres Studiums an unserer Universität beschäftigt; 1978 begann sie als Förderlehrerin am Fachbereich 3: Literatur- und Sprachwissenschaften der damaligen UGH Essen. Sie war von da an maßgeblich an der Entwicklung des Förderunterrichts für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund beteiligt, den sie ab 1990 leitete. Das Projekt, in dem Schüler in homogenen Kleingruppen gefördert werden und das seither unzählige von ihnen zum Schulabschluss führte, hat bundesweit Modellstatus – nicht zuletzt dank ihres Engagements.
Die beiden großen Themen ihres Berufslebens waren eng miteinander verbunden: Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund die Teilhabe an der deutschen Sprache, an der Schule und letztlich an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens in ihrer neuen Heimat zu ermöglichen, war Claudia Benholz ebenso Herzensangelegenheit wie die wissenschaftliche Weiterentwicklung des Fachs DaZ/DaF, an dessen Aufbau sie ab 1985 beteiligt war.
Neben ihren fachlichen Beiträgen zur Zweit- und Fremdsprachendidaktik des Deutschen in Form zahlreicher Publikationen und Projekte (seit 2010 Leitung des Modellprojekts ProDaZ: Deutsch als Zweitsprache in allen Fächern, gefördert von der Stiftung Mercator) war es vor allem ihre Persönlichkeit, die das Fach geprägt hat und die Studierende, KollegInnen und MitarbeiterInnen schmerzlich vermissen werden.
Sie wird uns in Erinnerung bleiben als überaus engagierte Wissenschaftlerin und Lehrende, als couragierte Kollegin und Vorgesetzte, die sich für ihre Mitmenschen, ihre KollegInnen und MitarbeiterInnen interessierte, ihnen Ratgeberin war und Freundin. Ihnen galt ihr Einsatz in Personalangelegenheiten, akademischer Selbstverwaltung und langjähriger Personalvertretung und weit darüber hinaus. Claudia Benholz förderte die Studierenden und den wissenschaftlichen Nachwuchs ihres Fachs, motivierte, ließ nicht locker, fragte nach, stand denjenigen zur Seite, die sich weiter qualifizieren wollten. Halbherzigkeit war ihre Sache nicht; was sie begann, dem widmete sie sich mit ganzer Kraft.
Ihre lebensbejahende, niemals indifferente Persönlichkeit, die dieser Fakultät so lange verbunden war, wird sehr fehlen. Unser tiefes Mitgefühl gilt ihrer Familie.
17.11.2016/mca
Prof. Dr. René Dirven – ein Nachruf
Studierende, Kolleginnen und Kollegen wie auch WissenschaftlerInnen weltweit trauern um den belgischen Sprachwissenschaftler René Dirven, der von 1985 bis 1997 dem Fachbereich 3 Sprach- und Literaturwissenschaften der Universität-GH Duisburg angehörte. Er verstarb am 18. August 2016 im Alter von 83 Jahren in seiner Heimatstadt Mechelen (Belgien), nur wenige Tage nach dem Tod seiner Ehefrau.
René Dirven studierte Anglistik und Germanistik an der Universität Leuven und promovierte dort 1971 mit einer Arbeit zur generativen Transformationsgrammatik. Ein Jahr darauf erfolgte die Berufung auf eine Hochschulprofessur für Anglistik/Linguistik an die Universität Trier, die sich zu jener Zeit gerade in ihrer Gründungs- und Aufbauphase befand. Seine Lehr- und Forschungstätigkeit beschränkte sich zunächst vornehmlich auf den Bereich des Fremdsprachenerwerbs und der Sprachdidaktik, wie auch auf die Anwendung linguistischer Theorien und Methoden, um daraus neue Erkenntnisse für die linguistische Grundlagenforschung nutzbar zu machen. Die multilingualen Verhältnisse in seinem Heimatland Belgien führten ihn schon sehr bald zu der wichtigen Einsicht, dass Sprache sehr viel mehr ist als linguistische Struktur – und zwar ein einflussreiches Instrument, wenn es um gesellschaftliche Belange von Kultur und Identität geht, um sprach- und bildungspolitische Prozesse, kurzum um das diffuse Sprach- und Konfliktpotential in mehrsprachigen Gemeinschaften.
Die Notwendigkeit einer sozialen und kulturellen Kontextualisierung von Sprache führte René Dirven 1973 zur Gründung der linguistischen Agentur LAUT (Linguistic Agency University of Trier) und in der Nachfolgezeit LAUD (Linguistic Agency University of Duisburg), die es sich zur Aufgabe machte, linguistisch vielversprechende Texte vorzuveröffentlichen (mittlerweile weit über 1200) und einer internationalen Leserschaft zunächst in Papierform, später auch online zugänglich zu machen. LAUT/LAUD ist nunmehr eine international renommierte Institution, und ihr Name ist eng verknüpft mit ihrem Begründer und Organisator René Dirven. Seine zahlreichen internationalen Kontakte weltweit führten auch zur Institutionalisierung der LAUT/LAUD Symposia: linguistische Konferenzen, die in regelmäßigen Abständen stattfanden und international renommierte Redner nach Trier und Duisburg brachten. Themen wie Semantik, Pragmatik, Soziolinguistik, Kreolistik, Erst- und Zweitspracherwerb, Computerlinguistik, Sprachpsychologie und insbesondere das Aufkommen der Kognitiven Linguistik zu Beginn der 1980-er Jahre prägten die LAUT-Jahre an der Universität Trier.
René Dirven wurde schließlich 1985 an die Universität-GH Duisburg als Universitätsprofessor für Anglistik/Linguistik berufen. Schon früh zeigte sich ein wissenschaftliches Interesse an der sprachlichen und sozio-kulturellen Welt des südlichen Afrika, das er mehrfach auch in den nachfolgenden Jahren und Jahrzehnten bereiste. In diesem Kontext begründete er das soziolinguistische Forschungsprojekt LiCCA (Languages in Contact and Conflict in Africa), das es sich zur Aufgabe machte, Sprachkontakt und Sprachkonflikt im sub-saharanischen Afrika zu beschreiben und eine gesellschaftlich angemessene Sprachenpolitik und Sprachenplanung in Kooperation mit afrikanischen Regierungsangehörigen zu vertreten und in Gang zu setzen. Es ist seinem wissenschaftlichen Ehrgeiz und seiner persönlichen Verbundenheit mit den Sprechern und den Sprachgemeinschaften Afrikas geschuldet, dass dieses Projekt sich in Afrika, Europa und den USA fest etablieren konnte, so dass in der Folgezeit sehr erfolgreiche Forschungskooperationen begründet und intensiviert werden konnten.
Während Afrika sich somit als geografische und soziale Herausforderung darstellte, so bedeutete das Paradigma der in den USA begründeten Kognitiven Linguistik ein neues Forschungsfeld, mit dem sich René Dirven ein akademisches Leben lang beschäftigen sollte. So organisierte er in Duisburg die 1. Internationale Konferenz zur Kognitiven Linguistik (1989), die in späteren Publikationen weltweit als ein Meilenstein dieses Forschungsansatzes anerkannt und bewertet wurde. Außerdem begründete er die International Cognitive Linguistics Association (ICLA), die Zeitschrift Cognitive Linguistics und nicht zuletzt eine neue Buchreihe mit dem Titel Cognitive Linguistics Research. Zweifelsohne hat René Dirven diese relativ junge wissenschaftliche Disziplin in Europa maßgeblich bekannt und einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Er hatte das außergewöhnliche Talent, international renommierte Kolleginnen und Kollegen wie auch vielversprechende Nachwuchswissenschaftler zusammenzuführen und somit neue Perspektiven und Wege für die Kognitive Linguistik zu eröffnen.
Mit seiner Pensionierung im Jahre 1997 verließ René Dirven die Universität-GH Duisburg. Doch unverdrossen und mit großer Beharrlichkeit führte er seine zahlreichen Projekte noch viele Jahre weiter, auch als er aufgrund eines stark beeinträchtigten Sehvermögens seine Reisen und Konferenzbesuche einstellen musste. Sein bibliografisches Werk ist umfassend und wissenschaftlich anspruchsvoll: ca. 220 Publikationen (davon 30 Monografien und Sammelbände) befassen sich mit den drei Wissenschaftsbereichen Fremdsprachendidaktik, Sprachpolitik/-planung in Afrika und Kognitive Linguistik. Um sein wissenschaftliches Werk entsprechend zu würdigen, wurden ihm zu Ehren gleich drei Festschriften von seinen Doktoranden und Habilitanden herausgegeben.
Mit René Dirven verliert die Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Duisburg-Essen einen weltweit bekannten, anerkannten und beliebten Sprachwissenschaftler. Bis zuletzt war er außergewöhnlich engagiert, aktiv, rege, erfolgreich, kommunikativ und international vernetzt. Auf seine Mitmenschen ging er ebenso zugewandt wie fordernd zu, warmherzig wie fürsorglich. Die Fakultät für Geisteswissenschaften wird ihm ein ehrendes Andenken bewahren.
Martin Pütz & Ulrich Schmitz
Verabschiedung von
Prof. Dr. Ursula Renner-Henke
Am 6. Juli 2016 ist an unserer Fakultät der Germanist und Kulturwissenschaftler Prof. Dr. Helmut Lethen (Wien) aus einem besonderen Anlass zu Gast: Mit seinem Vortrag Amsterdam 1964 oder magisches Denken der Kulturwissenschaft verabschiedet das literaturwissenschaftliche Kolloquium Prof. Dr. Ursula Renner-Henke, Inhaberin des Lehrstuhls für Germanistische Literaturwissenschaft/Deutsche Literatur seit dem 18. Jahrhundert und Kulturwissenschaften.
Während in Essen die Abschiedsvorbereitungen laufen, befindet sie sich, wie in den vergangenen zehn Jahren stets im Frühsommer, bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt, auf ihrer legendären Exkursion mit Studierenden der UDE.
2002 wurde Ursula Renner-Henke aus Freiburg an die UDE berufen. Ihr umfangreiches wissenschaftliches Werk macht klar: Sie lässt sich nicht beschränken, erforscht Fragestellungen der Beziehungen von bildender Kunst und Literatur, erweitert den literaturwissenschaftlichen auf den kulturwissenschaftlichen Blick und darüber hinaus.
Von diesem Blick über den Tellerrand sowohl der (Literatur-)Wissenschaft als auch der Universität selbst sind auch die Veranstaltungen geprägt, die mit ihrem Namen verbunden sind und die das Leben an unserer Fakultät, der Universität und der Stadt bereichert haben: Neben dem literaturwissenschaftlichen Kolloquium sind dies vor allem die interdisziplinäre Vortragsreihe Die Kleine Form und das Gespräch über Bücher. Dieser für alle Interessierten offene Literaturtreff in der Essener Stadtbibliothek, in dem sie sich mit einem Kollegen und einem Gast über zeitgenössische Literatur unterhält, ist eines ihrer liebsten Formate.
Das direkte Gespräch, sagen die, die sie gut kennen, ist für sie das Zentrum der Wissenschaft – auch in Zeiten aufgehobener Präsenzpflicht. Sie selbst ist präsent, begegnet ihrem Gegenüber mit Verve und Temperament, ist Kollegen, Mitarbeitern, Studierenden anregende und inspirierende Gesprächspartnerin. Auch deshalb und wegen ihrer Fähigkeit zur herzlichen und großzügigen Gastfreundschaft gelang es ihr immer wieder, hochkarätige Gäste ins literaturwissenschaftliche Kolloquium zu holen.
Erfolgreiche Wissenschaft, das belegen Studien, wird nicht nur von kühler Ratio gespeist, sondern ebenso von Leidenschaft und Begeisterung für Fach und Gegenstand: bei Ursula Renner-Henke von der Liebe zur Kunst und zur Literatur, mit der sie Menschen inner- und außerhalb der Universität angesteckt hat. Und so sind auch zum Vortrag zu ihrem Abschied und zu ihren Ehren alle Interessierten herzlichst eingeladen!
Gastvortrag von Prof. Dr. Helmut Lethen (Wien): Amsterdam 1964 oder magisches Denken der Kulturwissenschaft (Abschiedskolloquium für Prof. Dr. Ursula Renner Henke) | 6. Juli 2016 | 18 Uhr | Die Brücke, Campus Essen | Eintritt frei
mca/02.07.2016
Werner Enninger – ein Nachruf
Wer das Privileg hatte, Werner Enninger kennenzulernen, bekam es mit einer Person zu tun, die alles andere als leicht einzuschätzen, berechenbar oder in irgendeiner Weise auch nur annähernd durchschnittlich war. Er hatte sowohl wissenschaftlich als auch privat eine Vorliebe für die Ränder des Lebens und der Sprache, für das Abseitige und Außergewöhnliche. Bei aller Betonung fachlicher Standards und einer soliden linguistischen Grundausbildung – und die zu erlernen musste man bei ihm unbedingt ernst nehmen – ging es doch im Kern immer um die Erforschung des Zusammenhangs von Sprache und Leben der Sprecher und Schreiber dieser Sprachen. In der für ihn zum 65-ten Geburtstag erschienenen Festschrift „Languages and Lives“ wird das betont und ausführlich beschrieben.
Nach einer für Hochschullehrer eher ungewöhnlichen Karriere – zunächst vom Sportlehrer, danach dann zum Studium der Anglistik, anschließender Promotion und zur Berufung zum Professor an der PH-Essen und schließlich kurz nach der Gründung der Universität-Gesamthochschule-Essen als ordentlicher Professor in der Anglistik – wählte Werner Enninger Forschungsthemen aus den Bereichen Semiotik, Ethnographie und Sprache und schließlich die Variante des Pennsylvaniadeutschen, die er auch vor Ort und im unmittelbaren Kontakt mit den Sprechern untersucht hat. Selbst Exotismen wie dem Phänomen der Glossolalie hat er sich als Linguist genähert, und im wissenschaftlichen Dialog zeigte er sich oft bemerkenswert bescheiden im Auftreten und brillant in der Kenntnis der Materie. Als Gründungsmitglied der Essener Anglistik und in vieler Hinsicht auch am Aufbau der seinerzeit jungen Universität - Gesamthochschule - Essen beteiligt, war er bis zum Eintritt in den Ruhestand und auch danach mit Leib und Seele in seinem Beruf und bei den Menschen, die ihm begegnet sind.
Sein ungewöhnlicher persönlicher Weg hat sicher auch das Verhältnis von Werner Enninger zu allen, die mit ihm beruflich zu tun hatten, geprägt: Unterschiede mit Blick auf so etwas wie Ansehen, Bedeutung und Rang waren für ihn nicht wichtig. Er sprach, arbeitete und feierte mit Fachkolleginnen und -kollegen genau so gern wie mit Hausmeistern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus der Verwaltung und Studierenden und Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern. Er hat im Gespräch und auch in der Beratung seiner Mitmenschen nicht selten entscheidenden Einfluss genommen. Die beiden Verfasser dieses Nachrufs gehören zu dieser Gruppe und können sagen, dass es in jeder Hinsicht ein Gewinn war, ihn kennengelernt und erlebt zu haben. „Alles hat seine Zeit. Meine war um“, hat Werner Enninger als Botschaft für seine Traueranzeige gewählt: undramatisch, bescheiden und bis zum Schluss verblüffend. So kannten wir ihn, und so werden wir ihn in Erinnerung behalten.
Hermann Cölfen & Bernd Rüschoff
Die Fakultät trauert um
Prof. Dr. Dieter Krallmann
Die Fakultät für Geisteswissenschaften trauert um Prof. em. Dr. Dieter Krallmann: Der Sprach- und Kommunikationswissenschaftler starb am 19.04.2016 im Alter von 78 Jahren.
Dieter Krallmann hat die Geschicke des ehemaligen Fachbereichs 3 „Literatur- und Sprachwissenschaften“, dessen Dekan er mehrfach war, von der Frühphase an begleitet und geprägt. 1973, ein Jahr nach ihrer Gründung, kam er an die UGH Essen, wo mit seiner Berufung explizit die Aufgabe verbunden war, das Fach Kommunikationswissenschaft zu begründen und auszubauen.
Bereits während seines Studiums der Musik, Mathematik und Elektrotechnik in Düsseldorf (Abschluss 1960 als Toningenieur) hatte Dieter Krallmann begonnen, parallel Phonetik und Kommunikationsforschung, Allgemeine Sprachwissenschaft, Musikwissenschaft und Philosophie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn zu studieren (1958 bis 1965). 1965 promovierte er im Hauptfach Kommunikationsforschung mit den Nebenfächern Musikwissenschaft und Philosophie über das Thema Statistische Methoden in der stilistischen Textanalyse. Von 1960 bis 1967 arbeitete er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bonner Institut für Phonetik und Kommunikationsforschung, 1970 war er dort als Wissenschaftlicher Assistent und im Anschluss als Oberassistent tätig. Im Sommersemester 1970 habilitierte sich Dieter Krallmann an der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn mit der Schrift Informationssysteme und Linguistische Datenverarbeitung, 1971 ernannte ihn die Universität zum Wissenschaftlichen Rat und Professor am Institut für Kommunikationsforschung und Phonetik. In der Nachfolge des Bonner Kommunikationsforschers Gerold Ungeheuer leitete er von 1976 bis 1980 die Abteilung „Linguistische Datenverarbeitung“ des Mannheimer Instituts für deutsche Sprache. Dass Dieter Krallmann sich 1973 trotz eines Rufes nach Hamburg für Essen entschied, war ein Glücksfall für die Einrichtung und den Ausbau des kommunikationswissenschaftlichen Instituts: Es ist maßgeblich seinem Einsatz zu verdanken, dass die Essener Kommunikationswissenschaft ihre spezifische wissenschaftliche Ausrichtung und Eigenständigkeit als Disziplin erhielt, die Dieter Krallmann im Schnittpunkt der Trias Sprachwissenschaft – Gesellschaftswissenschaft – Nachrichtentechnik verortete.
Der Essener KoWi blieb Dieter Krallmann bis zu seiner Emeritierung im September 2002 treu. Wissenschaftliche Schwerpunkte waren unter anderem die KI-Forschung, die Computerlinguistik, die Interaktionsforschung, die systemtheoretische Kommunikationsforschung und die Entwicklung kommunikationswissenschaftlicher Fragestellungen für den Deutschunterricht.
In der Lehre profitierten die Studierenden von seinem umfassenden Wissen und seinem Anspruch. Seine MitarbeiterInnen erinnern sich nicht nur an den Wissenschaftler Dieter Krallmann, sondern an einen Lehrstuhlinhaber, der sich seiner Verantwortung als Chef und als Mentor bewusst war und ihr gerecht wurde – mit Engagement weit über seine Abteilung hinaus, hintergründig-norddeutschem Humor und dem, was er selbst in einem Interview einmal als „westfälische Dickköpfigkeit“ bezeichnete. Wir erinnern uns an Dieter Krallmann als eine der großen Persönlichkeiten unserer Fakultät. //20.04.2016
Verabschiedung von
Prof. Dr. Peter Ulrich Hein
Das Misstrauen der Soziologie gegenüber der Kunst ist sprichwörtlich, die Unhintergehbarkeit ästhetischer Erfahrung anzunehmen und bürgerliche Kontemplation im hehren Kunsttempel zu imaginieren, lag und liegt auch Peter Ulrich Hein so ganz und gar nicht. Seit 1999 an der UDE Professor für Kunstpädagogik hatte er sich die Forschungsschwerpunkte Kunstwissenschaft, Kommunikationswissenschaft und Kunstsoziologie vorgenommen, um dann in einen stetigen Widerspruch mit dem Künstlerischen zu treten, es zu dekonstruieren, mit den Augen des Soziologen dessen kollektive Praktiken aufzuspüren, vor allem aber das zu sezieren, was Avantgarde und Faschismus, Kunsterziehung, postmoderne Lifestylekultur und gegenwärtige Partizipationskünste seit jeher als gut verkäufliche "Heilsbotschaft" der Kunst verkündeten: Ihre Lebensrettung, Lebenshilfe, Therapeutik und Kompensation. Das Misstrauen rührt aus dem stetigen Gleichgewicht zwischen poesis und aisthesis, zwischen den praktischen Feldern künstlerischer Techniken, die er selbst erlernte und leidenschaftlich ausübt, sei es gleich zu Beginn die Techniken der Schriftsetzerei, dann die Fotografie, Video, Film und Theater, und dem ausgreifenden Feld des Studiums "ästhetischer Erfahrung" im Rahmen von Geschichte und Politikwissenschaft, Kunstpädagogik, Kunstgeschichte, Publizistik und Soziologie. Mit seiner Habilitationsschrift von 1990 an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln lieferte er eine bis dahin undenkbar scharfe Abrechnung mit der deutschen Kultur- und Kunsterziehungsbewegung, ihren völkischen, psychologischen und pseudoreligiösen Hintergründen, kurze Zeit später erschien mit der "Brücke ins Geisterreich"1 eine im Kontext von Historikerstreit und Postmoderne verankerte Auseinandersetzung mit Avantgarde und Kulturkritik im Deutschland zwischen Weimarer Republik und Faschismus. Auch in späteren Publikationen hielt er kaum zurück mit seiner gründlichen Analyse deutscher Geistes- und Künstlerhelden, die auch vor Joseph Beuys' niederrheinischer "Verwurzelung" nicht haltmachte. Doch seine eigentliche Passion liegt nach wie vor in Frankreich, den in der französischen Aufklärung und Romantik geprägten Zugängen zu Sinnlichkeit und aisthesis, der "modernité" Charles Baudelaire's, dem Paris des 19. Jahrhunderts bei Walter Benjamin und Georg Simmel und in der französischen Soziologie bis heute. So fanden sich auch in seinen Lektüreseminaren Studierende um sperrige Texte von Gilles Deleuze und Jacques Rancière versammelt, im kleinen Kreis in das gelehrte Gespräch verwickelt, das – neben Heins' Vorlesungen und Seminaren zu Soaps, Vorabend-Serien und einem reichhaltigen Repertoire an alltagskulturellen Werbe- und Unterhaltungspraktiken – Sorgen um CPs und Modulstrukturen doch beharrlich aushebeln konnte. Die von ihm betreute Videowerkstatt wiederum eröffnete filmische Explorationen zwischen Body Art und Performance. Hier holte auch Peter Ulrich Hein das Künstlerische wieder ein, in seiner französischen Prägung des Gegenwartsdenkens, der Technik und Praxis der Bilder, einer Ästhetik des Subversiven, nicht im Sinne negativer Dialektik, vielmehr in den ästhetischen Regimen der Parodie, Maskerade und Ironie. Jene Strategien gehörten auch stets zu seiner eigenen wissenschaftlichen Praxis, die gerade an der UDE vom Vertrauen in kollektive Selbstorganisation geprägt war. Für das "I.K.U.D.", das Binneninstitut "Kunst und Designwissenschaft" gründete er die dazugehörige Zeitschrift, die so kennzeichnend die ästhetische Praxis von Kunst und Design mit dem theoretischen Diskurs verbindet. Umso härter ging es ihn an, dass er als Dekan des inzwischen aufgelösten Fachbereichs für Kunst und Design die durchaus beschwerliche Migration des Faches in die Fakultät für Geisteswissenschaft organisieren musste, die letztlich aber auch jene Verankerung im pluralen Diskurs der Disziplinen verstärkte, die er selbst in seiner Arbeit stets befördert hat. Dass der Kunstsoziologe und Fotograf Peter Ulrich Hein in Zukunft für seine aktuellen Forschungsinteressen weitaus mehr Zeit aufwenden kann, macht uns heute schon neugierig und auch ein bisschen neidisch.
1 Peter Ulrich Hein: Die Brücke ins Geisterreich. Künstlerische Avantgarde zwischen Kulturkritik und Faschismus. (Rowohlt) Reinbek 1992
Prof. Dr. Gabriele Genge/04.04.2016
Verabschiedung von
Prof. Dr. Rüdiger Brandt
Ein Studierzimmer. An den Wänden Regale, bis unter die Decke gefüllt mit Büchern, Bänden, Folianten, Kisten, Kästen und Kartons, zum Bersten voll mit Informationen zu allen möglichen Themen. Auf dem zu klein wirkenden Schreibtisch Ausdrucke und ein Computer. Dahinter, fast verborgen: Rüdiger Brandt. Wissenssammler. Die ihn kennen sagen, dass die Bibliothek in seinem Kopf viel größer ist, als sich ein Normalsterblicher vorstellen kann – und so wohlgeordnet, dass er jede Information, die er braucht, nach Belieben herauszieht.
Rüdiger Brandt. Professor für Ältere deutsche Literaturwissenschaft an der UDE. Habilitation 1990: Enklaven – Exklaven. Zur literarischen Darstellung von Öffentlichkeit und Nichtöffentlichkeit im Mittelalter. 1992 Ruf aus Bielefeld an die UGH Essen. Monographien u.a. zu Konrad von Würzburg, Gottfried von Straßburg. 1999 Publikation des Grundkurs germanistische Mediävistik/Literaturwissenschaft. Forschungsschwerpunkte: Medienwissenschaft, -theorie, -geschichte, Historische Kulturwissenschaft, Literatursoziologie, Mündlichkeit, Schriftlichkeit, Genderforschung, Rhetorik, Poetik, Ästhetik, Bildungsgeschichte. – Diese Stichworte findet, wer Informationen über den Wissenschaftler Rüdiger Brandt sucht. Die ihn kennen, berichten von seinem Humor. Von seinem Sinn für Skurriles, Schräges und Obskures. Von seiner Freundlichkeit. Von seiner Haltung und seinem Engagement.
Manche, die das Studium der Germanistik aufnehmen, halten die Mediävistik für „irgendwas mit Medien.“ Und sind zunächst verdutzt, dass sie sich mit der Literatur des Mittelalters beschäftigen sollen („Mittelhochdeutsch? Echt jetzt?“). Viele auch von ihnen hat Rüdiger Brandt im Grundkurs mit dem Funken der Begeisterung angesteckt. Ein Grund vielleicht: Seine eigene Freude an Geschichten, ob Heldenepik oder Harry Potter (oder sogar Barry Trotter!) – um nur einen exemplarischen Bogen zu schlagen. Handschriften, Drucke, Comics, Filme, Werbung: Kaum jemand kann Bezüge quer durch die Kulturgeschichte so herstellen, dabei so aus dem Vollen des eigenen Wissens schöpfen, wie er. Oder, wie es seine Studierenden ausdrücken: „Der Brandt weiß alles und ist der Coolste überhaupt.“1 Klar, dass er die Möglichkeiten von Computer und Internet erkannte und sofort nutzte: Während heute alle von Digital Humanities reden, etablierte er bereits 1998 (!) das Internetperiodicum Perspicuitas für mediävistische Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft.
Sich Rüdiger Brandt nun aber vorzustellen, wie er sich nach getaner Lehre hinter den Schreibtisch oder in die Bibliothek, die ‚stillen Zauberinseln‘ der Wissenschaft, zurückzieht, wäre verfehlt. Für ihn sind Chancengleichheit, Bildungsgerechtigkeit, akademische Selbstverwaltung und die Vielfalt der Disziplinen mehr als (hochschul-)politische Worthülsen. Es sind Ideale, die er durch Handeln umsetzt: Vorsitzender und Mitglied diverser Kommissionen, leitete er von 2010 bis 2015 den Promotionsausschuss. Von 1999 bis 2005 war er Dekan, steuerte unsere Fakultät durch die nicht einfache Zeit der Fusion. Das Exerzieren von Status und Hierarchie, jede Form von Prätention und Unbescheidenheit sind ihm zuwider. Stattdessen setzt er sich ganz praktisch (und ohne Rücksicht auf die eigene Belastungsgrenze) für seine Studierenden, MitarbeiterInnen, KollegInnen ein.
In unserer mündlichen Tradition wird auch noch von anderen Dingen die Rede sein: vom singenden Fisch und tanzenden Weihnachtsbaum. Vom schwarzen Rollkoffer. Von selbstentworfenen Druckerzeugnissen für jeden Anlass und den Gaben zum Geburtstag, die darin eingewickelt waren. Von einem hölzernen Karteischrank, in dem sich Erbauung und Werkzeug für alle Notlagen des Lebens befanden. Wir wünschten, es hätte sich darin auch ein Remedium gefunden gegen die Zeit, die viel zu schnell vergeht ...
1 Björn Bulizek/Gaby Herchert/Simone Loleit (Hgg.) Die dunklen Seiten der Mediävistik. Rüdiger Brandt zum 65. Geburtstag. Duisburg 2014.
mca/24.02.2016, (c) Foto: Prof. Dr. Gaby Herchert
Verabschiedung von
Prof. Dr. Jo Reichertz
Ruhestand – diesen Begriff mit Prof. Dr. Jo Reichertz zu assoziieren, fällt schwer. Und doch ist es soweit: Jo Reichertz geht in den Ruhestand, und die Fakultät verabschiedet einen Professor, dessen Biographie mit unserer Hochschule besonders lang verbunden ist.
Zunächst führte sein beruflicher Weg ihn als Lehrer für Deutsch und Mathematik von der Universität Bonn an eine Gesamtschule in Berlin. Ob dieser erste Beruf dafür verantwortlich ist, oder ob es so etwas gibt wie „didaktische Begabung“: Jo Reichertz ist auch als Professor immer ein guter Lehrer geblieben. Einer, der Studierende zu interessieren und zu begeistern vermag, der sie lenkt und fordert, oft, ohne dass sie es selbst bemerken. Der sie ernst nimmt, ihnen eine Leistung zutraut, indem er sie ihnen abverlangt.
Die Fächer, die später „seine“ Fächer werden sollten, studierte er hier in Essen, wohin ihn Hans-Georg Soeffner und Dieter Krallmann Mitte der 1970er Jahre aus dem Schuldienst „abwarben“: Kommunikationswissenschaft und Soziologie, dazu AVL. Im Gründungsjahr der Essener Kommunikationswissenschaft 1976 immatrikulierte er sich an der UGH Essen, wurde Hilfskraft, nach dem Magister wissenschaftlicher Angestellter. Promotion (1986) und Habilitation (1991, Venia: Soziologie) erfolgten an der Hagener Fernuniversität. Nach akademischen Stationen in Hagen und Dortmund kehrte Jo Reichertz 1993 als Professor für Kommunikationswissenschaft nach Essen zurück.
Die Liste seiner Arbeitsschwerpunkte, Publikationen und Projekte ist zu lang, um sie hier auch nur im Überblick wiederzugeben, ebenso die der Mitgliedschaften in wissenschaftlichen Gesellschaften und Kommissionen, wissenschaftlichen Beiräten und Herausgeberschaften. Sein Interesse an soziologischen Fragestellungen aber blieb auch in der kommunikationswissenschaftlichen Perspektive stets zentral. Regelmäßig lehrte er an anderen Universitäten, so in den Soziologien von St. Gallen und Wien, wo er zudem am renommierten IHS eine Gastprofessur innehatte. In Witten/Herdecke unterrichtete er angehende Pflegewissenschaftler, in Bochum zukünftige Kriminologen. Auch in dieser thematischen Breite, in der Arbeit über Disziplin- und Universitätsgrenzen, ja die Grenzen der institutionalisierten Wissenschaft hinweg, spiegelt sich sein Fachverständnis, das Kommunikation nicht in erster Linie theoretisch-abstrakt, sondern in konkreten lebensweltlichen Zusammenhängen empirisch untersucht: auf Polizeirevieren, in Spielhallen und Flugzeugen, in Unternehmen und Organisationen, in religiösen und quasi-religiösen Kontexten – auch diese Aufzählung ließe sich fortsetzen. Ebenfalls immer wieder im Zentrum seines Interesses: (die Macht der) Medien, Marken und Bilder.
Viele seiner Projekte führte er mit Mitarbeiter-Teams zum erfolgreichen Abschluss, Teams, die er freiheitlich, zugleich vermittelnd und zielorientiert zusammenhielt. Konsequent, streng im Bereich der angewandten Methoden, so beschreiben ihn die, die mit ihm zusammenarbeiten, dabei auf der persönlichen Ebene, als Chef und Teamleiter, immer ansprechbar, offen, direkt, interessiert.
Wie gehen Menschen aus der Mittelschicht mit Überschuldung und der damit einhergehenden Bedrohung ihrer Identität um? Wie kann die Ruhr ein sicheres Badegewässer werden? Mit welchen Kommunikationsstrategien kann nachhaltiges Handeln vermittelt und in der Gesellschaft verankert werden? Diese Fragen untersucht er in seinen derzeit laufenden Projekten – einen „Ruhe-Stand“ im Sinne von Stillstehen, von Nichtinbewegungsein, können wir uns für Prof. Dr. Jo Reichertz einfach nicht vorstellen.
Abschiedsvorlesung Prof. Dr. Jo Reichertz | 5. Februar 2015 | 11–15 Uhr | Glaspavillon Campus Essen | Programm
mca/28.01.2015
Verabschiedung von Prof. Dr.
Dr. h.c. Wilfried Loth
Die Welt seit 1989: Ein Zeitalter der Globalisierung? Zu diesem Thema hält Professor Wilfried Loth (Neuere und Neueste Geschichte) am 31. Januar seine Abschiedsvorlesung.
Wilfried Loth studierte Germanistik, Geschichte, Philosophie und Erziehungswissenschaften an der Universität des Saarlandes. Er promovierte 1974 und vertrat bereits vor seiner Habilitation 1983 den Lehrstuhl für Zeitgeschichte an der FU Berlin. Es folgten Professuren für Politikwissenschaft 1984 an der FU, 1985 bis 1986 an der WWU Münster. Im selben Jahr erhielt er den Ruf nach Essen, wo er den Lehrstuhl für Neuere Geschichte übernahm.
Sein wissenschaftliches Oevre an dieser Stelle auch nur zu umreißen, scheint unmöglich. Zu umfangreich ist sein Werk zu Themen wie Sozialismus, Katholizismus und Deutschem Kaiserreich, das ihn zu einem der bedeutendsten Neuzeithistoriker der Bundesrepublik macht. Zentral seine Forschungen zum Kalten Krieg und zur europäischen Integration, die er als Gegenstand der Geschichtswissenschaft etablierte. Das Verständnis für die internationalen Dimensionen von historischen Entwicklungen zu wecken, ist dem überzeugten Europäer wichtig; ein Ansatz, der sich auch in seinen neueren Forschungen zur Globalisierung zeigt. Ein besonderes Augenmerk gilt der Geschichte Frankreichs, den deutsch-französischen Beziehungen und der Freundschaft zwischen den beiden Ländern. Frankreich, so weiß man, hat nicht nur für den Wissenschaftler, sondern auch für den Privatmann Wilfried Loth eine ganz besondere Bedeutung.
Eine ganz besondere Bedeutung: Die hat er für das gesamte Historische Institut. Die Arbeit mit seinen Studierenden und MitarbeiterInnen dort ist geprägt von seinem tiefen Interesse nicht nur an ihrem wissenschaftlichen und beruflichen Fortkommen, sondern an den Menschen selbst, von Anspruch im besten Sinne, von Wertschätzung, Verständnis und Vertrauen. Wilfried Loth hat die Fähigkeit, in den manchmal schwierigen Prozessen des Hochschulalltags moderierend und integrierend zu wirken und das große Ganze im Blick zu behalten. Diese Fähigkeit hat er nicht nur als Lehrstuhlinhaber, sondern auch in zahlreichen Ämtern und Funktionen in den Dienst der Universität und der Fakultät gestellt, hat sich die Zeit genommen, sich neben seiner ertragreichen wissenschaftlichen Karriere auch in der Hochschulselbstverwaltung und für andere akademische Institutionen zu engagieren. Er war Prodekan und Dekan des ehemaligen Fachbereichs 1 der UGH Essen, Mitglied des Gründungssenats der UDE, über lange Jahre im Senat und im Hochschulrat unserer Universität und Mitglied verschiedener Kommissionen der Fakultät. Er sitzt im wissenschaftlichen Direktorium des Instituts für Europäische Politik (seit 1986; seit 2002 als Vizepräsident); seit 1987 ist er Mitglied des Deutsch-Französischen Historikerkommitees, dessen Präsident er seit 2012 ist. Von 1993 bis 1997 war er Präsident des renommierten Kulturwissenschaftlichen Instituts (KWI), in dessen Vorstand er noch heute ist. Seit 2000 ist er Präsident der Historiker-Verbindungsgruppe bei der Europäischen Kommission. Die Liste ließe sich fortsetzen. Er ist zudem international als Gutachter tätig, u.a. für die Universitäten Oxford, Paris I – Panthéon Sorbonne, Innsbruck und die London School of Economics. 2013 verlieh ihm die Babeș-Bolyai-Universität im rumänischen Cluj-Napoca die Ehrendoktorwürde.
Mit Professor Dr. Dr. h.c. Wilfried Loth geht ein großer Hochschullehrer in den Ruhestand, der Fach, Fakultät und Universität seit den 80er Jahren über die Fusion bis heute mit Engagement und Weitsicht begleitet und gestaltet hat.
Die Welt seit 1989: Ein Zeitalter der Globalisierung?
Abschiedsvorlesung von Prof. Dr. Dr. h.c. Wilfried Loth
Freitag, 31.01.2014 | 16:00 Uhr | Glaspavillon, Campus Essen
mca/27.01.2014,
Foto: BR Alpha, Jahr der Ausstrahlung 2013
Verabschiedung von
Prof. Dr. H. Walter Schmitz
Fragt man AbsolventInnen des Fachs Kommunikationswissenschaft der UDE, bei wem sie studiert haben, so lautet die Antwort oft kurz und knapp: Schmitz!
1992 wird H. Walter Schmitz, der drei Jahre zuvor bereits als Gastprofessor und 1990 im Rahmen einer Professurvertretung an unsere Hochschule gekommen war, auf den Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft der UGH Essen berufen. Schon seine Antrittsvorlesung lässt einen Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Forschung erkennen: die Fundierung der Kommunikationstheorie aus der Hörerperspektive. „Über Hörer, Hören und Sich-sagen-hören. Anmerkungen zur vernachlässigten anderen Seite des Kommunikationsprozesses“ spricht er damals. Er, der in Bonn studierte und bei Gerold Ungeheuer seine Dissertation schrieb, steht für ein Fachverständnis, das die „Essener Kowi“ heraushebt aus einer Vielzahl kommunikationswissenschaftlicher Studiengänge. Sie ist nicht angebunden an ein anderes Fach wie Medienwissenschaft oder Publizistik. Als eigenständige sozialwissenschaftliche Disziplin mit fachspezifischer Problemstellung und Theoriebildung untersucht sie die Phänomene zwischenmenschlicher Verständigung. Studierende aus ganz Deutschland kommen deshalb nach Essen. Viele finden in H. W. Schmitz „ihren“ Professor, anspruchsvoll und zutiefst fair, einen, dem nichts zu viel wird, der weit über den regulären akademischen Betrieb hinaus für Studierende und Mitarbeiter da ist, sie fordert, fördert, weiterbringt. 2003 erhält er den Preis für in der Lehre besonders engagierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Auch für seinen Fachbereich, den „FB 3: Literatur- und Sprachwissenschaften“ (seit 2003: Fakultät für Geisteswissenschaften) setzt er sich ein, ist von 1994 bis 1998 Dekan, von 1999 bis 2006 Vorsitzender des Promotionsausschusses.
Von seinen zahlreichen Mitgliedschaften in akademischen Verbänden seien hier nur zwei erwähnt. Seit 1991 ist er ausländisches Mitglied der Königlich Niederländischen Akademie der Wissenschaften. Und er ist Ehrenmitglied von NEK. Das „Netzwerk Essener Kommunikationswissenschaft“, das auf seine Initiative hin als einer der ersten Alumniverbände unserer Hochschule im Jahr 2000 gegründet wurde und heute über 300 Mitglieder zählt, zeigt die starke Identität der „Kowis“ mit ihrem Fach. Eine Identität über die Studienzeit hinaus, die nur durch einen Hochschullehrer wie H.W. Schmitz entstehen kann. Einen, dem der Beruf Berufung ist.
Schmitz! In der Antwort seiner AbsolventInnen klingen der Stolz und die Freude, bei ihm studiert zu haben.
„Das akademische Leben ist also ein wilder Hazard.“
Kommunikationswissenschaft als Beruf.
Abschiedsvorlesung von Prof. Dr. H. Walter Schmitz
Donnerstag, 18. Juli 2013 | 14:00 Uhr | Die Brücke, Campus Essen
08.07.2013/mca
Verabschiedung von
Prof. Dr. Ulrich Schmitz
Studiert hat er in Tübingen, Marburg und Exeter. Gelehrt aber hat er dort, wo er aufwuchs: im Ruhrgebiet. 1995 wurde der gebürtige Dortmunder Ulrich Schmitz von der Mercator-Universität Duisburg auf den Lehrstuhl „Germanistik/Linguistik und Sprachdidaktik“ der damaligen UGH Essen berufen. „Sprache hat mit Lebendigkeit zu tun. Das will ich rüberbringen“, sagte er damals der WAZ. Und es ist ihm gelungen!
Generationen von Studierenden folgten seiner „Einladung zur Sprachwissenschaft“. Ulrich Schmitz, der nach Germanistik, Anglistik und Politikwissenschaft auch Erziehungswissenschaften studierte, ist eine jener großen Lehrerpersönlichkeiten, die Studierende für ihr Fach begeistern können. Betrachtet man seine wissenschaftliche Arbeit und die Breite seiner Perspektive, darf man wohl von einem Linguisten aus Leidenschaft sprechen.
Schon früh begann Ulrich Schmitz, die „neuen Medien“ sprachwissenschaftlich zu untersuchen – und sie für die Sprachwissenschaft zu nutzen. Unter seiner Ägide entstand LINSE, die meistgenutzte deutsche Linguistikwebsite und weltweit einzigartige kommentierte Linksammlung zur Sprachwissenschaft. Auch jetzt geht er neue Wege: Die durch ihn an der UDE beheimateten, international renommierten Publikationen der Linguistic Agency (LAUD) werden demnächst als E-Paper erscheinen.
„Grenzen der Sprachwissenschaft“ hat er in den Blick genommen, und fast wirkt der Begriff selbst ein wenig zu eng für ihn, der sich mit Sprachphilosophie befasst, mit Sprache, Multimedia und Design, mit dem „Schweigen“ und der „sprachlichen Fülle der Leere“, mit „Sprache und Geld“ und immer wieder mit dem Verhältnis von Text und Bild.
Wer seine Website besucht, begegnet dort dem Künstler Ulrich Schmitz. „Sprachlos“, so überschreibt er seine Fotografien – und doch sprechen auch sie, so will es dem Betrachter scheinen, eine eigene Sprache und erzählen ohne Worte viel.
„Warum sprechen?“
Abschiedsvorlesung von Prof. Dr. Ulrich Schmitz
25. Juni 2013, 18:00 Uhr
Mercatorsaal Campus Duisburg
18.06.2013/mca