Anthropomorphe Tutoren für Lernprozesse in mit Web 2.0-Technologie unterstützten Lehr-/Lernszenarien

Problemstellung

Die Idee, "virtuelle" Menschen zu kreieren, die sich wie reale Menschen gebärden, stellt schon seit der Frühzeit der Computeranimation eine der großen Visionen der Informations- und Kommunikationstechnik dar. Zurecht ist immer wieder darauf hingewiesen worden, dass virtuelle Charaktere (Avatare) prinzipiell in der Lage sein müssten, in all den Lebensbereichen, in die Computer inzwischen vorgedrungen sind, die Funktion zu übernehmen, die im realen Leben der nonverbalen Kommunikation zukommt - ein Aspekt des Kommunikationsverhaltens, der, wie wir heute wissen, für eine erfolgreiche Verständigung von Menschen von zentraler Bedeutung ist. Für die Optimierung von Lehr-/Lernprozessen, wie sie sich im Bereich der beruflichen Bildung stellen, eröffnet der Einsatz von Avataren zudem die Möglichkeit, Arbeitsvorgänge und Unterrichtsprozesse in prototypischer Modellhaftigkeit darzustellen. Anders als reale Lehrpersonen oder vorgegebene Videoaufzeichnungen bieten anthropomorphe Tutoren dem Lernenden den Vorteil, dass sie von diesem in variabler Weise gesteuert werden können und dadurch eine für die Informationsrezeption besonders günstige Art der Wissensvermittlung möglich machen, die in der Kognitionsforschung als "unpaced" bezeichnet wird.

In Verbindung mit einer Web-basierten Lernumgebung eröffnet der Einsatz virtueller Tutoren zudem neuartige Zugriffsmöglichkeiten auf Bildungsinhalte und die Art und Weise von deren Vermittlung. Dies betrifft vor allem die Option tutorieller Hilfe aus dem Netz, die allerdings, um erfolgreich sein zu können, eine hohe Gestaltungsfreiheit der eingesetzten Unterrichtsmittel verlangt: Möglichkeit der Fokussierung auf Einzelaspekte des Lehrstoffs, variable Gestaltung des individuellen Lerntempos, Nutzung dynamischer bildlicher Darstellungen – Features, die es gestatten, den individuellen Wissensdefiziten, Bildungsvoraussetzungen und Neigungen Rechnung zu tragen. Damit lässt sich gleichzeitig das Problem des kollektiven Unterrichts beheben, der auf die unterschiedlichen kognitiven Ressourcen der Nutzer keine Rücksicht nehmen kann, sondern – gemäß dem Prinzip "paced" - den Informationsempfänger zu einer quasi fremdbestimmten online-Verarbeitung nötigt.

Ein schwerwiegendes Problem, an dem die Nutzbarmachung anthropomorpher Avatare für die Zwecke der Aus- und Weiterbildung bisher immer wieder scheiterte, resultiert aus einer scheinbar paradoxen Betrachterreaktion. Es zeigte sich nämlich, dass Avatare auf desto mehr Ablehnung stoßen, je mehr deren äußeres Erscheinungsbild sich demjenigen realer Menschen annähert. Unter dem Stichwort "Uncanny Valley" hat dieses seltsame Phänomen inzwischen auch in vielerlei anderen Anwendungsbereichen (Filmindustrie, Werbebranche, Bedienungsanleitungen, etc.) sich zu einem scheinbar unüberwindlichen Hindernis für den Einsatz humanoider Avatare entwickelt.

 References

  • Bukimi no tani. Mori. M. Energy, 7(4), 1970. The uncanny valley (K. F. MacDorman & Kageti, N. Transl.). IEEE Robotics & Automation Magazine, 19(2), 2012.
  • What are the benefits of analogous communication in human computer interaction? Kempter, G., Weidmann, K.H. & Roux, P. In Stephanidis, C.  (ed). Universal Access in HCI: Inclusive Design in the Information Society, Mahwah: Lawrence Erlbaum., 2003.
  • The Undead Zone: Why Realistic Graphics Make Humans Look Creepy. Thompson, C. http://www.slate.com/articles/technology/gaming/2004/06/the_undead_zone.html
  • „The Uncanny Valley” – Was ist das Problem? Wie ist es zu lösen? Frey, S. in: K. Rebensburg (Hrsg.) NMI 2005. Neue Medien der Informationsgesellschaft. „Film & Computer“. Aachen: Shaker, 2006.
  • Anthropomorphe Tutoren für Lernprozesse: Perspektiven und Entwicklungsaufgaben. Frey, S. in C. Hubig und P. Koslowski (Hrsg.).: Maschinen, die unsere Brüder werden. Mensch-Maschine-Interaktion in hybriden Systemen. Paderborn: Fink, 2008
  • Evaluation von Bedienoberflächen für eLearning Applikationen. Kempter, G. in: Mayer H. & Kriz, W. (Hrsg.). Evaluation von eLernprozessen. Berlin: Oldenbourg Verlag, 2010. 

 

Dieses Vorhaben wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und aus dem Europäischen Sozialfonds der Europäischen Union gefördert.

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