Forschung
Sonderforschungsbereich 1439 (RESIST) Degradation und Erholung von Fließgewässerökosystemen unter multiplen Belastungen
Flüsse und Bäche sind Zentren der Biodiversität und für den Menschen lebenswichtig. Durch menschliches Zutun werden Gewässer und ihre Lebensgemeinschaften auf vielfältige Weise beeinträchtigt; mit einem breiten Maßnahmenspektrum wird versucht, diese Beeinträchtigungen wieder rückgängig zu machen. Die Mechanismen, die in Phasen von Degradation und Erholung wirken sind jedoch nur teilweise verstanden, insbesondere, wenn viele Beeinträchtigungen gleichzeitig vorliegen. RESIST untersucht die zu Grunde liegenden Mechanismen durch eine Verbindung von Freilanduntersuchungen und Mesokosmen-Experimenten mit statistischen und mechanistischen Modellierungen und Synthesen. Mit einem breiten Methodenspektrum werden die Effekte multipler Stressoren auf alle Komponenten des Nahrungsnetzes von Fließgewässern (von Viren bis zu Fischen) und auf vier ökosystemare Funktionen untersucht. Der Schwerpunkt der Untersuchungen liegt auf den Effekten dreier weltweit relevanter Stressoren: Temperaturerhöhung, Versalzung und hydromorphologische Degradation sowie der Kombination dieser Belastungsformen. Ziel ist es, die Effekte von Degradation und Erholung auf Biodiversität und Funktionen von Fließgewässern zu verstehen und vorherzusagen.
Neben 15 Forschenden der UDE sind Teams der Universitäten Bochum, Köln, Kiel und Koblenz-Landau sowie des Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (Berlin) und des Umweltforschungszentrums Halle-Leipzig am SFB RESIST beteiligt. Unsere Gruppe trägt Analysen des Mikrophytobenthos und von Diatomeen bei.
Mikroskopie im 21. JahrhundertDigitale Diatomeen-Analysen
Sogenannte Dauerpräparate, lichtmikrosopische Objektträger mit Kieselschalen eingebettet in einen Kunstharz, sind seit über 100 Jahren eines der wichtigsten Werkzeuge der Diatomeenforschung. Wir haben in den letzten Jahren neue digitale Methoden entwickelt, um das Arbeiten mit diesen gut bewährten Mitteln in das digitale Zeitalter zu überführen. Wir können mittlerweile solche Präparate bei hoher optischen Auflösung und großflächig in digitale Bilder umwandeln, und durch unsere eigens entwickelte Software "SHERPA" die Diatomeenschalen in solchen Bildern finden und vermessen. Wir können solche Bilder über das Web annotieren, und wenden tiefe neuronale Netzwerke an, um die Schalen taxonomisch zu klassifizieren.
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Unsere Software-Seite mit weiteren Informationen über SHERPA, die Annotierung von virtuellen Diatomeen-Präparaten im Web, und über digitale Diatomeen-Analyse-Workflows.
Antarktische Epiphyten
An marinen Küsten überwachsen Mikroalgen, darunter viele Diatomeen, die größeren Algen und Seetang (kurz Makroalgen). Die überwachsenden Diatomeen werden Epiphyten genannt. Dadurch entstehen sowohl eine Art von Mutualismus (Diatomeen „düngen“ die Makroalgen mit ihrem Zuckerausstoß) als auch eine Konkurrenz für Nährstoffe und vor allem Licht.
In Zusammenarbeit mit der Universität von Barcelona arbeiten wir daran, die Ökologie dieser Biozönose zu erforschen. Wir vergleichen Epiphyten-Proben, die aus dem aktiven Vulkan auf Deception Island stammen, mit denen von Livingston Island. Livingston ist eine nahezu naturbelassene Insel, und leidet dadurch etwas unter Nährstoffmangel, der die Konkurrenz der Organismen steigern kann. Zudem wird im Vergleich der Orte noch der Parameter Temperaturunterschied (durch den Vulkanismus in Deception erhöht) für die Modellierung der Effekte des Klimawandels auf die Biozönose ausgewertet werden.
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Die Entstehung von Diversität entlang Umweltgradienten
Organismische Diversität betrachten wir in der Ökologie meistens in Zusammenhang mit Heterogenität in Umweltbedigungen, aber wie genau die Diversifikationsprozesse, die zur Entstehung dieser Vielfalt führen, ablaufen und wie sie durch zeitliche oder räumliche Unterschiede in Lebensbedingungen zwischen Populationen einer Algenart vorangetrieben werden, verstehen wir nicht im Detail. Muster von Variabilität in den Genomen wird durch Evolutionsprozesse wie zufälliges oder durch natürliche Selektion hervorgebrachte Differenzierung geformt, deswegen können uns die durch moderne hochdurchsatz-Sequenziertechnologien ermöglichte Einblicke in genomische Diversität ein tieferes Verständnis dieser Vorgänge ermöglichen. Wir möchten wissen wie Anpassungen an unterschiedliche Bedigungen innerhalb einer Art und zwischen sehr nah verwandte entstehen können, und wie schnell solche Divergenz in Mikroalgen zustande kommen kann.
Im Südlichen Ozean haben wir ein spannendes Modellsystem für die Untersuchung solcher Prozesse entwickelt. In der planktonischen Diatomee Fragilariopsis kerguelensis haben wir entlang nord-südlichen Umweltgradienten beobachtet, dass unterschiedliche Populationen an die lokalen Gegebenheiten angepasst sind. Zwar konnten wir Stämme aus unterschiedlichen Lokalitäten im Labor miteinander kreuzen, sie also die grundsätzliche Fähigkeit zum Austausch ihrer genetischen Materials besitzen, scheinen sie in der Natur keine Hybriden zu produzieren, was für die Erhaltung der lokalen Anpassungen vermutlich wichtig ist.
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Diatomeen in temporären Flüssen
Ein nicht unerheblicher Teil der Gewässer rund um die Welt ist temporär. Das heißt, dass diese Gewässer während eines Teils des Jahres (halb-)trocken liegen. In den tropischen und subtropischen Klimazonen ist es die Mehrheit der Gewässer, die unter Wassermangel leidet. Aber auch in unseren Breitengraden gibt es temporäre Flüsse. Karstische Flüsse wie auf der Paderborner Hochfläche und „künstliche“ karstische Flüsse, die als Resultat des Bergbaus entstehen, sind in NRW nicht unüblich. In Hinsicht auf den Klimawandel wird die Tendenz dazu auch ansteigen, wie man in den letzten Jahren an den Großflüssen beobachten kann.
Die Diatomeen solcher Flüsse im europäisch- kontinentalen Raum sind bisher noch wenig erforscht, da der Fokus bisher auf den tropischen und subtropischen Klimazonen lag. Am Beispiel der Menne (Paderborn) versuchen wir, die Diatomeen in einem temporären Fluss zu charakterisieren, je nachdem ob der Fluss fließt, in Wassergräben endet oder ganz und gar versickert ist.
In Zusammenarbeit mit der Universität von Barcelona erkunden wir darüberhinaus die Effekte der temporären Flüsse und der anthropogenen Einflüsse auf die funktionellen Gruppen der Diatomeen im Mittelmeerraum.
Taxonomie
Taxonomie klingt wie ein altmodisches Wort, aber ohne Taxonomie geht in der Biologie nicht viel: wir brauchen ein konsistentes System für die Benennung und Erkennung von Organismen, und dies ist eine viel größere und schwerere Aufgabe, als man sich das aus großer Entfernung vorstellen möchte. Gerade weil Taxonomie eine zeitlang als nicht modern angesehen wurde, ist der Nachschub an Experten, die sich mit organismischer Vielfalt auskennen, in den letzten Jahrzehnten stark eingebrochen. Da wir aber auch in der Umweltbiologie auf dieses Wissen angewiesen sind, interessieren wir uns für Möglichkeiten, wie der Fortbestand von Taxonomie für die Zukunft gesichert werden kann. Können wir Teile des taxonomischen Wissens digital, vernetzt und für ständige Aktualisierungen offen erfassen? Können wir die immer leistungsfähigeren digitalen Methoden der Bildanalyse und des maschinellen Lernens als Hilfe für den taxonomischen Alltag anwenden? Wir arbeiten in diese Richtung zusammen mit der Arbeitsgruppe "Biodata mining", geleitet von Tim Nattkemper, und benutzen u.a. das von ihnen entwickelte Bildannotationplatform BIIGLE 2.0 um Diatomeenpräparate in digitaler Form zu bearbeiten.
Weitere Informationen:
Repositories for taxonomic data: where we are and what is missing.
A complete digitization of German herbaria is possible, sensible and should be started now.
Biogeografische Verschiebungen verursacht durch Ozeanerwärmung
Die Temperatur der Ozeane erhöht sich auch, und dies wird Auswirkungen auf ihre Bewohner haben. Wir haben am Beispiel einer der häufigsten Diatomeenarten im Südozean mittels Klimavorhersagen und biogeografischer Modellierung untersucht, wie diese Auswirkungen dort in den nächsten Jahrzehnten ausfallen könnten. Obwohl diese Ozeanregionen bisher unter weniger starken Erwärmungs-Effekten leiden als manche andere Regionen, werden auch die nicht von biogeografischen Verschiebungen verschont bleiben.
Weitere Informationen:
Polares Plankton - Kleinlebewesen im sich ändernden Polarmeer.