RIRA Teilprojekte

Teilprojekte

Projektkoordinatorin Prof. Dr. Susanne Pickel

Professorin für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Vergleichende Politikwissenschaft | Universität Duisburg-Essen

Forschungsfrage:  “Welche Effekte gehen von Radikalisierungs- und Co-Radikalisierungsprozessen auf die politische Kultur und auf das Verständnis von Demokratie aus?“ 

(1) Je stärker die Bedrohungswahrnehmung durch eine Fremdgruppe ist, desto nationalistischer und exklusiver wird das eigene (demokratische) politische System interpretiert (Identifikation mit einer ethnisierten politischen Gemeinschaft).

(2) Je stärker gruppenbezogene Vorurteile, Muslimfeindschaft, Islamophobie und Diskriminierungstoleranz ausgeprägt sind, desto deutlicher wird einer Beschränkung bürgerlicher Freiheiten und politischer Rechte für die Fremdgruppe zugestimmt (Ablehnung der demokratischen Werte und Normen sowie der demokratischen politischen Institutionen).

(3) Je stärker gruppenbezogene Vorurteile, Selbstbezug und ein Rückzug aus der Gesellschaft vollzogen werden, desto deutlicher werden die demokratischen Normen und Werte der (deutschen) Demokratie abgelehnt. 

(4) Je stärker eine Radikalisierung voranschreitet, desto mehr wird ein demokratisches, tolerantes politisches System abgelehnt (Ablehnung der Legitimität der Demokratie). Es kommt zu einer Ausbildung einer anti-demokratischen politischen Kultur.  

Die Entwicklungen der (Co-) Radikalisierung in Bezug auf die politischen Einstellungen laufen phasenweise parallel und mit Bezug auf die jeweilige (politische) Gemeinschaft. Sie münden in eine Ablehnung der bestehenden Demokratie in Deutschland und Europa sowie dem Wunsch nach einem politischen System, das die eigenen, nicht-demokratischen politischen Normen und Werte unterstützt.

Zur Klärung dieser Annahmen werden die

a) Ergebnisse der Literatur- und Materialsichtung (alle PTs) sowie
b) der Sichtung und Analyse von Sekundärdaten (Kooperation mit den PTs G. Pickel, Decker, Uslucan)
c) der Gruppendiskussion (PT S. Pickel/Krumpholz, PTs Uslucan, Decker, Ceylan) und
d) der sozialpsychologischen Experimente (PT Fritsche) ausgetauscht und in die repräsentative Bevölkerungsumfrage mit Spezialstichproben (in Kooperation mit den PTs G. Pickel, Decker und Uslucan) als neue Erhebungsinstrumente eingespeist. Die Daten der Primärerhebung werden im Kontext der qualitativen Analysen hinsichtlich der Forschungsfrage und der Hypothesen ausgewertet und in enger Kooperation mit dem Wissenschafts-Praxis-Tandem (Krumpholz) für die Verwertung in den Präventionstools und Unterrichtseinheiten (PTs Uslucan, Lütze, Spielhaus) aufbereitet.

Islamwissenschaftler Prof. Dr. phil. Michael Kiefer

Institut für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück

Das Projektteam Kiefer wird zunächst alle relevanten Studien zum Thema „Radikalisierung und Prävention“ der letzten Jahre – im nationalen wie im internationalen Kontext – zusammentragen. Diese Ergebnisse werden dann in die vom Projektteam S. Pickel etablierte Literatur- und Materialdatenbank einfließen. Für die RIRA-Datenbank werden seitens Projektteam Kiefer die aufgearbeiteten Ergebnisse des Projektes “Mapping und Analyse von Präventions- und Distanzierungsprojekten im Umgang mit islamistischer Radikalisierung” berücksichtigt.

Ferner wird das Projektteam Kiefer den Fokus auf die übergeordnete Frage der Radikalisierung von muslimischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen richten. In Beantwortung der Frage nach Radikalisierung, Rahmenbedingungen für Radikalisierung und Gründen für Radikalisierung von muslimischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen erhebt Projektteam Kiefer primär qualitative Daten. Es werden sowohl biografische Interviews als auch Expert*inneninterviews durchgeführt.

Es sind ebenfalls Interviews mit angehenden Lehrkräften für den Islamischen Religionsunterricht geplant. Zweck dieser qualitativen Erhebung ist es, Radikalisierungsprozesse zu rekonstruieren und mögliche Interventionsansätze bei Radikalisierung zu identifizieren.

Als Mehrwert soll die Frage von „Konversion, Radikalisierung und Prävention“ beleuchtet werden, da in der Gruppe der Konvertit*innen in besonderer Weise Radikalisierungspotentiale wahrgenommen werden. Ziel ist es zu eruieren, ob muslimische Konvertit*innen eine relevante Zielgruppe für Prävention darstellen.

Sozialpsychologe Prof. Dr. Phil. Oliver Decker

u. a. Direktor des Kompetenzzentrums für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung | Universität Leipzig

Das Leipziger Projektteam bestehend aus Prof. Dr. Decker und Kazim Celik beschäftigt sich mit den Dynamiken, die sich in den Bedingungen und der Bedeutung von Radikalisierung unter Einschluss der individuellen Sinn- bzw. Bedeutungsstrukturen finden lassen. Innerhalb der Radikalisierungsspirale liegt der Schwerpunkt auf der Bestimmung der Ausbreitung von Extremismus und den Gründen für extremistische Co-Radikalisierung, speziell unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Als Grundlage für die Untersuchung von Extremismus und Radikalisierung greift das Projektteam auf das Konzept des Autoritarismus zurück. Autoritäre Einstellungen als Bedingung für extremistische (Co-)Radikalisierung sind für das Teilprojekt zentral und ihr Einfluss auf das Zustandekommen rechtsextremer und ethnozentrischer Einstellungen ist unbestritten. Innerhalb des Projektverbundes RIRA beschäftigt sich das Team vorrangig mit der Auswertung von quantitativem Datenmaterial (Primär- wie Sekundärdaten) sowie der Durchführung von (sechs) Gruppendiskussionen und Interviews mit Schüler*innen.

Darüber hinaus liegt ein weiterer Schwerpunkt auf der themenspezifischen Sekundärauswertung von Radikalisierung und Extremismus in den repräsentativen Bevölkerungsdaten der Leipziger Mitte Studien bzw. Leipziger Autoritarismus Studien seit 2002.

Sozialpsychologe Prof. Dr. Immo Fritsche

Professor für Sozialpsychologie am Institut für Psychologie | Universität Leipzig

Das Team des sozialpsychologischen Teilprojekts besteht aus Projektleiter Prof. Dr. Immo Fritsche und dem wissenschaftlichen Mitarbeiter M.Sc. Psych. Fabian Hess.
Ko-Radikalisierung von Gruppen kann durch gegenseitige Bedrohungswahrnehmungen ausgelöst werden, wie sie beispielsweise anlässlich Diskriminierungserfahrungen oder Furcht vor terroristischer Gewalt entstehen können. Auf Grundlage vorangegangener empirischer Forschung ist anzunehmen, dass derartige Bedrohungswahrnehmungen ethnozentrische Tendenzen von Personen erhöhen.

Diese sind in der Regel mit einer erhöhten Identifikation mit der eigenen Gruppe, persönlicher Extremisierung in Richtung wahrgenommener Gruppennormen sowie feindseligen und abwertenden Einstellungen gegenüber der jeweiligen Fremdgruppe verbunden. Damit ist ein Fortschreiten der Ko-Radikalisierungsspirale wahrscheinlich.

Das sozialpsychologische Teilprojekt untersucht die Randbedingungen dieser ko-radikalisierenden Effekte und Möglichkeiten, diese Prozesse zu verhindern. Dabei geht es insbesondere um folgende Annahmen. Bedrohung führt insbesondere dann zu extremisierten (anti-)religiösen und fremdgruppenfeindlichen Einstellungen und Handlungsintentionen, wenn die soziale Kategorisierung in (antagonistische) muslimische und nicht-muslimische Gruppen im Alltag salient ist, also im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Wahrgenommene Bedrohung im Kontext eines muslimisch/nicht-muslimischen Konflikts kann nicht nur konfliktfördernde Einstellungs- und Verhaltensreaktionen hervorrufen, sondern auch solche, die zur Reduktion des Konflikts – oder gar zur Kooperation – beitragen. Dies sollte davon abhängen, welche Normen der muslimischen oder nicht-muslimischen Eigengruppe in der Bedrohungssituation salient sind.

Gruppenbasierte Reaktionen auf Bedrohung sollten insbesondere dann auftreten, wenn Muslim*innen oder Nicht-Muslim*innen ihre jeweilige Gruppe als handlungsfähig – und daher als Ersatz für auf persönlicher Ebene bedrohte Handlungsfähigkeit – erleben.  Ob dies zu erhöhter Feindseligkeit gegenüber der jeweiligen Fremdgruppe beiträgt, sollte davon abhängen, ob kollektive Handlungsfähigkeit scheinbar primär durch kollektives Engagement im Intergruppenkonflikt entsteht oder durch alternative kollektive „Projekte“ (z.B. Durchführung von Gemeinwohlkampagnen).Diese Fragen werden insbesondere durch experimentalpsychologische Studien anhand muslimischer und nicht-muslimischer Stichproben untersucht.

Religionspädagoge Prof. Dr. Frank Lütze

Religionspädagoge Professor für Religionspädagogik u. Didaktik des Religionsunterrichts | Theologische Fakultät der Universität Leipzig

Unterrichtseinheiten zum Islam sind im Religions- und Ethikunterricht in allen Bundesländern fest verankert. Kann solcher Unterricht einen eigenständigen Beitrag dazu leisten, muslimisches Leben in Deutschland in seiner Vielfalt vorurteilssensibel wahrzunehmen und (Ko)Radikalisierungstendenzen präventiv entgegenzuwirken?

Diese Frage steht im Zentrum der Überlegungen des Projektteams am Institut für Religionspädagogik der Universität Leipzig. In enger Abstimmung mit den Leipziger Kolleg_innen sowie dem Göttinger Team um Prof. Riem Spielhaus, entwickeln wir – vor dem Hintergrund der in RIRA erhobenen empirischen Daten – konzeptionelle Grundlagen sowie darauf bezogene Unterrichtsmaterialien für Islameinheiten im Religions- und Ethikunterricht.

Neben religionsdidaktischen sowie islamisch-theologischen Perspektiven werden dabei systematisch migrationspädagogische sowie rassismuskritische Diskurse einbezogen. Besondere Berücksichtigung wird der regionale ostdeutsche Kontext finden, der einen Unterricht über Islam mit seiner Säkularität sowie seinem außerordentlich geringen Anteil muslimischer Bürger_innen vor spezifische Herausforderungen stellt. Die Unterrichtsmaterialien, in deren Zentrum Kurzfilme mit muslimischen Jugendlichen stehen, werden in Schulversuchen feinjustiert und am Ende inkl. Lehrerhandreichungen über eine Internetpublikation verfügbar gemacht.

Religionssoziologe Prof. Dr. Gert Pickel

Professor für Religions- und Kirchensoziologie | Theologische Fakultät der Universität Leipzig

Das Projektteam Gert Pickel besteht aus Projektleiter Prof. Dr. Gert Pickel, der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Dr. Verena Schneider sowie zusätzlich (ohne Finanzierung des BMBF) einbezogen Dr. Alexander Yendell (Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt). Das Projektteam G. Pickel widmet sich innerhalb des RIRA-Konsortiums vor allem der Beantwortung der Frage „Welche Relevanz hat Religion für Radikalisierung – und wie entwickelt sich Radikalisierung und Co-Radikalisierung speziell in der Postadoleszenz?“. Aufgrund unserer Expertise in der Religionssoziologie, der Jugendsoziologie, der Forschung zu Rechtspopulismus und der Vorurteilsforschung, konzentriert sich unser Teilprojekt auf den jugendspezifischen Gründen für (Co-)Radikalisierung, sowie Auswirkungen von Vorurteilsdiskursen wie Bedrohungsgefühlen mit religiösem Bezug auf Radikalisierung unter nichtmuslimischen und muslimischen Jugendlichen, Postadoleszenten oder Erwachsenen.

Diese Fragestellung versuchen wir mithilfe eines Mixed-Method-Designs in enger Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen des Konsortiums zu beantworten.Unsere Annahmen sind, dass: (1) Sich religiöse Gemeinschaften, insbesondere der Islam, besonders gut als Referenzgruppe für Abwertungsprozesse und Diskriminierung und somit Ausgangspunkt für Co-Radikalisierung bzw. Radikalisierung mit dem Zielpunkt Anti-Islam eignen; (2) religiöse Zugehörigkeiten mit insbesondere dogmatischer Ausrichtung Radikalisierungsprozesse bestärken können; (3) das öffentliche Meinungsbild von Religionsgemeinschaften und ihre Ethnisierung ein Umfeld für eine über kulturelle Differenzen gerechtfertigte Radikalisierung schafft; (4) gerade in dynamischen Lebensbedingungen befindliche junge Erwachsene besonders anfällig für Radikalisierung sind und (5) gerade auch (liberale) religiöse Gemeinschaften durch ihren Fundus an Sozialkapital und den bestehenden Gelegenheitsstrukturen in der Lage sind Radikalisierungsprozessen entgegenzuwirken.

Innerhalb des Projektverbundes RIRA beschäftigen wir uns vorrangig mit der Auswertung von quantitativem Datenmaterial (Primär- wie Sekundärdaten), welche um Interviews mit Religionslehrer*innen, Präventionspraktiker*innen, Expert*inneninterviews wie einer online-Befragung unter ca. 60 Lehrkräften in Ostdeutschland angereichert werden. In enger Abstimmung mit allen anderen Projektteams, speziell den Leipziger Projektteams um Prof. Dr. Oliver Decker, Prof. Dr. Immo Fritsche und Prof. Dr. Frank Lütze. Zudem erfolgt eine Berücksichtigung der spezifisch ostdeutschen politischen wie religiösen Situation für Prozesse der Radikalisierungsspirale mit einer besonderen Berücksichtigung von Bedrohungswahrnehmungen seitens des Islam oder durch Muslim*innen und Prozessen der Co-Radikalisierung in Rechtsextremismus und Rechtsradikalismus.

Islamwissenschaftlerin Prof. Dr. Riem Spielhaus

Leiterin der Abteilung Wissen im Umbruch | Leibniz-Institut für Bildungsmedien (GEI)

Das Teilprojekt am Leibniz-Institut für Bildungsmedien (GEI) analysiert Materialien für islambezogene Unterrichtseinheiten im Gesichts-, Geographie- sowie Politik/Sozialkundeunterricht (Lehrpläne, Schulbücher, ergänzendes (online-)Material) systematisch mit einem Fokus auf religiöse, kulturelle bzw. kulturalisierende wie politische Implikationen bzw. Leerstellen.

Daran schließt die Identifikation von Ansatzpunkten präventiver Interventionen durch den Fachunterricht sowie Bildungsmaterialien im Rahmen der Datenauswertung an. Dazu sollen hier relevante Lernpfade und Lernorte und ihr jeweiliger Einfluss auf das Islambild herausgearbeitet werden. Die Ergebnisse fließen in die Entwicklung pädagogischer Konzepte und Unterrichtsmaterialien ein, die im Projektverlauf getestet und anschließend auf der vom GEI betriebenen Webplattform www.zwischentoene.info veröffentlicht werden sollen.

Projektleitung: Prof. Dr. Riem Spielhaus

Psychologe Prof. Dr. Hacı-Halil Uslucan

Direktor der Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung u. Professor für Moderne Türkeistudien | Universität Duisburg-Essen

Das Team Uslucan wird die recherchierten Sekundärdaten zu zu Radikalisierungsprozessen systematisch anhand der Fragestellung mit multivariaten statistischen Analysemethoden untersuchen und die Ergebnisse mit den Berichten des Projektpartners Decker aus der Leipziger Studie zum Autoritarismus sowie dem Datenmaterial des ZfTI zu politischen Einstellungen/Präferenzen sowie zur Religiosität von Türkeistämmigen zusammenführen. Ferner werden Ergebnisse früherer Studien des Autors zum „Autoritarismus und Gewaltneigung“ im Jugendalter, bei der im Kulturvergleich eine deutsche und türkische Stichprobe gezogen wurde, einbezogen und mit aktuellen Studien verglichen.

Zweck dieses Vergleichs wird sein, zu eruieren, wie zum einen die entsprechenden Haltungen im Jugendalter sich im Zeitverlauf geändert haben und welche Rolle die jeweiligen kulturellen Umfelder (hier: Türkei und Deutschland) spielen. Ein weiteres zentrales Ziel der Fragestellung des Teams Uslucans wird sein, über Gruppendiskussionen insbesondere mit türkeistämmigen Jugendlichen Motive einer Radikalisierung, Demokratiedistanz, aber auch Entwertungs- bzw. Abwertungserlebnisse und deren Folgen heraus zu arbeiten.

Zuletzt sollen die wissenschaftlichen Ergebnisse so aufbereitet werden, dass sie – als Präventionstool – passgenau und didaktisch auf die pädagogische Praxis des islamischen und des christlichen Religionsunterrichts implementiert werden können.