Eindrücke vom Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie 2012
DGS-Kongress Vielfalt und Zusammenhalt am 2.10.2012 von 9-12:30 Uhr Panel: Die kommunikative Konstruktion von Ethnizität
Sprache spielt bei der Herstellung unserer Wirklichkeit eine bedeutende Rolle. Sie liefert Kategorien und Schemata, in denen Beobachtungen eingeordnet und kommuniziert werden können. Sie liefert Muster für die Deutung von Erfahrungen die das Zusammenleben betreffen: Wer ist „anders"? Wer gehört zu „uns"? Wer ist dieses „wir"? Wie sind solche Zugehörigkeiten begründet? Wie hängt Ethnizität mit der Geschlechtszugehörigkeit zusammen?
Die Leitfrage des Panels lautete daher: Wie wird Ethnizität mittels Sprache hergestellt? Das heißt: Welche Auswirkungen haben entsprechenden Konstruktionsprozesse für öffentliche Diskurse, soziale Milieus, Institutionen und Interaktionen im Alltag? Den ersten Diskussionsbeitrag des Panels lieferte Kristin Surak, seit 2011 Professorin für Vergleichende Soziologie an der Universität Duisburg-Essen. Die Herstellung Ethnizität unterliegt, so diese These Suraks, komplexen Differenzierungsprozessen die über die simple Unterscheidung „wir" versus „die anderen" hinausgehen.
Ethnizität im Alltag und seinen Praxen – das Beispiel Japan
Ethnizität wird als die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, deren gemeinsame Charakteristika wie z. B. Sprache, Religion, Traditionen sein können, bezeichnet. Diese Zugehörigkeit liegt nicht in der vermeintlichen „Natur" der Gruppe, sondern ist das Resultat von kollektiven Konstruktionen. Sie dienen der Bildung von Identität. Wie aber gehen diese Konstruktionsprozesse vonstatten? Surak ging in ihrem Vortrag der Erzeugung von Ethnizität in sozialen Praxen nach. Sprache spielt hier eine besondere Rolle, denn sie macht Praxis im Alltag, Beruf usw. möglich.
Ethnizität wird in der Alltagspraxis nicht einfach auf der Unterscheidung „wir" und „die anderen" begründet, vielmehr spielen neben diesen einfachen Unterscheidungen auch Spezifizierungen und Differenzierungen innerhalb einer Gruppe eine zentrale Rolle. Veranschaulicht hat Surak diese Prozesse am Beispiel der Unterweisung in die japanische Teezeremonie von Schülerinnen und Schülern. Diese Zeremonie, die erst im Zuge des japanischen Nationbuilding nach dem zweiten Weltkrieg an Bedeutung für die Schaffung einer japanischen Identität gewann, werde den jungen Leuten als eine der zentralen kulturellen Praktiken Japans nahegelegt. Denn: Den Ritus der Zubereitung und des Ausschanks von Tee fasse, so die Lehrerin in dem Fallbeispiel, der „Westen" als genuin japanische Praxis auf. Er sollte beherrscht werden, denn nur so könne man als würdige Repräsentantin Japans im Ausland oder für ausländische Gäste gelten.
Die erste Ebene (1) der Konstruktion von Ethnizität stellt die „wir versus sie"-Abgrenzung dar, in diesem Fall ist es die Unterscheidung „Japan" versus „der Westen". Bemerkenswert bei der schulischen Unterweisung in die Teezeremonie ist, dass Mädchen und Jungen getrennt in diese eingeführt werden. Für Mädchen gelten strengere Regeln, bei ihnen ist die Lehrerin kritischer, z. B. in Bezug auf die Körperhaltung, die Mimik usw. Die Konstruktion von Ethnizität vollzieht sich daher auch auf der Spezifizierung (2) entlang weiterer Kategorien, in diesem Beispiel ist es das Geschlecht. Für Frauen gelten besondere Regeln im Vollzug der Zeremonie. Letztlich werden innerhalb der Gruppe der Schülerinnen und Schüler weitere Differenzierungen (3) vorgenommen. Es gebe, so die Lehrerin, Personen, die die zeremoniellen Riten „manierlich" sehr gut lernten und jene, die hier „aus der Rolle fallen", sich nicht entsprechend benehmen können. Die Kategorie Klasse/soziale Lage in Verbindung mit Geschlecht spielt hier eine wesentliche Rolle. Die Herstellung Ethnizität, so das Fazit, unterliegt komplexen Konstruktionsprozessen, in denen neben der Unterscheidung zu einem „Anderen" auch Differenzierungen innerhalb einer Gruppe eine bedeutende Rolle spielen.
Mehr Infos
... zu Prof. Dr. Kristin Surak: http://www.uni-due.de/soziologie/surak_zurperson.php
... zum Vortrag: Surak, Kristin (2011). "From selling tea to selling Japaneseness: symbolic power and the nationalization of cultural practices." European Journal of Sociology 52(2): 175-208. Online verfügbar unter: http://journals.cambridge.org/abstract_S0003975611000087
Von Rasseunterschieden zu Diversität und der Vielfalt der Kulturen
In der Diskussion um Diversität spielen global agierende Akteure, wie etwa die Vereinten Nationen (UN), eine besondere Rolle. Sie können durch die Wahl von Begriffen und die Art und Weise ihrer Verwendung den Rahmen für politische Diskurse maßgeblich beeinflussen. Gegenstand des zweiten Vortrags waren erste Ergebnisse des Forschungsprojektes an der Universität Bielefeld "Die Beobachtung der Welt. Der Beitrag von internationalen Statistiken und UN-Weltkonferenzen zur Entstehung einer globalen Vergleichsordnung, 1949-2009".
Dr. Marion Müller zeichnete hier den Wandel der Bedeutung des Konstrukts „Rasse" in den Konferenzen zur Rassismusbekämpfung. Die Strategien der UN unterlagen in den ersten beiden Weltkonferenzen zu diesem Thema in den Jahren 1978 und 1983, so Müller, einem grundlegenden Paradox. Die Existenz unterschiedlicher Rassen wurde hier nicht in Frage gestellt, jedoch aber die mit Vergleichen einhergehende unterschiedliche Bewertung und Hierarchisierung. Alle Kulturen trügen etwas eigenes/einzigartiges zum Zivilisierungsprozess der Menschheit bei. Die „Andersartigkeit" der verschiedenen Rasse gelte es wertzuschätzen. Fünf Jahre liegen zwischen den Konferenzen, dies ist keine lange Zeit. Diskurse und Bedeutungen auf globaler Ebene verändern sich nur sehr langsam. Auf der letzten Weltkonferenz zur Rassismusbekämpfung 2001 in Durban sei jedoch ein Wandel zu beobachten: Das Rassekonzept wird erstmals angezweifelt bzw. abgelehnt. Jedoch gebe es verschiedene, nicht miteinander vergleichbare „Kulturen" und „Zivilisationen", die es in ihrer Vielfalt/Diversität zu schützen gilt. Diese Aufwertungsstrategie trage aber paternalistische Züge.
Müller sieht in dem strategischen Wandel der Rassismusbekämpfung Parallelen zur feministischen Debatte und den dort verwendeten Begriffen. Ähnlich wie die Verschiebung von sex (Betonung biologischer Unterschiede) zu gender (Geschlecht wird als sozial konstruiert betrachtet) sei in der UN-Weltkonferenzöffentlichkeit ein Wandel der Deutungsmuster zu verzeichnen: Hier gebe eine Verschiebung von „Rasse" (vermeintliche biologische Differenzen) hin zu „Kultur" (sozial gemachte Unterschiede) zu verzeichnen. Aufgrund der paternalistischen Schutzrhetorik sowie der Vermischung von weiteren Kategorien wie etwa Religion und Ethnizität stellt sich die Frage, ob nicht von einer „Kulturalisierung des Rassebegriffs" gesprochen werden sollte, die der Vielfaltsbegriff verschleiert.
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