Stress & Gender
Beziehungsstress ist Männersache!
Jeder hat schon mal von ihm gehört, die meisten von uns haben ihn von Zeit zu Zeit oder sogar dauerhaft – Stress.
Für jeden Menschen kann Stress subjektiv jedoch etwas völlig anderes bedeuten und durch unterschiedliche Ereignisse hervorgerufen werden.
Er muss nicht zwangsläufig von schlechter Natur sein: Neben dem negativen Stress, den jeder von uns versucht auf seine eigene Weise zu reduzieren, können wir auch positiven Stress, genannt Eustress[1] (geprägt durch den ungarisch-kanadischen Mediziner Hans Selye) empfinden – wie dem Stress oder der Nervosität, der man üblicherweise am Hochzeitstag ausgesetzt ist.
Ungeachtet dessen, in welcher Gestalt er auftritt, ist Stress in jedem Fall etwas Lebensnotwendiges. Stress erzeugt in uns zwar eine Anspannung, aber „erst wenn der Organismus aus inneren oder äußeren Gründen nicht in der Lage ist, sich anzupassen, wirkt der Streß schädigend."[2]
Stress lässt sich zwar anhand einer daraus folgenden körperlichen Stressreaktion objektiv messen, wird jedoch von jedem Menschen wie jedes andere Gefühl subjektiv erlebt und ruft eine individuelle psychologische Reaktion hervor.[3]
[1] Vgl. Linneweh, K. (1984). Streß und Streßbewältigung: Der erfolgreiche Umgang mit sich selbst. Deutscher Sparkassenverl. S. 13.
[2] Ebd. S.9.
[3] Vgl. Ebd. S. 15.
Geschlechtsspezifische Unterschiede im Allgemeinen
Im Folgenden sollen überwiegend die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Stresswahrnehmung und im Umgang mit Stress im Fokus stehen.
Diese zeigen sich nicht erst bei Erwachsenen, sondern schon im Grundschulalter.
Besonders auffällig sind die Unterschiede bezüglich der Bewältigungsstrategien zwischen Jungen und Mädchen. Eine Studiezur Stressbewältigung von Kindern und Jugendlichen zeigte, dass Mädchen eher eine problemorientierte Bewältigungsstrategie verfolgen und nach sozialer Unterstützung suchen, wohingegen sich bei Jungen eher eine vermeidende Strategie nachweisen lässt.
Diese Erkenntnisse setzen sich auch bei Untersuchungen mit Studierenden fort. Laut einer amerikanischen Studie sind es überwiegend Frauen, die sich aufgrund des Stress im Studium professionelle Hilfe suchen, während Männer versuchen, den Stress in der Freizeit und beim Sport abzubauen.
Die Neigung zur Besorgnis
Dass es laut einer Studie im Journal für Occuppational Medicine (Rohleder, Nicolas: Variability in stress system regulatory control of inflammation: a critical factor mediating health effects of stress) einen größeren Zusammenhang von Arbeitsstress und Erkrankungen insbesondere bei Männern gibt, könnte auch ein Grund dafür sein, warum Frauen eine verhältnismäßig höhere Lebenserwartung haben.[1] Woran liegt es aber, dass vermehrt Frauen angeben, unter Stress zu leiden? ForscherInnen der Universität Trier fanden heraus, dass dieses Phänomen auf die bei Frauen höher ausgeprägte Neigung zur Besorgnis zurückzuführen ist.[2] Diese äußert sich darin, dass sich Frauen in verschiedenen Lebenslagen eher Sorgen machen, einem äußeren Druck nicht gewachsen zu sein oder ein Problem nicht bewältigen zu können. Frauen empfinden also unter gleichen Bedingungen eher Stress als Männer in ihrer Situation. Dies liegt vermutlich des weiteren daran, dass Frauen Stresssymptome früher wahrnehmen und daher eher professionelle Hilfe in Anspruch nehmen als Männer.
[1] Vgl. http://www.experto.de/b2b/organisation/stressabbau/arbeitsstress-macht-maenner-schneller-krank.html 24.09.2013
[2] Vgl. Schulz, P., Schlotz, W., Wolf, J., & Wüst, S. (2002). Geschlechtsunterschiede bei stressbezogenen Variablen. Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie, 23(3), 305-326.
Beziehungs- und Familienstress
Besonders deutlich werden die stressbedingten Unterschiede zwischen den Geschlechtern, wenn man die divergenten Auswirkungen verschiedener Stressarten betrachtet.
Soziologe Peter C. Meyer untersuchte in seiner Studie unter anderem Zusammenhänge zwischen sozialen Rollen und sozialem Stress und fand heraus, dass akuter Beziehungsstress, „das heisst ein Partnerverlust oder Krisen in der Partnerschaft"[1] sich eher auf Männer psychisch belastend auswirkt als auf Frauen. Diese hingegen leiden auf psychischer Ebene ebenso stark und körperlich noch stärker unter akutem Familienstress, der sich durch Probleme mit engen Freunden und Freundinnnen oder Familienangehörigen äußert.[2]
Aber auch diese Studie bestätigt, dass sich sozial isolierte Frauen unabhängig von der Stressart eher belastet fühlen als Männer in einer entsprechender Situation.
[1] Meyer, P. C. (2000). Rollenkonfigurationen, Rollenfunktionen und Gesundheit. Leske+ Budrich. S. 247
[2] Vgl. Ebd. S. 247
Rollenstress
Neben dem zuvor erwähnten Beziehungs- und Familienstress befasste sich Meyer mit der Art von Stress, der alltäglich auf Männer und Frauen einwirkt, die unterschiedliche Rollen ausführen.
Bezogen auf den Rollenstress, den Männer und Frauen bei der Kombination von Eltern- und Berufsrolle empfinden, lässt sich eindeutig sagen, dass der Alltagsstress von Männern, die auch eine Elternrolle ausfüllen, als deutlich höher empfunden wird als von Männern, die einzig und allein die Anforderungen der Berufsrolle zu erfüllen versuchen.
Bei der Untersuchung der weiblichen Probanden bezüglich der Berufs- und Elternrolle wurden zunächst zwei gegensätzliche Hypothesen angenommen:
„Gemäß der Ressourcentheorie wird angenommen, dass berufstätige Mütter nicht mehr Alltagsstress erleben als nicht-berufstätige Mütter und als Frauen ohne Elternrolle, da sie diese Rollenkombination mehr oder weniger freiwillig gewählt haben und als Bereicherung erleben. Gemäss der Belastungstheorie wird angenommen, dass berufstätige Mütter mehr Alltagsstress erleben als Frauen, die entweder keine Elternrolle oder keine Berufsrolle haben. Diese Hypothese entspricht der Alltagstheorie der Doppelbelastung von Frauen, die hohen Stress verursacht."[1]
In der folgenden Studie bestätigt sich die erste der beiden aufgestellten Hypothesen, da bei den Müttern kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Kombination der Eltern- und Berufsrolle und der höheren alltäglichen Rollenbelastung gefunden wurde. Dies erklärt Meyer mit der hohen sozialen Anerkennung der Mutterrolle und der daraus folgenden Stimulierung der Frauen, die dazu führt, dass die Mutterrolle nicht als alltäglicher Stress erlebt wird.[2]
Erstaunlich ist dieses Ergebnis in der Hinsicht, dass im Allgemeinen an die Männerrolle weniger hohe Erwartungen gestellt werden als an die Mutterrolle.
[1] Ebd. S. 96
[2] Vgl. Meyer, P. C. (2000). Rollenkonfigurationen, Rollenfunktionen und Gesundheit. Leske+ Budrich. S. 172-173
Männliche und weibliche Manager
Wie sich die Anforderungen an Männer und Frauen in hohen Führungspositionen auf deren Stressempfinden auswirken und wer sich in dieser Rolle eher belastet fühlt versuchten Marilyn Davidson und Cary Cooper in ihrer erstmals veröffentlichten Studie von 1983 zu untersuchen.
Sie fanden heraus, dass sich wider aller Erwartungen Männer in einer Führungsposition eher unter Druck gesetzt fühlen und es als schwieriger empfinden, sich mit ihrer Rolle zu identifizieren. Frauen leiden hingegen eher unter der Tatsache, den ganzen Tag auf den Beinen zu sein, viel zu reisen und in Hotels zu übernachten.[1]
Des Weiteren wurde jedoch auch deutlich, dass Frauen einen signifikant höheren „Performance"-Druck verspüren, dass heißt, sie gaben häufiger an, das Gefühl zu haben, bessere Arbeit als ihre männlichen Kollegen leisten zu müssen.
Weibliche Manager verspüren außerdem einen höheren Druck bezogen auf die häuslichen und sozialen Faktoren, da sie sich eher genötigt fühlen, sich zwischen Karriere und Familie zu entscheiden.[2]
Möglicherweise lässt sich auch so das Ergebnis des Stressreports von 2012 erklären, dass in Vollzeit arbeitende Frauen sich am meisten gestresst fühlen und häufiger als Teilzeitangestellte oder in Vollzeit arbeitende Männer angeben, unter Stress leiden.
Den gesamten Stressreport des letzten Jahres finden Sie hier.
Bezüglich ihrer Copingstrategien (synonym zu Bewältigungsstrategie; bezeichnet die „Art des Umgangs mit einem als bedeutsam und schwierig empfundenen Lebensereignis oder einer Lebensphase"[3]) sagten sowohl die männlichen als auch die weiblichen befragten Manager aus, dass sie ihren Arbeitsbereich verlassen und sich an einem anderen Ort ablenken, um sich zu entspannen. Aber auch in diesem Bereich wird deutlich, dass sich überwiegend Frauen, die sich unausgeglichen fühlen, anderen Personen anvertrauen, um über ihre Probleme zu reden.
Dieses allseits bekannte Phänomen, dass Frauen eher über ihre Gefühle reden, könnte damit zusammen hängen, dass Frauen sich engen Freundinnen ohnehin schon näher fühlen als die meisten Männer ihren engen Freunden und somit das Zurückhalten von Informationen in Zeiten von Stress die „Basis von weiblicher Freundschaft untergraben würde".[4]
[1] Vgl. Davidson, M., & Cooper, C. L. (1983). Stress and the woman manager. St. Martin's Press. S. 107
[2] Vgl. Davidson, M., & Cooper, C. L. (1983). Stress and the woman manager. St. Martin's Press. S. 109-110
[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Bew%C3%A4ltigungsstrategie 23.09.2013
[4] http://ediss.sub.uni-hamburg.de/volltexte/2005/2304/pdf/diss-antje1.pdf 23.09.2013
Ungeachtet der vielen Unterschiede zwischen Männern und Frauen in den verschiedensten Stresssituationen und Bewältigungsstrategien, gibt es nachweislich einen Bereich, wo sich Männer und Frauen in ihrem Stressempfinden gleich: so reagieren beide Geschlechter gleichermaßen mit einem erhöhten Stresspegel auf das Gefühl des Verliebtseins. Das folgende Video von Quarks & Casper fasst diese und weitere Erkenntnisse bezüglich der Auswirkung von Stress auf den weiblichen und männlichen Organismus zusammen:
http://www.wdr.de/tv/quarks/sendungsbeitraege/2013/0402/003_stress_spiel_spannung_stress.jsp
Wenn Sie selbst das Gefühl haben, häufiger unter Stress zu stehen, haben Sie unter folgendem Link die Möglichkeit zu testen, wie hoch ihre alltägliche Stressbelastung tatsächlich ist, und wie Sie welche Symptome reduzieren können:
http://www.tk.de/tk/medizin-und-gesundheit/stress/stresstests/130952